zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 27.11.2014, 9ObA111/14k

OGH vom 27.11.2014, 9ObA111/14k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Dr. Peter Schnöller als weitere Richter in den verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Partei W***** H*****, vertreten durch Dr. Georg Lugert, Rechtsanwalt in St. Pölten, gegen die beklagte Partei R***** reg GenmbH, *****, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen Entlassungs und Kündigungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 38/14f 18, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Der Entlassungsgrund der Vertrauens-unwürdigkeit nach § 27 Z 1 dritter Fall AngG liegt ua dann vor, wenn dem Angestellten konkrete Verstöße gegen seine Treuepflicht zur Last fallen oder er ein bestimmtes Verhalten einnimmt, das ihn des Vertrauens seines Dienstgebers unwürdig macht, wie etwa der Verrat von Geschäftsgeheimnissen, Betriebsgeheimnissen etc (RIS Justiz RS0027833; Pfeil in ZellKomm 2 § 27 AngG Rz 54).

Ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis liegt vor, wenn die in Frage kommenden Tatsachen oder Vorgänge in einer Beziehung zum Betrieb des Unternehmens stehen und für seine Wettbewerbsfähigkeit Bedeutung haben, wenn sie nur einem eng begrenzten, im Wesentlichen geschlossenen Personenkreis, dem diese Kenntnis entsprechend der Natur des Geschäftsbetriebs nicht verwehrt werden kann, bekannt und anderen nicht oder nur schwer zugänglich sind, also sie nach dem Willen des Unternehmers geheimgehalten und nicht über den Kreis der Eingeweihten hinaus dringen und somit vertraulich behandelt werden sollen und wenn außerdem für die Geheimhaltung ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse vorhanden ist (8 ObA 122/01a; 9 ObA 66/03a; 9 ObA 7/04a; RIS Justiz RS0079599).

Die Verschwiegenheits- und Diskretionspflichten innerhalb des Arbeitsverhältnisses als Ausdruck der Treuepflicht (RIS Justiz RS0079608) gehen darüber noch hinaus und umfassen sämtliche nicht allgemein bekannte Tatsachen, an deren Geheimhaltung der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse hat (vgl 9 ObA 180/01p; Pfeil in Schwimann ABGB³ § 1162 ABGB Rz 119). Der Angestellte, der zum Träger fremder betrieblicher und geschäftlicher Interessen geworden ist, ist aufgrund der Treuepflicht verpflichtet, diese Interessen des Arbeitgebers zu wahren und alles zu unterlassen, was diese Interessen zu beeinträchtigen geeignet ist. Er hat daher auch Stillschweigen über für den Arbeitgeber wichtige Informationen, selbst wenn es sich um keine unmittelbaren Geschäftsgeheimnisse handelt, zu bewahren (vgl 9 ObA 27/93; 9 ObA 158/02d; Friedrich in Marhold/Burgstaller/Preyer , AngG § 27 Rz 163).

Schon eine fahrlässige Gefährdung betrieblicher Interessen, also eine fahrlässige Verletzung der Treuepflicht erfüllt im Gegensatz zu jenem der Untreue nach § 27 Z 1 erster Fall AngG (RIS Justiz RS0029375) den Entlassungstatbestand der Vertrauensunwürdigkeit (9 ObA 208/91; RIS Justiz RS0029531). Schädigungsabsicht oder Schadenseintritt sind nicht erforderlich (RIS Justiz RS0029531). Es genügt, wenn dem Angestellten die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens bei Anwendung der pflichtgemäßen Sorgfalt bewusst sein musste (RIS Justiz RS0029531 [T4]).

Ob die Voraussetzungen für eine gerechtfertigte vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses erfüllt sind, kann nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (9 ObA 64/13x; 9 ObA 37/13a; RIS Justiz RS0106298).

Eine krasse Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts, die ein korrigierendes Eingreifen des Obersten Gerichtshofs erfordern würde, vermag der Kläger in seiner außerordentlichen Revision nicht aufzuzeigen.

