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OGH vom 31.08.1994, 8ObA236/94

OGH vom 31.08.1994, 8ObA236/94

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Rohrer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Edeltraut Haselmann und Alfred Klair als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Siegfried P*****, vertreten durch Dr.Kurt Martschitz, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagte Partei C***** Gesellschaft mbH, *****vertreten durch Dr.Clement Achammer, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen Kündigungsanfechtung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 5 Ra 227/93-15, womit der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 33 Cga 52/93-10, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens wird dem zu fällenden Urteil vorbehalten.

Text

Begründung:

Der am geborene Kläger trat am in den Betrieb der Beklagten in N***** ein. Mit wurde er in das Angestelltenverhältnis übernommen. Das zuletzt vereinbarte Grundgehalt betrug monatlich brutto S 25.583,--. Die Beklagte kündigte zunächst mit Schreiben vom das Arbeitsverhältnis des Klägers zum auf. Diese Kündigung wurde mit rechtskräftigem Versäumungsurteil des Erstgerichtes wegen Nichteinhaltung der Fristen des § 45a AMFG für rechtsunwirksam erklärt. Mit Schreiben vom , das dem Kläger am übergeben wurde, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis neuerlich zum auf. Der Kläger wurde sofort dienstfrei gestellt.

Der Kläger ist verheiratet und sorgepflichtig für seine nicht berufstätige Ehegattin und zwei Kinder im Alter von 12 und 19 Jahren. Der jüngere Sohn besucht die zweite Klasse des Gymnasiums in Bludenz, der ältere studiert im zweiten Semester Betriebswirtschaft an der Universität in Innsbruck. An Vermögen besitzt der Kläger eine Liegenschaft in Nüziders, auf der das vom Kläger und seiner Familie bewohnte Einfamilienhaus errichtet ist. An Heiz- und Betriebskosten sind im Jahresdurchschnitt monatlich S 3.000,-- aufzuwenden. Von einem Hausumbau her hat der Kläger noch Schulden in Höhe von DM 9.000,-- die derzeit jedoch aufgrund der angespannten finanziellen Situation nicht zurückgezahlt werden. Zu Weihnachten 1992 gab der Kläger eine notwendige Dachreparatur in Auftrag, die im Sommer 1993 durchgeführt wurde. Der Aufwand hiefür beträgt inclusive Spenglerarbeiten etwa S 110.000,--. Außerdem sollte die ca. 30 Jahre alte Küche dringend erneuert werden. Neben den laufenden Zahlungsverpflichtungen hat der Kläger für eine Lebensversicherung eine monatliche Prämie in Höhe von S 1.000,--, für freiwillige Sozialversicherungsbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung, die zur Erlangung der ewigen Anwartschaft für die Gattin einbezahlt werden, monatlich S 1.500,-- sowie für Miete und Lebenshaltungskosten des in Innsbruck studierenden Sohnes monatlich S 6.200,-- aufzuwenden. An Ersparnissen verfügt der Kläger über einen Betrag von rund S 75.000,--.

Der Kläger war immer im Werk N***** der Beklagten beschäftigt. Nach seinem Eintritt arbeitete er zunächst als Schreiber und Bürohilfskraft in der Disposition. In weiterer Folge absolvierte er verschiedene Kurse und wurde im Jänner 1984 ins Lohnbüro versetzt. Dort war er nach einer Einarbeitungsphase von ca. zwei Jahren allein tätig, wobei ihm zur Unterstützung eine Halbtagskraft beigegeben wurde. Die Hauptarbeit des Klägers waren die Lohnverrechnung und alle damit zusammenhängenden Arbeiten. So mußte er für die im Werk N***** beschäftigten rund 110 Arbeiter die Löhne EDV-fertig erstellen und hinsichtlich der Angestellten Statistiken und Überstundenaufzeichnungen führen. Dazu kamen die sonstigen üblicherweise dem Lohnbüro übertragenen Aufgaben wie das Führen diverser Aufzeichnungen (Urlaubskartei, Krankenstandskartei, Nachtschicht-Schwerarbeiterkartei), das Ausstellen von Krankenscheinen für Mitarbeiter und deren Angehörige, die Abwicklung von Lohnexekutionen, Behördenverkehr (Meldungen an die Gebietskrankenkasse, Erstattungsanträge, Ansuchen um Beschäftigungsbewilligungen im Zusammenhang mit der Beschäftigung von Gastarbeitern) und ähnliches. Weiters hatte der Kläger die Werkswohnungen zu verwalten und die Mietverträge zu erstellen. Er mußte auch die im Betrieb aufgestellten zwei Getränkeautomaten betreuen und sämtliche Schlüssel verwalten. Auch die Unterstützung des nur zeitweise im Werk N***** anwesenden Betriebsleiters gehörte zum Aufgabenkreis des Klägers. So hatte er für diesen beispielsweise bei urlaubsbedingter Abwesenheit Aufzeichnungen zu führen und in dessen Auftrag Briefe aufzusetzen. Der Kläger verwaltete auch die Werkskasse und zahlte aus dieser Vorschüsse aus. Schließlich versah er Telefondienst.

