OGH vom 28.01.2014, 14Os133/13k
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Mascha als Schriftführer in der Rechtshilfesache betreffend Mag. Daniela G***** und Gerhard G***** wegen Auskunft über Bankkonten und Bankgeschäfte für die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (CH), AZ 351 HR 68/13x des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a StPO der Mag. Daniela G***** und des Gerhard G***** nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Erneuerungsantrag wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom , GZ 351 HR 68/13x 54, und des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom , AZ 23 Bs 120/13k (ON 61), werden aufgehoben und es wird die Gewährung von Rechtshilfe abgelehnt.
Die Akten werden der Staatsanwaltschaft Wien mit dem Auftrag zurückgestellt, bei der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen die mit Note vom (ON 62) übermittelten Ergebnisse der auf das gegenständliche Verfahren bezogenen Auskunft durch die BAWAG PSK zurückzufordern.
Text
Gründe:
Über Rechtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen vom , AZ St.2010.33816 (ON 2), ergänzt durch die Eingaben vom (ON 7 bis 9) und vom (ON 51), bewilligte das Landesgericht für Strafsachen Wien mit Beschluss vom , AZ 351 HR 68/13x (ON 54), die Anordnung der Auskunftserteilung (Bankkonten und Bankgeschäfte) der Staatsanwaltschaft Wien vom mit Befristung bis .
Danach erging die Anordnung der Erteilung von Auskünften durch die BAWAG PSK gemäß §§ 109 Z 3 lit a und b, 116 Abs 1 und 2 Z 1 bis 3 StPO für den Zeitraum „ bis laufend“ hinsichtlich der im Beschluss ziffernmäßig angeführten Konten, wobei konkret die Herausgabe von Kontoeröffnungsunterlagen sowie „Kontoauszüge/Kontoverdichtung seit Oktober 2010 bis zuletzt“, die „Bekanntgabe des Namens und sonstiger Daten über die Identität des Inhabers der angeführten Geschäftsverbindungen sowie dessen Anschrift“ und die Erteilung der „Auskunft, ob die Beschuldigten Gerhard G*****, geboren am , sowie Daniela G*****, geboren am , eine Geschäftsverbindung mit dem Bankeninstitut unterhalten beziehungsweise unterhalten haben, ob sie aus einer solchen wirtschaftlich berechtigt oder für sie bevollmächtigt sind beziehungsweise waren“, angeordnet wurden.
Nach dem Inhalt des Rechtshilfeersuchens ist bei der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen eine Strafuntersuchung gegen Mag. Daniela G***** und Gerhard G***** anhängig, die im Verdacht des gewerbsmäßigen Betrugs nach Art 146 Abs 2 des schweizerischen Strafgesetzbuchs sowie der Vergehen nach Art 23 des schweizerischen Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb stünden.
Die Eheleute G***** würden über die im August 2010 im Handelsregister eingetragene D***** GmbH mit Sitz in der Schweiz Waren via Internet und Fernsehen zum Verkauf anbieten. Die D***** GmbH sei ein zum Schein, nämlich insbesondere zur Erschwerung der Geltendmachung von Ansprüchen der Besteller, etabliertes Franchiseunternehmen der T***** AG. Unter anderem durch die Behauptung einer jeweils von den Kunden zu vertretenden Wertminderung der zurückgesandten Waren seien „über 80“ (namentlich nicht angeführte) Anzeiger aus Deutschland, der Schweiz und aus Österreich teilweise um ihre Ansprüche auf Rückzahlung des Kaufpreises betrogen worden. Zudem sei ein durch Mehrwertnummern gebührenpflichtiger Kundendienst (Hotline) betrieben worden, den die Kunden auch dafür in Anspruch genommen hätten, um die jeweilige RMA Nummer (Return Merchandise Authorization) zu erhalten, mit deren Hilfe die Retournierung der Waren angeblich rasch und reibungslos erfolge. Tatsächlich habe es sich bei dieser (im Grunde nutzlosen) Nummer um die in umgekehrter Reihenfolge gelesene Auftragsnummer gehandelt. Die für die Kunden kostspieligen Telefonate seien daher überflüssig gewesen.
