OGH vom 23.07.2019, 9ObA20/19k
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Bernhard Kirchl und Herbert Bauer in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei ***** Z*****, vertreten durch Dr. Peter Hrubesch, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Ö***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Stefan Aigner, Mag. Gerd Pichler, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Anfechtung einer Entlassung (§ 106 ArbVG), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Ra 51/18a99, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 20 Cga 86/17z95, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Ersturteil zu lauten hat:
„Die von der beklagten Partei mit Schreiben vom ausgesprochene Entlassung der klagenden Partei wird für rechtsunwirksam erklärt.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 2.495,62 EUR (darin 415,94 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war seit 2007 bei der Beklagten als Distributionsleiter der Zustellbasis S***** mit einem monatlichen Entgelt von 3.491,49 EUR brutto, 14 x jährlich, angestellt. Er wurde am wegen entlassungswürdiger Vorkommnisse in seiner Zustellbasis dienstfreigestellt und mit Schreiben vom entlassen. Im Revisionsverfahren ist das Vorliegen von Entlassungsgründen nicht mehr strittig.
Der Kläger begehrte, die Entlassung für rechtsunwirksam zu erklären. Er brachte vor, ihm sei kein Grund für die Dienstfreistellung genannt worden. Die Aufarbeitung der behaupteten Dienstpflichtverletzungen habe keinesfalls ein Jahr gedauert. Die Entlassung sei daher verfristet. Als Kündigung sei sie auch sozial ungerechtfertigt, weil er im 56. Lebensjahr stehe und mit Langzeitarbeitslosigkeit zu rechnen habe. Die Entlassung sei auch aus einem verpönten Motiv erfolgt, weil er im April 2017 bzw am offene Lohnansprüche geltend gemacht habe.
Die Beklagte wandte, soweit revisionsgegenständlich, ein, sie habe nach Hervorkommen der Missstände umfangreiche Nachforschungen begonnen. Dem Kläger sei am Gelegenheit gegeben worden, sich zu den Verdachtsmomenten zu äußern, die er unter Hinweis auf einen Operationstermin nicht wahrgenommen habe. Es seien noch ergänzende Einvernahmen erfolgt, bis mit Schreiben vom die Entlassung ausgesprochen worden sei. Da die Entlassung gerechtfertigt sei, stünde ihm der Anfechtungsgrund der Sozialwidrigkeit der § 105 Abs 3 Z 2 iVm 106 ArbVG nicht offen. Eine Motiventlassung liege nicht vor. Lohnansprüche von 2.795 EUR seien zwar nach Geltendmachung im April 2017 nicht ausbezahlt worden, das Motiv sei in Ansehung der einjährigen Dienstfreistellung bei vollen Bezügen aber konstruiert.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte – soweit für die Frage der Verfristung wesentlich – fest:
Die 22 Rayone des Klägers wurden von bis in der Weise kontrolliert, dass jeder Zusteller in Begleitung von einem Kontrollor seine Zustelltour absolvierte. Den Kontrolloren wurde vorab die Gangordnung für den jeweiligen Rayon mit dem Auftrag ausgefolgt, die Abweichungen der Post-Adress-Basis-Datenbank (PABD) vom Ist-Zustand festzuhalten. Die Beklagte stellte nach dieser ersten Begehung in einzelnen Rayonen des Klägers Abweichungen bei der Zahl der in der PABD aufscheinenden Abgabestellen/Werbeverzichte von den in der Realität vorhandenen in einem Ausmaß fest, das indiskutabel, nicht erklärbar und österreichweit noch nicht vorgekommen war. … Die Zusteller der Gruppe des Klägers wurden nach Vorliegen der Erhebungsergebnisse mit den Abweichungen konfrontiert. … Die Beklagte hat zwei Zusteller aus der Gruppe des Klägers entlassen. Ein weiterer Zusteller wurde versetzt. Zwei Distributionsleiter wurden diszipliniert. … Ab wurde ***** G***** in der Zustellbasis als interimistische Basenkoordinatorin eingesetzt. Sie war ausschließlich dafür zuständig, die Richtigkeit der Tischbeschriftungen und Gangfolgen in der Zustellbasis zu prüfen bzw herzustellen und den Datenbestand der Erhebungsergebnisse zu aktualisieren. Sie war bis in der Zustellbasis tätig. ...
