OGH vom 24.06.2020, 10ObS20/20v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei I*****, vertreten durch Mag. Petra Laback, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Rs 70/19s-22, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 32 Cgs 124/17k-16, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
I. Die Bezeichnung der beklagten Partei wird auf Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, berichtigt.
II. Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 626,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Die Bezeichnung der Beklagten war gemäß § 23 Abs 1 und § 538t Abs 1 ASVG von Amts wegen auf Österreichische Gesundheitskasse zu berichtigen.
II. Die Klägerin ist montenegrinische Staatsangehörige und seit dem beim Internationalen Zentrum für Migrationspolitikentwicklung (im Folgenden als „ICMPD“ bezeichnet) mit Sitz in Wien beschäftigt. Am heiratete sie, damals in Montenegro lebend, einen österreichischen Staatsbürger mit Wohnort in Wien. Seit der Heirat hielt sie sich in Wien und Spanien auf. Die gemeinsame Tochter, für die der Vater die Familienbeihilfe bezieht, wurde am in Wien geboren. Im Jahr 2016 hielt sich die Klägerin jedenfalls hauptsächlich in Wien auf. Ab Februar 2017 besuchte das Kind einen Kindergarten in Wien. Die Klägerin erhielt vom ICMPD für die Zeit von 15. 3. bis Wochengeld.
Sie beantragte am Kinderbetreuungsgeld in der Variante 12+2 in Höhe von 33 EUR täglich ab der Geburt ihrer Tochter für die höchstmögliche Bezugsdauer.
Die Wiener Gebietskrankenkasse lehnte mit Bescheid vom diesen Antrag mit der Begründung ab, die Klägerin sei nach Art 14 Abs 2 des Amtssitzabkommens zwischen der Republik Österreich und dem ICMPD von Leistungen aus dem Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen ausgeschlossen.
Die Klägerin berief sich – soweit noch relevant – darauf, dass sie ihren ständigen Wohnsitz seit 2009 in Österreich habe und damit nicht von der Ausschlussbestimmung des Amtssitzabkommens erfasst werde.
Die Beklagte wendete ein, der Ausschluss von Leistungen aus dem Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen sei im Fall der Klägerin nur dann nicht anzuwenden, wenn diese seit der Aufnahme ihrer Beschäftigung beim ICMPD ihren ständigen Wohnsitz in Österreich gehabt hätte. Das sei nicht der Fall gewesen.
Im Revisionsverfahren ist strittig, ab welchem Zeitpunkt und über welchen Zeitraum ein „ständiger Wohnsitz in Österreich“ im Sinn des Art 14 Abs 2 des Amtssitzabkommens vorliegen muss, um Angestellte des ICMPD nicht vom Bezug von Leistungen aus dem Ausgleichsfonds für Familienbeihilfe und damit vom Kinderbetreuungsgeld auszuschließen.
Das Erstgericht sprach der Klägerin Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 33 EUR täglich für den Zeitraum von bis zu und wies implizit das Begehren von 24. 3. bis (wegen Ruhens des Anspruchs) ab. Die Klägerin müsse entgegen der Rechtsansicht der Beklagten nicht schon seit Beginn ihrer Tätigkeit für das ICMPD ihren ständigen Wohnsitz in Österreich haben. Maßgeblich sei ein ständiger, nicht nur vorübergehend rein zu Zwecken der Leistungserwirkung begründeter Wohnsitz in Österreich im Zeitpunkt des Leistungsanspruchs. Die Klägerin habe sich im Jahr 2016 überwiegend in Österreich aufgehalten.