In einer Vorbemerkung zu diesem Sachverhalt wurde angeführt, dass „vorbehaltlich der in diesem Ersuchen anbegehrten ergänzenden Abklärungen sowie neuer Erkenntnisse, welche die Überprüfung der Zuständigkeit erforderlich machen,“ der Leitende Staatsanwalt des kantonalen Untersuchungsamts St. Gallen die Übernahme eines bei der Staatsanwaltschaft Korneuburg gegen Gerhard G***** wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 148 erster Fall StGB anhängigen Strafverfahrens verfügt habe. „Der Beschuldigte stehe im Verdacht, als Gesellschafter und Geschäftsführer der D***** GmbH durch Vorgabe, intakte und hochwertige Produkte zu liefern, getäuscht und dadurch zu Zahlungen in Höhe von insgesamt rund 425,50 Euro verleitet zu haben. Die Firma des Beschuldigten habe minderwertige bzw. defekte Geräte geliefert und nicht deklarierte hohe Versand- bzw. Manipulationskosten verrechnet.“
Gegen die Bewilligung der Anordnung der Auskunftserteilung durch das Landesgericht für Strafsachen Wien erhoben Mag. Daniela G***** und Gerhard G***** Beschwerde. Soweit hier von Bedeutung brachten sie vor, die Gewährung von Rechtshilfe sei aufgrund der Sperrwirkung gemäß Art 54 SDÜ im Hinblick auf eine Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Heilbronn vom , AZ 56 Js 376/11, und einen Einstellungsbeschluss des liechtensteinischen Fürstlichen Landesgerichts vom , AZ 12 UR.2011.238, rechtswidrig.
Das Oberlandesgericht Wien gab dieser Beschwerde mit Beschluss vom , AZ 23 Bs 120/13k (ON 61), nicht Folge.
Das Beschwerdegericht verneinte das Vorliegen erheblicher Bedenken gegen die Zulässigkeit der Ermittlungsmaßnahme gegen die Beschuldigten selbst unter der Annahme, dass Art 54 SDÜ ein im Rechtshilfeverfahren beachtliches Verfolgungshindernis darstelle. Begründend verwies es auf ein Urteil des schweizerischen Bundesgerichts vom , AZ 1B-148/2012, über die Beschwerde des Gerhard G***** gegen den Entscheid der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom , Zahl 1 B 148/2012, wonach die kantonalen Instanzen willkürfrei dargelegt hätten, dass die Strafanzeigen, die bei der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen eingegangen sind, zumindest zu einem großen Teil nicht von den gleichen mutmaßlichen Geschädigten seien, welche bereits die Staatsanwaltschaft Heilbronn eingeschaltet haben.
Zudem könne aus der Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft Heilbronn das Verfahren gemäß § 153 Abs 1 dStPO nach fristgerechter Erfüllung von Auflagen durch die Beschuldigten endgültig eingestellt hat, angesichts des Zusatzes, wonach die Tat als Vergehen nicht weiter verfolgt werden kann, nur geschlossen werden, dass eine weitere Verfolgung als Verbrechen möglich wäre.
Das aufgrund des dem Rechtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen vom , AZ St.2010.33816, zugrundeliegenden Sachverhalts (vgl ON 55 Beilage ./7) geführte liechtensteinische Inlandsstrafverfahren zu AZ 12 Ur.2011.238 sei ersichtlich zu einem Zeitpunkt eingeleitet worden, als Art 54 SDÜ im Verhältnis zu Liechtenstein noch nicht in Kraft gesetzt war. Spätestens nach Inkrafttreten des SDÜ wäre es an Liechtenstein gelegen gewesen, durch einen Verfahrenstransfer dafür zu sorgen, dass die schon länger geführten Ermittlungen in der Schweiz in der selben Sache durch eine eigene aus welchen Gründen auch immer abschließende Endentscheidung nicht blockiert werden. Davon abgesehen sei der Benachrichtigung über die Einstellung der Vorerhebungen gemäß § 22 Abs 1 lieStPO nicht zu entnehmen, in welchem Umfang die Einstellung erfolgt ist. Zudem habe der Staatsgerichtshof des Fürstentums Liechtenstein laut Mitteilung der Fürstlichen Landrichterin vom unter anderem die Ausfolgung der die D***** GmbH betreffenden Unterlagen im Rechtshilfeverfahren als rechtmäßig bestätigt (vgl ON 60).
