OGH vom 27.01.2021, 9ObA100/20a

OGH vom 27.01.2021, 9ObA100/20a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und Hon.-Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Helmut Frick (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei ***** T*****, vertreten durch Mag. Martin Wakolbinger, Rechtsanwalt in Enns, gegen die beklagte Partei ***** G***** mbH, *****, vertreten durch Dr. Ulrich Schwab, Dr. Georg Schwab, Rechtsanwälte in Wels, wegen Rechnungslegung und Leistung (Streitwert: 8.500 EUR; Revisionsinteresse: 1.050 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 46/20a-15, mit dem der gegen das Teilurteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 8 Cga 9/20s-9, gerichteten Berufung der klagenden Partei nicht Folge und der Berufung der beklagten Partei Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben.

Das Berufungsurteil wird dahin abgeändert, dass das Teilurteil des Erstgerichts, mit dem die beklagte Partei schuldig erkannt wurde, der klagenden Partei für den Zeitraum vom bis über den Rückkaufswert inklusive der bis zu diesem Zeitpunkt gutgeschriebenen Gewinnanteile der Rückdeckungsversicherung zur Pensionszusage vom Rechnung zu legen, und das den Zeitraum bis betreffende Mehrbegehren abgewiesen wurde, wiederhergestellt wird.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger war vom bis und vom bis bei der Beklagten beschäftigt. Am schlossen die Streitteile eine Vereinbarung über eine Pensionszusage ab, nach der dem Kläger als Versorgungsleistung eine Alters-, Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenpension gewährt werden sollte. § 3 der Vereinbarung lautete: „Für die angeführten Leistungen ist keine Wartezeit vorgesehen.“ Die Pensionszusage wurde durch den Abschluss einer Rückdeckungsversicherung finanziert. Ergänzend wurde dem Kläger auch eine Option auf Kapitalabfindung eingeräumt („im Fall eines unverfallbaren Anspruchs nach Beendigung des Dienstverhältnisses …“). Die Kapitalabfindung sollte dem Umfang der zu diesem Zeitpunkt ordnungsgemäß vorgesorgten Pensionsrückstellung, mindestens jedoch dem Rückkaufswert inklusive der bis zu diesem Zeitpunkt gutgeschriebenen Gewinnanteile der Rückdeckungsversicherung entsprechen. Nach dem am unterfertigten Arbeitsvertrag sollte „die im März 2009 abgeschlossene Pensionszusage“ „im vollen Umfang gewährt“ werden. Beide Arbeitsverhältnisse endeten durch Kündigungen durch den Kläger.

[2] Mit seiner am eingebrachten Stufenklage begehrte der Klägerdie Rechnungslegung über den Rückkaufswert einschließlich der bis zu diesem Zeitpunkt gutgeschriebenen Gewinnanteile sowie Zahlung des sich aufgrund des Rechnungslegungsbegehrens ergebenden Betrags. Die Vorinstanzen wiesen das Rechnungslegungsbegehren für den Zeitraum bis (einschließlich des „Eventualbegehrens“ für den Rechnungslegungszeitraum bis und bis ) wegen Verfalls (§ 7 BPG idF vor BGBl I 2018/54) rechtskräftig ab. Revisionsgegenständlich ist noch das Rechnungslegungsbegehren für den Zeitraum bis .

[3] Der Kläger erachtet die diesbezüglichen Anwartschaftszeiten im Hinblick auf die mit § 3 der Pensionszusage abbedungene Wartezeit und die Übergangsbestimmung des Art VI Abs 1 Z 16 BPG idF BGBl I 2018/54 als nicht verfallen. Die Beklagte hat auch insoweit bestritten und Klagsabweisung beantragt, weil keine Unverfallbarkeit eingetreten sei.

[4] Das Erstgericht gab mit Teilurteil dem Begehren insoweit statt. § 7 BPG nF sehe eine gesetzliche Wartezeit von drei Jahren seit Erteilung der Leistungszusage vor. Mit § 3 der Pensionszusage liege aber eine Vereinbarung vor, mit der die gesetzliche Wartezeit abbedungen worden sei. Demnach schade es nicht, dass die gesetzliche Wartezeit von drei Jahren seit nicht erfüllt sei. Die Anwartschaft sei für den genannten Zeitraum unverfallbar.

[5] Soweit revisionsgegenständlich, gab das Berufungsgericht der dagegen erhobenen Berufung der Beklagten Folge und wies auch diesen Teil des Rechnungslegungsbegehrens ab. Zur Frage der Unverfallbarkeit der aus der Leistungszusage erworbenen Anwartschaften des Klägers führte es zusammengefasst aus, mit § 3 der Vereinbarung von 2009 hätten die Streitteile auf die Wartezeit iSd § 7 Abs 1 Z 3 und Abs 2 BPG idF vor der Novelle BGBl I 2018/54 verzichtet, nicht aber auf die „Unverfallbarkeitsfrist“ des § 7 Abs 1 Z 2 BPG leg cit. Nach der Übergangsbestimmung des Art VI Abs 1 Z 16 BPG idF BGBl I 2018/54 könnten nur jene Beschäftigungszeiten für die Zurücklegung der Unverfallbarkeitsfrist nach § 7 Abs 1 BPG idF BGBl I 2018/54 berücksichtigt werden, die nach dem zurückgelegt wurden. Weil die Unverfallbarkeitsfrist im Zusammenhang mit der Selbstkündigung durch den Kläger nach neuer Rechtslage erst am zu laufen begonnen habe – sodass im Zeitpunkt der Kündigung noch keine drei Jahre vergangen gewesen seien –, seien keine Pensionsansprüche unverfallbar geworden.