Am stellte Mag. S***** den Kläger aufgrund der bei den Kontrollen festgestellten Abweichungen bei den Abgabestellen und den Werbeverzichtserklärungen in den Rayonen des Klägers von den Daten in der PABD, der Vorwürfe der Zusteller gegen den Kläger und der fehlenden Schulungsdokumentation vom Dienst frei. Er nannte dem Kläger als Grund für die Dienstfreistellung die „Vorkommnisse in S*****“. Der Kläger musste dann Schlüssel, Chip und Handy abgeben und wurde gebeten, seine Privatnummer zu hinterlegen. Der Kläger wurde wegen der streitgegenständlichen Vorfälle und nicht infolge eines „Bedarfsmangels“ (Umstellung der Hierarchie mit dem Wegfall der Funktionen DL [Distributionsleiter], DM und Basenkoordinator – Teamwork 2018) vom Dienst freigestellt. …
Nach der Dienstfreistellung gab es zwischen dem Kläger und der Beklagten keinen Kontakt mehr.
Mit E-Mail vom begehrte er die anteilige Auszahlung der jährlichen Distributionsleiter- und einer Vertretungsprämie (1.400 EUR brutto + 542 EUR).
Mit E-Mail vom forderte die Beklagte den Kläger auf, sich am zu einer Niederschrift in der Zustellbasis einzufinden. Der Kläger nahm diesen Termin aus gesundheitlichen Gründen nicht wahr.
Mit EMail vom , gerichtet an den Vorstand der Beklagten ***** P***** und deren Prokuristen ***** N*****, übte der Kläger Kritik am Vorgehen seiner Vorgesetzten, an deren Personalführung, an seiner Dienstfreistellung und dem Ergebnis der im Sommer 2016 durchgeführten Kontrollen.
Mit Schreiben vom forderte die Rechtsvertreterin des Klägers die Beklagte neuerlich zur Zahlung der Prämien und einer Unternehmensbeteiligung, gesamt 2.795 EUR brutto, auf.
Mit Schreiben der Beklagten vom wurde der Kläger entlassen.
Der Personalausschuss erhob gegen die Entlassung des Klägers Widerspruch, weil er sie für verfristet und sozialwidrig hielt und die Auffassung bestand, dass der Grund für die Dienstfreistellung ein Bedarfsmangel gewesen sei. Er selbst führte keine Entlassungs- oder Kündigungsanfechtung für den Kläger durch.
Das Erstgericht stellte auch die näheren Lebens- und Einkommensverhältnisse des Klägers fest, aus denen hervorgeht, dass die Phase der Arbeitslosigkeit für Arbeitssuchende ohne die für den Kläger geltenden Randbedingungen mit drei bis sechs Monaten ab dem Zeitpunkt der Auflösung des Dienstverhältnisses anzusetzen ist, die Umstände des Klägers aber zu einer Verlängerung der Arbeitsplatzsuche von jedenfalls über zwölf Monaten führen und auch Langzeit- oder Dauerarbeitslosigkeit nicht ausgeschlossen werden kann. Im Fall einer Vermittlung müsste der Kläger mit keiner Einkommenseinbuße rechnen und bedürfte auch keiner Umschulungsmaßnahmen.
In rechtlicher Hinsicht verneinte das Erstgericht eine Verfristung der Entlassung. Der Kläger habe infolge der Suspendierung/Dienstfreistellung aus dem Zeitablauf allein nicht mehr auf einen Verzicht der Beklagten auf die Ausübung des Entlassungsrechts schließen können. Diese habe bis zur Entlassung kein Verhalten gesetzt, das bei ihm das Vertrauen erwecken hätte können, dass sie auf arbeitsrechtliche Konsequenzen verzichten werde. Sein Verhalten sei tatbestandsbegründend iSd § 27 Z 1 AngG, würde aber auch einen personenbezogenen Kündigungsgrund iSd § 105 Abs 3 Z 2 iVm 106 ArbVG verwirklichen. Die Glaubhaftmachung eines verpönten Motivs für die Entlassung (Geltendmachung der DL-Prämie) sei dem Kläger nicht gelungen. Bei der Kritik an seinem Vorgesetzten handle es sich um keine Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG.