Die Beklagte betreibt seit vielen Jahren Werke in K***** und N*****. Die Gemeinde Nüziders liegt in der Nähe von Bludenz, die Gemeinde Klaus zwischen Feldkirch und Dornbirn. In Bludenz ist die sogenannte Hauptverwaltung situiert, die für den Einkauf, Verkauf, die Finanzbuchhaltung sowie die Zentraldisposition zuständig ist. Die Werke K***** und N*****, die bis 1965 verschiedenen Eigentümern gehörten, werden seit dem Jahre 1984 gemeinsam von einem Betriebsleiter betreut, der sich tageweise in den Betrieben aufhält. Im Werk N***** wurde bis Februar 1993 eine Weberei betrieben und Garn gefärbt. Außerdem ist in diesem Werk die gesamte Appretur (Ausrüsterei) untergebracht, in der die Rohgewebe nadelfertig ausgerüstet werden.

Die Beklagte hat das Jahr 1992 mit einem operativen Verlust von rund S 31 Mill. abgeschlossen, der nur durch außerordentliche Erträge in Höhe von rund S 32,3 Mill. aufgefangen werden konnte. Der sich aus den Rohdaten der Buchhaltung ergebende operative Verlust für die ersten vier Monate des Jahres 1993 errechnete sich mit rund S 13 Mill. Das Gesamtauftragsvolumen der Werke K***** und N***** ist im Jänner 1993 gegenüber Jänner 1992 von S 18,190.000,-- auf S 12,719.000,-- zurückgegangen. Im März ist eine Verringerung um rund S 8 Mill. gegenüber dem Vorjahr eingetreten. Der Bruttoverkaufsumsatz, der im ersten Vierteljahr 1992 rund S 77,3 Mill. betrug, fiel im ersten Vierteljahr 1993 auf S 57,4 Mill. Die Beklagte versucht, dieser ungünstigen wirtschaftlichen Entwicklung durch Umstrukturierungsmaßnahmen und Grundverkäufe bzw. Auflösung stiller Reserven zu begegnen. Der etwa seit Oktober 1992 beobachtete Auftragseinbruch hält seither mehr oder weniger an. Da er vor allem gemusterte Ware betrifft, ist er nicht nur als konjunkturell, sondern auch als strukturell bedingt anzusehen. Mit einer Besserung der Situation ist in nächster Zeit nicht zu rechnen, eher mit einer Verschlechterung.

Im Zuge der Umstrukturierungsmaßnahmen ist vorgesehen, sowohl die Weberei als auch die Färberei von N***** nach K***** zu verlegen. Diese Maßnahmen sollen in der zweiten Jahreshälfte 1993 durchgeführt und bis Jahresende 1993 abgeschlossen sein. Es ist vorgesehen, daß ab Jahresbeginn 1994 nur noch die Appretur in N***** geführt wird. In diesem Werk waren bis ungefähr Mitte des Jahres 1990 140 Mitarbeiter beschäftigt; Anfang Juli 1993 waren es noch 55. Nach Abschluß der Umstellung mit Jahresende 1993 werden ca. 30 Arbeitnehmer verbleiben, die zum größten Teil im Produktionsbereich eingesetzt sind.

