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OGH 26.02.2020, 9ObA137/19s

OGH 26.02.2020, 9ObA137/19s

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Stefula als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei D***** T*****, vertreten durch Mag. German Storch und Mag. Rainer Storch, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei j***** gmbh in Liquidation, *****, vertreten durch Herbst Kinsky Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 322,06 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 57/19t-14, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 64 Cga 7/19g-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die klagende Partei wird aufgefordert, binnen 14 Tagen bekanntzugeben, ob sie von der Verfahrensfortsetzung absteht, widrigenfalls ihr Fortsetzungswille unterstellt wird.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrte von der Beklagten mit Klage vom als Urlaubsersatzleistung einen Betrag von 322,06 EUR sA.

Das Erstgericht wies die Klage über Antrag der Beklagten ab.

Das Berufungsgericht bestätigte mit der angefochtenen Entscheidung dieses Urteil.

Am erhob der Kläger gegen das Berufungsurteil Revision. Am langte eine Revisionsbeantwortung ein.

Aus dem Firmenbuch ist ersichtlich, dass die Beklagte nach der angefochtenen Entscheidung am im Firmenbuch infolge beendeter Liquidation gelöscht wurde.

Rechtliche Beurteilung

Über die Revision kann derzeit noch nicht entschieden werden.

1. Die mangelnde Parteifähigkeit ist eine von Amts wegen zu prüfende Prozessvoraussetzung, bei deren Fehlen die Klage zurückzuweisen ist (RS0110705 [T8]). Sie ist in jeder Lage des Verfahrens bis zur Rechtskraft der Entscheidung von Amts wegen oder auf Antrag wahrzunehmen (RS0110705 [T7]).

2. Eine Kapitalgesellschaft verliert nach herrschender Ansicht ihre Parteifähigkeit mit ihrer Vollbeendigung, die ihre Vermögenslosigkeit und (kumulativ) ihre Löschung im Firmenbuch voraussetzt (6 Ob 136/15s [Pkt 3.2] = GesRZ 2015, 392 [Schimka]; Fink in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 § 155 ZPO Rz 16, je mwN). Die Löschung – sei es zufolge Nichteröffnung oder Aufhebung des Insolvenzverfahrens mangels kostendeckenden Vermögens gemäß § 39 FBG, sei es aufgrund von Vermögenslosigkeit gemäß § 40 FBG, sei es (wie hier) nach Beendigung einer Liquidation gemäß § 93 GmbHG – wirkt daher nur deklarativ, besteht doch eine gelöschte Gesellschaft fort, solange sie noch über Aktivvermögen verfügt (6 Ob 120/97h; 7 Ob 91/16g [Pkt 1.2]; RS0050186 [T1, T7]; Nademleinsky in Höllwerth/Ziehensack, ZPO-TaKom [2019] § 1 ZPO Rz 3). Bis zum Beweis des Gegenteils ist aber davon auszugehen, dass eine im Firmenbuch gelöschte Kapitalgesellschaft vermögenslos ist (RS0050186 [T14]). Ein möglicher Kostenersatzanspruch im Verfahren steht der Vollbeendigung der Beklagten nicht entgegen (RS0050186 [T27]).

3. Seit der Entscheidung des verstärkten Senats zu 8 ObA 2344/96f vertritt der Oberste Gerichtshof die Auffassung, dass eine vollbeendete Kapitalgesellschaft grundsätzlich nicht mehr parteifähig ist, es aber mit dem Grundrecht auf ein faires Verfahren nach Art 6 EMRK unvereinbar wäre, wenn die Beklagte durch rechtliche Änderungen in ihrer Sphäre, auf die der Kläger keinen Einfluss hat und die er auch nicht durchschauen kann, eine Entscheidung über den vom Kläger bei Gericht geltend gemachten zivilrechtlichen Anspruch vereiteln könnte. Wird die beklagte Kapitalgesellschaft während eines gegen sie anhängigen Prozesses gelöscht, ist das Verfahren deshalb auf Begehren des Klägers fortzusetzen. Strebt der Kläger hingegen die Fortsetzung des Verfahrens gegen die gelöschte Gesellschaft nicht an, so ist – bei gegenseitiger Kostenaufhebung nach § 51 Abs 2 ZPO (7 Ob 126/98z; 7 Ob 167/05t mwN) – die Klage zurückzuweisen und das bisherige Verfahren für nichtig zu erklären (RS0110979; G. Kodek/Mayr, Zivilprozessrecht4 Rz 308a).

4. Der Kläger hat somit ein Wahlrecht (1 Ob 153/02k ua). Sein Wille zur Verfahrensfortsetzung gegen die vollbeendete Gesellschaft muss aber nicht ausdrücklich erklärt werden, sondern kann sich auch daraus ergeben, dass er trotz Kenntnis der den Verlust der Parteifähigkeit herbeiführenden Umstände das Verfahren durch Anträge oder Rechtsmittel fortsetzt (7 Ob 91/16g [Pkt 1.3]; RS0110979 [T4]).

5. Um ein „Taktieren“ zu verhindern, hat der Kläger, nachdem ihm die relevanten Tatsachen bekannt geworden sind, in angemessener Frist zu erklären, dass er von der Fortsetzung des Verfahrens abstehe; andernfalls wird unterstellt, dass er das Verfahren fortführen will. Liegen keine Hinweise vor, dass dem Kläger die relevanten Umstände (zB die Löschung der Beklagten oder die Insolvenzabweisung mangels Masse) bekannt sind, hat ihm das Prozessgericht eine angemessene Frist zu setzen, in der er erklären kann, von der Verfahrensfortsetzung Abstand zu nehmen, widrigenfalls sein Fortsetzungswille unterstellt wird (Fink in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 § 155 ZPO Rz 42 mzN). Dabei ist eine Frist von 14 Tagen üblich und im Normalfall auch angemessen (9 ObA 39/11t; 2 Ob 176/14t).

