OGH vom 04.05.2006, 9ObA20/06s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Haiko K*****, Lehrling, *****, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr. Sabine Berger, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagte Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Maria Paumgartner, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen EUR 2.966,47 brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Ra 99/05s-11, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 18 Cga 28/05p-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 333,12 (darin EUR 55,52 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger stand ab bei der Beklagten in einem Lehrverhältnis als Kraftfahrzeugtechniker. Er ist am geboren und österreichischer Staatsbürger. Bei Lehrabschluss wurde der als voraussichtliches Ende des Lehrverhältnisses genannt. Am - nach mehr als zwei Jahren andauernder Lehre - unterzeichnete der damals erst 17-jährige Kläger ein ihm von seinem Vorgesetzten bei der Beklagten vorgelegtes Schreiben über die vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses durch einvernehmliche Auflösung. Der Kläger war bis dahin weder von einem Gericht noch von einer Kammer für Arbeiter und Angestellte über die Bestimmungen betreffend die Endigung und die vorzeitige Auslösung des Lehrverhältnisses belehrt worden. Es lag auch keine entsprechende Amtsbestätigung oder Bescheinigung iSd § 15 Abs 5 BAG vor. Es fehlte auch eine schriftliche Einverständniserklärung der Eltern des Klägers hinsichtlich einer einvernehmlichen Auflösung des Lehrverhältnisses. Die Eltern stimmten der Auflösung auch sonst nicht zu. Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage von der Beklagten die Zahlung von Kündigungsentschädigung und Urlaubsersatzleistung in der Höhe von insgesamt EUR 2.966,47 brutto sA und führt dazu aus, dass die einvernehmliche Auflösung vom unwirksam sei, weil dabei § 15 Abs 5 BAG nicht eingehalten worden sei. Er sei zu diesem Zeitpunkt noch minderjährig gewesen. Es hätten daher beide Elternteile der einvernehmlichen Auflösung schriftlich zustimmen müssen; seine Mutter habe jedoch nicht zugestimmt.
Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und wendete ein, dass § 15 Abs 5 BAG, dessen Anpassung im Zug der Novelle BGBl I 2000/83 offensichtlich übersehen worden sei, auf eine Frist in Abs 2 leg cit abstelle, die es seit dieser Novelle nicht mehr gebe. Die Bedingungen des Abs 5 würden daher nur mehr während der ersten sechs Wochen des Lehrverhältnisses gelten. Gemäß § 15 Abs 2 BAG habe es deshalb zur Wirksamkeit der einvernehmlichen Auflösung des Lehrverhältnisses nur mehr der Schriftform und der Unterschrift des Klägers bedurft. Beides sei vorgelegen. Im Übrigen seien auch die Eltern des Klägers mit der einvernehmlichen Auflösung des Lehrverhältnisses einverstanden gewesen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren unter Zugrundelegung der wiedergegebenen Außerstreitstellungen und Feststellungen statt. In rechtlicher Hinsicht sei von § 15 Abs 5 BAG auszugehen. Danach sei die einvernehmliche Auflösung vom Vorliegen einer Amtsbestätigung des Gerichts oder einer Bescheinigung einer Kammer für Arbeiter und Angestellte abhängig, aus der hervorgehe, dass der Lehrling über die Bestimmungen betreffend die Endigung und die vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses belehrt worden sei. Eine derartige Amtsbestätigung oder Bescheinigung läge unstrittig nicht vor. Dass in § 15 Abs 2 BAG entgegen des Verweises in § 15 Abs 5 BAG keine Frist mehr enthalten sei, bedeute nicht, dass es nicht mehr auf die sonstigen Voraussetzungen des § 15 Abs 5 BAG ankomme. Gerade minderjährige Lehrlinge seien besonders schutzwürdig. Dass der Kläger später von der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Salzburg vertreten worden sei, ersetze nicht das Fehlen der Bescheinigung über die Belehrung vor der Auflösung des Lehrverhältnisses.
Das Berufungsgericht gab der gegen das Ersturteil erhobenen Berufung der Beklagten nicht Folge. Es trat der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts bei. Der Ablauf der Frist laut § 15 Abs 2 BAG stelle keine Voraussetzung für die Bestätigung laut Abs 5 leg cit dar. Mit der Novelle BGBl I 2000/83 sei die Probezeit von zwei auf drei Monate ausgedehnt worden; sonst habe sich nichts geändert. Bei der systematischen Umstellung der Abs 1 und 2 leg cit im Rahmen der Novelle sei vom Gesetzgeber offenbar übersehen worden, den ursprünglichen Verweis in Abs 5 auf Abs 2 nunmehr auf Abs 1 zu korrigieren. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte sei aber weiterhin von der Geltung der in Abs 5 enthaltenen Schutzbestimmungen auszugehen. Nach Ablauf der maximal dreimonatigen Probezeit sei daher für die einvernehmliche Auflösung des Lehrverhältnisses weiterhin eine Amtsbestätigung eines Gerichts oder eine Bescheinigung einer Kammer für Arbeiter und Angestellte über die Belehrung des Lehrlings erforderlich. Es handle sich dabei um Wirksamkeitsvoraussetzungen der einvernehmlichen Auflösung. Der Zweck des § 15 Abs 5 BAG gebiete den Schutz des Lehrlings vor einer allzu leichtfertigen einvernehmlichen Vertragsauflösung und einem der Ausbildung abträglichen Wechsel. Diesem Zweck werde eine bloß nachträgliche Belehrung des Lehrlings nicht gerecht. Nach ständiger Rechtsprechung komme dem Lehrling ein Wahlrecht zu; er könne zwischen der Fortsetzung des Lehrverhältnisses zufolge unwirksamer Auflösung und der Akzeptanz der Auflösung bei gleichzeitiger Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen unberechtigter Auflösung wählen. Der Kläger habe sich für letzteres entschieden. Die ordentliche Revision sei gemäß § 502 Abs 1 ZPO zuzulassen, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Wirksamkeitsvoraussetzungen der einvernehmlichen Auflösung eines Lehrverhältnisses fehle.