Die Lohnverrechnung für das Werk N***** ist seit jeher von jener des Werkes Klaus separat geführt worden. Seit einiger Zeit erfolgt die Lohnbuchhaltung EDV-gestützt. Im Zuge der Umstellungsmaßnahmen ist vorgesehen, die Lohnverrechnung von Klaus aus zentral zu führen. Ab diesem Zeitpunkt wird im Werk N***** nur noch stundenweise die Anwesenheit eines Mitarbeiters aus der Lohnbuchhaltung notwendig sein, beispielsweise um Krankenscheine oder Bescheinigungen für das Arbeitsamt auszustellen. Nach Dienstfreistellung des Klägers werden nunmehr die bisher von diesem durchgeführten Aufgaben von einem Mitarbeiter aus dem Einkauf miterledigt. Die vom Kläger bisher verrichtete Tätigkeit im Lohnbüro fällt aufgrund des Personalabbaues und der Rationalisierungsmaßnahmen etwa ab Mitte des Jahres 1993 weitgehend weg. Die Lohnbuchhaltungsagenden werden dann zentral durch den in K***** arbeitenden und rund 28 Jahre bei der Beklagten beschäftigten Buchhalter erledigt werden. Da die Arbeitszeiterfassung nunmehr über EDV abgewickelt wird, wird dieser Mitarbeiter auch in Zukunft allein im Lohnbüro tätig sein.

Anfang Juni 1993 waren im Verwaltungsbereich des Werkes in N*****, den Betriebsleiter nicht mitgerechnet, drei Angestellte tätig. Nach Abschluß der Rationalisierungs- und Neuorganisationsphase wird man in diesem Bereich mit eineinhalb Mitarbeitern auskommen.

Mitte des Jahres 1990 waren im Werk K***** noch ca. 150 Personen beschäftigt. Anfang Juni 1993 betrug der Mitarbeiterstand ca. 120. Dieser Personalstand wird wegen der Umsatzentwicklung wahrscheinlich nicht gehalten werden können. Nach den Plänen der Beklagten sollen im gesamten Unternehmen in der Endphase der Konsolidierung noch rund 130 bis 150 Mitarbeiter beschäftigt werden.

Vor der Kündigung des Klägers machten sich der Betriebsleiter und der zuständige Angestellte für den kaufmännischen Bereich darüber Gedanken, ob der Kläger allenfalls in einem anderen Betriebsbereich eingesetzt werden könnte. Eine andere Beschäftigungsmöglichkeit wurde für den Kläger jedoch nicht gefunden und ist auch auf freien bzw. in absehbarer Zeit freiwerdenden Arbeitsplätzen nicht vorhanden. Der Kläger deponierte bereits nach der ersten Kündigung dem für Personalangelegenheiten zuständigen Betriebsleiter der beiden Werke die Bereitschaft, auch andere Tätigkeiten zu übernehmen.

Für das Werk N***** bestand wohl ein Arbeiter-, jedoch kein Angestelltenbetriebsrat. Im Zeitpunkt der Kündigung des Klägers waren etwa 35 Angestellte im Werk N***** beschäftigt.

Wie aufgrund veröffentlichter Statistiken bekannt ist, betrug die Arbeitslosenrate im Raum Bludenz im April 1993 8,6 % und ging saisonbedingt bis Juli auf 3,9 % zurück. Vorarlbergweit betrug der Prozentsatz der als arbeitssuchend vorgemerkten Personen (im Verhältnis zu den unselbständig Erwerbstätigen) im April 6,6 % und im Juli 4,8 %. In Anbetracht der derzeitigen wirtschaftlichen Situation und des Alters des Klägers wird es für ihn nur sehr schwer möglich sein, auf dem Arbeitsmarkt unterzukommen.