Das Berufungsgericht teilte diese Beurteilung und gab der Berufung des Klägers keine Folge.
In seiner dagegen gerichteten außerordentlichen Revision beantragt der Kläger die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsstattgabe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Berufungsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zugeben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und berechtigt, weil die Frage der Verfristung einer Neubeurteilung bedarf.
1. Die vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses muss unverzüglich, dh ohne schuldhaftes Zögern erklärt werden. Die dogmatische Rechtfertigung für diesen Grundsatz liegt primär in der jeder vorzeitigen Auflösung wesensimmanenten Unzumutbarkeit der auch bloß kurzfristigen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses (Pfeil in Neumayr/Reissner,ZellKomm3 § 25 AngG Rz 31 mwN).
Auch die Rechtsprechung verlangt, dass Gründe für die vorzeitige Lösung eines Dienstverhältnisses bei sonstiger Verwirkung des Entlassungsrechts unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Zögern, geltend zu machen sind. Der Dienstgeber darf mit der Ausübung seines Entlassungsrechts nicht wider Treu und Glauben so lange warten, dass der Angestellte aus diesem Zögern auf einen Verzicht des Dienstgebers auf die Geltendmachung der Entlassungsgründe schließen muss; der Dienstnehmer, dem ein pflichtwidriges Verhalten vorgeworfen wird, soll darüber hinaus nicht ungebührlich lange über sein weiteres dienstrechtliches Schicksal im Unklaren gelassen werden (RS0031799). Der Grundsatz, dass die
Entlassung unverzüglich auszusprechen ist, beruht auf dem Gedanken, dass ein Arbeitgeber, der eine Verfehlung seines Arbeitnehmers nicht sofort mit der
Entlassung beantwortet, dessen Weiterbeschäftigung nicht als unzumutbar ansieht und auf die Ausübung des
Entlassungsrechts im konkreten Fall verzichtet. Andererseits kann nicht aus jeder Verzögerung auf den Verzicht des Arbeitgebers auf die Ausübung des
Entlassungsrechts geschlossen werden. Es ist daher Sache des Arbeitnehmers, einen derartigen Verzicht des Arbeitgebers auf das Entlassungsrecht zumindest implicite zu behaupten (RS0029249).
Bei der Prüfung der Rechtzeitigkeit einer
Entlassung ist folglich zu untersuchen, ob in dem Zuwarten mit der
Entlassung ein Verzicht auf die Geltendmachung des
Entlassungsgrundes zu erblicken ist oder ob dieses Zuwarten in Umständen begründet ist, welche die Annahme eines solchen Verzichts nicht rechtfertigen. Es muss daher die Ursache des zwischen der Kenntnis vom
Entlassungsgrund und dem Ausspruch der
Entlassung liegenden Zuwartens des Arbeitgebers im Einzelfall geklärt werden (RS0029267).
Ist der Sachverhalt zweifelhaft, ist der Dienstgeber überdies verpflichtet, die zur Feststellung des Sachverhalts erforderlichen und zumutbaren Erhebungen ohne Verzögerung durchzuführen (RS0029345; RS0029348).
