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OGH vom 28.10.2016, 9ObA118/16t

OGH vom 28.10.2016, 9ObA118/16t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Strasser Huber Rechtsanwälte OG in Graz, gegen die beklagte Partei T***** T*****, vertreten durch Preslmayr Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 15.900 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 24/16b 15, mit dem über Rekurs der klagenden Partei der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 43 Cga 136/15x 11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Beklagte wohnt seit ihrer Geburt in Slowenien. In Österreich hatte sie nie einen Wohnsitz.

In der vorliegenden – beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits und Sozialgericht eingebrachten – Mahnk lage nimmt die Klägerin die Beklagte als ehemalige Dienstnehmerin wegen Verstoßes gegen die vereinbarte Konkurrenzklausel in Anspruch. Die Beklagte sei bei ihrer neuen Dienstgeberin im Geschäftszweig der Klägerin konkurrenzierend tätig.

Der vom Erstgericht erlassene Zahlungsbefehl wurde der Beklagten – entsprechend den Angaben der Klägerin in der Mahnklage – „p.A. A***** GmbH“ in Graz, also am Sitz der neuen Dienstgeberin der Beklagten in Österreich, zugestellt. Gegen den Zahlungsbefehl erhob die (zum damaligen Zeitpunkt noch unvertretene) Beklagte rechtzeitig Einspruch. Diesen begründete sie damit, dass die von der Klägerin erhobenen Ansprüche nicht zu Recht bestünden. Als Beweismittel führte sie im Einspruchsformular zwei Zeugen an.

In einem folgenden vorbereitenden Schriftsatz erhob die Beklagte (nunmehr rechtsanwaltlich vertreten) die Einrede der internationalen Unzuständigkeit und erstattete erstmals ein konkretes Sachgegenvorbringen. Diesen Schriftsatz trug die Beklagte in der Folge in der einzigen Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vor.

Das Erstgericht erklärte sich für international unzuständig und wies die Klage zurück.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Das angerufene österreichische Gericht sei international unzuständig, weil nach Art 22 Abs 1 EuGVVO die Klage des Arbeitgebers nur vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden könne, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz habe. Dies sei hier nicht der Fall. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts sei auch nicht nachträglich durch eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art 25 EuGVVO oder durch eine Verfahrenseinlassung der Beklagten nach Art 26 EuGVVO begründet worden. Das Vorliegen einer Gerichtsstandsvereinbarung habe die Klägerin nicht behauptet. Abgesehen davon, dass der Einspruch der Beklagten nicht begründet sei, weil sich darin kein Sachvorbringen finde, stelle auch ein begründeter Einspruch im arbeitsgerichtlichen Verfahren keine (rügelose) Einlassung im Sinne des Art 26 Abs 1 EuGVVO dar.

Das Rekursgericht hat den Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof zugelassen, weil eine höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle, ob ausgehend von Art 26 EuGVVO ein begründeter Einspruch eines unvertretenen und nicht nach Abs 2 dieser Bestimmung belehrten Beklagten als Einlassung im Sinn des Art 26 Abs 1 EuGVVO zu werten sei.

In ihrem gegen diese Entscheidung erhobenen Revisionsrekurs schließt sich die Klägerin zur Zulässigkeit ihres Rechtsmittels den Ausführungen des Rekursgerichts an.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts ist der Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1. Da die Klage am eingebracht wurde, ist hier bereits die Verordnung (EU) Nr 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (kurz: EuGVVO) anzuwenden (Art 66 Abs 1 EuGVVO) anwendbar.

2. Dass das von der Klägerin angerufene Gericht für den gegenständlichen Arbeitsrechtsstreit nicht nach Art 22 Abs 1 EuGVVO international zuständig ist, weil die Beklagte ihren Wohnsitz in Slowenien hat, wird von der Klägerin nicht in Frage gestellt. Sie rekurriert ausschließlich darauf, dass sich die Beklagte durch einen begründeten Einspruch gegen den Zahlungsbefehl rügelos in das Verfahren eingelassen habe. Dadurch sei die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts im Sinne des Art 26 Abs 1 EuGVVO begründet worden.

Dieser Ansicht ist Folgendes entgegenzuhalten:

3.1. Nach Art 26 Abs 1 EuGVVO wird das Gericht eines Mitgliedstaats, sofern es dies nicht bereits nach anderen Vorschriften dieser Verordnung ist, zuständig, wenn sich der Beklagte vor ihm auf das Verfahren einlässt. Dies gilt nicht, wenn der Beklagte sich einlässt, um den Mangel der Zuständigkeit geltend zu machen oder wenn ein anderes Gericht aufgrund des Artikels 24 ausschließlich zuständig ist.