Gegen die Berufungsentscheidung richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, das angefochtene Urteil iSd der Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt. Die Revisionswerberin macht den „Nichtigkeitsgrund im Sinne des § 503 Ziffer 4 ZPO" geltend. Nicht nur aus der angegebenen Gesetzesstelle, sondern auch aus den Revisionsausführungen ist erkennbar, dass tatsächlich keine Nichtigkeit nach § 503 Z 1 ZPO, sondern (in erster Linie) unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache nach § 503 Z 4 ZPO geltend gemacht werden soll. Soweit von der Revisionswerberin inhaltlich auch noch eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nach § 503 Z 2 ZPO gerügt wird, ohne sich allerdings ausdrücklich auf diesen Revisionsgrund zu stützen, schadet dies ebenfalls nicht, weil das Begehren auch insoweit deutlich erkennbar ist (§ 84 Abs 2 ZPO). Die diesbezüglichen Ausführungen der Revisionswerberin sind jedoch schon deshalb unbegründet, weil (angebliche) Verfahrensmängel des erstinstanzlichen Verfahrens, die schon das Berufungsgericht verneint hat, nicht mehr in der Revision gerügt werden können (Kodek in Rechberger, ZPO² § 503 Rz 3 mwN ua). Davon abgesehen liegen auch keine Mängel des Berufungsverfahrens vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO). In der Sache ist rechtlich davon auszugehen, dass das Lehrverhältnis des Klägers und dessen (vorzeitige) Beendigung dem Berufsausbildungsgesetz (BAG), BGBl 1969/142, unterlagen. Mit der ua dieses Gesetz betreffenden Novelle BGBl I 2000/83 wurden die Abs 1 und 2 des § 15 BAG („Vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses") geändert. Die Änderungen traten mit in Kraft (§ 36 Abs 1 BAG). Zutreffend gingen daher die Vorinstanzen und die Parteien davon aus, dass die Wirksamkeit der gegenständlichen einvernehmlichen Auflösung vom nach § 15 BAG idF BGBl I 2000/83 zu beurteilen ist.
Nach § 15 Abs 5 BAG - dieser Absatz war von der genannten Novelle nicht betroffen - muss bei einvernehmlicher Auflösung des Lehrverhältnisses nach Ablauf der gemäß Abs 2 zutreffenden Frist eine Amtsbestätigung eines Gerichts (§ 92 ASGG) oder eine Bescheinigung einer Kammer für Arbeiter und Angestellte vorliegen, aus der hervorgeht, dass der Lehrling über die Bestimmungen betreffend die Endigung und die vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses belehrt wurde. Beim Vorliegen dieser Belehrungsbescheinigung handelt es sich nach einhelliger Auffassung um eine Wirksamkeitsvoraussetzung der einvernehmlichen Auflösung des Lehrverhältnisses (Winkler, ZAS 1978, 169 [179]; Berger/Fida/Gruber, BAG § 15 Rz 129;
Jabornegg/Resch/Strasser, Arbeitsrecht² Rz 579; Marhold/Friedrich, Arbeitsrecht 261; Pfeil in Schwimann, ABGB³ § 1158 Rz 29; Schrank, Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht 72 f; Weiß, Der besondere Bestandschutz Rz 356; ArbG Wien, 9 Cr 48/84, ARD-HB 1986, 152 ua). Fehlt sie, dann ist die einvernehmliche Auflösung unwirksam. Schon der Wortlaut des § 15 Abs 5 BAG (arg „muss") lässt keine andere Auslegung zu. Auch der Zweck der Vorschrift gebietet dieses strikte Verständnis. Der in der Regel unerfahrene Lehrling soll vor einer übereilten, nicht ausreichend überdachten einvernehmlichen Auflösung bewahrt werden (Weiß aaO FN 736 ua). Fehleinschätzungen und unzureichende Information über die Rechtslage können die Willensbildung eines Lehrlings im Vorfeld einer einvernehmlichen Auslösung beeinträchtigen (vgl auch § 104a ArbVG; Cerny in Cerny/Gahleitner/Preiss/Schneller, ArbVG³ § 104a Erl 1 ua). Richtig ist nun, dass § 15 Abs 5 BAG auf den „Ablauf der gemäß Abs 2 zutreffenden Frist" abstellt. Dieser Verweis ist auf den ersten Blick unklar, weil Abs 2 gar keine Frist (mehr) enthält. Dort heißt es nämlich seit der Novelle BGBl I 2000/83 nur, dass