Mit seiner am beim Erstgericht eingelangten Klage ficht der Kläger die Kündigung als sozialwidrig an. Er bringt vor, er stehe im 49. Lebensjahr und unterliege im Hinblick auf die Betriebszugehörigkeit von rund 34 Jahren als langjähriger Mitarbeiter einem erhöhten Kündigungsschutz. In Anbetracht der ihn treffenden Sorgepflichten und der im Zusammenhang mit der Erhaltung des Wohnhauses bestehenden finanziellen Lasten entstehe für ihn durch die Kündigung eine existenzbedrohende finanzielle Situation. Die Tätigkeit eines Lohnbuchhalters im Betrieb der Beklagten müsse auch weiterhin verrichtet werden. Da keine personenbezogene Kündigung vorliege, sei die Weiterbeschäftigung des Klägers der Beklagten in einem höheren Ausmaß zumutbar als dem Kläger die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dem Kläger werde es nach der Kündigung in absehbarer Zeit nicht möglich sein, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu finden.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und beantragte dessen Abweisung aus folgenden Gründen: Durch die derzeitige Wirtschaftslage, die bekanntlich die Textilindustrie schwer treffe, sei sie gezwungen, in Produktion und Verwaltung möglichst viele Arbeitsplätze einzusparen. Durch den in den letzten fünf Monaten erlittenen Auftragseinbruch von ca. 35 % müsse die Produktion aus Rationalisierungsgründen im Werk K***** konzentriert und die Verwaltung entsprechend reduziert werden. Durch diese Produktionsverlagerung seien Arbeitsplätze in den Werkbüros in N***** weggefallen. Die Beklagte führe bei der momentan herrschenden Rezession einen Existenzkampf, bei dem es um das Überleben der Firma und damit um die Erhaltung von rund 180 verbleibenden Arbeitsplätzen gehe. Der Beklagten sei daher die Beschäftigung von nicht verwendbaren Mitarbeitern unzumutbar.

Das Gericht erster Instanz wies das Klagebegehren ab. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte zur rechtlichen Beurteilung aus, daß es sich beim Werk N***** um einen eigenen Betrieb im Sinne des § 34 ArbVG handle. Die Betriebsbedingtheit einer Kündigung sei nur in bezug auf denjenigen Betrieb zu prüfen, in dem der Gekündigte tatsächlich beschäftigt gewesen sei. In einem mehrere Betriebe umfassenden Unternehmen seien nur die Umstände des konkreten Betriebes und nicht die Verhältnisse des Gesamtunternehmens zu berücksichtigen. Aufgrund des festgestellten Sachverhaltes ergebe sich, daß die Kündigung eine Beeinträchtigung wesentlicher Interessen des Arbeitnehmers im Sinne des § 105 Abs. 3 Z 2 ArbVG darstelle, welcher Umstand im Verfahren auch nicht dezidiert bestritten worden sei. Neben der drohenden Arbeitslosigkeit werde sich die finanzielle Situation des Klägers und seiner Familie nach Wegfall des Arbeitseinkommens, auch wenn dieses teilweise durch Arbeitslosengeld und allenfalls in weiterer Folge durch Notstandshilfe substituiert werde, deutlich verschlechtern. Allerdings sei auch das Vorliegen betrieblicher Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers entgegenstehen, zu bejahen. Aufgrund der Auftrags- und Umsatzrückgänge und der nur durch Auflösung stiller Reserven und Grundverkäufe abzuwendenden Verluste stelle die Reduzierung des Personalstandes und damit der Personalkosten eine unbedingte wirtschaftliche Notwendigkeit dar. Es verstehe sich von selbst, daß durch die Weiterbeschäftigung eines an sich nicht mehr benötigten Mitarbeiters die betrieblichen Interessen nachteilig berührt würden. Die vorzunehmende Interessenabwägung zeige, daß diese betrieblichen Interessen jene des Klägers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsplatzes überwiegen, sodaß die Kündigung als sozial gerechtfertigt zu betrachten sei. Dem Kläger werde nach der Kündigung Arbeitslosengeld einschließlich von Familienzuschlägen und Familienbeihilfen von insgesamt rund 16.000 S zur Verfügung stehen. Da der ältere Sohn bei ausreichendem Studienerfolg Anspruch auf Studienbeihilfe habe, müsse es dem Kläger möglich sein, die laufenden finanziellen Verpflichtungen abzudecken. Zur Bezahlung der Dachreparatur könne der Kläger einen Teil der ihm zukommenden Abfertigung verwenden. Demgegenüber stehe die Situation der Beklagten, welche gezwungen sei, Arbeitsplätze abzubauen, um das Gesamtunternehmen und damit über 100 weitere Arbeitsplätze nicht zu gefährden. Die Beklagte habe den Nachweis erbracht, daß weder im Werk N***** noch im Gesamtunternehmen die Weiterverwendung des Klägers auf einem freien bzw. in absehbarer Zeit freiwerdenden Arbeitsplatz möglich sei.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung des Klägers nicht Folge und führte aus: Das Erstgericht habe zutreffend das Bestehen eines selbständigen Betriebes angenommen. Nur nach den Verhältnissen in diesem Betrieb sei die Erforderlichkeit der Kündigung zu beurteilen. Im übrigen habe das Erstgericht festgestellt, daß auch eine Einsatzmöglichkeit im Betrieb K***** oder in der sogenannten Hauptverwaltung für den Kläger nicht gegeben sei.