Das Berufungsgericht gab der gegen den Zuspruch von Kinderbetreuungsgeld gerichteten Berufung der Wiener Gebietskrankenkasse nicht Folge. Anders als Art 18 des Amtssitzabkommens, der bestimmte Einschränkungen der (Steuer)Privilegien und Immunitäten für „österreichische Staatsangehörige und Personen, die zum Zeitpunkt ihres Dienstantritts ihren ständigen Wohnsitz in Österreich hätten“, vorsehe, gehe Art 14 Abs 2 nicht von der österreichischen Staatsbürgerschaft oder dem ständigen Wohnsitz in Österreich bereits seit Dienstantritt aus, sondern beziehe sich ausdrücklich auf die mögliche Inanspruchnahme von Leistungen aus dem Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen. Art 14 Abs 2 des Abkommens beziehe sich nach seinem Wortlaut und seinem Zweck auf den Zeitpunkt bzw den Zeitraum der (möglichen) Inanspruchnahme der Familienbeihilfeleistung. Damit könnten zwar alle Angestellten des ICMPD mit ständigem Wohnsitz in Österreich Familienbeihilfeleistungen neben ihrer Steuerbefreiung in Anspruch nehmen. Dies sei eine Besserstellung im Vergleich zu den nichtösterreichischen Angestellten der Vereinten Nationen, der UNIDO oder der IAEO. Offensichtlich sei diese Privilegierung jedoch Wille der Vertragsparteien des Amtssitzabkommens und des ratifizierenden Gesetzgebers gewesen. Das Erstgericht habe daher zutreffend auf den ständigen Wohnsitz der Klägerin in Österreich ab dem Jahr 2016 abgestellt. Die Revision sei zur Auslegung der Ausschlussbestimmung des Art 14 Abs 2 im Amtssitzabkommen zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Die beantwortetete – Revision der beklagten Österreichischen Gesundheitskasse ist zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Nach § 2 Abs 1 Z 1 KBGG hat ein Elternteil Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für sein Kind, wenn für dieses ein Anspruch auf Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) besteht und Familienbeihilfe für dieses Kind tatsächlich bezogen wird. Der Kinderbetreuungsgeldanspruch knüpft somit an den Familienbeihilfeanspruch nach dem FLAG an. Der Anspruch der Klägerin auf die (vom Vater tatsächlich bezogene) Familienbeihilfe setzt nach § 2 Abs 1 FLAG voraus, dass sie im Bundesgebiet ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat.
2.1 Zur Beurteilung des Anspruchs der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld sind aber nicht nur die Normen des KBGG und damit jene des FLAG heranzuziehen. Zu prüfen ist zunächst, ob folgende Klausel des Art 14 Abs 2 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und dem ICMPD über den Amtssitz des Internationalen Zentrums für Migrationspolitikentwicklung, BGBl III 2000/145, anzuwenden ist:
„Die Angestellten des Zentrums sowie deren im gemeinsamen Haushalt lebende Familienmitglieder, auf die sich das Abkommen bezieht, sind von den Leistungen aus dem Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen oder einer Einrichtung mit gleichartigen Funktionen ausgeschlossen, sofern diese Personen weder österreichische Staatsbürger sind noch ihren ständigen Wohnsitz in Österreich haben.“
2.2 Derartige – in Amtssitzabkommen zwischen Österreich und internationalen Organisationen geregelte – Ausschlussbestimmungen genießen Anwendungsvorrang gegenüber den Bestimmungen des KBGG über die Gewährung von Kinderbetreuungsgeld an Drittstaatsangehörige. Davon erfasste Personen haben keinen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld (10 ObS 40/14a SSVNF 28/24 [UNAmtssitzabkommen]; 10 ObS 63/19s und 10 ObS 170/13t SSVNF 28/2 [IAEOAbkommen]; 10 ObS 5/19m [UNIDOAmtssitzabkommen] je mwN; RISJustiz RS0124615 [T2]; RS0124617 [T2]).
2.3 Die Klägerin ist als Angestellte des ICMPD von der Ausschlussklausel in Art 14 Abs 2 des Amtssitzabkommens nicht erfasst, wenn sie ihren ständigen Wohnsitz („permanent residence“) in Österreich hat. Strittig ist vorerst die Auslegung des Begriffs „ständiger Wohnsitz“.
3. Ein internationaler Vertrag (Abkommen) ist nach Art 31 Abs 1 des Wiener Abkommens über das Recht der Verträge (WVK), BGBl 1980/40, nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Licht seines Ziels und Zwecks auszulegen. Ausgangspunkt der Interpretation ist die gewöhnliche Bedeutung (ähnlich einer Wortinterpretation im Sinn der österreichischen Terminologie) in ihrem Zusammenhang (vgl Reinisch/Fink/Stifter, Österreichisches Handbuch des Völkerrechts [2013] Rz 323). Der Bezug auf Ziel und Zweck verweist auf die teleologische Komponente der Interpretation. In Zweifelsfällen sind Vertragsbestimmungen so auszulegen, dass der Vertragszweck erreicht wird (effet utile), allerdings nur so weit, als dadurch der durch den Vertragstext vorgegebene Rahmen nicht verlassen wird (Reinisch/Fink/Stifter, Handbuch Rz 330 f).
