OGH vom 24.03.2017, 9ObA123/16b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn und Dr. Weixelbraun-Mohr sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Horst Nurschinger als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei a***** AG, *****, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die Beklagte I*****, vertreten durch Puttinger Vogl Rechtsanwälte GmbH in Ried im Innkreis, wegen Zustimmung zur Kündigung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Ra 46/16p-21, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 56 Cga 144/15s-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.489,86 EUR (darin 248,31 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zu den Fragen fehle, ob der in einem deutschen Betrieb errichtete Betriebsrat von einer Klage auf Zustimmung zur Kündigung einer dem österreichischen Individualarbeitsrecht unterliegenden Arbeitnehmerin zu verständigen sei und welche Rechtsfolgen das Unterbleiben der in § 10 Abs 3 MSchG vorgesehenen Verständigung des Betriebsrats nach sich ziehe.
Dieser Zulassungsbegründung schloss sich die Revisionswerberin an. Die Revisionsgegnerin wendete hingegen ein, dass die Revision (aus verschiedenen Gründen) unzulässig sei.
Der Oberste Gerichtshof ist bei Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den diesbezüglichen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Gemäß § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Dies ist hier nicht der Fall, weil die angesprochenen Rechtsfragen für die Entscheidung nicht präjudiziell sind (RISJustiz RS0088931 [T2]). Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).
Die Klägerin begehrte am die Zustimmung des Gerichts zur Kündigung der Beklagten gemäß § 15n iVm § 10 Abs 3 MSchG. Die Beklagte hat am ein Dienstverhältnis als Key Account Managerin bei der a***** GmbH (einem in Österreich ansässigen Unternehmen) angetreten. Diese meldete die Beklagte per bei der Sozialversicherung ab, die Klägerin meldete sie per als ihre Arbeitnehmerin wieder an. Seit diesem Tag nimmt die Beklagte, die dies nach der Geburt ihres zweiten Kindes fristgerecht beantragte (ihre Karenz endete am ), Elternteilzeit in Anspruch; sie wurde jedoch dienstfrei gestellt. Sowohl im Betrieb der a***** GmbH als auch am Betriebssitz der Klägerin in Deutschland bestehen Betriebsräte. Weder der Betriebsrat der Klägerin noch der Betriebsrat der a***** GmbH wurde von der Einbringung der Klage auf Zustimmung zur Kündigung verständigt.
Die Klägerin brachte vor, im April 2014 sei eine Umstrukturierung im Verkaufsbereich der a***** GmbH durchgeführt worden; das gesamte Key Account Management am bisherigen Standort (an dem auch die Beklagte tätig war) sei „aufgelöst“ worden und werde seither direkt von der Klägerin in Deutschland aus durchgeführt. Am Standort befinde sich seither nur noch ein Schauraum, der von einem dort nicht ständig anwesenden Angestellten betreut werde. Mit dieser Umstrukturierung sei auch ein Teilbetriebsübergang verbunden gewesen und das Dienstverhältnis mit der Beklagten sei daher auf die Klägerin übergegangen. Es sei der Klägerin nicht zumutbar, für die Beklagte in Österreich einen Ersatzarbeitsplatz zu schaffen. Die Voraussetzungen für eine Kündigung nach § 15n iVm § 10 Abs 3 MSchG seien daher erfüllt. Die Beklagte habe außergerichtlich Gehaltsansprüche gegenüber der Klägerin geltend gemacht, weshalb ihr Bestreiten des wirksamen Übergangs des Dienstverhältnisses auf die Klägerin rechtsmissbräuchlich sei.
Die Beklagte wendete zusammengefasst ein, die aktive Klagslegitimation werde aus prozessualer Vorsicht bestritten. Eine Verständigung des zuständigen Betriebsrats von der Einbringung der Klage sei jedenfalls nicht erfolgt. Tatsächlich sei der Betrieb der Klägerin weder eingeschränkt noch stillgelegt worden, weshalb die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Zustimmung zur Kündigung nicht erfüllt seien. Die Betriebsabteilung, in der die Beklagte tätig gewesen sei, existiere nach wie vor ohne inhaltliche Veränderung und werde von Mitarbeitern mit Kunden nach wie vor stark frequentiert. Die Beklagte könne daher von der Klägerin auch weiter beschäftigt werden.
Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab und begründeten dies im Wesentlichen damit, dass die Klägerin unstrittig weder ihren eigenen Betriebsrat noch den der a***** GmbH von der Klage verständigt habe.
Die vom Berufungsgericht und der Revisionswerberin aufgeworfenen Fragen des für die Beklagte zuständigen Betriebsrats sowie der Rechtsfolgen (s)einer unterbliebenen Verständigung im Sinn des § 10 Abs 3 MSchG wären für die Entscheidung über das Klagebegehren nur dann von Bedeutung, wenn das Vorbringen der Klägerin für eine gerichtliche Zustimmung zur Kündigung der Beklagten ausreichen würde. Dies ist jedoch nicht der Fall.
1. Zwischen den Parteien ist unstrittig, dass die Klägerin als Arbeitnehmerin dem österreichischen Mutterschutzgesetz (MSchG) unterliegt. In diesem Zusammenhang genügt daher der Hinweis auf Art 6 EVÜ (Europäisches Schuldvertragsübereinkommen, Römisches Übereinkommen), das auf (Arbeits-)Verträge anwendbar ist, die vor dem abgeschlossen wurden (Art 28 der Rom I-VO; dazu Musger in KBB4, Art 28 Rom IVO Rz 1).
