OGH vom 26.11.2012, 9ObA16/12m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und Hon. Prof. Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter MMag. Dr. Helwig Aubauer und Mag. Dr. Regina Bauer Albrecht als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** S*****, vertreten durch Prof. Haslinger Partner, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Marktgemeinde *****, vertreten durch die Ebner Aichinger Guggenberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Feststellung (Streitwert 30.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 85/11y 21, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 17 Cga 52/10t 17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.680,84 EUR (darin 280,14 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage vorliege, ob für den Fall der Nichtanmeldung eines Versicherten durch den Arbeitgeber die gleichen Grundsätze wie im Fall der unrichtigen Anmeldung gelten. Dem schloss sich die Revisionswerberin zur Begründung der Zulässigkeit ihrer Revision an. Ergänzend stützte sie die Zulässigkeit auch darauf, dass das Berufungsgericht die Abgrenzung zwischen echtem Arbeitsvertrag und freiem Dienstvertrag falsch vorgenommen habe. Das Berufungsgericht habe auch das Modell des „Job splitting“ verkannt, zu dem noch keine Rechtsprechung vorliege. Schließlich sei die Verjährung ohne diesbezüglichen Einwand angenommen worden. Dem gegenüber bestritt die Beklagte die Zulässigkeit der Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage und beantragte deren Zurückweisung.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof ist bei Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Gegen das Urteil des Berufungsgerichts ist die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Ein derartiger Fall liegt hier nicht vor. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO):
Die Klägerin ist für die Beklagte seit im Krankenhaus ***** als Hebamme tätig. Seit besteht unstrittig ein echtes Arbeitsverhältnis. Die rechtliche Qualifikation des vorhergehenden Vertragsverhältnisses der Parteien bis Ende 2008 ist strittig. Die Klägerin begehrt mit der vorliegenden Klage die Feststellung, 1. dass ihre Tätigkeit schon seit als Dienstverhältnis dem Salzburger Gemeinde-Vertragsbedienstetengesetz 1968 bzw 2001 unterliege, und 2. dass die Beklagte für sämtliche Schäden, die aus der Unterlassung der Anmeldung der Klägerin zur Sozialversicherung seit in Bezug auf Pensionsansprüche entstehen, hafte.
Die Berechtigung des Klagebegehrens hängt vom Vorliegen eines echten Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien schon für die Zeit vom bis ab. Ein solches wurde von den Vorinstanzen verneint, weil es der Klägerin an der persönlichen Abhängigkeit von der Beklagten gefehlt habe. Das Berufungsgericht ging von einem freien Dienstverhältnis aus.
Die Frage, ob zwischen den Parteien ein echter Arbeitsvertrag, ein freier Dienstvertrag oder ein Werkvertrag vereinbart wurde, kann immer nur anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden (RIS Justiz RS0111914 [T16] ua), was auch die Revisionswerberin einräumt. Ausschlaggebend ist nicht die von den Parteien gewählte Bezeichnung ihrer Vertragsbeziehung; maßgebend sind vielmehr die konkreten Rahmenbedingungen und der Inhalt der zu beurteilenden Tätigkeit, sodass allgemeingültige Aussagen des Obersten Gerichtshofs regelmäßig nicht möglich sind. Dies gilt auch für Vertragsverhältnisse von Hebammen, denen gemäß § 18 Hebammengesetz (HebG), BGBl 1994/310, sowohl die freiberufliche Berufsausübung als auch die Tätigkeit im Rahmen eines Dienstverhältnisses offen steht. Hat die zweite Instanz ihrer Entscheidung die vom Obersten Gerichtshof judizierten Abgrenzungskriterien zugrunde gelegt, verwirklicht die Anwendung dieser Kriterien auf den jeweiligen Einzelfall in der Regel keine qualifizierte Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (vgl 8 ObA 49/10d ua).
