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OGH vom 01.04.2008, 10ObS23/08t

OGH vom 01.04.2008, 10ObS23/08t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Wolfgang Broesigke (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ao Univ.-Prof. Dr. Gert Peter Reissner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Maria-Luise G*****, vertreten durch Dr. Jörg Hobmeier, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtengeld, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 25 Rs 129/07t-26, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 46 Cgs 226/06s-21, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss des Berufungsgerichts wird, soweit er Punkt II 2 des Ersturteils betrifft, aufgehoben und in der Sache dahin erkannt, dass das klagsabweisende Ersturteil in diesem Umfang (Entscheidung über das Versehrtengeld) als Teilurteil wiederhergestellt wird.

Die Entscheidung über die auf diesen Teil des Streitgegenstands entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens wird der Endentscheidung vorbehalten.

Im Übrigen (also hinsichtlich des Punkts II 1 des Ersturteils) wird der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts bestätigt. Die auf diesen Teil des Streitgegenstands entfallenden Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am geborene Klägerin war am Schülerin und verletzte sich an diesem Tag beim Schulturnen.

Mit Bescheid vom anerkannte die Beklagte als Verletzung aus diesem Arbeitsunfall eine Zerrung des rechten Kniegelenks bei vorbestehender Kniescheibenfehlform. Zugleich wurde ein Anspruch der Klägerin auf Versehrtengeld gemäß § 212 Abs 3 ASVG mit der Begründung abgelehnt, dass nach dem Abschluss der Heilbehandlung keine Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 vH vorliege. Das Erstgericht wies das von der Klägerin dagegen erhobene Begehren auf Gewährung eines Versehrtengelds in der gesetzlichen Höhe ab dem gesetzlichen Zeitpunkt ab. Es stellte als Arbeitsunfallverletzungen vom eine Zerrung des rechten Kniegelenks, einen Riss des medialen Meniskushinterhornes sowie ein elongiertes vorderes Kreuzband rechts fest und wies das weitere Klagebegehren auf Feststellung einer Beeinträchtigung durch instabile Meniskusreste medial sowie korrespondierende Knorpelschäden als weitere Unfallfolgen ab. Nach seinen wesentlichen Feststellungen zog sich die Klägerin bei ihrem Unfall am am rechten Knie einen Riss des medialen Meniskushinterhornes sowie ein elongiertes vorderes Kreuzband zu. Verblieben ist nunmehr eine leicht vermehrte Instabilität nach narbiger Verheilung des vorderen Kreuzbands. Vorwiegend besteht aber eine Beeinträchtigung durch instabile Meniskusreste medial sowie korrespondierende Knorpelschäden. Das Kniegelenk ist vermindert muskulär kompensiert, jedoch ausreichend stabil. Der geringe Muskelzustand ist als Vorzustand zu werten. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit betrug vom Unfallszeitpunkt () bis zum (richtig: 2005) 20 %. Das Heilverfahren war am abgeschlossen. Seit diesem Zeitpunkt beträgt die Minderung der Erwerbsfähigkeit 10 %.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass die Folgen des Unfalls der Klägerin seit Abschluss des unfallbedingten Heilverfahrens, also seit , einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 % entsprächen, weshalb die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Versehrtengelds gemäß § 212 Abs 3 ASVG nicht vorlägen. Der Inhalt der im Urteilsspruch getroffenen Feststellung gründe sich einerseits auf § 71 ASGG, andererseits auf die festgestellten weiteren unfallkausalen Verletzungen der Klägerin. Die von der Klägerin weiters begehrte Feststellung einer Beeinträchtigung durch instabile Meniskusreste medial sowie korrespondierende Knorpelschäden sei nicht in den Urteilsspruch aufzunehmen, da diese keine Unfallverletzungen seien. Die muskuläre Kompensierung beziehe sich auf eine Unfallfolge, welche ohnehin in den Feststellungen angeführt sei.

Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin - inhaltlich gegen den klagsabweisenden Teil des Ersturteils - erhobenen Berufung Folge, hob das Ersturteil in diesem Umfang auf und verwies die Sozialrechtssache insoweit an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück. Es vertrat in rechtlicher Hinsicht im Wesentlichen die Auffassung, dass für den Anspruch auf Versehrtengeld § 212 Abs 3 ASVG nur Voraussetzung sei, dass die Folgen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit über drei Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalls hinaus eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 vH verursachen. Da das Erstgericht bisher nur für den Zeitraum vom Unfallszeitpunkt bis zum Feststellungen über die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 vH getroffen habe, sei im fortzusetzenden Verfahren die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit auch für den Zeitraum vom bis nach dem zu prüfen. Die Frage, in welchem Ausmaß eine Minderung der Erwerbsfähigkeit nach dem Abschluss der Heilbehandlung bestanden habe, betreffe nicht den Anspruch auf Versehrtengeld, sondern nur die Höhe dieser Leistung. Die Höhe des Versehrtengelds sei derzeit nicht abschließend geklärt. Es sei nämlich offen, inwieweit der Gesetzgeber den Fall bedacht habe, dass der Abschluss der Heilbehandlung zeitlich weit nach der in § 212 Abs 3 ASVG normierten Frist von drei Monaten (nach Eintritt des Versicherungsfalls) liege, die Minderung der Erwerbsfähigkeit über diese drei Monate hinaus 20 vH betrage, nach Abschluss der Heilbehandlung jedoch unter dieses Ausmaß herabsinke. Weiters sei offen, ob es sich bei der in § 212 Abs 3 ASVG genannten „Heilbehandlung" um einen Tatsachen- oder Rechtsbegriff handle, also ob damit die Unfallheilbehandlung im Sinne der §§ 191, 192 ASVG angesprochen sei und was die tatsächlichen Umstände seien, die zur rechtlichen Beurteilung des Begriffs „Ende der Heilbehandlung" führten. Sollte das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren neuerlich zu einer Abweisung des Begehrens auf Zahlung von Versehrtengeld gelangen, werde es im Hinblick auf das Eventualbegehren auf Feststellung im Sinn des § 82 Abs 5 ASGG sämtliche im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz vorliegenden Gesundheitsschädigungen, für die der Arbeitsunfall kausal gewesen sei, in den Urteilsspruch aufzunehmen haben.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil es keine Rechtsprechung zur Frage gebe, inwieweit das Vorliegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 % zum Zeitpunkt des Abschlusses der Heilbehandlung eine Anspruchsvoraussetzung darstelle oder lediglich zur Ermittlung der Höhe des Versehrtengelds diene und ob das Vorliegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 % über drei Monate (nach Eintritt des Versicherungsfalls) hinaus, nicht aber zu dem erst später eingetretenen Zeitpunkt des Abschlusses der Heilbehandlung einen Anspruch auf Zuerkennung von Versehrtengeld im Sinn des § 212 Abs 3 ASVG begründe.

Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich der rechtzeitige Rekurs der Beklagten mit dem Antrag auf Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts. Die Klägerin beantragte in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rechtsmittel der Beklagten keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und teilweise auch berechtigt.

Die Beklagte macht geltend, nach § 212 Abs 3 ASVG komme es bezüglich der Höhe des Versehrtengelds auf die nach dem Abschluss der Heilbehandlung bestehende Minderung der Erwerbsfähigkeit an. Da die Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin nach dem Abschluss der Heilbehandlung mit nur mehr 10 % betrage, gebühre ihr im Ergebnis kein Versehrtengeld.

Diesen Ausführungen kommt Berechtigung zu.

Nach § 212 Abs 3 ASVG erhalten die nach § 8 Abs 1 Z 3 lit h und i ASVG teilversicherten Schüler und Studenten als einmalige Leistung ein Versehrtengeld, wenn die Folgen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit über drei Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalls hinaus eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 vH verursachen. Dieses Versehrtengeld wird nach dem Grad der nach Abschluss der Heilbehandlung bestehenden Minderung der Erwerbsfähigkeit bemessen und beträgt bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 vH bis unter 30 vH 557,09 EUR (2006). Bei einem höheren Grad der Erwerbsminderung ist auch das Versehrtengeld entsprechend höher.

