OGH vom 07.06.2006, 9ObA13/06m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Peter Ammer und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Stanislav K*****, Arbeiter, *****, vertreten durch Dr. Evamaria Sluka-Grabner, Rechtsanwältin in Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei Hermine S***** GesmbH, *****, vertreten durch Mag. Rainer Rienmüller, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 3.609,94 brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Ra 70/05p-13, mit dem das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 3 Cga 205/04k-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 333,12 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin EUR 55,52 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war bei der Beklagten von bis als Zimmerer beschäftigt. Am erlitt er einen Arbeitsunfall. Wegen der dabei erlittenen Verletzungen war er bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durchgehend im Krankenstand. Das Arbeitsverhältnis endete durch den krankheitsbedingten Austritt des Klägers.
Von 27. Jänner bis zahlte die Beklagte dem Kläger das Entgelt fort.
Der Kläger begehrt von der Beklagten EUR 3.609,94 brutto an Entgeltfortzahlung für den Zeitraum von 10. Juli bis .
Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Der Kläger habe für den in § 2 Abs 5 EFZG normierten Zeitraum von acht Wochen Entgeltfortzahlung erhalten; dadurch, dass während seiner durch den Arbeitsunfall bewirkten Arbeitsverhinderung ein neues Arbeitsjahr begonnen habe, sei kein neuer Anspruch entstanden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Regelung über die Dauer der Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfällen beziehe sich auf den jeweiligen Anlassfall, nicht aber auf das Arbeitsjahr. Mit dem Beginn eines neuen Arbeitsjahres sei daher kein neuerlicher Anspruch auf Entgeltfortzahlung entstanden.
Mit dem angefochtenen Urteil änderte das Berufungsgericht diese Entscheidung im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Nach § 2 Abs 5 Satz 1 EFZG behalte ein Arbeitnehmer, der durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit an der Leistung seiner Arbeit verhindert wird, ohne dass er die Verhinderung vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat, seinen Anspruch auf das Entgelt ohne Rücksicht auf andere Zeiten einer Arbeitsverhinderung bis zur Dauer von 8 Wochen. Nach § 2 Abs 5 Satz 3 EFZG besteht bei wiederholten Arbeitsverhinderungen, die im unmittelbaren ursächlichen Zusammenhang mit einem Arbeitsunfall (einer Berufskrankheit) stehen, ein Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts innerhalb eines Arbeitsjahres nur insoweit, als die Dauer des Anspruchs nach dem ersten oder zweiten Satz noch nicht erschöpft ist. Während das Gesetz (§ 2 Abs 1 und 4 EFZG) im Fall der Krankheit (des Unglücksfalls) primär eine auf das Arbeitsjahr bezogene Regelung der Entgeltfortzahlung treffe, entstehe der Anspruch im Fall von Arbeitsunfällen (Berufskrankheiten) somit anlassfallbezogen.
§ 2 Abs 5 EFZG, nach dem Arbeitsverhinderungen, die auf denselben Arbeitsunfall (dieselbe Berufskrankheit) zurückgehen, im Hinblick auf die gesetzliche Höchstdauer innerhalb eines Arbeitsjahres zusammenzurechnen sind, könne zu einer Erweiterung des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung über die gesetzliche Höchstdauer hinaus führen. Es könne nicht zweifelhaft sein, dass auch Arbeitsverhinderungen, die mit dem Anlassfall ursächlich verknüpft sind, aber erst in einem auf diesen folgenden Arbeitsjahr (neu) eintreten, einen Entgeltfortzahlungsanspruch auslösen. Für diese Arbeitsverhinderungen müsse dann ein neues (Jahres-)Anspruchskontingent zur Verfügung stehen. In dieser Rechtsfolge unterscheide sich § 2 Abs 5 dritter Satz EFZG von § 2 Abs 4 EFZG nicht. Unterschiedlich sei lediglich, dass bei Krankheiten (Unglücksfällen) auf das Arbeitsjahr abgestellt werde, bei Arbeitsunfällen (Berufskrankheiten) hingegen auf den Anlassfall und das Arbeitsjahr.