Der echte Arbeitsvertrag unterscheidet sich nach herrschender Lehre und Rechtsprechung sowohl vom freien Dienstvertrag als auch vom Werkvertrag durch die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber (9 ObA 118/07d; RIS Justiz RS0021332 ua). Die Bestimmungsmerkmale der persönlichen Abhängigkeit müssen nicht alle vorliegen und können auch in unterschiedlicher Ausprägung bestehen (RIS Justiz RS0021284 ua). Entscheidend ist, ob die Merkmale der persönlichen Abhängigkeit ihrem Gewicht und der Bedeutung nach bei Anstellung einer Gesamtbetrachtung überwiegen (8 ObA 45/03f; RIS Justiz RS0021332 [T15] ua).
Das Berufungsgericht hat sich ausführlich mit den von der Rechtsprechung aufgestellten Abgrenzungskriterien (vgl 8 ObA 55/07g; RIS Justiz RS0021518, RS0111914 ua) auseinandergesetzt. Seine Beurteilung, dass es der Klägerin bis Ende 2008 an der persönlichen Abhängigkeit gegenüber der Beklagten gefehlt habe, ist nach der Lage des Falls vertretbar. Dabei konnte das Berufungsgericht davon ausgehen, dass die Beklagte der Klägerin in den Verträgen vom und (wie offensichtlich auch schon in der Zeit davor seit ) gestattete, im Krankenhaus ***** den freien Beruf der Hebamme auszuüben. Die Klägerin versicherte sich selbst bei der Sozialversicherung. Eine Geldleistung der Beklagten an die Klägerin war bis 1996 nicht vorgesehen. Die Klägerin verrechnete ihre Leistungen direkt gegenüber den Wöchnerinnen bzw den zuständigen Sozialversicherungsträgern. Erst ab 1997 wurde die Verrechnung zwischen den Parteien dahin umgestellt, dass die Beklagte der Klägerin für jede Geburt ein Pauschale zahlte. Eine Dienstverpflichtung der Klägerin in einem bestimmten zeitlichen Ausmaß war in den beiden schriftlichen Verträgen nicht normiert. Die Klägerin legte ihre Dienste in Abstimmung mit den anderen für die Beklagte tätigen Hebammen und im Einvernehmen mit dem Leiter der Abteilung sowie der Verwaltungsleitung des Krankenhauses selbst fest. Wenn sich die Klägerin zum Dienst eingeteilt hatte, musste sie eine allgemeine Anwesenheit im Krankenhaus war nicht vorgeschrieben sicherstellen, innerhalb von maximal 20 Minuten den Dienst aufnehmen zu können.
Aufgrund von Rückgängen der Geburten (und der Einnahmen) in den Jahren 2001/2002 kam es zu Gesprächen zwischen der Beklagten, der Klägerin und den beiden weiteren für die Beklagte tätigen Hebammen. Dabei bestand zwischen den Beteiligten auf Beklagtenseite aus Kostengründen, auf Seite der Hebammen, um keine Einschränkungen bei der Gestaltung der Arbeitsstunden hinnehmen zu müssen Einigkeit darüber, (weiterhin) keine (echten) Arbeitsverhältnisse begründen zu wollen.
Zutreffend weist die Revisionswerberin darauf hin, dass bei Beurteilung der persönlichen Abhängigkeit auch dem Aspekt der Vertretungsbefugnis Bedeutung zukommt (vgl 8 ObA 55/07g ua). Auch dafür gilt aber, dass die Gewichtung der Vereinbarung und der Nutzung des Vertretungsrechts ebenfalls von den Umständen des Einzelfalls abhängt (vgl 9 ObA 176/07h ua). Richtig ist, dass die gegenständlichen Verträge vom und primär von einer gegenseitigen Vertretung der für die Beklagte tätigen Hebammen ausgingen. Eine besondere persönliche Abhängigkeit der Klägerin ergibt sich daraus aber nicht, denn dessen ungeachtet wurde von der Klägerin verlangt (und ihr damit aber auch eingeräumt), für eine nicht näher eingeschränkte „Aushilfe“ zu sorgen, wenn diese aus zwingenden Gründen notwendig sei.