2. Vorläufige Maßnahmen, etwa die bis zur Klärung der tatsächlichen oder rechtlichen Lage vorgenommene Suspendierung eines Arbeitnehmers, können die Annahme eines Verzichts des Arbeitgebers auf die Ausübung des Entlassungsrechts verhindern (RS0028987). Allerdings muss die Dienstfreistellung zur Klärung der tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen für einen Entlassungsausspruch erfolgen und für den Dienstnehmer als vorläufige Maßnahme zur Vorbereitung einer Entlassung erkennbar sein; nur wenn dem Dienstnehmer erkennbar ist, dass sein Verhalten die schwerwiegende Folge der Entlassung nach sich ziehen kann und nur noch Abklärungen der Sach- und Rechtslage erforderlich sind, kann aus dem Zeitablauf allein nicht auf einen Verzicht auf die Ausübung des Entlassungsrechts geschlossen werden (9 ObA 185/00x). Eine Suspendierung des Dienstnehmers vom Dienst schließt daher nicht in jedem Fall eine Verwirkung des Entlassungsrechts aus (vgl auch RS0031587 [T2]). Sie bedeutet insbesondere nicht, dass der Dienstgeber in jedem Fall über die Dauer der Erhebungen hinaus bis zu einem beliebigen Zeitpunkt die Entlassungsgründe „vorrätig“ halten und mit dem Ausspruch der Entlassung zuwarten könnte. Denn wurde der Sachverhalt ermittelt und werden keine weiteren Abklärungen mehr vorgenommen, ohne dass der Dienstgeber den Fortbestand des Dienstverhältnisses – hier bei vollen Bezügen – in Frage stellt, so kann sich bei einem suspendierten Dienstnehmer mit zunehmendem Zeitverlauf der Eindruck verfestigen, dass die Suspendierung nicht mehr als vorläufige Maßnahme zur Vorbereitung einer Entlassung dient, sondern aus anderen Erwägungen als aus jenen erfolgt, die Anlass der Suspendierung waren. Anders als die Beklagte meint, spricht der zunehmende Zeitverlauf hier daher nicht gegen, sondern – im Gegenteil – zunächst für einen Fortsetzungswillen des Dienstgebers, wenn er Entlassungsgründe wie die vorliegenden auch bei zeitlich großzügig bemessener Ermittlungsarbeit nicht zum Anlass einer unverzüglichen Beendigung des Dienstverhältnisses nimmt.
3. Im vorliegenden Fall erfolgte die Dienstfreistellung des Klägers am zur Klärung der „Vorkommnisse in S*****“, womit nach dem festgestellten Sachverhalt unzweifelhaft die Folgen der vom Kläger (mit-) zu verantwortenden Datenmanipulation zur Systemisierung der Rayone uä angesprochen waren. Die entsprechenden Kontrollen hatten vom 23. 6. bis stattgefunden. Am war bereits eine interimistische Basenkoordinatorin eingesetzt. Diese blieb bis in jener Zustellbasis tätig. Aus dem festgestellten Sachverhalt geht aber nicht hervor, dass die Beklagte nach diesem Zeitpunkt noch weitere Erhebungen getätigt oder auch nur Bedarf danach bestanden hätte. Das Vorbringen der Beklagten ON 15 S 5 wurde ohne jegliche Zeitangaben erstattet (zB „besonders genaue Prüfung“; dem Kläger eingeräumte Gelegenheit, „an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken“) und macht eine nahezu einjährige Dauer der Abklärung der Sach- und Rechtslage nicht plausibel. Für das Vorbringen der Beklagten, dass sich „letztlich aus ergänzenden Einvernahmen Ende Mai 2017 erstmals in ausreichender Deutlichkeit“ ergeben habe, dass „der Kläger die Missstände zumindest billigend in Kauf genommen“ habe (ON 6 S 8), bietet der festgestellte Sachverhalt keine Anhaltspunkte. Aus diesem geht vielmehr eine monatelange Nichtreaktion der Beklagten hervor, die den Kläger nach seinem Vorbringen annehmen ließ, dass seine Position wegen Restrukturierungsmaßnahmen aufgegeben und er „zwischengeparkt“ werden sollte. Die Beklagte trat mit ihm auch erst wieder Anfang Mai 2017 in Kontakt, nachdem der Kläger Prämienansprüche geltend gemacht hatte. Doch selbst wenn man der Beklagten darin folgte, dass sie erstmals Ende Mai 2017 in ausreichender Deutlichkeit Klarheit hatte, dass „der Kläger die Missstände zumindest billigend in Kauf“ nahm, würde dies ihr weiteres Zuwarten mit dem Entlassungsausspruch bis nicht erklären. Es könnte aber auch nicht auf ihre Kenntnis von der Haltung des Klägers zu den von ihm gesetzten Entlassungsgründen ankommen. Zusammenfassend ist daher eine Verfristung der Entlassung des Klägers wegen der „Vorkommnisse in S*****“ zu bejahen.
