OGH vom 29.04.2015, 9ObA11/15f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Josef Schleinzer und Mag. Regina Albrecht als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. F***** B*****, vertreten durch Dr. Sieglinde Gahleitner, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei A*****, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen 2.073,20 EUR brutto sA und Feststellung (Streitwert: 5.000 EUR) , über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Ra 29/14x 15, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom , GZ 19 Cga 76/13d 11, teilweise Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Der am ***** 1949 geborene und seit beim beklagten Sozialversicherungsträger angestellte Kläger wurde mit Beschluss des Verwaltungsausschusses des Vorstands der Beklagten vom gemäß § 149 Abs 2 Z 5 der auf das Dienstverhältnis anwendbaren Dienstordnung A für die Angestellten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (DO.A) wegen Inanspruchnahme der Korridorpension gemäß § 4 Abs 2 APG mit Wirksamkeit ab in den Ruhestand versetzt. Nach dem Ruhen der Pension für die Dauer des Abfertigungszeitraums bezieht der Kläger seit Jänner 2013 eine Pension gemäß § 81 DO.A.
Zwischen den Parteien ist strittig, ob die Dienstordnungspension des Klägers nach § 155 Abs 2 DO.A zu kürzen ist oder nicht. Nach der auf den Kläger anzuwendenden (§ 155 Abs 1 DO.A) Übergangsbestimmung des § 155 Abs 2 DO.A ist für jeden Monat, der zwischen dem Zeitpunkt der Wirksamkeit der Versetzung in den Ruhestand und dem Ablauf des Monats liegt, in dem der Angestellte den in § 253b Abs 1 ASVG in Verbindung mit § 607 Abs 10, 12 bzw 14 ASVG genannten Lebensmonat vollenden wird, die Bemessungsgrundlage gemäß § 87 Abs 1 DO.A um 0,1 % bei Angestellten mit abgeschlossenem Diplom oder Doktorratsstudium im Sinne des UniStG, die aufgrund der dauernden Verwendung in eine der Gehaltsgruppen E bis G bzw P1 oder P2 eingereiht sind (§ 36 Abs 1) um 0,125 % zu kürzen. Das sich aus dieser Kürzung ergebende Prozentausmaß der Bemessungsgrundlage ist auf drei Dezimalstellen zu runden.
Die Beklagte leistet dem Kläger nur die nach § 155 Abs 2 DO.A gekürzte Pension (nach Anrechnung der fiktiven gesetzlichen Pension) im Ausmaß von monatlich 3.739,87 EUR.
Der Kläger begehrt die Zahlung der durch die geschlechtsdiskriminierende Kürzung entstandenen Entgeltdifferenzen für den Zeitraum Jänner 2013 bis Juli 2013 sowie die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm künftig die Dienstordnungspension auf Basis der Pensionsbemessungsgrundlage von 7.582,96 EUR ungekürzt unter Abzug der fiktiven ASVG Pension und zuzüglich des Erhöhungsbetrags zu leisten. Die Dienstordnungspension stehe dem Kläger ungekürzt zu, weil er soweit für die Revisionsentscheidung von Bedeutung durch die Kürzung dieser Pension wegen des Geschlechts diskriminiert werde. Frauen, die das 60. Lebensjahr vollendet hätten, müssten keine Kürzung ihrer Dienstordnungspension hinnehmen.
Darüber hinaus begehrt der Kläger die Zuerkennung ideellen Schadenersatzes in Höhe von 1.000 EUR, weil ihn die Beklagte rechtswidrig und unter Umgehung eindeutiger Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union durch die rechtswidrige Kürzung der Dienstordnungspension systematisch und nachhaltig diskriminiere. Die Beklagte bringe die bereits seit 2005 in Geltung stehende Kürzungsbestimmung trotz der für sie erkennbaren Rechtswidrigkeit beim Kläger als ersten Mitarbeiter zur Anwendung.
Die Beklagte wandte ein, dass die Kürzung der Dienstordnungspension der geltenden Rechtslage entspreche und nicht diskriminierend sei. Der geltend gemachte Schadenersatzanspruch bestehe nicht zu Recht. Dem Kläger als langjährigen und rechtskundigen leitenden Angestellten sei bestens bekannt, dass sich die Beklagte selbstverständlich an die maßgebliche Rechtslage zu halten habe und daher auch an die vom Hauptverband aufgrund dessen gesetzlicher Richtlinienkompetenz abgeschlossenen Dienstordnungen, welche ihrer Natur nach sowohl Rechtsverordnungen als auch Kollektivverträge seien. Von diesen könne weder zu Gunsten noch zu Lasten der Dienstnehmer abgegangen werden. Auch sei nicht im Ansatz ersichtlich, dass der Kläger einen Gefühlsschaden, also eine persönliche Beeinträchtigung erlitten hätte.
