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OGH vom 22.03.2016, 11Os18/16f

OGH vom 22.03.2016, 11Os18/16f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Margreiter, LL.B., als Schriftführerin in der Strafsache gegen Josef S***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1, Abs 4 erster Fall StGB, AZ 16 U 6/14k des Bezirksgerichts Hallein, über die von der Generalprokuratur gegen Vorgänge im Berufungsverfahren erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, des Verteidigers Dr. Unger und des Privatbeteiligtenvertreter Dr. Lorber zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 16 U 6/14k des Bezirksgerichts Hallein verletzen das Unterbleiben der Ladung des Angeklagten zur öffentlichen Berufungsverhandlung, deren Durchführung und die Entscheidung über die Berufung in Abwesenheit des Angeklagten § 471 iVm § 294 Abs 5 zweiter Satz StPO.

Das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom , AZ 43 Bl 20/15a (ON 30 der U Akten), wird aufgehoben und dem Landesgericht Salzburg die neue Entscheidung über die Berufung des Angeklagten aufgetragen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Bezirksgerichts Hallein vom , GZ 16 U 6/14k 22, wurde Josef S***** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB schuldig erkannt, zu einer Geldstrafe verurteilt und zur Zahlung eines Geldbetrags an den Privatbeteiligten verpflichtet.

Zur Entscheidung über die dagegen gemäß § 464 Z 1, 2 und Z 3 StPO ergriffene Berufung (ON 25) wurde vom Landesgericht Salzburg als Berufungsgericht ein Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung angeordnet und dazu der Verteidiger und der Privatbeteiligtenvertreter, nicht aber der Angeklagte vorgeladen (Verfügung vom im Akt AZ 43 Bl 20/15a des Landesgerichts Salzburg).

In der am im Beisein des Verteidigers, des Privatbeteiligtenvertreters und der Vertreterin der Staatsanwaltschaft durchgeführten Berufungsverhandlung (vgl dazu das in Bezug auf die Anwesenheit berichtigte Protokoll über die Berufungsverhandlung im Akt AZ 43 Bl 20/15a des Landesgerichts Salzburg) verkündete der Vorsitzende nach Wiederholung des Beweisverfahrens durch einverständliche Verlesung des Abschlussberichts (ON 2) und des Protokolls über die Hauptverhandlung (ON 20) folgendes Urteil:

„I. In amtswegiger Wahrnehmung des Nichtigkeitsgrundes des § 468 Abs 1 Z 4 iVm § 290 Abs 1 und § 471 StPO wird das angefochtene Urteil aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Josef S***** ist schuldig, er hat am in B***** als Pkw Lenker dadurch, dass er von der St. Kolomaner Landstraße kommend nach links in die bevorrangte B159 abbog, dabei den herannahenden Motorradfahrer Manfred L***** übersah und mit diesem zusammenstieß, wobei Manfred L***** Brüche am rechten Bein, eine knöcherne Verletzung im Lendenwirbelbereich und Abschürfungen sowie eine Quetschwunde an der rechten Ferse, somit eine an sich schwere Verletzung erlitt, den Genannten fahrlässig am Körper verletzt.

II. Der Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe sowie des Ausspruchs über die Schuld und der privatrechtlichen Ansprüche wird nicht Folge gegeben.

II. (sic) Der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wird teilweise Folge gegeben und das Urteil in seinem Strafausspruch dahin abgeändert, dass die Anzahl der Tagsätze (sic) auf 30 Tage (sic) herabgesetzt wird, demgemäß beträgt die Dauer der Ersatzfreiheitsstrafe 15 Tage.

III. Im Übrigen wird der Berufung nicht Folge gegeben.

IV. Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.“

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, steht die Vorgangsweise des Berufungsgerichts mit dem Gesetz nicht in Einklang.

Nach § 471 iVm § 294 Abs 5 zweiter Satz StPO gilt § 286 StPO im Verfahren über Berufungen gegen Urteile des Bezirksgerichts mit der Maßgabe, dass ein wie hier nicht verhafteter Angeklagter stets (also unabhängig vom Einschreiten eines Verteidigers) vorzuladen ist (vgl Ratz , WK StPO § 294 Rz 14).

Dieser Verfahrensvorschrift wurde vom Berufungsgericht nicht entsprochen. Damit wurde dem Angeklagten sowohl das Recht auf Teilnahme an der Berufungsverhandlung als auch die Möglichkeit zur letzten Äußerung anstelle seines Verteidigers (§ 473 Abs 4 StPO) genommen.

Da ein aus der aufgezeigten Gesetzesverletzung resultierender Nachteil für den Angeklagten (gerade mit Blick auf die Wiederholung des Beweisverfahrens), nicht ausgeschlossen werden kann, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

Die dem Urteil des Landesgerichts Salzburg selbst anhaftenden Gesetzesverstöße wurden von der Generalprokuratur nicht aufgegriffen.

Bloß hinzugefügt sei daher, dass der nicht an § 260 Abs 1 Z 2 und Z 3 StPO orientierte Urteilstenor nicht den Mindestanforderungen an ein verurteilendes Erkenntnis entspricht. Vom Berufungsgericht wurde sichtlich verkannt, dass es nach Kassation des Ersturteils im Rahmen der reformatorischen Entscheidung (§ 476 StPO) derartige Aussprüche eigenständig zu treffen gehabt hätte.

Mit Blick auf die unter dem Aspekt der amtswegigen Maßnahme („§ 468 Abs 1 Z 4 iVm § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO“) angeführten „Bedenken zu den Feststellungen zur Sorgfaltswidrigkeit und zur objektiven Vorhersehbarkeit“, denen Rechnung zu tragen sei (ON 30 S 3 f), sei klargestellt:

Bei dem unter dem Gesichtspunkt materieller Nichtigkeit (Z 9 und Z 10 des § 281 Abs 1 StPO) anzustellenden Vergleich der festgestellten Tatsachen mit dem darauf angewendeten Gesetz ist auf einwandfreies Zustandekommen und einwandfreie Darstellung von Feststellungen nicht einzugehen (vgl dazu und zur Änderung getroffener Feststellungen in Erledigung einer Schuldberufung Ratz , WK StPO § 473 Rz 11, 14 f).

Vom Berufungsgericht wurde überdies verkannt, dass der Berufung des Angeklagten durch die amtswegige Kassation des Urteils der Bezugspunkt entzogen war.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0110OS00018.16F.0322.000