4.1 Art 18 des Amtssitzabkommens enthält unter dem Titel „Österreichische Staatsangehörige und Personen mit ständigem Wohnsitz in der Republik Österreich“ folgende Regelung:
„Österreichische Staatsangehörige und Personen, die zum Zeitpunkt ihres Dienstantritts ihren ständigen Wohnsitz in Österreich haben, genießen nur die in den Art 12, Art 14 (1) (a), (b) mit den darin vorgesehenen Einschränkungen, (c) und (d) und Art 16 (1) (a), (b) und (c) angeführten Privilegien und Immunitäten.“
4.2 Diese Beschränkung von österreichischen Staatsbürgern oder Personen mit ständigem Wohnsitz in Österreich zum Zeitpunkt des Dienstantritts auf bestimmte Privilegien und Immunitäten – wie insbesondere die Befreiung von jeglicher Gerichtsbarkeit in Bezug auf dienstlich getätigte Äußerungen und Handlungen, Schutz vor Beschlagnahme und Untersuchung des Gepäcks, Unverletzlichkeit aller amtlichen Schriftstücke etc, die Steuerbefreiung bezüglich des vom ICMPD ausgezahlten Gehalts und Ruhegenusses (Art 14 Abs 1 lit a–g) und die Befreiung von Sozialversicherungsbeiträgen (Art 12 Abs 1) – erklären die Gesetzesmaterialien mit dem verminderten Schutzbedürfnis des von Art 18 des Amtssitzabkommens erfassten Personenkreises (ErläutRV 56 BlgNR 21. GP 20).
4.3 Art 14 Abs 2 des Abkommens fordert nach seinem Wortlaut im Gegensatz zu Art 18 nicht, dass der ständige Wohnsitz in Österreich bereits zum Zeitpunkt des Dienstantritts vorliegen muss. Das Abkommen selbst enthält keine ausdrückliche Legaldefinition des Begriffs „ständiger Wohnsitz“. Dieser wird im Zusammenhang mit unterschiedlichen Regelungsinhalten verwendet, einerseits als Ausnahme vom Ausschluss von Familienbeihilfeleistungen in Art 14 Abs 2 und andererseits mit der Einschränkung von Steuer- und Abgabenbefreiungen und sonstigen Privilegien der Angestellten des ICMPD in Art 18.
5.1 Nach Ansicht der Revisionswerberin ist der Begriff „ständiger Wohnsitz“ in Art 14 Abs 2 des Abkommens so auszulegen wie die „ständige Ansässigkeit“ im Sinn des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen (Wiener Diplomatenkonvention, WDK), BGBl 1966/66.
5.2 Die WDK gewährt Diplomaten (das sind nach der Legaldefinition in Art 1 lit e der Missionschef und die Mitglieder des diplomatischen Personals der Mission) in Art 29–36 umfangreiche Vorrechte und Immunitäten. Diese genießen nach Art 37 Abs 1 auch die zum Haushalt des Diplomaten gehörenden Familienmitglieder, wenn sie nicht Angehörige des Empfangsstaats sind. Art 37 WDK gewährt auch Mitgliedern des Verwaltungs und technischen Personals der Mission und ihren zu ihrem Haushalt gehörenden Familienmitglieder (Abs 2) sowie Mitgliedern des dienstlichen Hauspersonals der Mission (Abs 3) im Vergleich zu Diplomaten eingeschränkte Privilegien und Immunitäten, soferne diese Personen weder Angehörige des Empfangsstaats, noch in demselben ständig ansässig („permanently resident“) sind. Im Empfangsstaat ständig ansässige Personen genießen – anders als die von Art 18 des hier relevanten Abkommens erfassten Personen – insbesondere keine Steuerprivilegien.