Zu § 2 Abs 1 und 4 EFZG vertrete der Oberste Gerichtshof in 8 ObA 163/98y und in 9 ObA 144/03y - unter Abkehr von anders lautenden früheren Entscheidungen - die Auffassung, dass das Gesetz die Dauer der Zahlungspflicht des Arbeitgebers nur innerhalb des Arbeitsjahrs beschränke, sodass dem Arbeitgeber bei fortdauernder ununterbrochener krankheitsbedingter Arbeitsverhinderung mit dem Beginn des neuen Arbeitsjahres ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch für die gesamte gesetzlich vorgesehene Höchstdauer zustehe, und zwar unabhängig davon, ob zu Beginn oder im Laufe des Arbeitsjahres ein Entgelt- oder ein Entgeltfortzahlungsanspruch bestanden hat.
Nichts anderes könne für Entgeltfortzahlungsansprüche nach Arbeitsunfällen (Berufskrankheiten) gelten, soweit auch auf diese die Arbeitsjahrregel anzuwenden sei. Ein Abgehen von den Grundsätzen der Judikatur zu § 2 Abs 4 EFZG sei weder nach dem Wortlaut des § 2 Abs 5 dritter Satz EFZG, noch nach dessen Regelungszusammenhang oder nach den Gesetzesmaterialien geboten. Schließlich könne ein infolge eines Arbeitsunfalles dienstverhinderter Arbeitnehmer, dessen Entgeltfortzahlungsanspruch bereits im ersten Jahr erschöpft ist, bei Andauern des Krankenstandes bis ins nächste Arbeitsjahr nicht schlechter gestellt werden, als ein Arbeitnehmer, der in gleicher Weise Krankenstand in Anspruch nimmt, sich aber in seiner Freizeit, etwa bei der Ausübung eines gefahrenträchtigen Hobbys, verletzt hat. Zur Vermeidung derartiger Wertungswidersprüche seien daher die vom Obersten Gerichtshof zu § 2 Abs 1 und 4 EFZG angestellten Überlegungen auch für § 2 Abs 5 dritter Satz EFZG zu übernehmen. Dem Kläger sei daher beizupflichten, dass auch bei ununterbrochener Fortdauer einer arbeitsunfallbedingten Arbeitsverhinderung mit Beginn des nächsten Arbeitsjahres ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entstehe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten. Der Kläger beantragt, die Revision als verspätet zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist rechtzeitig. Entgegen der Meinung des Klägers wurde sie am letzten Tag der Revisionsfrist zur Post gegeben. Die Revision ist aber nicht berechtigt.
Die oben wiedergegebene Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes ist zutreffend, sodass es ausreicht, auf die Richtigkeit der ausführlichen Begründung der angefochtenen Entscheidung zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO). Ergänzend ist den Revisionsausführungen entgegen zu halten:
Dass die Regelung des § 2 Abs 1 und 4 EFZG Unterschiede gegenüber jener des § 2 Abs 5 EFZG aufweist, hat das Berufungsgericht ohnedies erkannt. Umstände, die es verbieten würden, die hier maßgebenden Überlegungen der Rechtsprechung zu § 2 Abs 1 und 4 EFZG auf § 2 Abs 5 EFZG zu übertragen, vermag die Revisionswerberin jedoch nicht aufzuzeigen. Die in § 2 Abs 5 EFZG verwendete Formulierung „wiederholte Arbeitsverhinderung" steht der Richtigkeit der Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes jedenfalls nicht entgegen, weil sich diese Formulierung auch in § 2 Abs 4 EFZG findet und auch dort - wie schon das Berufungsgericht gezeigt hat - dem Ergebnis, dass bei fortdauernder Dienstverhinderung mit dem Beginn des neuen Arbeitsjahres ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht, nicht entgegensteht.
Dass die Regelung der Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfall oder Berufskrankheit für den Arbeitnehmer die in der Revision aufgezeigten Vorteile gegenüber der Regelung für Krankheit oder Unglücksfall aufweist, trifft zu. Gerade die daraus ersichtliche Absicht des Gesetzgebers, dem von einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit betroffenen Arbeitnehmer gegenüber der Regelung der Arbeitsverhinderung durch Krankheit oder Unglücksfall Vorteile zu verschaffen, macht es notwendig, die zu § 2 Abs 4 EFZG angestellten Überlegungen auch auf § 2 Abs 5 dritter Satz EFZG zu übertragen, weil nur so die vom Berufungsgericht aufgezeigten Wertungswidersprüche vermieden werden können.
Der Oberste Gerichtshof billigt daher die Auffassung der zweiten Instanz, dass auch bei einer ununterbrochenen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers wegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit mit dem Beginn eines neuen Arbeitsjahres jedenfalls ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.