4. Gemäß § 106 Abs 2 ArbVG kann eine Entlassung angefochten werden, wenn ein Anfechtungsgrund iSd § 105 Abs 3 ArbVG vorliegt und der betreffende Arbeitnehmer keinen Entlassungsgrund gesetzt hat (s auch RS0029457). Da auch bei einer Verfristung von einer ungerechtfertigten Entlassung auszugehen ist und die Möglichkeit einer Entlassungsanfechtung eröffnet (Wolliger in Neumayr/Reissner ZellKomm II3§ 106 ArbVG Rz 5), ist zu prüfen, ob die Anfechtungsvoraussetzungen des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG vorliegen.
Nach den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zu den Einkommensverhältnissen des Klägers und der voraussichtlichen Dauer seiner Arbeitslosigkeit ist hier nicht weiter zweifelhaft, dass die Beendigung des Dienstverhältnisses zu einer wesentlichen Beeinträchtigung seiner Interessen führt; dazu kann auf die Ausführungen des Erstgerichts (Ersturteil S 37) verwiesen werden.
Für diesen Fall hat bereits das Erstgericht darauf verwiesen, dass jene Umstände, die die Beklagte für die Entlassung des Klägers heranzieht, auch dann, wenn man einen Entlassungsgrund iSd § 27 Z 1 AngG verneinte, personen- und verhaltensbedingte Rechtfertigungsgründe (§ 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG) wären.
Richtig ist, dass die in der Person des Arbeitnehmers gelegenen Gründe, die der Arbeitgeber zur Rechtfertigung der Kündigung gemäß § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG geltend machen kann, nicht so gravierend sein müssen, dass sie die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über den Kündigungstermin hinaus unzumutbar machen (RS0051888 [T14]) oder gar das Gewicht eines Entlassungsgrundes erreichen. Sie müssen aber die betrieblichen Interessen soweit nachteilig berühren, dass sie bei objektiver Betrachtungsweise einen verständigen Betriebsinhaber zur Kündigung veranlassen würden und die Kündigung als gerechte, dem Sachverhalt adäquate Maßnahme erscheinen lassen. Werden die betrieblichen Interessen in erheblichem Maße berührt, überwiegen sie das (wesentliche) Interesse des Arbeitnehmers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses (RS0051888).
Allerdings gilt auch in diesem Zusammenhang der arbeitsrechtliche Unverzüglichkeitsgrundsatz (RS0109392; 9 ObA 134/18y). Hat der Dienstgeber ihm zur Kenntnis gelangte konkrete Vorfälle bloß zum Anlass für eine Ermahnung genommen, so kann eine derartige Erklärung nur dahin verstanden werden, dass der Dienstgeber auf das Recht, den Dienstnehmer wegen dieses Verhaltens zu entlassen bzw zu kündigen, verzichtet hat (9 ObA 134/18y mwN). Das kann aus den bereits dargelegten Gründen für den Fall einer Suspendierung, die auf dem Verdacht eines Entlassungstatbestands gründet, nach aufgeklärtem Sachverhalt aber nicht zum Anlass der Beendigung des Dienstverhältnisses genommen wird, nicht anders gelten.
Da die Anfechtungsvoraussetzungen iSd § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG zu bejahen sind, ist auf die Frage einer Motivkündigung iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG nicht mehr einzugehen.
5. Insgesamt ist das Klagebegehren daher wegen der verfristeten Geltendmachung von Entlassungs- oder personenbezogenen Kündigungsgründen iSd § 106 Abs 2, 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG berechtigt.
Der Revision war danach Folge zu geben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren im Sinn einer Klagsstattgabe abzuändern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 58 Abs 1 Satz 1 ASGG. Hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens und des Berufungsverfahrens findet kein Kostenersatz statt (betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit iSd § 50 Abs 2 ASGG).
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00020.19K.0723.000 |
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