6. Im vorliegenden Fall wurde die Löschung infolge Liquidation zwar bereits am im Firmenbuch und damit fünf Tage vor Einbringung der Revision des Klägers eingetragen, die Revisionsschrift lässt aber nicht erkennen, dass der Kläger die Revision in Kenntnis der Löschung erhob. Damit kann ihm noch kein Fortsetzungswille unterstellt werden.

Dem Kläger war daher Gelegenheit zu geben, binnen 14 Tagen eine entsprechende Erklärung abzugeben.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Stefula und die fachkundigen Laienrichter Dr. Ingomar Stupar (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Werner Pletzenauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei D***** T*****, vertreten durch Mag. German Storch und Mag. Rainer Storch, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei j***** gmbh in Liquidation, *****, vertreten durch Herbst Kinsky Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 322,06 EUR sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 57/19t-14, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 64 Cga 7/19g-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

I.1. Ist mit Art 31 Abs 2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2010/C 83/02) und Art 7 Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88/EG eine nationale Vorschrift vereinbar, wonach eine Urlaubsersatzleistung für das laufende (letzte) Arbeitsjahr nicht gebührt, wenn der Arbeitnehmer ohne wichtigen Grund vorzeitig einseitig das Dienstverhältnis beendet („Austritt“)?

I.2. Wenn diese Frage verneint wird:

1.2.1. Ist dann zusätzlich zu prüfen, ob der Verbrauch des Urlaubs für den Arbeitnehmer unmöglich war?

1.2.2. Nach welchen Kriterien hat diese Prüfung zu erfolgen?

II. Das Revisionsverfahren wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 Gerichtsorganisationsgesetz ausgesetzt.

Text

Begründung:

A. Sachverhalt

Der Kläger war vom bis bei der Beklagten als Arbeiter beschäftigt. Im Beschäftigungszeitraum verbrauchte er 4 Tage Urlaub.

Am beendete der Kläger das Arbeitsverhältnis durch unberechtigten vorzeitigen Austritt. Im Beschäftigungszeitraum hatte er einen Urlaubsanspruch von 7,33 Arbeitstagen erworben. Da er bereits 4 Tage Urlaub verbraucht hatte, betrug sein offener Urlaubsanspruch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses 3,33 Arbeitstage. Die Beklagte hat dem Kläger unter Verweis auf die Bestimmung des § 10 Abs 2 Urlaubsgesetz keine Urlaubsersatzleistung ausbezahlt.

Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass die Urlaubsersatzleistung 322,06 EUR betragen würde.

B. Bisheriges Verfahren

Der Kläger begehrt mit seiner Klage als Urlaubsersatzleistung einen Betrag von 322,06 EUR samt Zinsen. Er brachte selbst vor, das Arbeitsverhältnis durch unberechtigten Austritt vorzeitig beendet zu haben. Er vertritt im Verfahren den Standpunkt, dass die Bestimmung des § 10 Abs 2 Urlaubsgesetz, wonach keine (Urlaubs-)Ersatzleistung gebührt, wenn der Arbeitnehmer ohne wichtigen Grund vorzeitig aus dem Dienstverhältnis austritt („unberechtigter Austritt“, „unbegründeter Austritt“), gegen Art 31 Abs 2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) und Art 7 Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88/EG verstoße und daher nicht zur Anwendung komme.

Die Beklagte beantragte unter Hinweis auf § 10 Abs 2 Urlaubsgesetz die Abweisung der Klage. Die Bestimmung widerspreche nicht dem Unionsrecht.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Es begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass aus Art 7 Abs 2 Arbeitszeit-Richtlinie nicht ableitbar sei, dass bei jeder Art der Beendigung der Arbeitnehmer Anspruch auf Ersatzleistung habe. Dieser Ansatz wäre unverhältnismäßig. Er hätte für den Arbeitgeber nicht zumutbare nachteilige Auswirkungen. Bei einem vorzeitigen unberechtigten Austritt des Arbeitnehmers sei es aufgrund der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglich, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den Verbrauch des Urlaubsanspruchs gewährt und ihn tatsächlich in die Lage versetzt, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Die Begrenzung des Anspruchs in § 10 Abs 2 Urlaubsgesetz, dass die Urlaubsersatzleistung bei unberechtigtem Austritt dem Arbeitnehmer nicht zusteht, stelle eine Gepflogenheit der österreichischen Rechtsordnung im Sinne des Art 7 Abs 1 Arbeitszeit-Richtlinie dar.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs könne nicht entnommen werden, dass der in § 10 Abs 2 Urlaubsgesetz normierte Entfall des Anspruchs auf Urlaubsersatzleistung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Austritt des Arbeitnehmers ohne wichtigen Grund im Widerspruch zu Art 7 Abs 2 Arbeitszeit-Richtlinie bzw Art 31 Abs 2 GRC stünde. Der Europäische Gerichtshof betone zwar in seinen jüngeren Entscheidungen, dass Art 7 Abs 2 Arbeitszeit-Richtlinie keine andere Voraussetzung für das Entstehen des Anspruchs auf finanzielle Vergütung aufstelle als die, dass das Arbeitsverhältnis beendet ist und dass der Arbeitnehmer nicht den gesamten Jahresurlaub genommen hat, auf den er zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch hatte. Auch betone der Europäische Gerichtshof, dass der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den Anspruch auf eine finanzielle Vergütung keine Rolle spiele. Der Europäische Gerichtshof sei jedoch bislang mit keinem Sachverhalt konfrontiert gewesen, in dem das Arbeitsverhältnis aufgrund eines unbegründeten Austritts durch den Arbeitnehmer vorzeitig beendet worden war.

Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit bestehendem offenen Urlaubsanspruch sei auch tatsächlich nicht die einzige Voraussetzung für den Anspruch auf Abgeltung. Der Europäische Gerichtshof habe etwa den Anspruch auf Abgeltung für jenen Zeitraum verneint, in dem der Arbeitnehmer vor seiner Versetzung in den Ruhestand unter Entgeltfortzahlung dienstfrei gestellt war. In den Rechtssachen Kreuziger und MPG habe der Europäische Gerichtshof ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich aus seiner Rechtsprechung nicht ergebe, der Anspruch auf Vergütung müsse dem Arbeitnehmer „völlig unabhängig von den Umständen erhalten bleiben […], die dazu geführt haben, dass er den bezahlten Jahresurlaub nicht genommen hat“. Art 7 Arbeitszeit-Richtlinie stehe „einer nationalen Regelung, die den Verlust des Anspruchs umfasst, nicht entgegen, allerdings unter der Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer, dessen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erloschen ist, tatsächlich die Möglichkeit hatte, den ihm mit der Richtlinie verliehenen Anspruch wahrzunehmen“. Dies stehe im Einklang mit jenen Entscheidungen, in denen der Europäische Gerichtshof – unter Hinweis auf die Unvorhersehbarkeit des Eintretens einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit – einen Anspruch auf Abgeltung bejaht habe, wenn dieser wegen Krankheit nicht verbraucht werden konnte, jedoch verneint habe, wenn dieser aufgrund einer Dienstfreistellung nicht verbraucht werden konnte.

In den Rechtssachen Kreuziger und MPG habe der Europäische Gerichtshof dazu ein verfeinertes System entwickelt. Dieses basiere zunächst auf der Qualifikation des Rechts des Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub als einem bedeutsamen Grundsatz des Sozialrechts der Union. Mit dem in Art 7 Arbeitszeit-Richtlinie verankerten Anspruch auf Jahresurlaub werde der Zweck verfolgt, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zum einen von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und zum anderen über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen. Mit diesem Zweck sei die Schaffung jeglicher Anreize unvereinbar, auf den Erholungsurlaub zu verzichten oder die Arbeitnehmer dazu anzuhalten, darauf zu verzichten. Für die Arbeitnehmer könnte ein solcher Anreiz im Abgeltungsanspruch am Ende des Arbeitsverhältnisses bestehen.

Der Arbeitgeber sei verpflichtet, konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Zu diesem Zweck habe der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nach den vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Handlungsmaßstäben – erforderlichenfalls förmlich – zum Verbrauch des Urlaubs aufzufordern und ihm klar und rechtzeitig mitzuteilen, dass der Urlaub ansonsten verfallen wird. Dabei trage der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass er mit aller gebotenen Sorgfalt gehandelt habe. Hat der Arbeitgeber die ihm auferlegte Sorgfalt erfüllt, der Arbeitnehmer jedoch aus freien Stücken den Urlaub dennoch nicht verbraucht, stehe Art 7 Arbeitszeit-Richtlinie dem Wegfall der finanziellen Vergütung für den nicht genommenen Jahresurlaub nicht entgegen.

Die Erfüllung seiner Sorgfaltspflicht sei dem Arbeitgeber immer dann möglich, wenn das Ende des Arbeitsverhältnisses bzw des Bezugszeitraums für ihn absehbar sei, wie etwa bei der Versetzung in den Ruhestand (Rs King, Rs Maschek), Fristablauf (Rs MPG), aber auch bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses – sei es durch den Arbeitnehmer oder den Arbeitgeber – unter Einhaltung einer (entsprechend langen) Kündigungsfrist. Bei Unabsehbarkeit des Endes des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber seien hingegen dessen Möglichkeiten eingeschränkt, auf den Arbeitnehmer entsprechend einzuwirken, den Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen. Weil ein Teil des Urlaubs gemäß § 4 Abs 3 Urlaubsgesetz mindestens sechs Werktage betragen müsse, fehle dem Arbeitgeber die Möglichkeit einer effektiven Einwirkung, wenn und solange der offene Urlaubsanspruch geringer sei.

Gerade bei einem unbegründeten Austritt durch den Arbeitnehmer sei das Ende des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber nicht absehbar. Es könne ihm daher in der Regel kein Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht vorgeworfen werden. Im Gegensatz dazu habe der Arbeitnehmer ein rechtswidriges Verhalten zu verantworten; aus diesem könne er schon nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen – ex iniuria ius non oritur – kein Recht ableiten. § 10 Abs 2 Urlaubsgesetz diene im Übrigen dazu, den Arbeitnehmer von rechtswidrigem Verhalten abzuhalten. Jedenfalls könne es – soweit nicht weitere Umstände hinzutreten, die jedoch weder vom Kläger behauptet worden noch sonst ersichtlich seien – dem Arbeitgeber nicht vorgeworfen werden, den Arbeitnehmer nicht (präventiv) über die Folgen seines rechtswidrigen Handelns aufgeklärt zu haben. Ein Anspruch auf Urlaubsersatzleistung auch im Fall des unbegründeten vorzeitigen Austritts könnte überdies den Arbeitnehmer dazu veranlassen, aus freien Stücken keinen Urlaub in Anspruch zu nehmen und anschließend unbegründet auszutreten, um dem Arbeitgeber gar nicht die Möglichkeit zur Aufforderung zum Urlaubsverbrauch zu bieten und dadurch seine Ansprüche bei der Beendigung zu erhöhen. Dies widerspräche den Zwecken des Urlaubs. Auch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Tod des Arbeitnehmers sei zwar für den Arbeitgeber gar nicht vorhersehbar. Anders als beim unbegründeten Austritt handle es sich dabei jedoch um ein unwägbares, weder vom Arbeitnehmer noch vom Arbeitgeber beherrschbares Vorkommnis.

Rechtliche Beurteilung

C. Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof

Der Oberste Gerichtshof hat über die Revision des Klägers gegen die das Ersturteil bestätigende Entscheidung des Berufungsgerichts zu entscheiden. Der Kläger strebt im Revisionsverfahren die Stattgebung der Klage an. Als Revisionsgrund macht er unrichtige rechtliche Beurteilung geltend.

In ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, die Revision des Klägers zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Aus dem Firmenbuch ist ersichtlich, dass die Beklagte nach Erlassung des Urteils des Berufungsgerichts im Firmenbuch infolge beendeter Liquidation gelöscht wurde. Der Oberste Gerichtshof vertritt seit der Entscheidung 8 ObA 2344/96f in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass eine vollbeendete Kapitalgesellschaft grundsätzlich nicht mehr parteifähig ist, es aber mit dem Grundrecht auf ein faires Verfahren nach Art 6 Europäische Menschenrechtskonvention unvereinbar wäre, wenn die Beklagte durch rechtliche Änderungen in ihrer Sphäre, auf die der Kläger keinen Einfluss hat und die er auch nicht durchschauen kann, eine Entscheidung über den vom Kläger bei Gericht geltend gemachten zivilrechtlichen Anspruch vereiteln könnte. Wird die beklagte Kapitalgesellschaft während eines gegen sie anhängigen Prozesses gelöscht, ist das Verfahren deshalb auf Begehren des Klägers fortzusetzen.

Der Oberste Gerichtshof forderte daher mit Beschluss vom , 9 ObA 137/19s, den Kläger auf, binnen 14 Tagen bekannt zu geben, ob er von der Verfahrensfortsetzung absteht, widrigenfalls sein Fortsetzungswille unterstellt werde. Der Kläger teilte dem Obersten Gerichtshof mit Eingabe vom ausdrücklich mit, dass er das Verfahren fortsetzt.

D. Relevante Normen

Art 31 GRC lautet samt Überschrift:

Gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen

(1) Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen.

(2) Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub.

Art 7 Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88/EG lautet samt Überschrift:

Jahresurlaub

(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.

(2) Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.

Die maßgeblichen Bestimmungen des österreichischen Urlaubsgesetzes BGBl 1976/390 lauten:

Urlaub

§ 2. (1) Dem Arbeitnehmer gebührt für jedes Arbeitsjahr ein ununterbrochener bezahlter Urlaub. Das Urlaubsausmaß beträgt bei einer Dienstzeit von weniger als 25 Jahren 30 Werktage [...].

(2) Der Anspruch auf Urlaub entsteht in den ersten sechs Monaten des ersten Arbeitsjahres im Verhältnis zu der im Arbeitsjahr zurückgelegten Dienstzeit, nach sechs Monaten in voller Höhe. […].

[…]

Verbrauch des Urlaubes

§ 4. (1) Der Zeitpunkt des Urlaubsantrittes ist zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer unter Rücksichtnahme auf die Erfordernisse des Betriebes und die Erholungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers zu vereinbaren. Die Vereinbarung hat so zu erfolgen, daß der Urlaub möglichst bis zum Ende des Urlaubsjahres, in dem der Anspruch entstanden ist, verbraucht werden kann.

[…]

(3) Der Urlaub kann in zwei Teilen verbraucht werden, doch muß ein Teil mindestens sechs Werktage betragen.

[…]

Ablöseverbot

§ 7. Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die für den Nichtverbrauch des Urlaubes Geld oder sonstige vermögenswerte Leistungen des Arbeitgebers vorsehen, sind rechtsunwirksam.

[...]

Ansprüche bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses

§ 10. (1) Dem Arbeitnehmer gebührt für das Urlaubsjahr, in dem das Arbeitsverhältnis endet, zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Ersatzleistung als Abgeltung für den der Dauer der Dienstzeit in diesem Urlaubsjahr im Verhältnis zum gesamten Urlaubsjahr entsprechenden Urlaub. Bereits verbrauchter Jahresurlaub ist auf das aliquote Urlaubsausmaß anzurechnen […]

(2) Eine Ersatzleistung gebührt nicht, wenn der Arbeitnehmer ohne wichtigen Grund vorzeitig austritt.

(3) Für nicht verbrauchten Urlaub aus vorangegangenen Urlaubsjahren gebührt anstelle des noch ausständigen Urlaubsentgelts eine Ersatzleistung in vollem Ausmaß des noch ausständigen Urlaubsentgelts, soweit der Urlaubsanspruch noch nicht verjährt ist.

[…]

Unabdingbarkeit

§ 12. Die Rechte, die dem Arbeitnehmer auf Grund der §§ 2 bis 10 zustehen, können durch Arbeitsvertrag, Arbeits-(Dienst-)ordnung oder, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, durch Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung weder aufgehoben noch beschränkt werden.

E. Erläuterungen zum Urlaubsgesetz:

1. Die Berechnung des gesetzlichen Urlaubsmaßes erfolgt nach Werktagen. Darunter sind die Wochentage von Montag bis einschließlich Samstag mit Ausnahme der in diesen Zeitraum fallenden gesetzlichen Feiertage zu verstehen. Sonntage und gesetzliche Feiertage, die in den Zeitraum des Urlaubsverbrauchs fallen, sind daher nicht als Werktage zu berechnen. Werktage, an denen im Betrieb nicht gearbeitet wird (zB ein Samstag bei einer fünf-Tage-Woche), werden hingegen auf den Urlaub angerechnet. Fällt ein gesetzlicher Feiertag auf einen ansonsten arbeitsfreien Werktag, ist dieser Feiertag auf den Urlaub nicht anzurechnen; es ist für diesen Feiertag vielmehr ein zusätzlicher Urlaubstag zu gewähren (RIS-Justiz RS0058884). Der in § 2 Abs 1 Urlaubsgesetz gewährte Urlaubsanspruch von 30 Werktagen entspricht damit einem 5-wöchigen Urlaub und überschreitet damit den von Art 7 Abs 1 Arbeitszeit-Richtlinie vorgesehenen Mindestjahresurlaub um eine Woche.