2. Die Kündigung der in Elternteilzeit befindlichen Klägerin kann nach § 10 Abs 1 iVm § 15n MSchG nur dann rechtswirksam ausgesprochen werden, wenn vorher die Zustimmung des Gerichts eingeholt wird. Auf die Erteilung dieser Zustimmung zielt die vorliegende Klage ab.
Gemäß § 10 Abs 3 dritter Satz MSchG ist die Zustimmung des Gerichts zur Kündigung nur dann zu erteilen, wenn der Dienstgeber das Dienstverhältnis wegen einer Einschränkung oder Stilllegung des Betriebs oder der Stilllegung einzelner Betriebsabteilungen nicht ohne Schaden für den Betrieb weiter aufrecht erhalten kann, oder wenn sich die Dienstnehmerin vor dem Gericht (nach Rechtsbelehrung über den Kündigungsschutz nach dem MSchG) mit der Kündigung einverstanden erklärt. Nach Stilllegung des Betriebs ist eine Zustimmung des Gerichts zur Kündigung gemäß § 10 Abs 3 vierter Satz MSchG nicht erforderlich; sie kann in diesem Fall nicht mehr eingeholt werden (Wolfsgruber in ZellKomm2§ 10 MSchG Rz 41).
Eine Betriebsstilllegung im Sinn des § 10 Abs 3 MSchG setzt voraus, dass die Organisationseinheit als solche dauerhaft (nicht nur vorübergehend) nicht mehr fortbesteht (9 ObA 2309/96s; Wolfsgruber in ZellKomm2§ 10 MSchG Rz 32). Der den Bestimmungen des § 121 Z 1 ArbVG und des § 10 Abs 3 MSchG gemeinsame Begriff der Betriebsstilllegung hat durch das AVRAG einen (teilweisen) Funktionswandel bzw eine Ergänzung dahin erfahren, dass eine Betriebsstilllegung nur dann vorliegt, wenn auch ein Betriebsübergang nicht gegeben ist (RIS-Justiz RS0102973). Betriebseinschränkungen im Sinn des § 10 Abs 3 MSchG sind bei Verlust eines Großteils der bisherigen Agenden des Unternehmens oder bei saisonbedingtem Mangel an Aufträgen anzunehmen (Wolfsgruber in ZellKomm2§ 10 MSchG Rz 35).
3. Die Klägerin stützt ihr – Ende 2015 erhobenes – Klagebegehren auf gerichtliche Zustimmung zur Kündigung darauf, dass infolge der im Frühjahr 2014 durchgeführten Umstrukturierung des Unternehmens der früheren Arbeitgeberin der Beklagten die Aufgaben des Betriebs, in dem die Beklagte gearbeitet habe, durch die Klägerin (und von Deutschland aus) übernommen worden seien; der bisherige Standort werde hingegen (offenbar seit mehr als eineinhalb Jahren) nicht mehr (in gleicher Form) weiter betrieben. Damit behauptet sie aber einerseits einen (teilweisen) Betriebsübergang bzw einen Übergang des Arbeitsverhältnisses (aus dem sie insbesondere auch ihre Aktivlegitimation ableitet), der jedoch nach den vorstehenden Begriffsbestimmungen eine Zustimmung des Gerichts zur Kündigung der Beklagten nicht rechtfertigen könnte. Andererseits stützt sie sich zwar auf eine Änderung in der Organisationseinheit (am Arbeitsplatz und im Tätigkeitsbereich der Beklagten), sie behauptet jedoch selbst nicht, dass dieser Betriebsteil (Standort) auf Dauer nicht mehr fortbestehen würde, sondern nur, dass dessen Aufgabenbereich nun anders (und insbesondere von dem in Deutschland befindlichen Unternehmen aus) fortgeführt werde. Diesem Vorbringen lassen sich aber ebenfalls keine ausreichenden Tatbestandsvoraussetzungen für eine mögliche Zustimmung zur Kündigung gemäß § 10 Abs 3 MSchG entnehmen, weil damit weder eine Einschränkung noch eine Stilllegung des Betriebs im Sinn des § 10 Abs 3 MSchG behauptet wird.
Soweit sich die Klägerin auch darauf stützt, dass der Betrieb, in dem die Beklagte vor ihrer (zweiten) Karenz (und für ihre frühere Arbeitgeberin) tätig gewesen sei, bereits „stillgelegt“ (zu einem bloßen „Schauraum“ umfunktioniert) worden sei, wäre das Klagebegehren – unabhängig von der hier noch ungeklärten Frage der Aktivlegitimation der Klägerin als neue Arbeitgeberin – ebenfalls unberechtigt, weil diesfalls eine gerichtliche Zustimmung zur Kündigung gemäß § 10 Abs 3 vierter Satz MSchG nicht erforderlich wäre.
Auf andere Gründe (wie beispielsweise das Vorliegen der Voraussetzungen des § 10 Abs 4 MSchG) hat die Klägerin ihr Begehren nicht gestützt.
4. Die Beklagte hat das Vorliegen der Voraussetzungen für eine gerichtliche Zustimmung zur Kündigung nach § 10 Abs 3 MSchG bereits zu Beginn des Verfahrens erster Instanz bestritten, weshalb diese rechtliche Beurteilung keine Überraschungsentscheidung darstellt (RISJustiz RS0037300 [T41]).
Mangels Geltendmachung einer präjudiziellen erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision der Klägerin zurückzuweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00123.16B.0324.000 |
Schlagworte: | 1 Generalabonnement,11 Arbeitsrechtssachen |
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