OGH vom 26.02.2020, 9ObA137/19s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Stefula als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei D***** T*****, vertreten durch Mag. German Storch und Mag. Rainer Storch, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei j***** gmbh in Liquidation, *****, vertreten durch Herbst Kinsky Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 322,06 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 57/19t-14, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 64 Cga 7/19g-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die klagende Partei wird aufgefordert, binnen 14 Tagen bekanntzugeben, ob sie von der Verfahrensfortsetzung absteht, widrigenfalls ihr Fortsetzungswille unterstellt wird.
Text
Begründung:
Der Kläger begehrte von der Beklagten mit Klage vom als Urlaubsersatzleistung einen Betrag von 322,06 EUR sA.
Das Erstgericht wies die Klage über Antrag der Beklagten ab.
Das Berufungsgericht bestätigte mit der angefochtenen Entscheidung dieses Urteil.
Am erhob der Kläger gegen das Berufungsurteil Revision. Am langte eine Revisionsbeantwortung ein.
Aus dem Firmenbuch ist ersichtlich, dass die Beklagte nach der angefochtenen Entscheidung am im Firmenbuch infolge beendeter Liquidation gelöscht wurde.
Rechtliche Beurteilung
Über die Revision kann derzeit noch nicht entschieden werden.
1. Die mangelnde Parteifähigkeit ist eine von Amts wegen zu prüfende Prozessvoraussetzung, bei deren Fehlen die Klage zurückzuweisen ist (RS0110705 [T8]). Sie ist in jeder Lage des Verfahrens bis zur Rechtskraft der Entscheidung von Amts wegen oder auf Antrag wahrzunehmen (RS0110705 [T7]).
2. Eine Kapitalgesellschaft verliert nach herrschender Ansicht ihre Parteifähigkeit mit ihrer Vollbeendigung, die ihre Vermögenslosigkeit und (kumulativ) ihre Löschung im Firmenbuch voraussetzt (6 Ob 136/15s [Pkt 3.2] = GesRZ 2015, 392 [Schimka]; Fink in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 § 155 ZPO Rz 16, je mwN). Die Löschung – sei es zufolge Nichteröffnung oder Aufhebung des Insolvenzverfahrens mangels kostendeckenden Vermögens gemäß § 39 FBG, sei es aufgrund von Vermögenslosigkeit gemäß § 40 FBG, sei es (wie hier) nach Beendigung einer Liquidation gemäß § 93 GmbHG – wirkt daher nur deklarativ, besteht doch eine gelöschte Gesellschaft fort, solange sie noch über Aktivvermögen verfügt (6 Ob 120/97h; 7 Ob 91/16g [Pkt 1.2]; RS0050186 [T1, T 7]; Nademleinsky in Höllwerth/Ziehensack, ZPO-TaKom [2019] § 1 ZPO Rz 3). Bis zum Beweis des Gegenteils ist aber davon auszugehen, dass eine im Firmenbuch gelöschte Kapitalgesellschaft vermögenslos ist (RS0050186 [T14]). Ein möglicher Kostenersatzanspruch im Verfahren steht der Vollbeendigung der Beklagten nicht entgegen (RS0050186 [T27]).
3. Seit der Entscheidung des verstärkten Senats zu 8 ObA 2344/96f vertritt der Oberste Gerichtshof die Auffassung, dass eine vollbeendete Kapitalgesellschaft grundsätzlich nicht mehr parteifähig ist, es aber mit dem Grundrecht auf ein faires Verfahren nach Art 6 EMRK unvereinbar wäre, wenn die Beklagte durch rechtliche Änderungen in ihrer Sphäre, auf die der Kläger keinen Einfluss hat und die er auch nicht durchschauen kann, eine Entscheidung über den vom Kläger bei Gericht geltend gemachten zivilrechtlichen Anspruch vereiteln könnte. Wird die beklagte Kapitalgesellschaft während eines gegen sie anhängigen Prozesses gelöscht, ist das Verfahren deshalb auf Begehren des Klägers fortzusetzen. Strebt der Kläger hingegen die Fortsetzung des Verfahrens gegen die gelöschte Gesellschaft nicht an, so ist – bei gegenseitiger Kostenaufhebung nach § 51 Abs 2 ZPO (7 Ob 126/98z; 7 Ob 167/05t mwN) – die Klage zurückzuweisen und das bisherige Verfahren für nichtig zu erklären (RS0110979; G. Kodek/Mayr, Zivilprozessrecht4 Rz 308a).
4. Der Kläger hat somit ein Wahlrecht (1 Ob 153/02k ua). Sein Wille zur Verfahrensfortsetzung gegen die vollbeendete Gesellschaft muss aber nicht ausdrücklich erklärt werden, sondern kann sich auch daraus ergeben, dass er trotz Kenntnis der den Verlust der Parteifähigkeit herbeiführenden Umstände das Verfahren durch Anträge oder Rechtsmittel fortsetzt (7 Ob 91/16g [Pkt 1.3]; RS0110979 [T4]).
5. Um ein „Taktieren“ zu verhindern, hat der Kläger, nachdem ihm die relevanten Tatsachen bekannt geworden sind, in angemessener Frist zu erklären, dass er von der Fortsetzung des Verfahrens abstehe; andernfalls wird unterstellt, dass er das Verfahren fortführen will. Liegen keine Hinweise vor, dass dem Kläger die relevanten Umstände (zB die Löschung der Beklagten oder die Insolvenzabweisung mangels Masse) bekannt sind, hat ihm das Prozessgericht eine angemessene Frist zu setzen, in der er erklären kann, von der Verfahrensfortsetzung Abstand zu nehmen, widrigenfalls sein Fortsetzungswille unterstellt wird (Fink in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 § 155 ZPO Rz 42 mzN). Dabei ist eine Frist von 14 Tagen üblich und im Normalfall auch angemessen (9 ObA 39/11t; 2 Ob 176/14t).
6. Im vorliegenden Fall wurde die Löschung infolge Liquidation zwar bereits am im Firmenbuch und damit fünf Tage vor Einbringung der Revision des Klägers eingetragen, die Revisionsschrift lässt aber nicht erkennen, dass der Kläger die Revision in Kenntnis der Löschung erhob. Damit kann ihm noch kein Fortsetzungswille unterstellt werden.
Dem Kläger war daher Gelegenheit zu geben, binnen 14 Tagen eine entsprechende Erklärung abzugeben.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:009OBA00137.19S.0226.000 |
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