2. Bei Beendigung des Dienstverhältnisses ist nicht verbrauchter Urlaub nach § 10 Abs 1 Urlaubsgesetz durch eine Ersatzleistung für den der Dauer der Dienstzeit in diesem Urlaubsjahr im Verhältnis zum gesamten Urlaubsjahr entsprechenden Urlaub abzugelten. § 10 Abs 2 Urlaubsgesetz normiert hiervon für den Fall, dass der Arbeitnehmer ohne wichtigen Grund vorzeitig austritt und dadurch das Arbeitsverhältnis beendet, eine Ausnahme.

3. „Austritt“ ist die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch einseitige empfangsbedürftige (aber aufgrund der Einseitigkeit nicht annahmebedürftige) Willenserklärung des Arbeitnehmers (9 ObA 289/97h; RS0028636). Hatte der Arbeitnehmer für den Austritt einen wichtigen Grund, spricht man von einem berechtigten (begründeten) Austritt, anderenfalls von einem unberechtigten (unbegründeten) Austritt. Als ein wichtiger zum Austritt berechtigender Grund ist beispielsweise anzusehen, wenn der Arbeitnehmer die Arbeit nicht ohne Schaden für seine Gesundheit fortsetzen kann oder wenn der Arbeitgeber sich Tätlichkeiten, Verletzungen der Sittlichkeit oder erhebliche Ehrverletzungen gegen den Arbeitnehmer oder dessen Angehörigen zu schulden kommen lässt (vgl § 82a Gewerbeordnung 1859 und § 26 Angestelltengesetz). Allgemein liegt ein wichtiger Grund dann vor, wenn dem Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Austritts die Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses nicht einmal für die Dauer der Kündigungsfrist zumutbar ist (9 ObA 319/89; RS0030641). Das Arbeitsverhältnis wird auch dann durch den Austritt beendet, wenn der Austritt unberechtigt war (8 ObA 27/10v). Ein Arbeitnehmer, der unberechtigt austritt, begeht aber gegenüber dem Arbeitgeber einen Vertragsbruch (Kuras in Marhold/Burgstaller/Preyer, Angestelltengesetz [2007] § 28 Rz 1; Pfeil in Neumayr/Reissner, Zeller Kommentar zum Arbeitsrecht3 I [2018] § 86 GewO 1859 Rz 29).

4. Nur der unberechtigte Austritt führt nach § 10 Abs 2 Urlaubsgesetz zum Verlust der in § 10 Abs 1 Urlaubsgesetz vorgesehenen Urlaubsersatzleistung. In allen anderen Fällen – sohin auch bei einer Entlassung des Arbeitnehmers aus wichtigem Grund – bleibt der Anspruch auf Urlaubsersatzleistung gewahrt (ErläutRV 150 BlgNR 14. GP 11; RS0077320; Mayr/Erler, Urlaubsgesetz3 [2019] § 10 Rz 4, 6).

5. Die Regelung des § 10 Abs 2 Urlaubsgesetz erstreckt sich nur auf den noch nicht verbrauchten Urlaub des laufenden Urlaubsjahres. Für nicht verbrauchte Urlaube aus vorangegangenen Urlaubsjahren gebührt nach § 10 Abs 3 UrlG eine Ersatzleistung im vollen Ausmaß des ausständigen Urlaubsentgelts, soweit der Urlaubsanspruch noch nicht verjährt ist.

6. Die Bestimmung des § 10 Abs 2 Urlaubsgesetz hat pönalisierenden Charakter (9 ObA 154/87; 9 ObA 60/99k). Sie bezweckt, den Arbeitnehmer von einer unberechtigten vorzeitigen Vertragsauflösung abzuhalten, indem sie ihm, wenn er dies doch tut, den Anspruch auf Urlaubsersatzleistung nimmt (vgl Mayr/Erler, Urlaubsgesetz3 [2019] § 10 Rz 5). Bloß eine Reflexwirkung stellt dar, dass der Arbeitgeber, der durch unberechtigten Austritt des Arbeitnehmers einen Arbeitnehmer verliert, diesen nicht den allfällig unverbrauchten Urlaub(-steil) des laufenden Jahres abgelten muss. Dadurch erfährt der Arbeitgeber in der für ihn meist nachteiligen, weil unvorhersehbaren und damit unkalkulierbaren Situation eines unberechtigten Austritts eine gewisse finanzielle Entlastung (vgl Drs, Urlaubsrecht11 [2019] § 10 Rz 32 mwH).

F. Rechtslage nach Unionsrecht

1. Das Recht jeder Arbeitnehmerin und jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub ist nach Art 31 GRC Teil der Grundrechte der Europäischen Union, wird in Art 7 Arbeitszeit-Richtlinie konkretisiert und entfaltet nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unmittelbare Wirkung auf ein Arbeitsverhältnis zwischen zwei Privatpersonen. Die Arbeitszeit-Richtlinie behandelt den Anspruch auf Jahresurlaub und jenen auf Zahlung des Urlaubsentgelts als zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs. Umfasst ist auch ein Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Jahresurlaub (8 ObS 2/18d mwN zur Rsp des EuGH; EuGH C-659/16 und C-570/16, Stadt Wuppertal/Bauer, Willmeroth/Broßonn [Rn 58, 72 ff]).

2. Der Europäische Gerichtshof wies in der Entscheidung C-341/15, Maschek/Stadt Wien, ausdrücklich darauf hin, „dass Art 7 Abs 2 der Richtlinie 2003/88 in seiner Auslegung durch den Gerichtshof keine andere Voraussetzung für die Eröffnung des Anspruchs auf finanzielle Vergütung aufstellt als die, dass das Arbeitsverhältnis beendet ist und der Arbeitnehmer nicht den gesamten Jahresurlaub genommen hat, auf den er zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch hatte“ (Rn 27).