5.3 Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (, 92/13/0153; , 89/13/0011) stellt im Zusammenhang mit der Befreiung von Einkommensteuern bei der Auslegung der „ständigen Ansässigkeit“ iSd Art 37 Abs 2 WDK auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Funktionsübernahme (des Dienstantritts) in Österreich ab. Danach reicht ein (auch mehrjähriger) Aufenthalt in Österreich während der Funktionsausübung für eine „ständige Ansässigkeit“ nicht aus. Anhaltspunkte für eine „ständige Ansässigkeit“ nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Funktionsübernahme können sich auch daraus ergeben, dass eine Person schon vor der Funktionsübernahme seit längerem in Österreich wohnte und sich daran mit der Funktionsübernahme nichts ändern sollte, oder sie zwar erst mit der Funktionsübernahme in Österreich wohnhaft wurde, nach den bei der Funktionsübernahme bestehenden Verhältnissen aber damit zu rechnen war, dass sie in Österreich nicht nur vorübergehend ansässig sein wird.
6.1 Die Frage, welche Privilegien und Immunitäten Diplomaten oder Angestellte einer internationalen Organisation mit Sitz in Österreich haben, wird erst mit Beginn der Funktionsübernahme oder dem Dienstantritt aktuell. Der Zweck der den Angestellten des ICMPD im Abkommen eingeräumten Privilegien und Immunitäten liegt nach dessen Art 19 Satz 2 darin, dem ICMPD die ungestörte Ausübung der amtlichen Tätigkeiten zu ermöglichen und die vollkommene Unabhängigkeit der Personen, denen sie eingeräumt werden, sicherzustellen.
6.2 Für den Bezug von Familienbeihilfeleistungen, der in Art 14 Abs 2 des Abkommens geregelt wird, hat diese Unabhängigkeit, wie sie etwa durch die Immunität gewährleistet werden soll, keine Bedeutung. Nach Sinn und Zweck der Ausschlussklausel kann nur der Beginn des Zeitraums relevant sein, ab dem Familienbeihilfeleistungen überhaupt beansprucht werden können. Dieser Zeitraum beginnt nicht jedenfalls mit dem Dienstantritt: Für Kinder, die erst nachher geboren werden, gibt es zum Zeitpunkt der Funktionsübernahme noch keine Familienbeihilfe. Eine Verlegung des (Familien-)Wohnsitzes als Lebensmittelpunkt in einen anderen Staat (beispielsweise den Herkunftsstaat), die nach Übernahme der Funktion während des Anspruchszeitraums erfolgt, schließt zufolge § 2 Abs 1 und 8 FLAG den Anspruch auf Familienbeihilfe aus. Es wäre sinnlos, Personen im Abkommen von der Ausschlussklausel zunächst auszunehmen, um sie dann an den in § 2 Abs 8 FLAG (siehe auch § 2 Abs 1 Z 4 KBGG) geregelten Voraussetzungen für den Bezug der Familienbeihilfe und des Kinderbetreuungsgeldes scheitern zu lassen.
7. Der Begriff „Personen, die ihren ständigen Wohnsitz in Österreich haben“ in Art 14 Abs 2 des ICMPDAmtssitzabkommens ist nicht iSd Art 18 dieses Abkommens auszulegen. Der ständige Wohnsitz muss daher nicht bereits zum Zeitpunkt des Dienstantritts vorliegen.
8.1 Nach dem österreichischen Begriffsverständnis setzt der Begriff des Wohnsitzes zwei Elemente voraus, die Tatsache des Aufenthalts an einem bestimmten Ort und die erweisliche oder aus den Umständen nach außen hervorgehende Absicht, dort einen bleibenden Aufenthalt zu nehmen (§ 66 Abs 1 JN;; 3 Ob 169/17z; RIS-Justiz RS0046600 [T3]). Mehrfachwohnsitze sind möglich, wenn die Absicht bestand, mehrere Orte zum jeweiligen Mittelpunkt der Lebensführung zu machen. Für die Begründung eines – zweiten – Wohnsitzes ist nicht allein die Dauer der Aufenthalte, sonder der Umstand, dass der Aufenthaltsort bewusst zum wirtschaftlichen, beruflichen und gesellschaftlichen Mittelpunkt gemacht wird, entscheidend (3 Ob 169/17z mwN; RS0046688 [T3]).