Der Kläger war als Hauptkassier bei der beklagten Bank beschäftigt. Als er bereits im gekündigten Dienstverhältnis stand und von der Beklagten vom Dienst freigestellt war, wurde er von Nachbarn ua darauf angesprochen, dass erzählt werde, er sei entlassen worden, weil er Geld unterschlagen habe. Um sich zu rechtfertigen, teilte er diesen Personen detailliert mit, dass in der Bank auf mysteriöse Weise 15.000 EUR verschwunden seien, er aber dafür nicht verantwortlich sei. Wenig später stellte der Kläger an einen Arbeitskollegen über Facebook in dem für Facebook Nutzer öffentlich zugänglichen Bereich nachstehende Anfrage:

„Hallo M*****!

Ich habe gehört du bist HK in der R***** ich habe 2 Fragen an dich (bitte aber um strenge Diskretion).

1. Sind die € 15.000,00 nochmals aufgetaucht?

...“

Wenig später löschte der Kläger diesen Eintrag wieder. Wie lange der Eintrag auf Facebook war, kann nicht festgestellt werden. Einige Tage später teilte der Kläger einem Mitarbeiter (A. B.) einer in einem anderen Ort gelegenen Geschäftsstelle eines von der Beklagten verschiedenen Bankinstituts, der diesen Eintrag gelesen, aber ihn nicht verstanden hatte, über dessen telefonische Anfrage wiederum im Detail den Sachverhalt mit, über den er bereits drei Nachbarn informiert hatte.

Die Vorinstanzen sind in ihrer übereinstimmenden Beurteilung, der Kläger habe gegen seine Treuepflicht, insbesondere gegen die Pflicht zur Wahrung der ihm bekannt gewordenen Geschäfts und Betriebsgeheimnisse verstoßen und er habe dadurch den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit gemäß § 27 Z 1 dritter Fall AngG verwirklicht, nicht von der ständigen oben dargelegten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen.

Die erstmals in der außerordentlichen Revision aufgestellte Behauptung des Klägers, er habe die Anfrage auf Facebook lediglich irrtümlich im öffentlichen Bereich gepostet, verstößt gegen das Neuerungsverbot des § 504 Abs 2 ZPO. Dass die Anfrage aufgrund der verwendeten Abkürzungen nicht für alle Leser des Eintrags verständlich war, mag durchaus sein. Keinesfalls war aber auszuschließen, dass Personen, denen nach dem Willen der Beklagten keine Informationen über den bankinternen Vorfall zugänglich gemacht werden sollten, den Eintrag dennoch mit Ungereimtheiten in der beklagten Bank in Verbindung bringen konnten. Dabei ist etwa an nähere Bekannte und Freunde des Klägers zu denken.

Zu Unrecht meint der Kläger, der Eintrag sei von ihm nicht in die Öffentlichkeit getragen worden, habe also keine Außenwirkung entfaltet, weil nur Arbeitskollegen von ihm darauf reagiert hätten. Zunächst lässt die tatsächliche Reaktion bestimmter Personen auf diesen Eintrag nicht darauf schließen, dass nicht auch weitere Facebook-Nutzer diesen Eintrag gelesen haben. Mit dem Eintrag im öffentlichen Bereich von Facebook hat der Kläger seine Anfrage gerade nicht im privaten Bereich gehalten, sondern einer großen Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Genauso gut hätte er seine Anfrage in eine Tageszeitung setzen können ( Kern/Schweiger , Die Bedeutung der Nutzung von Social Media im Entlassungsrecht Dargestellt am Beispiel „Facebook“, ZAS 2013/51). Schließlich lasen nicht nur Mitarbeiter der Beklagten den Eintrag, sondern es las ihn auch ein bei einem anderen im Konkurrenzverhältnis zur Beklagten stehenden Bankinstitut beschäftigter Mitarbeiter (A. B.), dem der Kläger dann sogar einige Tage später bereitwillig und im Detail Auskunft über den bankinternen Vorfall gab.

Auch mit dem Argument, er habe lediglich die an ihn herangetragenen Gerüchte und Spekulationen (vom Kläger als „Dorfgespräch“ bezeichnet) aufgeklärt und sich dagegen zur Wehr gesetzt, vermag der Kläger den Vorwurf der Geheimnisverletzung nicht entkräften. Gegenüber den Nachbarn hätte es zu seiner Verteidigung genügt, sich ganz allgemein davon zu distanzieren. Einer genauen Angabe von bankinternen Details und der Nennung des genauen Betrags bedurfte es nicht. Seine Treuepflicht hat der Kläger gerade auch dadurch verletzt, dass er die „Gerüchte und Spekulationen“ mit seinen Erklärungen bestätigt hat. Soweit der Kläger an anderer Stelle seiner Revision davon spricht, dass den „beteiligten Verkehrskreisen“ bereits vor seinen Informationen bekannt gewesen sei, dass Geld verschwunden sei, übergeht er, dass er Personen von den Vorkommnissen bei der Beklagten informierte, denen die Details gerade nicht bekannt waren.