Daraus folgerte der Europäische Gerichtshof, „dass ein Arbeitnehmer, der nicht in der Lage war, vor dem Ende seines Arbeitsverhältnisses seinen gesamten bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, nach Art 7 Abs 2 der Richtlinie 2003/88 Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub hat“. Weiters merkte der Europäische Gerichtshof ausdrücklich an, dass der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses dabei keine Rolle spiele (Rn 28), und folgerte daraus, dass „der Umstand, dass ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis von sich aus beendet, keine Auswirkung darauf [hat], dass er gegebenenfalls eine finanzielle Vergütung für den bezahlten Jahresurlaub beanspruchen kann, den er vor dem Ende seines Arbeitsverhältnisses nicht verbrauchen konnte“ (Rn 29).

3. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-619/16, Kreuziger/Land Berlin, kann aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs „nicht abgeleitet werden […], Art. 7 der Richtlinie 2003/88 wäre dahin auszulegen, dass der Anspruch nach Abs. 1 und –  im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses  – der Anspruch auf die Vergütung, die gemäß Abs. 2 an seine Stelle treten kann, dem Arbeitnehmer völlig unabhängig von den Umständen erhalten bleiben müssten, die dazu geführt haben, dass er den bezahlten Jahresurlaub nicht genommen hat“ (Rn 37). Der Europäische Gerichtshof kam in diesem Urteil zum Ergebnis, „dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung […] entgegensteht, sofern sie dazu führt, dass der Arbeitnehmer, der vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses keinen Antrag auf Wahrnehmung seines Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub gestellt hat, die ihm nach dem Unionsrecht bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zustehenden Urlaubstage und entsprechend seinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für diesen nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub verliert, und zwar automatisch und ohne vorherige Prüfung, ob er vom Arbeitgeber zB durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurde, diesen Anspruch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses wahrzunehmen“ (Rn 56).

4. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-684/16, Max-Planck-Gesellschaft/Tetsuji Shimizu,wäre jede Auslegung von Art. 7 der Richtlinie 2003/88, die den Arbeitnehmer dazu veranlassen könnte, aus freien Stücken in den betreffenden Bezugs- oder zulässigen Übertragungszeiträumen keinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, um seine Vergütung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erhöhen, mit den durch die Schaffung des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub verfolgten Zielen unvereinbar“ (Rn 48).

5. In der Entscheidung 8 ObA 62/18b hielt der Oberste Gerichtshof unter Verweis auf mehrere Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH Rs C-619/16, Kreuziger/Land Berlin, Rn 41, 42; C-684/16, Max-Planck-Gesellschaft/Tetsuji Shimizu, Rn 35; C-350/06 und C-520/06, Schultz-Hoff/Deutsche Rentenversicherung, Rn 43) fest, dass eine nationale Regelung, die für die Ausübung des mit der Arbeitszeit-Richtlinie verliehenen Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub „Modalitäten“ vorsieht, die den Verlust dieses Anspruchs am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums beinhalten, nicht ausgeschlossen ist und sie unter der Voraussetzung für zulässig erachtet wird, dass der Arbeitnehmer bis dahin tatsächlich die Möglichkeit hatte, seinen Anspruch auszuüben.

6. Falls eine nationale Regelung nicht im Einklang mit Art 7 der Arbeitszeit-Richtlinie und Art 31 Abs 2 GRC ausgelegt werden kann, hat das mit einem Rechtsstreit befasste nationale Gericht die nationale Regelung unangewendet zu lassen und dafür Sorge zu tragen, dass der Arbeitnehmer für den nicht genommenen Jahresurlaub eine finanzielle Vergütung erhält (8 ObA 62/18b unter Hinweis auf EuGH C-569/16 und C-570/16, Stadt Wuppertal/Bauer, Willmeroth/Broßonn).

G. Begründung der Vorlagefragen:

1. Der Europäische Gerichtshof hat sich bislang noch nicht dazu geäußert, ob (und bejahendenfalls unter welchen Voraussetzungen) ein Arbeitnehmer, welcher ohne wichtigen Grund vorzeitig das Dienstverhältnis einseitig aufgelöst und damit Vertragsbruch begangen hat („unberechtigter Austritt“), nach Unionsrecht einen Anspruch auf Ersatzleistung für unverbrauchten Urlaub haben muss. Nach österreichischer Gesetzeslage (§ 10 Abs 2 Urlaubsgesetz) hat der Arbeitnehmer in einem solchen Fall in Hinsicht auf unverbrauchten Urlaub des laufenden Urlaubsjahres keinen Anspruch auf eine Urlaubsersatzleistung

2. In der österreichischen Rechtsliteratur wird zur Unionsrechtskonformität des § 10 Abs 2 Urlaubsgesetz auszugsweise wie folgt Stellung genommen:

a) Mair (Highlights aus der aktuellen Rechtsprechung des EuGH in Arbeits- und Sozialrechtssachen, in Wachter, Arbeits- und Sozialrecht – Jahrbuch 2017 [2017], 83 [90]), vertritt die Ansicht, § 10 Abs 2 Urlaubsgesetz stehe mit den Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Maschek in Widerspruch. Der Europäische Gerichtshof betone nämlich unmissverständlich, dass die von Art 7 Abs 2 Arbeitszeit-Richtlinie vorgesehene Ersatzleistung für nichtverbrauchten Urlaub nur davon abhängig sei, dass das Arbeitsverhältnis ende und der Arbeitnehmer nicht den vollen, ihm zustehenden Urlaub in natura konsumiert habe. Auf welche Weise das Arbeitsverhältnis ende, sei für die Anspruchsbegründung irrelevant. Indem § 10 Abs 2 Urlaubsgesetz aber für den Anspruch auf die Urlaubsersatzleistung darauf abstelle, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch eine bestimmte Beendigungsart, nämlich durch einen unberechtigten vorzeitigen Austritt des Arbeitnehmers, beendet worden sein dürfe, verstoße diese Regelung gegen Art 7 Abs 2 Arbeitszeit-Richtlinie.

