OGH vom 28.06.2017, 9ObA15/17x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller und Mag. Matthias Schachner in den verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Parteien 1. W***** T*****, 2. D***** R*****, 3. D***** J*****, 4. T***** T*****, 5. M***** H*****, 6. M***** Z*****, alle vertreten durch Dr. Sieglinde Gahleitner, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei d***** GmbH, *****, vertreten durch Bruckmüller Rechtsanwalts GmbH in Linz, wegen 27.095,90 EUR sA (Gesamtstreitwert), über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Ra 69/16w-14, mit dem der Berufung der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 16 Cga 25/16a-10, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Kläger waren bzw sind überwiegend seit 2013 bei der Beklagten, einem Personaldienstleistungsunternehmen, beschäftigt. In ihren Dienstverträgen wurde das zeitliche Ausmaß ihrer Arbeitsverpflichtung jeweils mit 36 Wochenstunden festgelegt und festgehalten, dass sich der Dienstnehmer bei Überlassung an einen Betrieb mit einer längeren Normalarbeitszeit zu einer entsprechend längeren Arbeitszeit verpflichtet. Auf die Dienstverhältnisse ist der Kollektivvertrag für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung anzuwenden, der eine Normalarbeitszeit von 38,5 Stunden vorsieht.
Die Kläger waren durchgehend an die M***** GmbH überlassen, die dem Kollektivvertrag für die Metallindustrie (Normalarbeitszeit: 38,5 Stunden) unterliegt. In diesem Unternehmen wird seit aufgrund einer „Betriebsvereinbarung“ in den Schichtbetrieben nur mehr 36 Stunden wöchentlich gearbeitet. Alle Arbeitnehmer der Beschäftigerin, die in den Genuss der 36 Stunden-Woche kommen, erhalten nach der „Betriebsvereinbarung“ vollen Lohnausgleich. Die Kläger wurden im Rahmen des Schichtmodells eingesetzt, haben 36 Stunden pro Woche gearbeitet und wurden unter Anwendung des gebührenden Stundenlohns und des Referenzzuschlags für 36 Wochenstunden entlohnt.
Die Kläger begehren mit ihren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen die Zahlung offener Lohnansprüche und der darauf entfallenden BMSVG-Beiträge auf Basis einer 38,5-Stundenwoche. Seit Jänner 2013 seien nach § 10 Abs 3 AÜG Arbeitszeitverkürzungen durch betriebliche Regelungen des Beschäftigers auch für überlassene Arbeitskräfte wirksam. Der Überlassungslohn sei so zu berechnen, als wäre der Arbeitnehmer für so viele Arbeitsstunden eingesetzt, als diese der Beschäftigerkollektivvertrag als Normalarbeitszeit vorsehe. Die Teilzeitarbeitsverträge seien in Umgehungsabsicht geschlossen worden.
Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass sich § 10 Abs 3 AÜG nur auf Aspekte der Arbeitszeit und des Urlaubs, nicht aber der Entlohnung beziehe und daher für überlassene Arbeitskräfte keine Wirkung entfalte. Die Teilzeitbeschäftigung im Ausmaß von 36 Stunden sei wirksam vereinbart worden.
Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Da sowohl im Beschäftiger- als auch im Überlasserbetrieb ein Kollektivvertrag gelte, in denen jeweils auch das Entgelt geregelt sei, sei auf die Betriebsvereinbarung als sonstige verbindliche Bestimmung allgemeiner Art iSd § 10 Abs 1 AÜG nicht Bedacht zu nehmen. Unter kollektivvertraglichem Entgelt im Sinn dieser Regelung sei auch nur das kollektivvertragliche Mindestentgelt zu verstehen. Die Regelung sehe für die Dauer der Überlassung keine Angleichung an die im Beschäftigerbetrieb gezahlten überkollektivvertraglichen Ist-Löhne vor. Der volle Lohnausgleich für 38,5 Wochenstunden bei geleisteten 36 Wochenstunden beziehe sich auf Aspekte des Entgelts, nicht aber der Arbeitszeit und des Urlaubs iSd § 10 Abs 3 AÜG.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger keine Folge. Unter Analyse der Gesetzesmaterialien zu der mit BGBl I 2012/98 novellierten Bestimmung des § 10 AÜG, Stellungnahmen der Literatur und dem Begriff des Arbeitsentgelts im Sinn der Leiharbeits-Richtlinie (Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Leiharbeit) kam es zum Ergebnis, dass unter dem Begriff „Aspekte der Arbeitszeit“ nicht auch Entgeltregelungen in – unechten – Betriebsvereinbarungen zu verstehen seien. Auch Pkt „VI. Arbeitszeit“ des Kollektivvertrags für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung biete keine Anspruchsgrundlage, weil das Ausmaß der Arbeitsverpflichtung der Kläger bloß 36, nicht aber 38,5 Stunden betragen habe. Aus den Feststellungen ergebe sich keine eindeutige Umgehungsabsicht der Beklagten bei Abschluss der Dienstverträge mit den Klägern. Die Revision sei zur Klärung des Begriffs „Aspekte der Arbeitszeit und des Urlaubs“ iSd § 10 Abs 3 AÜG zulässig.
In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragen die Kläger die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsstattgabe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Die Kläger sind der Ansicht, dass ihre Dienstverträge keine Teil-, sondern eine Vollzeitvereinbarung enthielten. Anspruchsgrundlage der Klagsansprüche sei Abschnitt VI./1 Abs 4 des Kollektivvertrags für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung und § 10 Abs 3 AÜG. Selbst bei Annahme einer Teilzeitbeschäftigung wären sie wie andere Teilzeitbeschäftigte beim Beschäftiger zu stellen, wodurch ihre Arbeitsverpflichtung beim Beschäftiger nur 33,66 Wochenstunden betrage und sie regelmäßig 2,34 Stunden Mehrarbeit geleistet hätten.
Dazu war Folgendes zu erwägen:
1. Die Kläger meinen zunächst, dass ihre Dienstverträge im Sinn einer Vollzeitbeschäftigung zu verstehen seien.
Nach § 19d Abs 1 AZG liegt Teilzeitarbeit vor, wenn die vereinbarte Wochenarbeitszeit die gesetzliche Normalarbeitszeit oder eine durch Normen der kollektiven Rechtsgestaltung festgelegte kürzere Normalarbeitszeit im Durchschnitt unterschreitet. Einer Norm der kollektiven Rechtsgestaltung ist gleichzuhalten, wenn eine durch Betriebsvereinbarung festgesetzte kürzere Normalarbeitszeit mit anderen Arbeitnehmern, für die kein Betriebsrat errichtet ist, einzelvertraglich vereinbart wird. Da die mit den Klägern vereinbarte Wochenarbeitszeit von 36 Stunden die im Kollektivvertrag für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung vorgesehene Normalarbeitszeit von 38,5 Wochenstunden unterschreitet, liegt eine Teilzeitvereinbarung vor.
Dagegen spricht auch nicht die weitere Klausel in den Dienstverträgen, wonach sich die Kläger bei Überlassung an einen Betrieb mit einer längeren Normalarbeitszeit „zur entsprechend längeren Arbeitszeit“ verpflichten. Damit wird zunächst nur der Fall bedacht, dass im Beschäftigerbetrieb eine längere Normalarbeitszeit (dh mehr als 38,5 Wochenstunden) als bei der Beklagten als Überlasserin gelten könnte. Die Verpflichtung zu einer „entsprechend“ längeren Arbeitszeit ist aber auch mit einer Teilzeitbeschäftigung – dh mit einer aliquot längeren Arbeitszeit im Beschäftigerbetrieb – zu verwirklichen. Ohne weitere Anhaltspunkte reicht Satz 2 der Klausel des Dienstvertrags daher noch nicht zu einem Verständnis dahin aus, dass die Dienstverträge trotz der ausdrücklich vereinbarten Arbeitszeit von 36 Wochenstunden eine Arbeitsverpflichtung im Ausmaß einer regulären Vollzeitbeschäftigung des Überlassers von 38,5 Wochenstunden zum Ausdruck bringen sollten.