die Auflösung zur Rechtswirksamkeit der Schriftform und bei minderjährigen Lehrlingen in den Fällen der Abs 1 und 4 überdies der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters, jedoch keiner vormundschaftsbehördlichen Genehmigung, bedarf. Wie es zu diesem fehlerhaften Verweis kam, ist jedoch leicht nachzuvollziehen, wenn man den Regelungsinhalt des § 15 vor und nach der Novelle vergleicht. Vorher hieß es in Abs 2, dass während der ersten zwei Monate - sofern in dieser Zeit der Lehrling seine Schulpflicht in einer lehrgangsmäßigen Berufsschule erfüllt, jedoch während der ersten sechs Wochen der Ausbildung im Lehrbetrieb (in der Ausbildungsstätte) - sowohl der Lehrberechtigte als auch der Lehrling das Lehrverhältnis jederzeit einseitig auflösen kann. Im Zug der Novelle wurde dann die Frist vom Abs 2 in den Abs 1 des § 15 BAG verlegt (und überdies noch geändert). Seither heißt es in Abs 1, dass während der ersten drei Monate sowohl der Lehrberechtigte als auch der Lehrling das Lehrverhältnis jederzeit einseitig auflösen kann; erfüllt der Lehrling seine Schulpflicht in einer lehrgangsmäßigen Berufsschule während der ersten drei Monate, kann sowohl der Lehrberechtigte als auch der Lehrling das Lehrverhältnis während der ersten sechs Wochen der Ausbildung im Lehrbetrieb (in der Ausbildungsstätte) jederzeit einseitig auflösen. Es wurde dabei jedoch vom Gesetzgeber übersehen, den Verweis in Abs 5 entsprechend anzupassen (Berger/Fida/Gruber aaO § 15 Rz 128 ua). Nach den im damaligen Bericht des Wirtschaftsausschusses dokumentierten Erwägungen bei der Änderung des § 15 BAG, kann jedoch kein Zweifel bestehen, dass der aktuelle Verweis in § 15 Abs 5 BAG in Wahrheit auf Abs 1 abzielt. Bei der Novelle BGBl I 2000/83 bestand keine (erkennbare) Absicht des Gesetzgebers, die Wirksamkeitsvoraussetzungen des § 15 Abs 5 BAG zu beseitigen. Dem Lehrberechtigten sollte nur durch Verlängerung der Probezeit von zwei auf drei Monate die Möglichkeit gegeben werden, den Lehrling „als Person" und in seinem Verhalten kennen zu lernen und ihn auf seine Eignung für den Lehrberuf zu prüfen, bevor das Lehrverhältnis nur noch aus ganz bestimmten Gründen aufgelöst werden kann (AB 216 BlgNR 21. GP 1 f).
Nach § 15 Abs 5 BAG muss „bei" einvernehmlicher Auflösung des Lehrverhältnisses eine Amtsbestätigung oder Bescheinigung vorliegen. Hierin erblickt die Revisionswerberin eine „Kondiktion" (und keinen „Zeitfaktor"). Nach ihrem Verständnis komme es nur darauf an, dass der Lehrling „im Fall der einvernehmlichen Auflösung" entsprechend belehrt werde. Dafür reiche es auch aus, dass der Kläger (im Prozess) von der Arbeiterkammer Salzburg vertreten worden sei; ihr wäre es dann oblegen, den Kläger hinsichtlich der Auflösung des Lehrverhältnisses zu belehren. Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Jegliches Verständnis, das sich mit einer „nachträglichen", dh erst nach der einvernehmlichen Auflösung erfolgten Belehrung des Lehrlings iSd § 15 Abs 5 BAG begnügt, unterläuft tendenziell den Schutzzweck dieser Bestimmung und ist daher abzulehnen (vgl auch Schrank aaO 73 ua).
Unstrittig lag am keine Belehrungsbescheinigung iSd § 15 Abs 5 BAG vor. Völlig zutreffend gingen daher die Vorinstanzen davon aus, dass die einvernehmliche Auflösung des bereits über zwei Jahre bestehenden Lehrverhältnisses des Klägers unwirksam war. Der unbegründeten Revision der Beklagten muss daher ein Erfolg versagt bleiben. Auf die Frage der gesetzlichen Vertretung des Lehrlings bei der einvernehmlichen Auflösung des Lehrverhältnisses (vgl zum Vorliegen einer weiteren Unschärfe des § 15 BAG Weiß aaO 357) muss in Anbetracht der ohnehin bereits gegebenen Unwirksamkeit der Auflösungsvereinbarung nicht mehr eingegangen werden. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.