Die Vorinstanzen gaben dem Begehren des Klägers auf Zahlung der der Höhe nach unstrittigen Entgeltdifferenzen sowie des begehrten ideellen Schadenersatzes statt. Betreffend das Feststellungsbegehren änderte das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichts teilweise ab. Es stellte fest, dass die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger künftig die Dienstordnungspension unter Abstandnahme von der Anwendung der Kürzungsbestimmung nach § 87 Abs 3 DO.A iVm § 155 DO.A in der derzeit geltenden Fassung auf Basis der Pensionsbemessungsgrundlage von 7.582,96 EUR brutto ungekürzt, nur unter Abzug der fiktiven ASVG Pension und zuzüglich des Erhöhungsbetrags, zu leisten. Das Feststellungsmehrbegehren wies es ab.
Die Vorinstanzen vertraten, soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung, zusammengefasst die Ansicht, die hier in Rede stehende Kürzungsbestimmung des § 155 Abs 2 DO.A stelle gemäß § 3 Z 2 GlBG eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei der Festsetzung des Entgelts dar. Durch die Kürzung der Bemessungsgrundlage und damit Reduktion der Dienstordnungspension sei ein 62 jähriger Mann wie hier der Kläger gegenüber einer gleich alten Frau, die keine Kürzung ihrer Dienstordnungspension hinnehmen müsse, schlechter gestellt. Der Schadenersatzanspruch sei als Folge der Verletzung des § 3 Z 2 GlBG gemäß § 12 Abs 2 GlBG dem Grunde und der Höhe nach gerechtfertigt. Bei der Bemessung der Entschädigung für die erlittene persönliche Beeinträchtigung könnten die Wertungen des § 49a ASGG herangezogen werden. Danach sei es Sache des Schuldners, Behauptungen darüber aufzustellen, aufgrund welcher vertretbaren Rechtsansicht er die geltend gemachte Entgeltdifferenz vorenthalten habe. Mit den Behauptungen, dass dem Kläger bestens bekannt sei, dass sich die Beklagte an die maßgebliche Rechtslage zu halten habe und dass eine persönliche Beeinträchtigung des Klägers nicht ersichtlich sei, habe die Beklagte nicht dargelegt, aufgrund welcher vertretbaren Rechtsansicht sie dem Kläger die Entgeltdifferenz vorenthalten habe. Die persönliche Beeinträchtigung des Klägers liege infolge der diskriminierenden Kürzung der Pensionsleistung auf der Hand. Die Beklagte habe auch nicht einmal behauptet, in irgendeiner Form Abhilfe gegen die diskriminierenden Bestimmungen der DO.A beim Hauptverband gesucht zu haben. Aus diesen Gründen sei auch der Zuspruch von Zinsen an den Kläger gemäß § 49a ASGG zu Recht erfolgt. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil die gegenständliche Rechtsfrage vom Obersten Gerichtshof noch nicht entschieden sei.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen diesem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision der Beklagten nicht zulässig. In ihrer mit der Berufungsschrift (soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung) überwiegend wortgleichen Revision zeigt die Beklagte keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Die Beurteilung der Vorinstanzen hält sich im Rahmen der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Obersten Gerichtshofs.
1. Die DO.A ist ein Kollektivvertrag (RIS Justiz RS0054394). Die Gerichte haben die Kollektivverträge dahin zu überprüfen, ob sie gegen höherrangiges Recht, also die Verfassung, Unionsrecht, zwingendes Gesetzesrecht, die guten Sitten oder tragende Grundsätze des Arbeitsrechts verstoßen (9 ObA 48/06h; 9 ObA 146/12d; RIS Justiz RS0018063 [T5]). Insbesondere zieht ein Verstoß gegen den unmittelbar anzuwendenden Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen nach Artikel 157 AEUV (ex Artikel 141 EGV) die Unwirksamkeit der davon betroffenen innerstaatlichen Gesetze, Kollektivverträge, Betriebsvereinbarungen oder Einzelarbeitsverträge nach sich (RIS Justiz RS0117073 ua). All dies wird von der Beklagten auch nicht in Frage gestellt.
