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OGH vom 14.11.1995, 10Obs209/95

OGH vom 14.11.1995, 10Obs209/95

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Mag.Dr.Friedrich Hötzl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Rudolf Schleifer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Tanjic F*****, Zimmermann, ***** vertreten durch Dr.Johann Zivic, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, wegen Versehrtenrente infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Rs 68/95-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 25 Cgs 86/94h-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte hat dem Kläger binnen vierzehn Tagen die einschließlich 338,24 S Umsatzsteuer mit 2.029,44 S bestimmten halben Kosten der Revision zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am geborene Kläger ist Staatsangehöriger der Republik Bosnien-Herzegowina; sein Heimatort liegt bei Brcko in Nordbosnien. Der Kläger hielt sich erstmals im Jahr 1990 in Wien auf und wurde hier am zum ersten Mal polizeilich gemeldet. Sein erstes Arbeitsverhältnis in Österreich dauerte von Juni 1991 bis März 1992. Vom 27.3. bis hielt er sich in seinem Heimatort auf und begann, das Fundament eines Hauses zu errichten. Am war er bei einer österreichischen Baufirma als Zimmerer auf einer Wiener Baustelle beschäftigt. Er bewohnte in erster Linie eine Firmenunterkunft. Dort teilte er ein Zimmer mit einem Arbeitskollegen und konnte eine Gemeinschaftsküche mitbenützen. Er besaß aber auch ab Juni 1992 eine Wohnung in Wien. Diese bestand aus Zimmer, Kabinett, Kochnische, Bad, WC und Gang. Sie wurde hauptsächlich von einer Schwester und einer Cousine des Klägers und deren Mann bewohnt. Der Kläger wohnte dort eher selten, weil die Firmenunterkunft damals näher bei seiner Arbeitsstätte lag. Er besuchte seinen Heimatort etwa alle zwei Wochen, wenn er nach einer von Montag bis Donnerstag dauernden "kurzen Woche" ein langes Wochenende frei hatte. Obwohl sein Heimatort von Wien nur ca 670 km entfernt ist, mußte der Kläger wegen der Kriegswirren einen Umweg wählen; deshalb betrug eine Fahrstrecke etwa 1200 km. Daheim besuchte der ledige und kinderlose Kläger nur seine damals noch dort wohnende Mutter. Er wusch dort seine Wäsche und bewahrte seine persönlichen Urkunden auf. Die Mutter kam ab Mai 1992 alle drei Monate nach Österreich und blieb Ende Febaruar 1993 wegen des Krieges in ihrer Heimat in Wien. Am , einem Freitag, wurde die Arbeit auf der Baustelle des Klägers wegen Schlechtwetters bereits um 10.00 Uhr vorzeitig eingestellt. Der Kläger fuhr mit dem Pkw in Richtung Bosnien. Gegen 15.25 Uhr erlitt er in der Nähe von Laibach einen Verkehrsunfall, bei dem er sich einen offenen Trümmerbruch des rechten Beines zuzog.

Mit Bescheid vom lehnte die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Entschädigung aus Anlaß des Unfalles vom ab. Es handle sich um keinen Arbeitsunfall im Sinne des § 175 Abs 2 Z 1

ASVG.

Das Erstgericht wies das auf eine Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß gerichtete Klagebegehren ab. Die Voraussetzungen der zit Gesetzesstelle lägen nicht vor, weil der Kläger seinen ständigen Aufenthaltsort zur Unfallszeit nicht in Bosnien sondern in Österreich gehabt habe. Der Unfall sei auch nicht nach Art 24a des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit (AbkSozSi-Jugoslawien) zu entschädigen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge, weil es die Rechtsansicht des Erstgerichtes teilte.

In der Revision macht der Kläger unrichtige rechtliche Beurteilung (der Sache) geltend; er beantragt, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinne abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Das nicht beantwortete Rechtsmittel ist gemäß § 46 Abs 3 Z 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 dieser Gesetzesstelle zulässig; es ist jedoch nicht berechtigt.

