OGH vom 14.09.1994, 9ObA107/94
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie durch die fachkundigen Laienrichter Mag.Dr.Walter Zeiler und Mag.Gabriele Jarosch als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Arbeiterbetriebsrat des Betriebes L*****-Druck, ***** vertreten durch Dr.Kurt Klein und Dr.Paul Wuntschek, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagten Parteien 1. L***** AG, 2. L***** Universitätsbuchdruckerei Gesellschaft m b H, 3. Z***** Gesellschaft m b H und 4. L***** Verlags- und Vertriebsgesellschaft m b H, sämtliche Ankerstraße 4, 8020 Graz, vertreten durch Dr.Reinhard Tögl und Dr.Nicoletta Wabitsch, Rechtsanwälte in Graz, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 1 ASGG (Streitwert S 60.000,--), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 90/93-16, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 34 Cga 260/92-9, zum Teil bestätigt und zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 6.088,80 (darin S 1.041,80 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Rechtliche Beurteilung
Das Berufungsgericht hat die Frage, ob die vom klagenden Arbeiterbetriebsrat begehrten Feststellungen berechtigt sind, zutreffend bejaht. Es reicht daher insofern aus, auf die Richtigkeit der eingehenden Begründung der angefochtenen Entscheidung hinzuweisen (§ 48 ASGG).
Ergänzend ist den Ausführungen der Revisionswerber entgegenzuhalten:
Gemäß § 29 ArbVG können Betriebsvereinbarungen nicht uneingeschränkt, sondern nur über jene Gegenstände abgeschlossen werden, die durch Gesetz oder Kollektivvertrag der Regelung durch eine Betriebsvereinbarung vorbehalten sind. Ihr zulässiger Inhalt ergibt sich im wesentlichen aus den §§ 47 Abs 1, 94 Abs 3 und 6, 95 Abs 1 und 2, 96 Abs 1, 96a, 97 und 109 Abs 3 ArbVG. Eine Betriebsvereinbarung, die unzulässige Regelungsgegenstände enthält, entfaltet insoweit keine normative Wirkung (vgl Strasser in Floretta-Spielbüchler-Strasser, ArbR3 II 388 f mwH; Arb 10.806 uva). Nach § 97 Abs 1 Z 15 ArbVG können Betriebsvereinbarungen über die Gewährung von Zuwendungen aus besonderen betrieblichen Anlässen abgeschlossen werden, die sowohl Betriebs- als auch Arbeiterjubiläen sein können (Treueprämien, Jubiläumsgelder udgl). Der Betriebsvereinbarung kommt in diesem Fall eine originäre Regelungsbefugnis neben dem Kollektivvertrag zu (vgl Cerny in FS Strasser (1983), Entgeltregelungen in Betriebsvereinbarungen, 487 ff, 503; Arb 10.039 ua).
Jener Teil der Betriebsvereinbarung vom , der den Arbeitern nach einer ununterbrochenen Dienstzeit von jeweils 25, 35 und 40 Jahren 4,4, 8,8 bzw 13,2 Gesamtwochenlöhne als einmaliges Treuegeld zuerkennt, entspricht unbestritten den Voraussetzungen des § 97 Abs 1 Z 15 ArbVG. Die Einräumung zusätzlicher Sonderurlaube (bis neun Tage), die jeweils nach Vollendung einer bestimmten Dienstzeit fortlaufend jährlich gebühren, verlängert im Ergebnis den gesetzlichen Urlaub (§ 2 Abs 1 UrlG) und geht damit wie etwa auch eine betriebliche Erhöhung kollektivvertraglicher Entgelte über eine bloße Zuwendung aus besonderen betrieblichen Anlässen hinaus (Cerny aaO, 493 ff; infas 1990 A 3, 1992 A 3 ua). Im Bereich des Urlaubsrechts ist einer Regelung durch Betriebsvereinbarung im wesentlichen lediglich eine Vereinbarung über die Grundsätze betreffend den Verbrauch des Erholungsurlaubs (§ 97 Abs 1 Z 10 ArbVG; infas 1988 A 96) oder über die Umstellung des Urlaubsjahres (§ 2 Abs 4 UrlG; Cerny, UrlR6, § 2 Erl 17) vorbehalten. Der am wirksam gewordene Generalkollektivvertrag beschränkt sich auf den Begriff des Entgelts gemäß § 6 UrlG.