[6] In seiner dagegen gerichteten außerordentlichen Revision richtet sich der Kläger gegen die Klagsabweisung im Umfang des Rechnungslegungsbegehrens für den Zeitraum bis .

[7] Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die Revision ist im Hinblick auf die Auslegung der Übergangsbestimmung des Art VI Abs 1 Z 16 BPG idF BGBl I 2018/54 zulässig und berechtigt.

[9] Der Kläger ist der Ansicht, die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 BPG idF BGBl I 2018/54 erfüllt zu haben. Es sei nicht normiert, dass die Unverfallbarkeitsfrist von drei Jahren ab Gesetzesänderung neu zu laufen beginnen müsse. Die Regelung des § 3 der Pensionszusage sei zu Lasten der Beklagten als Verwenderin dahin auszulegen, dass gänzlich auf eine Warte-/Unverfallbarkeitsfrist verzichtet worden sei.

[10] Dazu war zu erwägen:

[11] 1. § 7 Abs 1 und 2 BPG idF vor der Novelle BGBl I 2018/54 lautete:

„§ 7. (1) Mangels einer für den Arbeitnehmer günstigeren Vereinbarung wird bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses die aus einer direkten Leistungszusage erworbene Anwartschaft für die Alters- und Hinterbliebenenversorgung unverfallbar, wenn

1. das Arbeitsverhältnis nicht durch Kündigung seitens des Arbeitnehmers, durch Entlassung aus Verschulden des Arbeitnehmers oder unbegründeten vorzeitigen Austritt endet,

2. seit Erteilung der Leistungszusage fünf Jahre vergangen sind, und

3. sofern eine fünf Jahre übersteigende Wartezeit zulässig vereinbart wurde, diese abgelaufen ist.

(2) Der Rechtsanspruch auf eine Versorgungsleistung kann vom Ablauf einer Frist seit Erteilung der Leistungszusage (Wartezeit) abhängig gemacht werden. …“

[12] Die Bestimmung wurde zur Umsetzung der RL 2014/50/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Mindestvorschriften zur Erhöhung der Mobilität von Arbeitnehmern zwischen den Mitgliedstaaten durch Verbesserung des Erwerbs und der Wahrung von Zusatzrentenansprüchen („Portabilitäts-Richtlinie“) mit BGBl I 2018/54 novelliert und lautet nunmehr:

„§ 7. (1) Mangels einer für den Arbeitnehmer günstigeren Vereinbarung wird bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Eintritt des Leistungsfalles die bisher aus einer direkten Leistungszusage erworbene Anwartschaft auf eine Alters- und Hinterbliebenenversorgung unverfallbar, wenn seit Erteilung der Leistungszusage drei Jahre vergangen sind.“

[13] Abs 2 wurde aufgehoben.

[14] Die Übergangsbestimmung des Art VI Abs 1 Z 16 BPG idF BGBl I 2018/54 lautet:

„16. Die § 7, 8 und 17 Abs. 1 in der Fassung des BGBl I Nr 54/2018 treten mit in Kraft und gelten für Beschäftigungszeiten aus direkten Leistungszusagen, die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes entstehen. Für Beschäftigungszeiten aus direkten Leistungszusagen, die vor dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes liegen, gelten weiterhin die Regelungen der § 7, 8 und 17 in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl I Nr 54/2018.“

[15] 2. Dass die Streitteile mit § 3 der Pensionszusage („… ist keine Wartezeit vorgesehen.“) zwar von einer nach § 7 Abs 2 BPG aF möglichen vertraglichen Wartezeit Abstand nahmen, nicht aber von der in § 7 Abs 1 Z 2 BPG aF normierten gesetzlichen Unverfallbarkeitsfrist, hat bereits das Berufungsgericht ausführlich dargelegt. Darauf wird verwiesen (§ 510 Abs 3 S 2 ZPO). Angesichts der schon im Gesetz angelegten Differenzierung zwischen der Unverfallbarkeitsfrist und einer darüber hinausgehenden (dann aber vertraglich zu vereinbarenden) Wartezeit liegt hier entgegen dem Vorbringen des Klägers auch noch keine unklare Regelung vor, die zu seinen Gunsten ausgelegt werden müsste. Ungeachtet der Novelle BGBl I 2018/54 ist daher davon auszugehen, dass die Streitteile nicht auf die Einhaltung der gesetzlichen Unverfallbarkeitsfrist verzichtet hatten.