Der Revisionswerber bestreitet nicht, daß der Unfall vom nur dann ein Arbeitsunfall gemäß § 175 Abs 2 Z 1 ASVG wäre, wenn sein Heimatort damals sein "ständiger Aufenthaltsort" gewesen wäre. Er vermeint jedoch, das Berufungsgericht hätte diese Voraussetzungen unrichtigerweise verneint. Davon kann jedoch keine Rede sein:

Der Begriff des "ständigen Aufenthaltes" geht jedenfalls über den zB im § 67 JN gebrauchten Begriff des "jeweiligen Aufenthaltes", aber auch über den zB im § 66 Abs 2 JN umschriebenen und in den §§ 4 (Abs 1) und 7 ASGG verwendeten Begriff des "gewöhnlichen Aufenthaltes" hinaus (Mayr in Rechberger, ZPO § 66 Rz 3). Er unterscheidet sich vom Begriff des "Wohnsitzes", der "an dem Ort begründet ist, an welchem sich eine Person in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, daselbst ihren bleibenden Aufenthalt zu nehmen" (§ 66 Abs 1 JN), nur durch die fehlende Absicht, den faktischen dauernden Aufenthalt aufrechtzuerhalten (vgl Fasching, Komm I 373; ders, ZPR2 Rz 273f; Kuderna, ASGG § 4 Erl 5). Der Aufenthalt einer Person bestimmt sich nämlich ausschließlich nach tatsächlichen Umständen. Bei der Beurteilung, ob er (zumindest) als "gewöhnlicher Aufenthalt" anzusehen ist, sind seine Dauer und seine Beständigkeit sowie andere Umstände persönlicher oder beruflicher Art zu berücksichtigen, die dauerhafte Beziehungen zwischen einer Person und ihrem Aufenthalt anzeigen (§ 66 Abs 2 JN). Er wird also durch die körperliche Anwesenheit, nicht durch ein Willenselement bestimmt und setzt dauerhafte, nicht nur vorübergehende Beziehungen zwischen einer Person und ihrem Aufenthaltsort voraus, die sich in einer bestimmten längeren Dauer und Beständigkeit des Aufenthaltes äußern und auf objektiv überprüfbare Umstände persönlicher oder beruflicher Art gründen, zB der krankheitsbedingte Aufenthalt in Dauerabteilungen von Krankenanstalten oder Altersheimen, die Anhaltung in Strafvollzugsanstalten, ein entfernt gelegener Arbeitsplatz bei langer Zeit der Beschäftigung ua (Fasching, ZPR2 Rz 274; Kuderna aaO Erl 6). Letzterer bringt als Beispiel, daß ein Arbeitnehmer etwa seinen Wohnsitz im Ort A haben kann, weil er dort mit seiner Familie wohnt, seine Kinder zur Schule gehen, seine gesellschaftlichen Kontakte bestehen, sein Kraftfahrzeug angemeldet ist, weil er und seine Familie dort die kommunalen Dienste und Einrichtungen in Anspruch nehmen, kurz, weil er diesen Ort in der erweislichen Absicht, dort seinen bleibenden Aufenthalt zu nehmen, zum Mittelpunkt seiner Lebensführung gemacht hat. Derselbe Arbeitnehmer kann aber gleichzeitig beruflich im Ort B tätig sein und sich dort aus diesem Grund während einer längeren Zeit überwiegend aufhalten. Er hat dann seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Ort B, seinen Wohnsitz aber im Ort A. Fasching führt noch aus (Komm I 374), für den dauernden Aufenthalt werde nicht gefordert, daß er ein immerwährender sei. Entscheidend sei nur, daß der Aufenthaltsort bewußt zum wirtschaftlichen und faktischen Mittelpunkt gemacht werde, auch wenn von vornherein klar sei, daß dieser Aufenthalt über eine bestimmte oder unbestimmte Dauer hinaus nicht erstreckt werde. Als wesentlich müsse aber die Einrichtung des Aufenthaltes über eine Provisorialmaßnahme hinaus angesehen werden.

