OGH vom 19.12.2002, 8Ob18/02h

OGH vom 19.12.2002, 8Ob18/02h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer, Dr. Rohrer, Dr. Spenling und Dr. Kuras als weitere Richter in der Pflegschaftssache der ***** mj. Astrid S*****, vertreten durch ihre Mutter Elisabeth S*****, infolge Revisionsrekurses des Vaters Robert M*****, vertreten durch Dr. Günter Tews & Mag. Christian Fischer, Rechtsanwälte in Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien, als Rekursgericht vom , GZ 45 R 518/01m-158, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom , GZ 5 P 11/98z-144, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Die 1996 geborene minderjährige Astrid lebt bei der Mutter. Der Vater, den keine weiteren gesetzlichen Sorgepflichten treffen, erzielte aus seiner Tätigkeit als Obmann des Vereins KFV S***** (bis 1999) und seiner Tätigkeit als Angestellter bei der D***** GmbH nachstehendes monatliches Durchschnittsnettoeinkommen:

1997: S 31.769,--

1998: S 38.717,--

1999: S 38.755,--

2000: S 40.458,--

1.1. bis : S 37.520,--.

Mit Beschluss vom erhöhte das Erstgericht den Unterhalt für die Minderjährige. Ihr wurde ab ein monatlicher Unterhaltsbeitrag von S 3.940,-- zugesprochen, der für die Folgezeit stufenweise auf S 3.980,--, S 5.080,--, S 5.100,-- und ab bis auf weiteres auf S 5.180,-- erhöht wurde. Der Minderjährigen gebühre nach den von der Judikatur entwickelten Prozentsätzen ein Unterhaltsanspruch von rund 16 % der Unterhaltsbemessungsgrundlage, doch sei dieser Prozentsatz bei überdurchschnittlichem Einkommen des Unterhaltsschuldners nicht auszuschöpfen; vielmehr sei zur Vermeidung einer pädagogisch schädlichen Überalimentierung, allenfalls auch zur Vermeidung eines Stör- und Missverhältnisses zwischen der Geldunterhaltshöhe und dem niedrigen Lebensstandard des betreuenden Elternteils, eine Angemessenheitsgrenze als "Unterhaltsstopp" zu setzen (sogenannte Luxusgrenze). Diese liege nach ständiger Rechtsprechung für Kinder bis 10 Jahren beim 2-fachen, für Kinder ab 10 Jahren beim 2,5-fachen des für dieses Alter geltenden Durchschittsbedarfssatzes.

Das Rekursgericht gab weder dem Rekurs der Minderjährigen noch dem des Vaters Folge und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu. Der Vater bekämpft diesen Beschluss mit einem Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag; hilfsweise beantragt er die Abänderung in die Abweisung des Unterhaltserhöhungsantrags.

Die durch ihre Mutter vertretene Minderjährige beantragt in der ihr freigestellten Gegenäußerung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und im Sinn seines Aufhebungsantrags berechtigt.

Der Vater macht darin geltend, dass die Auslegung des § 12a FLAG durch die Vorinstanzen unrichtig sei; diese Bestimmung sei im Sinne des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom , B 1285/00, auszulegen. Er legt eine detaillierte Berechnung vor, aus der sich ergebe, dass hier ein Sachverhalt zu beurteilen sei, der im Kernbereich des § 12a FLAG liege und der wegen der Einkommensverhältnisse des Vaters und der Höhe der zuerkannten Unterhaltsbeträge von den Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes unmittelbar betroffen sei, und regt an, der Oberste Gerichtshof möge einen Antrag an den Verfassungsgerichtshof stellen, § 12a FLAG als verfassungswidrig aufzuheben. Weiters wendet er sich in seinem Revisionsrekurs dagegen, dass die Steuergutschriften aus dem Titel des Unterhaltsabsetzungsbetrages der Unterhaltsbemessungsgrundlage zugeschlagen würden sowie gegen die teilweise Hinzurechnung des ihm ausbezahlten Kilometergeldes zu seinem Nettoeinkommen. Zum zuletzt genannten Punkt ist zu bemerken, dass es der oberstgerichtlichen Rechtsprechung entspricht, dass nur solche Einnahmen, die der Abgeltung von effektiven Auslagen dienen, aus der Unterhaltsbemessungsgrundlage herauszunehmen sind (5 Ob 3/97w; 1 Ob 260/97k ua). Gegen die dem Gutachten des Sachverständigen folgende Berechnung, dass das Kilometergeld aus diesem Grund nur teilweise aus der Unterhaltsbemessungsgrundlage herauszunehmen ist, bestehen keine Bedenken (vgl RIS-Justiz RS0111469, zuletzt 3 Ob 85/00x). Zur Behandlung der Familienbeihilfe und des Unterhaltsabsetzungsbetrages ist zu bemerken:

Der Oberste Gerichtshof hat gemäß Art 89 Abs 2 B-VG (Art 140 B-VG) aus Anlass bei ihm anhängiger Revisionsrekurse beim Verfassungsgerichtshof beantragt, § 12a FLAG 1967 idF BGBl 1977/646 als verfassungswidrig aufzuheben. Mit Erkenntnis vom , G 7/02 uva, hat der Verfassungsgerichtshof in § 12a FLAG die Wortfolge "und mindert nicht dessen Unterhaltsanspruch" als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass die aufgehobene Wortfolge nicht mehr anzuwenden ist und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten. Der Verfassungsgerichtshof hat seine schon im Erkenntnis vom vertretene Auffassung bekräftigt, dass nicht nur die Absetzbeträge (Unterhaltsabsetzbetrag und Kinderabsetzbetrag), sondern auch die Familienbeihilfe der steuerlichen Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen zu dienen habe. Bei verfassungskonformer Auslegung der hier maßgeblichen Rechtslage ist damit bei der Unterhaltsbemessung für Kinder bei getrennter Haushaltsführung darauf Bedacht zu nehmen, dass die Familienbeihilfe nicht (nur) der Abgeltung von Betreuungsleistungen dient, sondern, soweit notwendig, die steuerliche Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen bewirken soll. Nach den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs muss der Geldunterhaltspflichtige für die Hälfte des von ihm gezahlten Unterhalts steuerlich entlastet werden. Dabei ist der jeweilige Grenzsteuersatz maßgebend, der jedoch jeweils um etwa 20 % abzusenken ist, weil das Einkommen typischerweise auch steuerlich begünstigte oder steuerfreie Einkünfte umfasst und die steuerliche Entlastung die Leistungsfähigkeit des Geldunterhaltspflichtigen erhöht. Bei einem Grenzsteuersatz von 50 % gelangt man damit zu einem Steuersatz von 40 %; bei einem Grenzsteuersatz von 41 % - wenn die vom Verfassungsgerichtshof vorgegebene Absenkung proportional fortgeschrieben wird - zu einem Steuersatz von 33 % und bei einem Grenzsteuersatz von 31 % zu einem Steuersatz von 25 % (s Gitschthaler, Familienbeihilfe und deren Anrechnung auf Kindesunterhaltsansprüche, JBl 2003 [in Druck]). Für ein proportionales Fortschreiben der vom Verfassungsgerichtshof vorgegebenen Absenkung spricht, dass die Berechnung damit nachvollziehbar wird und für die Anwendung anderer Sätze überzeugende Argumente fehlen. So kann Zorn (Kindesunterhalt und Verfassungsrecht SWK 2001, 799 [803 f]) seinen Vorschlag, die jeweiligen Grenzsteuersätze auf 40 %, 34 % bzw 28 % abzusenken, nur damit begründen, dass ihm die zur Absenkung führenden Erwägungen (niedrigerer Steuersatz für bestimmte Einkunftsarten und Steigerung der Leistungsfähigkeit durch die steuerliche Entlastung) durch die von ihm vorgeschlagenen Sätze hinreichend berücksichtigt erschienen. Der nach den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs abgesenkte Steuersatz ist mit dem halben Unterhaltsbetrag zu multiplizieren; um den sich daraus ergebenden Betrag ist der Geldunterhaltspflichtige steuerlich zu entlasten. Bei der Berechnung der notwendigen steuerlichen Entlastung ist darauf Bedacht zu nehmen, ob der Unterhaltsbeitrag zur Gänze im höchsten Einkommensteil Deckung findet oder ob für einen (ins Gewicht fallenden) Teilbetrag der nächstniedrigere Grenzsteuersatz maßgebend ist. Die Entlastung wird einerseits durch den beim Geldunterhaltspflichtigen berücksichtigten Unterhaltsabsetzbetrag (§ 33 Abs 4 lit 3 b EStG) bewirkt, andererseits sind dazu, soweit der Unterhaltsabsetzbetrag nicht ausreicht, die dem das Kind betreuenden Elternteil zufließenden Transferleistungen - Kinderabsetzbetrag (§ 33 Abs 4 lit 3a EStG) und Familienbeihilfe - heranzuziehen, indem der Unterhaltsbeitrag entsprechend gekürzt wird.

Im vorliegenden Fall bezog der Vater in den relevanten Jahren ein

monatliches Nettoeinkommen zwischen S 31.769 (= EUR 2.308,74) und S

40.658,-- (= EUR 2.954,73); sein Bruttoeinkommen ist nicht

festgestellt. Vom Jahresbruttoeinkommen - ohne 13. und 14. Gehalt (s Zorn aaO 804) - hängt aber ab, wie hoch der auf das Einkommen des Vaters angewandte Grenzsteuersatz ist. Die Einkommensteuer beträgt nach § 33 Abs 1 EStG für die ersten 3.640 EUR 0 %, für die nächsten

3.630 EUR 21 %, für die nächsten 14.530 EUR 31 %, für die nächsten 29.070 EUR 41 % und für alle weiteren Beträge des Einkommens 50 %. Da der Kindesunterhalt jeweils den höchsten Einkommensteilen des Unterhaltspflichtigen zuzuordnen ist (s Zorn aaO 804), muss - wie oben ausgeführt - bei der Berechnung der notwendigen steuerlichen Entlastung darauf Bedacht genommen werden, ob der Unterhaltsbeitrag zur Gänze im höchsten Einkommensteil Deckung findet oder ob für einen (ins Gewicht fallenden) Teilbetrag der nächstniedrigere Grenzsteuersatz maßgebend ist.

Das Erstgericht wird das Verfahren durch Feststellung des jeweilig relevanten Jahresbruttoeinkommens des Vaters ohne 13. und 14. Gehalt zu ergänzen zu haben, um die notwendige steuerliche Entlastung nach den oben wiedergegebenen Grundsätzen berechnen zu können (vgl 4 Ob 42/02h ua; näheres zur Berechnung insbesondere bei - wie hier - überdurchschnittlichem Einkommen des Geldunterhaltspflichtigen siehe 4 Ob 52/02d).

Dem Revisionsrekurs war Folge zu geben.