Die Behauptung der Revisionswerberin, die Beklagte habe im Zusammenhang mit der Rufbereitschaft der Klägerin (wenn sie sich zum Dienst eingeteilt hatte) das „Arbeitgeberrisiko“ auf die Klägerin als „Arbeitnehmerin“ überwälzt, übergeht, dass das Berufungsgericht gerade nicht von einem echten Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis zwischen den Parteien ausging (vgl 9 ObA 210/93 zur Rufbereitschaft einer freiberuflich tätigen Anästhesistin). Auch der Ansatz, einzelne Verpflichtungen der Klägerin seien „sittenwidrig“ gewesen, ist hier nicht zielführend. Mit dem Wegfall angeblich sittenwidriger Verpflichtungen, die nach Meinung der Klägerin einem echten Arbeitnehmer nicht zugemutet werden können, würde das ohnehin schon geringe Gewicht der Umstände, die für eine persönliche Abhängigkeit sprechen könnten, noch geringer. Mit den in der Revision erstmals angestellten Überlegungen zum Thema „Job splitting“ wird abgesehen davon, dass das im Revisionsverfahren geltende Neuerungsverbot (§ 504 Abs 2 ZPO) nicht beachtet wird ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt. Auch die weiteren Überlegungen der Revisionswerberin zeigen keine unvertretbare Verneinung der persönlichen Abhängigkeit der Klägerin auf. Hiezu kann auf die Begründung des Berufungsgerichts verwiesen werden.
Verneint man mit den Vorinstanzen das Vorliegen einer persönlichen Abhängigkeit der Klägerin und damit das Bestehen eines echten Arbeitsverhältnisses (vor dem ), dann ist beiden Punkten des Feststellungsbegehrens die Grundlage entzogen. Dabei kann dahin gestellt bleiben, ob man das Verhältnis der Parteien als Werkvertrag oder als freien Dienstvertrag qualifiziert. Beiden Verträgen mangelt es nämlich an der persönlichen Abhängigkeit. Das Salzburger Gemeinde-Vertragsbedienstetengesetz 2001 (Gem VBG), LGBl 2002/17, findet gemäß § 1 Abs 1 von hier nicht relevanten Ausnahmen in § 1 Abs 2 bis 4 abgesehen nur auf Personen Anwendung, die in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zu einer Gemeinde des Landes Salzburg (mit Ausnahme der Landeshauptstadt Salzburg) stehen. Auch die Vorgängerregelung des § 1 Abs 1 Salzburger Gemeindevertragsbedienstetengesetz 1968, LGBl 1968/31, die noch in Geltung war, als die Klägerin im Jahr 1984 ihre Tätigkeit für die Beklagte aufnahm, stellte auf das Vorliegen eines Dienstverhältnisses ab. Dass mit „Dienstverhältnis“ in beiden Gesetzen ein echtes Arbeitsverhältnis gemeint ist (vgl 8 ObA 55/07g zum VBG 1948), ist hier nicht weiter strittig.
Die Klägerin stützte auch die Feststellung bezüglich der Haftung der Beklagten für einen angeblichen „Pensionsschaden“ auf das Vorliegen eines echten Arbeitsverhältnisses, dessen Anmeldung zur Sozialversicherung von der Beklagten pflichtwidrig unterlassen worden sei. Dass die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, irgendein anderes Verhältnis der Parteien als das behauptete echte Arbeitsverhältnis zur Sozialversicherung anzumelden, wurde von der Klägerin nicht geltend gemacht. Vielmehr betonte sie, dass sie sich nachdem sie über 20 Jahre lang der Beurteilung gefolgt war, dass zwischen den Parteien kein echtes Arbeitsverhältnis bestehe selbst zur Sozialversicherung angemeldet habe.