2. Die genannte Klausel verstößt auch nicht gegen § 11 Abs 2 AÜG.§ 11 Abs 2 AÜG enthält eine beispielsweise Aufzählung verbotener und deshalb (teil-)nichtiger Vertragsbestimmungen, mit denen insbesondere der Versuch, das wirtschaftliche Risiko der Auslastung auf die überlassene Arbeitskraft zu überwälzen, unterbunden werden soll. Daher sind nach § 11 Abs 2 Z 2 AÜG Vereinbarungen verboten, die die Arbeitszeit wesentlich unter dem Durchschnitt des zu erwartenden Beschäftigungsausmaßes festsetzen oder ein geringeres Ausmaß der Arbeitszeit für überlassungsfreie Zeiten festlegen. Ebenso verboten ist bei vereinbarter Teilzeitbeschäftigung eine Vereinbarung, wenn sie dem Arbeitgeber vertraglich das Recht zur Anordnung von regelmäßiger Mehrarbeit einräumt (§ 11 Abs 2 Z 3 AÜG). Unzulässig sind damit wesentliche Abweichungen von der tatsächlich benötigten Arbeitszeit und das Recht zur einseitigen Anordnung regelmäßiger Mehrarbeit. Jede wesentliche Fehlbeurteilung führt zu einer Vertragsanpassung im Sinn der dauerhaften Geltung der tatsächlich geleisteten, längeren Arbeitszeit (s Schindler in ZellKomm2 AÜG § 11 Rz 13 ff mwN).
Hier ist jedoch keiner dieser Tatbestände erfüllt, weil im Hinblick auf Z 2 leg cit die vereinbarte Arbeitszeit von 36 Wochenstunden genau dem zu erwartenden Beschäftigungsausmaß im Beschäftigerbetrieb entsprach und im Hinblick auf Z 3 leg cit die Kläger für den Fall einer längeren Normalarbeitszeit des Beschäftigers vertraglich zunächst nur zu einer dem Ausmaß der Teilzeitbeschäftigung „entsprechend“ längeren Arbeitszeit verpflichtet wurden (s Pkt 1.).
3. Tatsächlich wurden die Kläger dem Beschäftiger im Ausmaß von 36 Wochenstunden überlassen, womit ihre Arbeitszeit jener der im Schichtbetrieb tätigen vollzeitbeschäftigten Stammarbeitnehmer des Beschäftigers entsprach. Die Kläger sehen darin eine unzulässige Umgehung der zwingenden Entgeltbestimmungen des Kollektivvertrags für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung (idF: Kollektivvertrag).
3.1. Abschnitt VI./1 des Kollektivvertrags lautet:
VI. Arbeitszeit
1. Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt ausschließlich der Pausen 38,5 Stunden. …
Während der Überlassung gelten für die überlassenen Arbeitnehmer die im Beschäftigerbetrieb für vergleichbare Arbeitnehmer gültigen gesetzlichen, kollektivvertraglichen sowie sonstigen im Beschäftigerbetrieb
Soweit derartige gesetzliche, kollektivver-tragliche oder sonstige im Beschäftigerbetrieb geltenden verbindlichen Bestimmungen allgemeiner Art fehlen oder eine Normalarbeitszeit von mehr als 38,5 Stunden vorsehen, …
Soweit derartige gesetzliche, kollektivvertragliche oder sonstige im Beschäftigerbetrieb geltenden verbindlichen Bestimmungen allgemeiner Art eine Normalarbeitszeit von weniger als 38,5 Stunden vorsehen, gilt dies auch für überlassene Arbeitnehmer, doch ist diesen weiterhin der Grundlohn (IX./1) für 38,5 Stunden zu bezahlen; der Überlassungslohn (IX./3., 4., 4a) ist auf Grundlage der in den gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Bestimmungen festgelegten Normalarbeitszeit zu berechnen. …
3.2. Abschnitt VI. nimmt damit Bezug auf den Grundfall einer Anstellung beim Überlasser im Ausmaß einer Vollarbeitszeit von 38,5 Wochenstunden (Abs 1) und definiert den Entlohnungsanspruch der überlassenen Arbeitskraft für das Vollzeitäquivalent des Beschäftigers, das eine längere (Abs 3) oder kürzere (Abs 4) Vollarbeitszeit des Beschäftigers bedeuten kann. Im zweiten Fall steht der überlassenen Arbeitskraft jedenfalls für 38,5 Stunden der Grundlohn als der sowohl während der Dauer einer Überlassung als auch in überlassungsfreien Zeiten (Stehzeiten) gebührende Mindestlohn (IX.1. des Kollektivvertrags) zu, sofern nicht der Überlassungslohn als der im Beschäftigerbetrieb zu zahlende kollektivvertragliche Lohn (IX.3.) höher als der Mindestlohn ist.