Anders als die vergleichbare Bestimmung des § 550 Abs 3 RVO gebraucht § 175 Abs 2 Z 1 ASVG nicht den Begriff der "ständigen Familienwohnung", sondern den des "ständigen Aufenthaltsortes". Das österreichische Recht stellt daher nicht auf die ständige Wohnung der Familie, sondern auf den ständigen Aufenthaltsort des Versicherten ab. Die ständige Wohnung der Familie des Versicherten wird also nur dann auch dessen ständiger Aufenthaltsort sein, wenn sich auch der Versicherte dort tatsächlich ständig aufhält. Daß dort der Ehepartner, die Eltern oder Schwiegereltern und Kinder des Versicherten leben, macht einen solchen Ort für sich allein noch nicht zu dessen ständigem Aufenthaltsort. Es kommt vielmehr darauf an, ob dieser Ort der Mittelpunkt der Lebensführung des Versicherten ist (so auch zB SSV-NF 2/23 und 38, , 10 Ob S 83/88; , 10 Ob S 153/88; SSV-NF 6/144 und 7/36).

Bei Berücksichtigung dieser von der Lehre geteilten (Tomandl in Tomandl, SV-System 7. ErgLfg 296) Grundsätze kann keine Rede davon sein, daß der nur nach einer rund 1200 km langen Fahrt zu erreichende bosnische Heimatort des Klägers während der Zeit seines Arbeitsverhältnisses in Österreich ab sein "ständiger Aufenthaltsort" war. Dieser war damals Wien. Dort war der Kläger zur damaligen Zeit nicht nur beschäftigt, sondern verfügte auch über eine auch von Verwandten, darunter zeitweise auch seiner Mutter, mitbewohnte Wohnung sowie über eine Firmenunterkunft. Wien war ab der Ort, in dem er größtenteils lebte und seine Arbeits- und Freizeit verbrachte. Daß er an zwei Wochenenden pro Monat in seinen bosnischen Heimatort fuhr, änderte nichts daran, daß dieser Ort damals nicht einmal sein gewöhnlicher, geschweige denn sein ständiger Aufenthaltsort war. Er war nicht der Mittelpunkt seines Lebens, sondern der Ort, an dem er sich nur an zwei Wochenenden pro Monat - und damit bloß vorübergehend - bei seiner Mutter aufhielt.

Der strittige Unfall ereignete sich daher nicht auf einem mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung zusammenhängenden Weg von der Arbeitsstätte zum ständigen Aufenthaltsort und ist daher kein Arbeitsunfall im Sinne des § 175 Abs 2 Z 1 ASVG.

Der Unfall wäre aber vom beklagten Versicherungsträger auch nicht gemäß Art 24 a (letzter Halbsatz) AbkSozSi-Jugoslawien nach den Rechtsvorschriften über die Unfallversicherung zu entschädigen. Selbst bei Anwendbarkeit dieses Abkommens wäre die Beklagte dazu nur dann verpflichtet, wenn der Kläger den Unfall bei der Rückkehr in den Heimatstaat unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsvertrages, auf Grund dessen er sich nach Österreich begeben hatte, erlitten hätte. Das ist aber nicht der Fall. Die in der Revision vertretene Rechtsansicht, die zit Bestimmung wäre auch anzuwenden, wenn sich der Unfall bei der Rückreise in den Heimatstaat während des aufrechten Arbeitsverhältnisses ereignet hat, widerspricht nicht nur dem eindeutigen Wortlaut, sondern auch dem Zweck dieser Norm. Sie sollte lediglich sicherstellen, daß der (frühere) Dienstnehmer, der unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsvertrages ohne Unterbrechung und auf dem kürzesten Weg in seinen Heimatstaat zurückkehrt und dabei einen Unfall erleidet, vom Versicherungsträger des anderen Vertragsstaates entschädigt wird.

Nach § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG ist dem auch im Revisionsverfahren gänzlich unterlegenen Kläger unter Bedachtnahme auf die rechtlichen Schwierigkeiten des Verfahrens und auf seine Einkommensverhältnisse ein Anspruch auf Ersatz der halben Revisionskosten zuzubilligen.