Der gegen das berufungsgerichtliche Urteil erhobenen Revision des Klägers kommt Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Bei Beurteilung des Anfechtungsgrundes des § 105 Abs. 3 Z 2 ArbVG ist unter Einbeziehung der gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers und seiner Familienangehörigen primär zu prüfen, ob die Kündigung wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt. Bei älteren Arbeitnehmern sind sowohl bei der Prüfung, ob eine Kündigung sozial ungerechtfertigt ist, als auch beim Vergleich sozialer Gesichtspunkte der Umstand einer vieljährigen ununterbrochenen Beschäftigungszeit im Betrieb oder Unternehmen, dem der Betrieb angehört, sowie die wegen des höheren Lebensalters zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß besonders zu berücksichtigen. Liegt eine solche Interessenbeeinträchtigung vor, ist die Kündigung nur dann nicht sozialwidrig, wenn der Nachweis des Vorliegens eines Ausnahmetatbestandes (§ 105 Abs. 3 Z 2 lit.a und b ArbVG) erbracht wird. Aber auch dadurch wird die Sozialwidrigkeit der Kündigung nicht immer aufgehoben. Es ist eine Abwägung der durch die Kündigung beeinträchtigten Interessen des Arbeitnehmers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses mit den Interessen des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorzunehmen (SZ 63/119; DRdA 1992/53; 9 ObA 233/93). Als Umstände, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Sinne des § 105 Abs. 3 Z 2 lit.b ArbVG entgegenstehen, kommen wirtschaftliche, technische oder organisatorische Belange in Betracht. Darunter fallen unter anderem mangelnde Aufträge, Rückgang des Absatzes, Wettbewerbsrücksichten, geringe Ertragslage (DRdA 1988/10) und damit auch die erwirtschafteten Verluste. Die Kündigung ist nur dann in den Betriebsverhältnissen gerechtfertigt, wenn im gesamten Betrieb gerade für den betroffenen Arbeitnehmer kein Bedarf besteht und daher die Kündigung notwendig ist (DRdA 1988/10; Arb 10.771). Wenn wirtschaftliche Schwierigkeiten zur Personalreduktion zwingen und der Arbeitsplatz des gekündigten Arbeitnehmers betroffen ist, liegt ein betriebsbedingter Kündigungsgrund auch dann vor, wenn der Tätigkeitsbereich dieses Arbeitnehmers zwar nicht wegfällt, aber eine Nachbesetzung wegen Rationalisierung unterbleibt, weil die Tätigkeit von anderen Arbeitnehmern mitübernommen wird, soferne mit diesen Maßnahmen eine nicht unbeträchtliche Kostenverringerung eintritt (DRdA 1992/41).