3.3. Die von der Beklagten angesprochenen kollektivvertraglichen Referenzaufschläge sind in diesem Zusammenhang insofern unbeachtlich, als mit ihnen in Hochlohnbranchen nur eine pauschale Angleichung an die im Beschäftigerbetrieb tatsächlich ausbezahlten Löhne erreicht werden soll, nicht aber ein Ausgleich für teilzeitbedingte Entgelteinbußen bezweckt ist (s 9 ObA 140/15a).
3.4. Anwendungsvoraussetzung von Ab-schnitt VI./1 Abs 4 des Kollektivvertrags ist zunächst, dass derartige gesetzliche, kollektivvertragliche sowie sonstige im Beschäftigerbetrieb geltenden verbindlichen Bestimmungen allgemeiner Art eine Normalarbeitszeit von weniger als 38,5 Stunden vorsehen.
Diese Formulierung entspricht jener der Bestimmung des § 10 Abs 3 AÜG, die im Zuge der AÜGNovelle BGBl I 2012/98 in Umsetzung der Leiharbeits-Richtlinie neu gefasst wurde und im Hinblick auf die Aspekte der Arbeitszeit und des Urlaubs das Prinzip der Gleichbehandlung von überlassenen Arbeitskräften mit denen des Beschäftigerbetriebs gewährleisten sollen, sofern diese Punkte kollektive Geltung beanspruchen (arg.: „gesetzliche, kollektivvertragliche oder sonstige im Beschäftigerbetrieb geltende verbindliche Bestimmungen allgemeiner Art“).
Hier erfolgte die Arbeitszeitverkürzung durch die „Betriebsvereinbarung“ aus dem Jahr 1985. Die Kläger räumen ein, dass dauerhafte Arbeitszeitverkürzungen nicht durch echte Betriebsvereinbarungen realisiert werden können (s § 97 Abs 1 Z 13 ArbVG: Anordnung der vorübergehenden Verkürzung oder Verlängerung der Arbeitszeit).
Ob auch unechte Betriebsvereinbarungen, Vertragsschablonen und betriebliche Übungen als sonstige im Beschäftigerbetrieb geltende verbindliche Bestimmungen allgemeiner Art anzusehen sind, ist in der Literatur zum AÜG umstritten. Zum Teil wird darauf hingewiesen, dass unechte Betriebsvereinbarungen erst auf einzelvertraglicher Ebene Verbindlichkeit entfalten und für Neueintretende etwa auch ausgeschlossen werden können (ihre Subsumtion unter § 10 Abs 3 AÜG ablehnend etwa Pöschl/Unterrieder, Novelle zum AÜG – Neue Pflichten für Beschäftiger und Überlasser, ecolex 2012, 999; Schrank, Die wichtigsten Neuerungen zur Arbeitskräfteüberlassung, RdW 2013, 31; ihnen folgend Rauch, Angemessenes Entgelt bei Arbeitskräfteüberlassung, ecolex 2013, 676; ähnlich Burz, Die Tücken des [neuen] AÜG – Fairness oder „verbrannte Erde“ im Bereich der Arbeitskräfteüberlassung?, ecolex 2012, 1093).