Gegen diesen Beschluss des Oberlandesgerichts als Beschwerdegericht wendet sich der (in einem gemeinsamen Schriftsatz erhobene) Antrag der Mag. Daniela G***** und des Gerhard G***** auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO, in dem die Genannten eine Verletzung von Art 54 SDÜ, Art 4 des 7. ZPMRK und Art 50 GRC durch die gerichtlich bewilligte Anordnung behaupten.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom , 11 Os 73/13i (= NL 2013, 380), klar gestellt, dass der durch Art 54 SDÜ gewährte Schutz vor Doppelverfolgung als Grundrecht einzustufen ist und dass dieses Verbot gemäß § 2 ARHG der Entsprechung eines ausländischen Rechtshilfeersuchens entgegenstehen kann (in diese Richtung deutend bereits Zeder , Verbot der Doppelbestrafung [ne bis in idem] in der EU: Fragen, Fragen, Fragen und einige Antworten, AnwBl 2007, 454 ff [466]).
Dieser Entscheidung des Obersten Gerichtshofs lag ein späteres, jedoch ebenso das gegenständliche schweizerische Inlandsstrafverfahren gegen Mag. Daniela G***** und Gerhard G***** betreffendes Rechtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen vom um Vernehmung der Mag. Daniela G***** als Beschuldigte zugrunde. Entsprechend dem - zum Zeitpunkt des Ersuchens späteren Verfahrensstand waren nach dem Inhalt des Rechtshilfeersuchens nun bereits „über 90“ namentlich ebenso nicht angeführte Kunden vom schweizerischen Inlandsverfahren umfasst; die Entscheidung des Bundesgerichts vom , AZ 1B-148/2012, war aktenkundig.
Der Oberste Gerichtshof hat ausgesprochen, dass in Ansehung der Voraussetzungen des Art 54 SDÜ im Rechtshilfeverfahren gleichermaßen nur (aber immerhin) eine formelle Prüfungspflicht der Behörden und Gerichte des ersuchten Staats besteht. Auch insofern ist im ersuchten Staat vor allem von den Angaben des ersuchenden Staats im Rechtshilfeersuchen (und in allfälligen Ergänzungen) auszugehen.
Spricht die Darstellung des ersuchenden Staats gegen die Annahme einer bereits rechtskräftig erfolgten Aburteilung in einem dem Schengenraum zugehörigen Staat, so wäre die Rechtshilfe nur dann zu verweigern, wenn im ersuchten Staat Beweise vorgelegt werden, die dagegen erhebliche Bedenken zu erwecken geeignet sind. Die Behörden und Gerichte des ersuchten Staats sind aber nicht verpflichtet, darüber hinaus Ermittlungsschritte zur endgültigen Abklärung dieses Verfolgungshindernisses zu setzen.
Nach dieser Entscheidung des Obersten Gerichtshofs ist die Berufung auf die Einstellung des Verfahrens gegen die Erneuerungswerber durch die Staatsanwaltschaft Heilbronn geeignet, erhebliche Bedenken zu erwecken, was demnach auch für das gegenständliche bloß eine geringere Anzahl von Anzeigen mutmaßlich Geschädigter umfassende - Verfahren gilt.