b) Mayr/Erler (UrlG3 [2019] § 10 Rz 7) weisen auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hin, wonach die Art der Beendigung irrelevant sei. Daraus ergibt sich ihres Erachtens zwangsläufig, dass der Verlust der Urlaubsersatzleistung bei unberechtigtem Austritt gegen Art 7 Abs 2 der RL 2003/88/EG verstoße. Sie kommen zum Ergebnis, dass die Urlaubsersatzleistung auch bei unberechtigtem Austritt gebühre, da § 10 Abs 2 Urlaubsgesetz unangewendet bleiben müsse, zumal nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs dem Art 31 Abs 2 GRC, der Art 7 der RL nachgebildet sei, Vorrang gebühre.

c) Diese Ansicht vertrat Erler bereits in einer vorhergehenden Abhandlung (Urlaubsersatzleistung gebührt auch bei unberechtigtem Austritt, ecolex 2016, 854 ff), dort aber unter Hinweis darauf, dass die Unionsrechtswidrigkeit auf den unionsrechtlichen Mindesturlaubsanspruch von vier Wochen einzuschränken sei, sowie in seinem Aufsatz „Der EuGH bewirkt massive Änderungen im österreichischen Urlaubsgesetz“ in ÖZPR 2019, 4 ff.

d) Reissner (in Neumayr/Reissner, Zeller Kommentar zum Arbeitsrecht3 I [2018] § 10 UrlG Rz 19) hält § 10 Abs 2 Urlaubsgesetz für unionsrechtlich bedenklich, da laut Europäischem Gerichtshof aus Art 7 Abs 2 Arbeitszeit-Richtlinie folge, dass dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Abgeltung nicht verbrauchten Urlaubs unabhängig davon zustehe, auf welche Art das Arbeitsverhältnis geendet hat.

e) Ebenso meint Auer-Mayer (Unionsrechtliche Auswirkungen auf das Urlaubsrecht, ZAS 2018, 12 [19]), § 10 Abs 2 Urlaubsgesetz erweise sich als „unionsrechtlich problematisch“, weil der EuGH hinsichtlich der finanziellen Abgeltung des Urlaubs bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausdrücklich festgehalten habe, dass der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses unerheblich sei.

f) Hingegen steht nach Ludvik (Urlaubsverfall bei Austritt des Arbeitnehmers ist unionsrechtskonform – § 10 Abs 2 UrlG im Lichte der EuGH-Judikatur, ASoK 2019, 325) Art 7 Arbeitszeit-Richtlinie einer nationalen Regelung, die den Verlust des Ersatzanspruchs vorsieht, nicht entgegen, sofern der Arbeitnehmer die Möglichkeit hatte, den aus der Richtlinie verliehenen Anspruch wahrzunehmen. Schließlich ergäbe sich aus Art 7 Arbeitszeit-Richtlinie nach dem EuGH nicht, dass diese Bestimmung so auszulegen wäre, „dass der Anspruch nach Abs 1 und – im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – der Anspruch auf die Vergütung, die gemäß Abs 2 an seine Stelle treten kann, dem Arbeitnehmer völlig unabhängig von den Umständen erhalten bleiben müssten, die dazu geführt haben, dass er den bezahlten Jahresurlaub nicht genommen hat“ (so EuGH Rs 619/16, Kreuziger/Land Berlin, Rn 37). In Zusammenschau mit den einzelstaatlichen Abweichungsmöglichkeiten sei es daher möglich, den Urlaubs-(ersatz-)anspruch in bestimmten Grenzen zum Nachteil des Arbeitnehmers zu modifizieren (aaO 328). Im Rahmen des vorzeitigen und unberechtigten Austritts des Arbeitnehmers sei durch die sofortige Beendigungswirkung ein Verbrauch bestehenden Urlaubs nicht mehr möglich. Daher sei der Wegfall der finanziellen Vergütung für den nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub zulässig. Die Bestimmung des § 10 Abs 2 Urlaubsgesetz stehe nicht im Wertungswiderspruch zu den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (aaO 330). Der Wegfall des Urlaubsersatzanspruchs im Rahmen des § 10 Abs 2 Urlaubsgesetz habe Sanktionscharakter. Dieser greife allerdings nur dann, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis ohne wichtigen Grund vorzeitig beendet. Würde ein solcher Verfall des Ersatzanspruchs nicht erfolgen, so wären Sachverhalte denkbar, in denen ein Arbeitnehmer keinerlei Sanktionen zu erwarten hätte. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sei aber jede Auslegung von Art 7 Arbeitszeit-Richtlinie, die einen Arbeitnehmer dazu veranlassen könnte, aus freien Stücken keinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, um seine Vergütung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erhöhen, mit den durch die Schaffung des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub verfolgten Zielen unvereinbar (aaO 332 mit Hinweis auf EuGH C-684/16, Max-Planck-Gesellschaft/Tetsuji Shimizu, Rn 48).

3. Der Senat hat erwogen:

Der Europäische Gerichtshof betont einerseits, dass Art 7 Abs 2 Arbeitszeit-Richtlinie keine andere Voraussetzung für das Entstehen des Anspruchs auf finanzielle Vergütung aufstelle als die, dass das Arbeitsverhältnis beendet ist und dass der Arbeitnehmer nicht den gesamten Jahresurlaub genommen hat, auf den er zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch hatte (EuGH C-341/15, Rs Maschek/Stadt Wien, Rn 27). Andererseits hat er geurteilt, dass aus seiner Rechtsprechung nicht abgeleitet werden kann, Art 7 Arbeitszeit-Richtlinie wäre dahin auszulegen, dass der Anspruch nach Abs 1 und – im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – der Anspruch auf die Vergütung, die gemäß Abs 2 an seine Stelle treten kann, dem Arbeitnehmer völlig unabhängig von den Umständen erhalten bleiben müssten, die dazu geführt haben, dass er den bezahlten Jahresurlaub nicht genommen hat (EuGH C-619/16, Rs Kreuziger/Land Berlin, Rn 37). Dabei hat der Europäische Gerichtshof auch darauf abgestellt, ob der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zB durch angemessene Aufklärung zum Urlaubsverbrauch in die Lage versetzt wurde (EuGH C-619/16, Rs Kreuziger/Land Berlin, Rn 56). Weiters wäre auch nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs jede Auslegung von Art 7 Arbeitszeit-Richtlinie, die den Arbeitnehmer dazu veranlassen könnte, aus freien Stücken in den betreffenden Bezugs- oder zulässigen Übertragungszeiträumen keinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, um seine Vergütung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erhöhen, mit den durch die Schaffung des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub verfolgten Zielen unvereinbar (EuGH C-684/16, Rs Max-Planck-Gesellschaft/Tetsuji Shimizu, Rn 48).