Zum Treuegeld:
Durch § 28 des Kollektivvertrags für die Arbeiter im graphischen Gewerbe idF der Ergänzung vom wurde ab ein gestaffeltes kollektivvertragliches Jubiläumsgeld eingeführt, das im einzelnen und insgesamt ungünstiger war, als die vergleichbaren Ansätze in der Betriebsvereinbarung. Der dieselbe Angelegenheit regelnde Kollektivvertrag konnte daher gegenüber der Betriebsvereinbarung nicht durchdringen und auf diese normativ einwirken. Die betroffenen Arbeitnehmer behielten ihren Anspruch auf Treuegelder aus der für sie günstigeren und insofern als Sondervereinbarung iSd § 3 Abs 1 ArbVG anzusehenden Betriebsvereinbarung. Zur Geltung beider Regelungen nebeneinander kam es nicht (vgl Strasser, Handkommz ArbVG, 38; derselbe ArbR3 II 120 und 397; Arb 10.039). Daran kann auch die kollektivvertragliche Anrechnungsbestimmung nichts ändern, zumal eine solche gegenüber den ungünstigeren Ansätzen des Kollektivvertrags ohnehin nicht zum Tragen kommen konnte. Der Ansicht der Revisionswerber, daß durch § 28 des Kollektivvertrags idF vom die Treuegelder nach der Betriebsvereinbarung bis zur Höhe der kollektivvertraglichen Jubiläumsgelder zum kollektivvertraglichen Jubiläumsgeld geworden und dieses Jubiläumsgeld sowie der Überhang der Treuegelder aus der Betriebsvereinbarung durch den neuen Kollektivvertrag ab abgeschafft worden seien, kann daher nicht beigepflichtet werden.
Mit Wirkung vom wurde der Kollektivvertrag durch einen neuen Kollektivvertrag ersetzt, der kein Jubiläumsgeld mehr vorsah. Es wurde vielmehr in § 10 eine Betriebserfahrungszulage eingeführt, die eine fortlaufende Erhöhung des Wochenlohns nach einer Betriebsangehörigkeit von 5, 10 und 15 Jahren für Facharbeiter (nach 10 und 15 Jahren für Helfer) bewirkt. Nach einer Übergangsregelung sollten Arbeitnehmer bei einer zeitlichen Nähe zum kollektivvertraglichen Jubiläum abschließend noch eine einmalige Jubiläumszahlung erhalten. Für die vom gegenständlichen Verfahren betroffenen Arbeitnehmer ist diese Abschaffung des kollektivvertraglichen Jubiläumsgeldes insofern ohne Belang, als sie ihre Ansprüche auf Treuegeld nach wie vor aus der Betriebsvereinbarung ableiten konnten; das ungünstigere kollektivvertragliche Jubiläumsgeld wurde für sie nie Inhalt ihrer Arbeitsverträge. Entscheidend ist daher, ob die Treuegelder nach der Betriebsvereinbarung im Hinblick auf die Einführung einer kollektivvertraglichen Zulage eine Angelegenheit betreffen, die im Kollektivvertrag geregelt ist, ob also iSd § 3 Abs 1 ArbVG ein Günstigkeitsvergleich anzustellen ist. Diese Frage ist aber, wie das Berufungsgericht richtig erkannte, zu verneinen.
Das Treuegeld nach der Betriebsvereinbarung bezieht sich auf einmalige Belohnungen für eine sehr lange Betriebszugehörigkeit (25, 35 und 40 Jahre). Die generelle Zeitlohnerhöhung durch die Betriebserfahrungszulage nach einer Betriebszugehörigkeit von lediglich 5, 10 und 15 Jahren, die in einer Betriebsvereinbarung ohnehin nicht hätte vereinbart werden dürfen, brachte zwar eine Annäherung an die Biennalregelung der Angestellten, stellt aber keineswegs mehr auf die überaus lange Betriebstreue der Arbeiter ab, so daß zwischen dem Treuegeld und der neu eingeführten Zulage, abgesehen vom Unterschied in der sukzessiven Lohnerhöhung, kein Sachzusammenhang besteht. Die seinerzeitige Betriebsvereinbarung über das Treuegeld betrifft keine Angelegenheit mehr, die im Kollektivvertrag geregelt ist. Das Günstigkeitsprizip hat aber auch für die Nachwirkung der Betriebsvereinbarung (§ 32 Abs 2 ArbVG) keine Bedeutung. Die Bestimmungen ihres normativen Teils bleiben trotz des termingemäßen Ablaufes der Kündigungsfrist für die einzelnen davon betroffenen Arbeitsverträge weiterhin rechtsverbindlich (vgl Strasser in Handkommz ArbVG 189; derselbe ArbR3 II 404). Soweit die Verträge vor dem Erlöschen der Betriebsvereinbarung schon von den Rechtswirkungen des normativen Teils und sei es auch bloß in Anwartschaften auf das Treuegeld, erfaßt waren, ist dieser Vertragsbestand nicht untergegangen. Eine zeitliche Befristung dieser Nachwirkungen, wonach sie etwa kraft Zeitablaufes von selbst enden, ist im ArbVG nicht vorgesehen.