Insoweit haben auch die Vorinstanzen die Rechtslage zutreffend wiedergegeben und kann daher auf die diesbezüglichen ausführlichen Ausführungen verwiesen werden. Im Revisionsverfahren ist nur mehr strittig, woran die betrieblichen Erfordernisse, die gemäß § 105 Abs. 3 Z 2 lit.b ArbVG einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegenstehen können, zu messen sind. Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers kann nicht zweifelhaft sein, daß das Werk N***** zumindest vor der Umstrukturierung als selbständiger Betrieb im Sinne des § 34 ArbVG zu werten ist. Nach Abs. 1 der genannten Gesetzesstelle gilt jede Arbeitsstätte, die eine organisatorische Einheit bildet, innerhalb der eine physische oder juristische Person oder eine Personengemeinschaft mit technischen oder immateriellen Mitteln die Erzielung bestimmter Arbeitsergebnisse fortgesetzt verfolgt, ohne Rücksicht darauf, ob Erwerbsabsicht besteht oder nicht, als Betrieb. Wesenselemente eines Betriebes sind demnach der Betriebsinhaber, die Betriebsmittel, die Beschäftigten und das Vorliegen einer auf Dauer berechneten Tätigkeit. Dabei müssen Betriebsmittel und Beschäftigte zu einer organisatorischen Einheit zusammengefaßt sein, die der Hauptsache nach in dreifacher Weise zum Ausdruck kommen muß, nämlich in der Einheit des Betriebsinhabers, in der Einheit des Betriebszwecks und in der Einheit der Organisation. Um von einem Betrieb als Bestandteil eines Unternehmens sprechen zu können, muß also der organisatorischen Einheit ein gewisses Mindestmaß an Selbständigkeit, insbesondere in technischer Hinsicht eingeräumt sein. Ebenso muß das Ergebnis ihres Arbeitsvorganges eine wenn auch beschränkte Abgeschlossenheit oder Unabhängigkeit von anderen Betriebsvorgängen aufweisen (Arb 9453; 10.016). Die Selbständigkeit eines Betriebes wird nicht entscheidend dadurch beeinträchtigt, daß bestimmte administrative kaufmännische oder wirtschaftliche Agenden für eine Reihe von Betriebsstellen in einer Zentrale gemeinsam geführt werden; insbesondere geht der Betriebscharakter nicht deshalb verloren, weil die Personalangelegenheiten für mehrere Betriebe gemeinsam von der Unternehmensspitze bearbeitet werden (Arb 8073; 8674; 10.016; SZ 59/89; Strasser in Floretta/Strasser, Komm.z.ArbVG 202 f Anm.2.2.3).

Das Werk N*****, in welchem der Kläger beschäftigt war, war bis zur Umstrukturierung als eine organisatorisch-technische Einheit zu betrachten und damit dem Betriebsbegriff des § 34 Abs. 1 ArbVG zu unterstellen. Wie bereits das Erstgericht zutreffend darlegte, ergibt sich dies aus den eigenständigen Produktionsbereichen (Färberei, Weberei und Ausrüstung) sowie der weitestgehend selbständigen Führung der Verwaltung wie etwa der Lohnbuchhaltung. Auch daß für das Werk ein eigener Arbeiterbetriebsrat besteht, kann als Indiz gewertet werden.

Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ist bei der Beurteilung der Betriebsbedingtheit der Kündigung auch die künftige Entwicklung der Verhältnisse nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers heranzuziehen, wenn diese noch in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der angefochtenen Kündigung stehen (WBl. 1988, 399; 9 ObA 224/89). Nach den Feststellungen des Erstgerichtes arbeiteten nach Abschluß der Umstrukturierung mit Jahresende 1993 im Werk N***** noch ca. 30 Personen und verblieb als selbständiger Produktionsbereich die gesamte Appretur (Ausrüsterei) im Werk. Wenngleich die Lohnbuchhaltung nunmehr zentral vom Werk K***** ausgeführt wird, kann aufgrund der oben dargestellten rechtlichen Erwägungen nicht ohneweiteres davon gesprochen werden, daß die organisatorisch-technische Betriebseinheit zur Gänze zerschlagen worden wäre. Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers weist auch die nunmehr im Werk N***** durchgeführte Tätigkeit eine ausreichende Abgeschlossenheit und Unabhängigkeit von den Betriebsvorgängen im Werk K***** auf, sodaß nach den bisherigen Beweisergebnissen auch weiterhin vom Vorliegen eines - wenngleich verkleinerten - selbständigen Betriebes ausgegangen werden kann.