Der unberechtigte Austritt des Arbeitnehmers aus dem Dienstverhältnis geschieht typischerweise für den Arbeitgeber plötzlich und unerwartet. Anders als bei allen anderen Fällen, in denen das Dienstverhältnis endet, verhindert der Arbeitnehmer beim unberechtigten Austritt selbst die Möglichkeit, den Urlaub in natura zu verbrauchen. Nur beim unberechtigten Austritt des Dienstnehmers wird zudem das Dienstverhältnis durch einen Vertragsbruch des Dienstnehmers beendet. Vor dem Austritt hat der Arbeitnehmer nur einen Anspruch auf (bezahlten) Urlaub in natura. Dass er durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch unberechtigten Austritt einen Anspruch auf Urlaubsersatzleistung erlangen soll, würde das allgemeine Rechtsprinzip verletzen, dass niemand einen Anspruch dadurch erlangen soll, dass er rechtswidrig vorgeht (ex iniuria ius non oritur). Letztlich würde der Gedanke, dass der bezahlte Urlaub primär die Funktion hat, die Gesundheit eines Arbeitnehmers zu erhalten, missachtet, wenn sich ein Arbeitnehmer durch unberechtigten Austritt im Ergebnis den Urlaubsanspruch abkaufen lassen könnte. Die dem Europäischen Gerichtshof gestellt Hauptfrage zielt damit darauf ab, ob § 10 Abs 2 Urlaubsgesetz in toto unionsrechtlich unbedenklich ist.

Sollte der Europäische Gerichtshof die Hauptfrage verneinen, so stellt sich die Frage, ob und wie der Arbeitgeber bei einem für ihn nicht vorhersehbaren unberechtigten Austritt den Arbeitnehmer – gemäß den Anforderungen des Europäischen Gerichtshofs – in die Lage versetzen soll, den Urlaub zu verbrauchen. Dabei wäre auch zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer beim unberechtigten Austritt gerade keine Kündigungsfrist, während der häufig noch offener Urlaub verbraucht wird bzw verbraucht werden kann, eingehalten hat.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Stefula als weitere Richter (Senat nach § 11a ASGG) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei D***** T*****, vertreten durch Mag. German Storch und Mag. Rainer Storch, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei j***** gmbh in Liquidation, *****, vertreten durch Herbst Kinsky Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 322,06 EUR sA, über den Antrag der beklagten Partei auf Berichtigung des Beschlusses des Obersten Gerichtshofs vom , GZ 9 ObA 137/19s-2, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag auf Berichtigung wird abgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Antrags selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Der auf eine analoge Anwendung der §§ 419 Abs 1, 522 Abs 1 ZPO gestützte Berichtigungsantrag der Beklagten richtet sich gegen den Satz in der Begründung des Beschlusses des Obersten Gerichtshofs vom „Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass die Urlaubsersatzleistung 322,06 EUR betragen würde“. Der Antrag wird damit begründet, dass die Parteien nur das Klagebegehren „der Höhe nach hinsichtlich der Berechnung“ außer Streit gestellt hätten. Die „differenzierte Ausdrucksweise“ bei der Außerstreitstellung wäre im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen dem unionsrechtlich determinierten und dem national determinierten Urlaubsanspruch mit Absicht erfolgt.

Rechtliche Beurteilung

Der Berichtigungsantrag ist nicht berechtigt.

Eine Berichtigung setzt nach der – gemäß § 513 ZPO auch im Revisionsverfahren maßgeblichen – Bestimmung des § 419 ZPO (§ 430 ZPO) eine „offenbare“ Unrichtigkeit voraus. Dies ist eine Unrichtigkeit dann, wenn sie sofort ins Auge springt (6 Ob 20/99f; 9 Ob 58/01x; 5 Ob 248/12z). Sie muss (zumindest) dem Grunde nach offen zu Tage treten (1 Ob 227/08a). Die Unrichtigkeit muss sich aus dem ganzen Zusammenhang ohne weiteres erkennbar ergeben, und zwar muss offensichtlich sein, dass das, was ausgesprochen wurde, nicht dem Willen des Gerichts zur Zeit der Fällung der Entscheidung entsprochen hat (RS0041362 [T2]). Dieses Erfordernis ist nicht erfüllt, wenn sich die (behauptete) Unrichtigkeit – wie hier – erst unter Heranziehung von Aktenbestandteilen ergibt (M. Bydlinski in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 § 419 ZPO Rz 2, 7 f; Brenn in Höllwerth/Ziehensack, ZPO-TaKom § 419 Rz 5).

Da der Berichtigungsantrag der Beklagten bereits nach deren Vorbringen abzuweisen ist, konnte von der Einholung einer Stellungnahme des Klägers zum Berichtigungsantrag Abstand genommen werden (3 Ob 227/11w; M. Bydlinski in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 § 419 ZPO Rz 11).

Der Kostenausspruch beruht auf den §§ 40, 50 ZPO (4 Ob 103/03f; 7 Ob 73/08y; 1 Ob 70/07m).

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2020:009OBA00137.19S.0226.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
WAAAD-96555