Dagegen weist Schindler, Arbeitskräfteüber-lassungs-KV (2013), 39, insbesondere auf die Entstehung des Art 5 Abs 1 und ErwGr 14 der Leiharbeits-Richtlinie hin, wonach Leih-Arbeitnehmer jene Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen erhalten sollen, die gelten würden, wenn sie „von den entleihenden Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären“. Es sei daher festzustellen, welche generellen Bestimmungen für vergleichbare Arbeitnehmer im fraglichen Einstellungszeitpunkt gegolten hätten. Eine betriebliche Übung erfasse auch neu eintretende Arbeitnehmer, sofern nicht ausdrücklich anderes mit ihnen vereinbart worden sei. Gleiches gelte für Vertragsschablonen und Richtlinien. So lange sie nicht generell aufgehoben worden seien, wären sie bei einer Direkt-Einstellung ver- bzw angewendet worden (ebenso ders, Die neue EU-Leiharbeits-RL – der Umsetzungsbedarf in Österreich, DRdA 2009, 178). Diesen Standpunkt vertreten auch Schörghofer, Zur Umsetzung der Leiharbeits-RL im AÜG – Einige zentrale Änderungen und Lücken, ZAS 2012, 341; Schrattbauer/Goricnik, Wesentliche Änderungen durch die Novellierung des Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes (AÜG), wbl 2013, 121; und Schlitzer, Die Umsetzung der Leiharbeitsrichtlinie, infas 2013, 89.
Der erkennende Senat erachtet diese Erwägungen vor dem europarechtlichen Hintergrund für überzeugend und schließt sich dieser Ansicht an. Auch unechte Betriebsvereinbarungen, die sich auf Aspekte der Arbeitszeit und des Urlaubs beziehen, sind danach als verbindliche Bestimmungen allgemeiner Art iSd § 10 Abs 3 AÜG, folglich auch des Abschnitts VI./1 Abs 4 des Kollektivvertrags anzusehen.
3.5. Die Bestimmung des Abschnitts VI./1 Abs 4 des Kollektivvertrags für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung bedeutet danach:
In zeitlicher Hinsicht nimmt eine beim Überlasser in Vollzeit beschäftigte Arbeitskraft an einer durch (unechte) Betriebsvereinbarung reduzierten Normalarbeitszeit von weniger als 38,5 Stunden des Beschäftigers teil. Auf den Überlassungslohn (IX./3., 4., 4a) schlägt die nur innerbetrieblich verkürzte Normalarbeitszeit jedoch nicht durch, weil der Überlassungslohn nur auf Grundlage der in den gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Bestimmungen– nicht aber den sonstigen im Beschäftigerbetrieb geltenden verbindlichen Bestimmungen allgemeiner Art – festgelegten Normalarbeitszeit zu berechnen ist. Einer in Vollzeit beschäftigten überlassenen Arbeitskraft ist der Überlassungslohn daher auch dann auf Basis der Vollzeitbeschäftigung zu zahlen, wenn die Normalarbeitszeit beim Beschäftiger nur durch unechte Betriebsvereinbarung verkürzt wurde. Für die Streitparteien würde daher eine Anstellung der überlassenen Arbeitskraft mit 38,5 Wochenstunden mit einem Überlassungslohn beim Beschäftiger auf Basis einer 38,5-Stundenwoche (kollektivvertragliche Normalarbeitszeit des Beschäftigers) einhergehen, weil der Überlassungslohn von der durch die unechte Betriebsvereinbarung reduzierten Normalarbeitszeit unberührt bliebe.