Mit der Frage des Umfanges der Pflicht zur Prüfung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten eines Arbeitnehmers bei Bestehen mehrerer Betriebe hat sich der Oberste Gerichtshof in 9 ObA 224/89 = DRdA 1990, 143 beschäftigt. Er vertrat dort die Ansicht, daß auch in diesem Falle die Prüfung der betrieblichen Erfordernisse grundsätzlich auf den Betrieb zu beschränken sei, in dem der Arbeitnehmer verwendet wurde, daß dieser Grundsatz aber dann nicht Anwendung findet, wenn wegen besonderer Umstände eine weitergehende Prüfpflicht des Arbeitgebers bestehe, zB wenn der Arbeitnehmer schon wiederholt in verschiedenen Betrieben des Betriebsinhabers gearbeitet habe. Damit bezog sich der Oberste Gerichtshof offenkundig auf die Auffassung Florettas in Floretta/Strasser, Komm.z.ArbVG 640, der zu den besonderen Umständen, die zu einer erweiterten Prüfpflicht führen, neben dem bereits zitierten Fall auch noch den Umstand anführt, daß der Arbeitnehmer durch einen schweren Arbeitsunfall besonders berücksichtigungswürdig sei. Zum selben Problem hat auch Kuderna in DRdA 1975, 9 (Die sozial ungerechtfertigte Kündigung nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG) Stellung genommen. Auch er vertritt die Ansicht, daß die der Weiterbeschäftigung entgegenstehenden Erfordernisse sich auf einen Betrieb im Sinne der §§ 34, 35 ArbVG beziehen müssen und nicht auf die Verhältnisse des Gesamtunternehmens oder einer bestimmten Betriebsabteilung. Es habe daher eine Prüfung in der Richtung, ob der Arbeitnehmer in einem anderen Betrieb desselben Arbeitgebers beschäftigt werden könne, zu unterbleiben, es sei denn, den Arbeitgeber treffe eine besondere Fürsorgepflicht dem Arbeitnehmer gegenüber, etwa weil er diesem eine Dauerstellung zugesagt hat, weil er die Unmöglichkeit der Weiterbeschäftigung zu vertreten hat, weil die betrieblichen Erfordernisse auf einem vom Arbeitnehmer nicht verschuldeten Arbeitsunfall beruhen, weil der Arbeitnehmer schon wiederholt in verschiedenen Betrieben seines Arbeitgebers gearbeitet hat, weil eine Verwendung in diesen verschiedenen Betrieben vereinbart worden ist oder weil ein Leiharbeitsverhältnis vorliegt. Grillberger in WBl 1990, 7 (Neue Tendenzen im arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz?) hält die Beschränkung der Prüfpflicht auf den konkreten Betrieb rechtspolitisch nicht unbedingt für einsichtig. Es gehe schließlich bei der Kündigung um die Auflösung der Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Es wäre also konsequent, auf die weiteren Verwendungsmöglichkeiten beim Arbeitgeber und nicht beim Betriebsinhaber abzustellen. Die herrschende Ansicht habe aber eindeutig den Gesetzeswortlaut für sich. § 105 Abs. 3 Z 2 lit.b ArbVG spreche nämlich von "betrieblichen" Erfordernissen und nicht etwa von Erfordernissen des Unternehmens. Auch sonst sei dem Gesetz die Unterscheidung von Betrieb und Unternehmen geläufig. Das zeige sich beim Erfordernis einer sechsmonatigen Beschäftigungsdauer im Betrieb "oder" Unternehmen (§ 105 Abs 3 Z 2 ArbVG). Außerdem sehe § 121 Abs. 1 ArbVG ausdrücklich vor, daß es auf die Weiterverwendungsmöglichkeit des gekündigten Betriebsratsmitgliedes im Betrieb "oder" Unternehmen ankomme. Dennoch seien die von Floretta und Kuderna erwähnten Ausnahmefälle zu billigen. Die gesetzliche Regelung, wonach es nur auf die Weiterverwendungsmöglichkeit im Betrieb ankommen solle, liege nämlich im Interesse des Arbeitgebers. Seine Organisationsentscheidung solle respektiert werden. Wenn aber der Arbeitgeber selbst auf die organisatorische Selbständigkeit keinen Wert gelegt hat, indem er zB den Arbeitnehmer in verschiedenen Betrieben einsetzt oder sich diesen Einsatz vorbehalten hat, sollte auch im Kündigungsschutz die Selbständigkeit der Betriebe keine Rolle mehr spielen.