Wie zu 11 Os 73/13i (= NL 2013, 380) ausgeführt, waren die Eheleute G***** Beschuldigte im Ermittlungsverfahren wegen Betrugs und strafbarer Werbung gemäß §§ 263 I, 53 dStGB, § 16 dUWG („Vorwürfe im Zusammenhang mit der T***** AG und der D***** GmbH“), AZ 66 Js 376/11 der Staatsanwaltschaft Heilbronn. Wie hier stellten die Verteidiger auch dort umfangreich begründete Anträge auf Einstellung des Verfahrens mit auch hier aktenkundigen Faktenaufstellungen. Im Verfahren AZ 351 HR 68/13x des Landesgerichts für Strafsachen Wien befindet sich auch eine Auflistung der Geschädigten des schweizerischen Verfahrens (ON 44 S 11 ff), wobei sämtliche der dort aufscheinenden Personen von der zum Verfahren der Staatsanwaltschaft Heilbronn vorliegenden Faktenaufstellung umfasst sind.
Beide Beschuldigte nahmen diversionelle Angebote der Staatsanwaltschaft Heilbronn an und zahlten die auferlegten Geldbeträge. Mit Verfügungen vom 16. und stellte die Staatsanwaltschaft Heilbronn das Verfahren nach § 153a Abs 1 StPO endgültig ein und verständigte davon die Beschuldigten zu Handen deren Verteidiger. Dieses nach den fallaktuellen Umständen demnach ausreichend bescheinigte Vorbringen ist wie bereits zu 11 Os 73/13i (= NL 2013, 380) dargelegt geeignet, erhebliche Bedenken zu erwecken, dass die in Deutschland und in der Schweiz verfahrensgegenständlichen Vorwürfe - unabhängig von deren rechtlicher Einordnung - dieselben Taten (idem) im Sinn von Art 54 SDÜ umfassen und dass die Einstellung des deutschen Ermittlungsverfahrens nach § 153a Abs 1 dStPO der weiteren Verfolgung somit auch der Leistung von Rechtshilfe entgegensteht. Ohne dass es eines Eingehens auf die Vorgänge im Fürstentum Liechtenstein oder der Erörterung von Art 50 GRC bedürfte, war dem Erneuerungsbegehren demnach - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - Folge zu geben und der Staatsanwaltschaft Wien aufzutragen, die übermittelten Ergebnisse der Ermittlungsmaßnahme zurückzufordern.
Im Übrigen ist auch das Oberlandesgericht Wien davon ausgegangen, dass das Fürstentum Liechtenstein die schon länger geführten Ermittlungen in der Schweiz in der selben Sache durch eine abschließende Entscheidung nicht blockieren hätte sollen und würde - soweit aktenkundig - auch die Einstellung der liechtensteinischen Vorerhebung im betreffenden Inlandsstrafverfahren durch den Untersuchungsrichter am gemäß § 22 Abs 1 lieStPO (infolge Bindung an die Rechtsansicht des Staatsgerichtshofs des Fürstentums Liechtenstein vom , AZ StGH 2011/202, wonach das Geschäftsgebaren nicht das Tatbild des Betrugs erfüllt) Sperrwirkung entfalten. Denn nach der Aktenlage würde eine Fortsetzung des Strafverfahrens gegen Mag. Daniela G***** und Gerhard G***** wegen des Verdachts des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 lieStGB unabhängig von den Bedingungen und Förmlichkeiten der Wiederaufnahme nach § 281 Z 1 lieStPO nicht in Betracht kommen.
Bleibt schließlich anzumerken, dass der Staatsgerichtshof des Fürstentums Liechtenstein in seiner Entscheidung vom , AZ StGH 2012/123 (vgl Beilage ./3 zum Antrag auf Erneuerung), in Betreff der Rechtshilfe durch Übersendung von Unterlagen der D***** GmbH festgehalten hat, dass der den Ausfolgungsbeschluss des Landesgerichts bestätigende Beschluss des Obergerichts von der D***** GmbH nicht bekämpft worden sei und treuwidriges behördliches Verhalten nicht ersichtlich wäre (S 13 ff).
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2014:0140OS00133.13K.0128.000