Die Beklagte sieht den Kläger durch die Kürzungsbestimmung des § 155 Abs 2 DO.A jedoch von vornherein nicht diskriminiert, weil die Korridorpension grundsätzlich für Männer und Frauen in gleicher Weise gelte und sowohl Männern als auch Frauen bei Bestehen einer langen Versicherungsdauer einen Pensionsantritt vor Erreichen des Regelpensionsalters ermögliche. Daran ändere nach Meinung der Beklagten auch der Umstand nichts, dass derzeit für Frauen noch die Möglichkeit bestehe, bereits vor Vollendung des 62. Lebensjahres eine Alterspension oder eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer in Anspruch zu nehmen. Mit dieser Argumentation lässt die Beklagte außer Betracht, dass die Kürzungsbestimmung des § 155 Abs 2 DO.A Männer und Frauen gleichen Alters in unterschiedlicher Weise erfasst. Erhält der männliche Pensionist eine geringere Dienstordnungspension als eine weibliche Pensionistin gleichen Alters, ist er unmittelbar (vgl EuGH C 614/11 Rz 41, 44, 45, 47, Kuso ) aufgrund des Geschlechts bei der Festsetzung des Entgelts diskriminiert. Die gegenständliche Betriebspensionsregelung widerspricht dem Unionsrecht, weil sie die flexible Möglichkeit für das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben im Ergebnis nicht unter den gleichen Bedingungen für beide Geschlechter vorsieht (vgl Hopf/Mayr/Eichinger , GlBG § 5 Rn 73). Begründet die Regelung des § 155 Abs 2 DO.A aber eine unmittelbar auf das Geschlecht gestützte Ungleichbehandlung, kann die Diskriminierung nicht sachlich gerechtfertigt sein (EuGH C 614/11 Rn 51).
Dass die Kürzungsbestimmung im Zusammenhang mit einer gesetzlichen Pensionsregelung steht, die für sich genommen als verfassungs und auch europarechtlich zulässig erachtet wird (vgl 10 ObS 35/12p; 10 ObS 44/14i), ändert daran nach herrschender Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Obersten Gerichtshofs nichts. Die nach Art 7 Abs 1 lit a der Richtlinie 79/7/EWG des Rates zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit vom vorgesehene Ausnahme vom Grundsatz der Gleichbehandlung ist angesichts der Bedeutung dieses Grundsatzes eng auszulegen und kann nur für die Festsetzung des Rentenalters für die Gewährung der Alters oder Ruhestandsrente und etwaige Auswirkungen daraus auf andere Leistungen der sozialen Sicherheit gelten (EuGH C 110/91 Rn 19, Moroni ; C 356/09 Rn 39, Kleist , ua; RIS Justiz RS0117672; Hopf/Mayr/Eichinger , GlBG § 3 Rz 79). Dass im Anlassfall dieser Ausnahmetatbestand vorliegt, behauptet die Revisionswerberin zu Recht (vgl 9 ObA 256/02s = DRdA 2003/49 [ Smutny ]; Hopf/Mayr/Eichinger , GlBG § 3 Rz 78) auch nicht.
2. Das Berufungsgericht hat sich mit den in der Berufung von der Beklagten gegen den geltend gemachten Schadenersatzanspruch ins Treffen geführten Gründen auseinandergesetzt, ist diesen aber mit ausführlicher Begründung nicht gefolgt. In der Revision wiederholt die Beklagte lediglich wörtlich ihre Berufungsausführungen, unterlässt es aber, sich mit den vom Berufungsgericht diesen Gründen in der angefochtenen Entscheidung entgegengesetzten Argumenten auseinanderzusetzen. Die Revision ist in diesem Punkt daher nicht gesetzmäßig ausgeführt (RIS Justiz RS0043603 [T9]; E. Kodek in Rechberger 4 § 506 ZPO Rz 2).
3. Schließlich ist es eine nicht revisible Frage des Einzelfalls, ob die Zahlungsverzögerung auf einer (un )vertretbaren Rechtsansicht beruht und daher Zinsen nach § 49a ASGG zuzusprechen sind oder nicht (9 ObA 117/10m mwN). Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts zeigt die Revision nicht auf.
Insgesamt vermag es die Revision der Beklagten daher nicht, eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO darzustellen. Die Revision war daher zurückzuweisen (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).
Die Anregung der Beklagten auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art 267 AEUV war nicht aufzugreifen, weil die richtige Anwendung des Unionsrechts hier offenkundig ist (vgl RIS Justiz RS0082949).
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision in seiner Revisionsbeantwortung nicht hingewiesen (RIS Justiz RS0035979).
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2015:009OBA00011.15F.0429.000