8.2 Nach § 2 Abs 1 FLAG haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz (oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt) haben, Anspruch auf Familienbeihilfe. Art 14 Abs 2 des Abkommens nimmt von der Ausschlussklausel – neben österreichischen Staatsbürgern – nur Personen mit ständigem Wohnsitz in Österreich aus, fordert nach seinem Wortlaut insofern also mehr als das FLAG oder andere Amtssitzabkommen, die im Zusammenhang mit der Ausnahme vom Ausschluss die Formulierung „Wohnsitz in der Republik Österreich“ genügen lassen (Art X Abschnitt 26 IAEOAbkommen; Art XII Abschnitt 39 lit b der UN- und UNIDOAbkommen). Im Gegensatz zu diesen Amtssitzabkommen werden in Art 14 Abs 2 des Abkommens jedoch nicht nur Staatenlose, sondern auch Drittstaatsangehörige österreichischen Staatsbürgern gleich gestellt.
8.3 Diese Gleichstellung spricht in Verbindung mit dem verwendeten Ausdruck „ständigen“ für eine Auslegung, nach der die Vertragsparteien der Ausnahmeregelung eine besondere Nahebeziehung zu Österreich (wie sie das nationale Recht in § 2 Abs 8 FLAG und § 2 Abs 1 Z 4 KBGG verankert) zugrunde legten.
8.4 Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat (§ 2 Abs 8 FLAG). Der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld setzt nach § 2 Abs 1 Z 4 KBGG voraus, dass der Elternteil und das Kind den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Bei verheirateten Personen, die einen gemeinsamen Haushalt führen, besteht die stärkste persönliche Beziehung in der Regel zum Ort, an dem sie und ihre Familie leben (10 ObS 180/19x). Angestellte und im gemeinsamen Haushalt lebende Familienmitglieder, die nicht österreichische Staatsbürger sind, sollen nach dem Zweck des Art 14 Abs 2 des Abkommens von Familienbeihilfeleistungen ausgeschlossen werden, wenn sie einen zusätzlichen Wohnsitz in einem anderen Staat haben, und zwischen zwei oder mehreren Staaten pendeln. In diesem Fall liegt kein ständiger Wohnsitz in Österreich iSd Art 14 Abs 2 des Abkommens vor. Dieses Ergebnis entspricht im Grundsatz der Auslegung des Begriffs „ständig ansässig“ oder „permanent resident“ iSd Art 37 Abs 2 WDK durch den Verwaltungsgerichtshof, mit der Einschränkung, dass der ständige Wohnsitz nicht schon zum Zeitpunkt des Dienstantritts vorliegen muss (siehe Punkt 7).
9.1 Nach den (teils dislozierten) Feststellungen der Vorinstanzen sind die Klägerin und ihr Mann, ein österreichischer Staatsbürger mit Wohnsitz in Österreich, seit Jahren Hauptmieter einer Wohnung in Wien (und dort seit hauptwohnsitzlich gemeldet). Die gemeinsame Tochter, eine österreichische Staatsbürgerin, wurde am in Österreich geboren und besucht seit Februar 2017 einen Kindergarten in Wien. Untersuchungen für den MutterKindPass wurden in Wien durchgeführt. Ausdrücklich festgestellt wurde der ständige (zu 95 %) Aufenthalt der Klägerin in Wien für das Jahr 2016. Der Vater bezieht die Familienbeihilfe für das Kind, was seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Wohnsitz in Österreich voraussetzt. Es steht fest, dass er schon 2009 zum Zeitpunkt der Heirat mit der Klägerin in Österreich wohnte.
9.2 Zu diesen Lebens und Wohnverhältnissen der Familie nimmt die Revisionswerberin überhaupt nicht Stellung. Sie behauptet insbesondere nicht, dass die Familie schon vor der Geburt der Tochter und danach während des Bezugszeitraums nicht im gemeinsamen Haushalt in Österreich lebte, oder dass die Klägerin und ihr Ehemann von vornherein beabsichtigten, nach Beendigung der Tätigkeit für das ICMPD den gemeinsamen Familienwohnsitz ins Ausland zu verlegen, oder (ab 2016) ein zusätzlicher Wohnsitz im Ausland bestand.
9.3 Die Klägerin erfüllt das Erfordernis des „ständigen Wohnsitzes“ in Österreich iSd Art 14 Abs 2 des Abkommens. Sie ist demnach nicht vom Bezug der Familienbeihilfe und damit des Kinderbetreuungsgeldes ausgeschlossen.
10. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:010OBS00020.20V.0624.000 |
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