Eine vergleichbare Ausnahme liegt im gegenständlichen Fall vor. Die Beklagte hat durch ihre Umstrukturierungsmaßnahmen die organisatorische Selbständigkeit des Betriebes N***** wesentlich eingeschränkt und dabei insbesonders auch den Arbeitsplatz des Klägers in das Werk K***** transfertiert (vgl hiezu: Tomandl, Sozialwidrige Kündigung, 61). Die Beklagte hat selbst die bestehenden Betriebsstrukturen aufgebrochen und einen engeren Zusammenhang zwischen den Werken N***** und K***** geschaffen, als er bisher bestanden hat. Wenngleich das Werk N***** - wie bereits dargestellt - weiterhin als selbständiger Betrieb betrachtet werden kann, ist durch die Organisationsentscheidung des Dienstgebers doch eine Verflechtung der beiden Werke entstanden, die es berechtigt erscheinen läßt, die Umstände, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen, an den Erfordernissen beider Betriebe zu messen. Dies umso mehr, da die Beklagte gegenüber dem Kläger auch besondere Fürsorgepflichten im Sinne des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG treffen: Der Kläger ist nach den Feststellungen seit seinem 15.Lebensjahr im Werk N***** beschäftigt. Er war im Zeitpunkt der Kündigung 49 Jahre alt und ist für seine nicht berufstätige Gattin und zwei Kinder (Schüler und Student) sorgepflichtig. In Anbetracht der derzeitigen wirtschaftlichen Situation und des Lebensalters wird es für ihn nur sehr schwer möglich sein, auf dem Arbeitsmarkt unterzukommen. Ins Gewicht fällt schließlich auch, daß der Kläger nicht auf seinem bisherigen Tätigkeitsbereich im Werk N***** beharrt, sondern bereit ist, auch andere Tätigkeiten, allenfalls nach entsprechenden Schulungen, auszuüben.

Bei diesem Sachverhalt ist die Beklagte im Rahmen der sie treffenden sozialen Gestaltungspflicht verhalten, die Prüfung der Verwendungsmöglichkeit des Klägers auf das gesamte Unternehmen auszudehnen. Sie hat das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes des § 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG zu behaupten und zu beweisen (RdW 1994, 113) und ist daher dafür beweispflichtig, daß auch die auf das Gesamtunternehmen erweiterte Prüfung keine weitere Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger erbracht hat.

Das Erstgericht hat auf S. 13 der Urteilsausfertigung zwar festgestellt, daß überlegt wurde, den Kläger in einem anderen Betriebsbereich einzusetzen, jedoch eine andere Beschäftigungsmöglichkeit nicht gefunden worden und auch kein Arbeitsplatz in absehbarer Zeit frei sei. Diese Feststellung läßt jedoch nicht mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, ob sie sich auf den Betrieb oder das gesamte Unternehmen bezieht. Sie wäre auch in zweiterem Falle zu kursorisch, da es zumindest der genauen Feststellung bedürfte, welche Tätigkeiten der Kläger auszuüben bereit und in der Lage ist und welche korrespondierenden Arbeitsplätze im einzelnen zur Verfügung stehen. Erst wenn diese Feststellungen getroffen sind, wird das Anfechtungsbegehren abschließend beurteilt werden können. Es wird Sache der - im Verfahren erster Instanz unvertretenen und daher vom Gericht entsprechend anzuleitenden - Beklagten sein, entsprechend der sie treffenden dargestellten Behauptungs- und Beweislast ein Vorbringen zu erstatten.

Die Kostenentscheidung hat ihre Grundlage im § 58 Abs. 1 ASGG.