3.6. Gibt aber Abschnitt VI.1. Abs 4 des Kollektivvertrags vor, dass eine Vollzeitbeschäftigung beim Überlasser (38,5 Wochenstunden) in entgeltlicher Hinsicht dem gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Vollzeitäquivalent des Beschäftigers auch dann zu entsprechen hat, wenn die Arbeitszeit innerbetrieblich reduziert wurde, so würde es folglich eine Umgehung darstellen, wenn der Überlasser mit der überlassenen Arbeitskraft eine Teilzeitvereinbarung im Ausmaß der beim Beschäftiger nur innerbetrieblich reduzierten Arbeitszeit vereinbart, ohne dass die Arbeitszeit beim Beschäftiger gemäß der Teilzeitvereinbarung aliquot verkürzt würde, weil dadurch das in Abschnitt VI.1. Abs 4 des Kollektivvertrags vorgezeichnete Äquivalenzverhältnis zu Lasten der überlassenen Arbeitskraft verschoben würde. Eine Umgehung dieser kollektivvertraglichen Anordnung durch eine „Teilzeit-Vereinbarung“ mit dem Überlasser, die die „Synchronisierung“ mit der innerbetrieblichen Vollarbeitszeit des Beschäftigers bezweckt, wäre daher unwirksam (idS auch Schindler, Arbeitskräfteüberlassungs-KV [2013] 161). Die auf Basis einer unechten Betriebsvereinbarung innerbetrieblich verkürzte Normalarbeitszeit kann folglich nichts am Anspruch einer (vollzeitbeschäftigten) überlassenen Arbeitskraft auf eine kollektivvertragliche Entlohnung nach Maßgabe einer Vollzeitbeschäftigung ändern.
4. Die Frage der Anwendbarkeit der mit der AÜG-Novelle BGBl I 2012/98 in Umsetzung der Leiharbeits-Richtlinie neu gefassten Bestimmung des § 10 Abs 3 AÜG – nach der in Bezug auf Aspekte der Arbeitszeit und des Urlaubs für die überlassene Arbeitskraft die im Beschäftigerbetrieb für vergleichbare Arbeitnehmer gültigen gesetzlichen, kollektivvertraglichen sowie sonstigen im Beschäftigerbetrieb geltenden verbindlichen Bestimmungen allgemeiner Art gelten – stellt sich danach nicht.
5. Abschnitt VI.1. des Kollektivvertrags verbietet freilich nicht generell den Abschluss von Teilzeitvereinbarungen mit dem Überlasser. Es läge noch keine Umgehung darin, eine beim Überlasser in Teilzeit beschäftigte Arbeitskraft dem Beschäftiger auch als Teilzeitarbeitskraft zu überlassen (maW wäre eine Halbtagskraft des Überlassers – aliquot nach Abschnitt VI./1 Abs 4 des Kollektivvertrags – als Halbtagskraft des Beschäftigers zu entlohnen). Wie die Kläger richtig aufzeigen, hätte dies nach dem Diskriminierungsverbot des § 19d Abs 6 AZG aber zur Folge, dass die innerbetriebliche Verkürzung der Normalarbeitszeit auch für Teilzeitbeschäftigte gelten und zu einer aliquoten Verkürzung ihrer Arbeitsverpflichtung bei entsprechendem Lohnausgleich (hier: 38,5 : 36 = Verkürzung 6,5 %) führen muss. Darüber hinausgehende Arbeitsstunden wären demnach als (ggf zuschlagspflichtige) Mehrarbeitsstunden zu entlohnen.
6. Das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass sich aus den erstgerichtlichen Feststellungen „nicht eindeutig“ eine Umgehungsabsicht der Beklagten bei Abschluss der Dienstverträge mit den Klägern ergibt. Danach ist aber noch nicht ausgeschlossen, dass die Streitteile – wie es dem Vorbringen der Beklagten entspricht – zulässigerweise eine Teilzeitvereinbarung geschlossen haben, womit aber die unter Pkt 5. aufgezeigten entgeltlichen Konsequenzen, die in den Vorinstanzen noch nicht verfahrensgegenständlich waren, einer Erörterung zugänglich zu machen sind. Nicht zuletzt zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung (§ 182a ZPO) sind die Urteile der Vorinstanzen zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung aufzuheben.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00015.17X.0628.000 |
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