Zum Sonderurlaub:
Wäre die nach der Betriebszugehörigkeit gestaffelte Gewährung eines zusätzlichen Urlaubs zulässiger Inhalt der Betriebsvereinbarung gewesen, müßten für diesen Anspruch und die darauf beruhenden Anwartschaften dieselben Grundsätze gelten wie für die Treuegelder, wobei allerdings die Frage der kollektivvertraglichen Einwirkung als gegenstandslos ausgeklammert werden könnte. Es ist unbestritten, daß die betroffenen Arbeitnehmer, welche die Voraussetzungen erfüllten, ab in den Genuß dieses Sonderurlaubs gekommen sind. Die beklagten Parteien anerkannten überdies auch, daß Arbeitnehmer, die bereits einen solchen zusätzlichen Urlaub in Anspruch genommen haben, weiterhin einen Anspruch (eine Anwartschaft) auf weiteren Sonderurlaub nach der Betriebsvereinbarung haben. Die seinerzeit ordnungsgemäß kundgemachte Betriebsvereinbarung war daher, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, über viele Jahre hindurch Richtschnur für die Leistungen des Arbeitgebers. Unabhängig davon, ob die Parteien von der Gültigkeit der Betriebsvereinbarung ausgegangen sind, wodurch deren Regelung schon im Weg objektiver Vertragsergänzung zum Inhalt der Einzelverträge hätte werden können (vgl DRdA 1988/5 [Strasser] = infas 1988 A 26), ist daher auf Grund des ausdrücklichen Erklärungsverhaltens des Arbeitgebers und der anzunehmenden schlüssigen Zustimmung der Arbeitnehmer eine entsprechende Ergänzung der Einzelarbeitsverträge erfolgt. Eine solche Vertragsergänzung ist auch bei jenen Arbeitnehmern eingetreten, welche die im Unternehmen gemäß dieser Richtschnur herrschende Übung als Grundlage auch ihrer Rechtsbeziehungen zum Arbeitgeber akzeptiert haben und daher mit Grund davon ausgehen konnten, daß die vom Arbeitgeber allgemein angewendete unzulässige Betriebsvereinbarung in gleicher Weise und unter den gleichen Voraussetzungen wie bei allen anderen vergleichbaren Arbeitnehmern auch auf sie angewendet wird (vgl Arb 9812; ZAS 1982/1 [Tomandl]; DRdA 1986/2 [Kerschner]; JBl 1988, 333 [Schima]; DRdA 1993/2 [Kerschner] uva).
Durch Art VII des Urlaubsverlängerungsgesetzes vom , BGBl 1983/81 wäre den beklagten Parteien die Möglichkeit ("anrechenbar") eröffnet worden, den das bisherige gesetzliche Urlaubsausmaß übersteigenden einzelvertraglichen Anspruch ab auf das gesetzliche Urlaubsausmaß anzurechnen. Dadurch, daß sie den Sonderurlaub aber auch seither bis zum Jahre 1992 weiterhin allen Arbeitnehmern, welche die Voraussetzungen erfüllten, ohne Anrechnung auf den gesetzlichen Urlaub gewährten (außer Streit S 49 f), haben sie objektiv zu erkennen gegeben, daß sie trotz der Urlaubsverlängerung an der Sonderurlaubsregelung der Betriebsvereinbarung festhalten wollten. Mit ihrem Einwand, daß die Regelung im Verhältnis zur Gesamtzahl nur wenigen Arbeitnehmern zugute gekommen und die Gewährung des Zusatzurlaubs irrtümlich erfolgt sei, übersehen die Revisionswerber, daß es nicht auf die Anzahl der aktualisierten Ansprüche ankommt (vgl etwa Betriebspensionszusagen) und die Bindungswirkung allein davon abhängt, welchen Eindruck der Arbeitnehmer vom schlüssigen Verhalten des Arbeitgebers haben durfte (Arb 1980/16 [Kerschner] uva). Besteht der Anspruch der betroffenen Arbeitnehmer auf Zusatzurlaub aber aufgrund ihrer Arbeitsverträge, konnte die Kündigung der unzulässigen Betriebsvereinbarung diesen bereits erworbenen Anspruch nicht berühren (infas 1994 A 53).
Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO begründet.