Soweit nun das Berufungsgericht trotz Verneinung eines echten Arbeitsverhältnisses dennoch überschießende Überlegungen zu einem Pensionsschaden der Klägerin in Verbindung mit § 4 Abs 3 Z 1 ASVG idF BGBl 1955/189, bzw in Verbindung mit § 4 Abs 4 idF Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl 1996/201, anstellte, bedürfen diese einer Korrektur. Weder aus der Gleichstellung der selbständigen Hebammen mit Dienstnehmern in § 4 Abs 3 Z 1 ASVG idF BGBl 1955/189 noch aus der Einbeziehung freier Dienstnehmer in die Pflichtversicherung in § 4 Abs 4 ASVG idF Strukturanpassungsgesetz 1996 ergab sich eine Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin als freiberuflich tätige Hebamme zur Sozialversicherung anzumelden und Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Gemäß § 36 Abs 3 ASVG idF bis einschließlich BGBl 1996/411 hatten nämlich die nach § 4 Abs 3 ASVG den Dienstnehmern gleichgestellten vollversicherten selbständig Erwerbstätigen (somit auch die in Z 1 leg cit genannten selbständigen Hebammen) bis die in den §§ 33 und 34 ASVG vorgeschriebenen Meldungen (beim zuständigen Krankenversicherungsträger mit Wirkung auch für die Unfall- und Pensionsversicherung) selbst zu erstatten. In § 51 Abs 5 Satz 2 ASVG idF bis einschließlich BGBl I 1998/138 wurde dazu ausdrücklich normiert, dass die Versicherungsbeiträge im Fall der den Dienstnehmern gleichgestellten Vollversicherten nach § 4 Abs 3 ASVG zur Gänze von den Versicherten zu tragen sind. Auch aus der Einbeziehung freier Dienstnehmer in die Pflichtversicherung in § 4 Abs 4 idF Strukturanpassungsgesetz 1996 ergab sich für den behaupteten Pensionsschaden nichts Besonderes, weil die Pflichtversicherung nach § 4 Abs 4 ASVG nur eintrat, sofern die betroffene Person nicht bereits aufgrund ihrer Tätigkeit der Pflichtversicherung nach dem ASVG (oder einem anderen Bundesgesetz) unterlag. Dies war aber bei selbständigen Hebammen nach § 4 Abs 3 Z 1 ASVG zunächst auch noch über das Strukturanpassungsgesetz 1996 hinaus bis der Fall. Auch mit der Aufhebung der Pflichtversicherung nach § 4 Abs 3 ASVG mit Novelle BGBl I 1997/139 ab (§ 572 Abs 2 Z 4 ASVG) ergab sich für den Pensionsschaden nichts Neues. Der erneut novellierte § 4 Abs 4 ASVG erfasst nämlich Personen aufgrund freier Dienstverträge unter anderem nur dann, sofern diese nicht eine freiberufliche Tätigkeit ausüben, die die Zugehörigkeit zu einer gesetzlichen beruflichen Vertretung (Kammer) begründet. Dies ist aber bei der Klägerin der Fall, die als freiberuflich tätige Hebamme dem Hebammengremium und damit einer gesetzlichen Interessenvertretung angehört (§§ 39, 40 HebG; RV 1461 BlgNR 23. GP 35). Die Klägerin unterlag daher nicht der Pflichtversicherung nach § 4 Abs 4 ASVG.
Geht man von der vertretbaren Verneinung eines echten Arbeitsverhältnisses aus, dann hängt die Lösung des Falls auch nicht von Überlegungen zu einem allfälligen Mitverschulden der Klägerin oder einer Verjährung von Schadenersatzansprüchen ab. Auf die Frage, ob für den Fall der Nichtanmeldung eines Versicherten durch den Arbeitgeber die gleichen Grundsätze wie im Fall der unrichtigen Anmeldung gelten, kommt es nicht an. Verneint man ein echtes Arbeitsverhältnis, dann hat die Beklagte gegenüber der Klägerin keine Anmeldepflicht zur Sozialversicherung verletzt.
Zusammenfassend hat es bei der vom Berufungsgericht bestätigten Klageabweisung zu bleiben. Mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung ausdrücklich auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RIS Justiz RS0035979 ua).