Die Unfallversicherung für Schüler und Studenten wurde durch die 32. Novelle zum ASVG, BGBl 1976/704 mit Wirksamkeit ab eingeführt. Im Rahmen dieser Unfallversicherung ist ab einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 vH über drei Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalls hinaus die Gewährung einer einmaligen Geldleistung (Versehrtengeld gemäß § 212 Abs 3 ASVG) vorgesehen. Diese einmalige Geldleistung soll, wie im Bericht des Ausschusses für soziale Verwaltung (388 BlgNR XIV. GP 6) ausgeführt wird, den aus der Versehrtheit eines noch nicht erwerbstätigen Unfallopfers resultierenden, nach Art und Ausmaß nicht konkret bestimmbaren Schaden ausgleichen. Dieses Versehrtengeld steht zu, wenn die Folgen des geschützten Unfalls eine mindestens 20 %ige Minderung der Erwerbsfähigkeit durch länger als drei Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalls hervorrufen. Für das Ausmaß des Versehrtengelds ist der Grad der nach Abschluss der Heilbehandlung bestehenden Minderung der Erwerbsfähigkeit bestimmend. Im Gesetz sind dafür jährlich angepasste einmalige Fixbeträge, abgestuft nach dem jeweiligen Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (von 20 % bis 100 %), vorgesehen. Aus dieser Rechtslage ergibt sich nach Ansicht des erkennenden Senats, dass kein Versehrtengeld gebührt, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit zwar durch länger als drei Monate nach Eintritt des Versicherungsfalls 20 % betragen hat, nach dem schließlichen Ende der Heilbehandlung aber unter 20 % gesunken ist (vgl Tomandl, Das Leistungsrecht der österreichischen Unfallversicherung 95).

Im vorliegenden Fall ist zwischen den Parteien im Rekursverfahren nicht mehr strittig, dass von einem „Abschluss der Heilbehandlung" bei der Klägerin mit auszugehen ist. Auch die Klägerin selbst räumt in ihrer Rekursbeantwortung ausdrücklich als unstrittig ein, dass das Heilverfahren am abgeschlossen war und ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit danach nur noch 10 % betragen hat. Der Klägerin gebührt daher unabhängig davon, ob die Folgen ihres Arbeitsunfalls über drei Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalls hinaus eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 % verursachten, kein Versehrtengeld, weil der Grad der nach Abschluss der Heilbehandlung bei ihr bestehenden Minderung der Erwerbsfähigkeit unbestritten das für die Gewährung dieser Leistung erforderliche Ausmaß von 20 % nicht erreicht. Die Frage der Gewährung des von der Klägerin begehrten Versehrtengelds nach § 212 Abs 3 ASVG ist daher bereits ohne die vom Berufungsgericht aufgetragene Verfahrensergänzung im Sinne der Wiederherstellung des insoweit klagsabweisenden Ersturteils entscheidungsreif. In teilweiser Stattgebung des Rekurses der Beklagten war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Nach Abweisung des Leistungsbegehrens der Klägerin ist nunmehr noch das Eventualbegehren auf Feststellung nach § 82 Abs 5 ASGG relevant. Die Richtigkeit der vom Berufungsgericht dazu vertretenen Rechtsansicht, in dem Urteilsspruch seien alle zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz noch vorliegenden Gesundheitsschädigungen, für die der Arbeitsunfall kausal gewesen sei, aufzunehmen, wird auch in den Rekursausführungen der Beklagten zu Recht nicht in Zweifel gezogen. In diesem Umfang war daher dem Rechtsmittel der Beklagten formell keine Folge zu geben. Die Kostenentscheidung gründet sich in Bezug auf die teilweise Wiederherstellung des Ersturteils auf § 52 Abs 2 ZPO, in Bezug auf die Bestätigung des Aufhebungsbeschlusses auf § 52 Abs 1 Satz 2 ZPO.