[16] 3. Ob und inwieweit die Anwartschaften des Klägers unverfallbar sind, bestimmt sich nach § 7 Abs 1 iVm der Übergangsbestimmung des Art VI Abs 1 Z 16 BPG idF BGBl I 2018/54.

[17] Mit der neuen Fassung des § 7 Abs 1 BPG ist die Maßgeblichkeit der Beendigungsart für die Unverfallbarkeit entfallen. Zugleich wurde die gesetzliche Unverfallbarkeitsfrist Für die Anwendung dieser Regelung auf Anwartschaften aus „Altverträgen“, das heißt vor dem abgeschlossene Vereinbarungen, sieht die zitierte Übergangsbestimmung des Art VI Abs 1 Z 16 BPG eine Differenzierung vor. Danach soll die neue Regelung des § 7 Abs 1 BPG für Beschäftigungszeiten aus direkten Leistungszusagen, die nach dem Inkrafttreten der Novelle zum entstehen, gelten, während für davor liegende Beschäftigungszeiten die alte Regelung gilt. Die Erläuterungen, RV 164 BlgNR XXVI. GP 4 zu Art VI Abs 1 Z 16, halten dazu fest: „Von den Neuregelungen der § 7 und 17 sollen Leistungszusagen insoweit erfasst werden, als aus diesen nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens Anwartschaften entstehen.“ (Hervorhebung nur hier, Anm).

4.In diesem Sinn geht auch die Literatur von einem „Splitting“ der Anwartschaften aus Altverträgen aus (zB Shubshizky, PraxisNews aus Sozialversicherungs, Lohnsteuer und Arbeitsrecht in KurzformKapitel: Anpassung des BPG an die Portabilitätsrichtlinie: Firmenpensionsanwartschaften nach drei Jahren ab Zusagenerteilung zwingend unverfallbar! AsoK 2018, 356 [358]; Granzer, Änderung im Betriebspensionsgesetz bei Pensionszusagen, VWT 2018, 424; Hartl, Arbeitsrechtliche Instrumente der Betriebsbindung, RdW 2019/614 FN 94; Stopper/Reindl in Reindl/Stopper, Praxiskommentar BPG [Linde 2020] 184).

5.Zwischen den Streitteilen ist der Ablauf der Unverfallbarkeitsfrist strittig.

[20] Für die Beurteilung der Unverfallbarkeit von Anwartschaften aus den Beschäftigungszeiten, die nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neuregelung liegen, gilt nach der Übergangsbestimmung § 7 Abs 1 BPG nF; es kommt sohin darauf an, ob die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 BPG nF erfüllt sind. § 7 Abs 1 BPG nF macht die Unverfallbarkeit nur davon abhängig, dass „seit Erteilung der Leistungszusage drei Jahre vergangen sind“. Weder der Übergangsbestimmung noch § 7 Abs 1 BPG nF lässt sich aber entnehmen, dass die Berücksichtigung der „neuen“ Beschäftigungszeiten auch ein Verstreichen der dreijährigen Unverfallbarkeitsfrist des § 7 Abs 1 BPG nF ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens erfordert. Ein solches Verständnis, das auf einen neuen Fristenlauf hinausliefe, wäre nicht mit dem Wortlaut des § 7 Abs 1 BPG nF („seit Erteilung der Leistungszusage“) in Einklang zu bringen (insoweit idS auch Stopper/Reindl aaO S 184). Auch bei vor dem vereinbarten direkten Leistungszusagen ist für den Ablauf der Unverfallbarkeitsfrist des § 7 Abs 1 iVm Art VI Abs 1 Z 16 BPG idF BGBl I 2018/54 sohin nur wesentlich, dass sie „seit Erteilung der Leistungszusage“ verstrichen ist.

6.Für den vorliegenden Fall bedeutet das, dass die Art der Beendigung des Dienstverhältnisses für Anwartschaften für Beschäftigungszeiten, die nach dem Inkrafttreten des BGBl I 2018/54 entstehen, keine Rolle mehr spielt, sodass die Eigenkündigung des Klägers für die Frage der Unverfallbarkeit unschädlich ist. Weiter folgt daraus, dass Anwartschaften des Klägers aus diesen Beschäftigungszeiten infolge des Ablaufs der dreijährigen Unverfallbarkeitsfrist seit Erteilung der Leistungszusage unverfallbar geworden sind.

[22] 7.Da der Kläger für die Unverfallbarkeit der Anwartschaften für die Beschäftigungszeit von bis die Voraussetzung des § 7 Abs 1 BPG nF (drei Jahre seit Erteilung der Leistungszusage) erfüllt, besteht sein Rechnungslegungsbegehren im Hinblick auf diesen Zeitraum zu Recht. Seiner außerordentlichen Revision ist daher Folge zu geben und das klagsstattgebende Teilurteil des Erstgerichts im Ergebnis wiederherzustellen.

8. Die Kostenentscheidung wurde vom Erstgericht vorbehalten (§ 52 Abs 3 ZPO).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2021:009OBA00100.20A.0127.000

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