3.2. Der Begriff der Einlassung auf das Verfahren ist unionsrechtlich autonom zu bestimmen (1 Ob 23/14k; zur inhaltsgleichen Bestimmung des Art 24 EuGVVO 2000: Simotta in Fasching/Konecny 2 Art 24 EuGVVO Rz 17 mwN; Rauscher / Staudinger , EuZPR/EuIPR [2016] Art 26 Brüssel Ia VO Rn 4). Darunter ist jede Verteidigung zu verstehen, die unmittelbar auf die Abwehr des Klageanspruchs gerichtet ist, sodass die Rüge nicht erst nach Abgabe derjenigen Stellungnahme erhoben werden darf, die nach den innerstaatlichen Prozessvorschriften als das erste Verteidigungsvorbringen vor dem angerufenen Gericht anzusehen ist (1 Ob 23/14k mwN; vgl C 1/13, Cartier parfums – lunettes SAS , Rn 36 zur Verordnung [EG] Nr 44/2001 des Rates vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen). Es ist daher nach innerstaatlichem Recht zu beurteilen, welches Vorbringen im Einzelfall als erstes Verteidigungsvorbringen des Beklagten anzusehen ist, mit dem die Heilung nach Art 26 Abs 1 EuGVVO eintritt.

4.1. Der Oberste Gerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung zum innerstaatlichen österreichischen Mahnverfahren den Standpunkt, dass selbst ein mit Vorbringen in der Sache begründeter Einspruch gegen einen Zahlungsbefehl dann noch keine Einlassung in das Verfahren nach Art 26 EuGVVO (ex Art 24 EuGVVO bzw ex Art 18 LGVÜ) bewirkt, wenn nach den maßgeblichen Prozessvorschriften keine Begründung notwendig war (RIS Justiz RS0109437). Im bezirksgerichtlichen Mahnverfahren und im arbeitsgerichtlichen Verfahren bedarf ein Einspruch nach den innerstaatlichen österreichischen Verfahrensgesetzen keiner Begründung. Einem Beklagten gereicht es in diesen Verfahrensarten im Hinblick auf die rügelose Streiteinlassung daher auch nicht zum Nachteil, wenn er dennoch einen begründeten Einspruch erhebt, ohne darin auch schon die internationale Unzuständigkeit des Gerichts zu behaupten. Er kann die Einwendung der Unzuständigkeit noch im ersten vorbereitenden Schriftsatz oder spätestens in der ersten mündlichen Streitverhandlung nachholen. Diese Rechtsprechung hat der Oberste Gerichtshof zuletzt in der Entscheidung 8 Ob 39/11k trotz in der Literatur geäußerter Bedenken (ua Simotta in Fasching/Konecny ² Art 24 EuGVVO Rz 22; Burgstaller/Neumayr IZVR Art 24 EuGVVO Rz 9) ausdrücklich aufrecht erhalten.

4.2. Davon abzugehen besteht entgegen der neuerlichen Kritik von Mayr (Die rügelose Einlassung im europäischen [und österreichischen] Mahnverfahren, Zak 2012/334) kein Anlass. Mayr führt gegen die vom Obersten Gerichtshof vertretene Rechtsansicht keine neuen Argumente ins Treffen. Er verweist zum einen auf die bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung 8 Ob 39/11k vorhandene Kritik eines Teiles der Lehre und zum anderen auf die Entscheidung 3 Ob 17/99y, mit der der Oberste Gerichtshof von seiner nunmehr in 8 Ob 39/11k vertretenen Rechtsauffassung bereits abgerückt wäre. Der Kritik der Lehre ist der Oberste Gerichtshof schon in 8 Ob 39/11k ausdrücklich nicht gefolgt. Die Entscheidung 3 Ob 117/99y steht mit der Entscheidung 8 Ob 39/11k und der darin erwähnten ständigen Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0109437) nicht in Widerspruch. In 3 Ob 117/99y (vgl auch 3 Ob 187/00x und 6 Ob 41/03b) wurde im Zusammenhang mit einem Sachvorbringen, das in einem im bezirksgerichtlichen Verfahren vor der ersten mündlichen Streitverhandlung eingebrachten Schriftsatz erstattet wurde, ohne die Einrede der Unzuständigkeit zu erheben, eine Heilung der Unzuständigkeit gemäß § 104 Abs 3 JN angenommen, weil der Schriftsatz aufgetragen („freigestellt“) worden war. Diese Fallkonstellation liegt aber hier nicht vor und wurde auch in 8 Ob 39/11k nicht angesprochen.

Da dem Revisionsrekurs der Klägerin daher schon aus diesen Erwägungen nicht Folge zu geben war, erübrigt sich eine Stellungnahme zu den weiteren vom Rekursgericht angestellten Überlegungen zur Belehrungspflicht des Art 26 Abs 2 EuGVVO.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 528a iVm § 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40, 50 ZPO. Die Beklagte hat in ihrer Revisionsrekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses der Klägerin nicht hingewiesen. Sie hat daher die Kosten ihrer nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Rechtsmittelbeantwortung selbst zu tragen (RIS-Justiz RS0035962; RS0035979).

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:009OBA00118.16T.1028.000