Dass sich der Kläger auch der Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens in Bezug auf den Facebook Eintrag bewusst war, zeigt schon der seiner Anfrage beigesetzte Hinweis „bitte aber um strenge Diskretion“. Dass er damit nicht die Weitergabe der Information an außenstehende Dritte verhindern, sondern nur seine eigene Person schützen wollte, ergibt sich aus seinem eigenen Vorbringen (ON 9 Punkt 3. lit e). Dazu kommt, dass sich der Kläger nicht nur im Dienstvertrag zur Verschwiegenheit über alle im Rahmen seiner Tätigkeit zur Kenntnis gelangten Bank-, Geschäfts-, Betriebs- und Datenschutzgeheimnisse gegenüber jedermann verpflichtet hat. Die Beklagte hat ihre Mitarbeiter auch in einem E Mail vom (Blg ./18) darauf hingewiesen, dass interne Informationen in der Öffentlichkeit nichts verloren hätten und daher davon Abstand genommen werden möge, in sozialen Netzwerken über den Arbeitsalltag zu posten.

Generell ist es essentielles Tatbestandsmerkmal jeder gerechtfertigten Entlassung, dass dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers wegen des Entlassungsgrundes so unzumutbar geworden ist, dass eine sofortige Abhilfe erforderlich wird (RIS Justiz RS0028990). Dieses Tatbestandsmerkmal ermöglicht die Abgrenzung zwischen einem in abstracto wichtigen Entlassungsgrund und einem in concreto geringfügigen Sachverhalt (RIS Justiz RS0029009; vgl auch RS0029020). Entscheidend ist, ob das Verhalten des Angestellten nach den gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Kreise also nicht nach dem subjektiven Empfinden des einzelnen Arbeitgebers, sondern nach objektiven Grundsätzen als so schwerwiegend angesehen werden muss, dass das Vertrauen des Arbeitgebers derart heftig erschüttert wird, dass ihm eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann (RIS Justiz RS0029323; vgl auch RS0029107; RS0028999). Nicht jede Ordnungswidrigkeit ist bereits ein Entlassungsgrund (RIS Justiz RS0029095).

Ob ein bestimmtes Verhalten die Annahme der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung im konkreten Fall rechtfertigt, ist von der Dauer der Kündigungsfrist beziehungsweise von der Zeitspanne, die im Einzelfall bis zum Ende der Vertragsdauer noch verstreichen müsste, und von der Gelegenheit, die dienstlichen Interessen in Zukunft wieder zu verletzen, unabhängig (RIS Justiz RS0029013).

Auch die Beurteilung der Unzumutbarkeit hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS Justiz RS0103201). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, der Beklagten sei eine Weiterbeschäftigung des Klägers für den Rest der schon im Lauf befindlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen, ist nach der Lage des Falls vertretbar.

Gerade die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht selbst wenn davon nicht unmittelbare Geschäftsgeheimnisse betroffen sind muss bei objektiver und vernünftiger kaufmännischer Erwägung beim Dienstgeber die gerechtfertigte Befürchtung auslösen, dass auch künftig hin Informationen nicht mit der gebotenen Vertraulichkeit behandelt würden (9 ObA 158/02d; mwN).

Wenn der Kläger auch keine leitende Stellung (vgl RIS Justiz RS0029652) bekleidete, so war er doch als Hauptkassier in einer besonderen Vertrauensposition tätig (vgl 9 ObA 22/88). In der gebotenen Gesamtschau (vgl RIS Justiz RS0081395) geht es hier nicht um einen irrtümlichen „Mausklick“ auf Facebook oder eine einmalige, bloß gedankenlose Indiskretion gegenüber einem Außenstehenden (vgl 4 Ob 5/63 = Arb 7687), sondern einen mehrfachen Verstoß des Klägers gegen die Geheimhaltungspflicht zu Lasten seiner Arbeitgeberin.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2014:009OBA00111.14K.1127.000