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OGH vom 28.01.2014, 10ObS178/13v

OGH vom 28.01.2014, 10ObS178/13v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr.

Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Sabine Duminger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Horst Nurschinger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei KR H***** P*****, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist Straße 1, wegen Pensionshöhe, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 80/13p 13, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der Kläger macht in seiner Zulassungsbeschwerde als erhebliche Rechtsfrage geltend, es liege keine Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs oder des Obersten Gerichtshofs zur Frage vor, ob der von ihm seit dem Zeitpunkt der erstmaligen Zuerkennung seiner Pensionsleistung im Jahr 2003 unter Berücksichtigung der bisherigen, die Inflation nicht voll abdeckenden Pensionsanpassungen nach dem Verbraucherpreisindex erlittene Realwertverlust seiner Pension im Ausmaß von insgesamt etwa 5,5 % die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen (Exzessivitätsgrenze) überschreite. Er regt daher die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens hinsichtlich der jeweiligen Bestimmungen zur Pensionsanpassung 2011 (§ 658 Abs 6 ASVG) und zur Pensionsanpassung 2012 (§ 663 Abs 4 ASVG) an.

Rechtliche Beurteilung

Dazu ist Folgendes auszuführen:

1. Die Pensionsanpassung soll sich seit dem PensionsharmonisierungsG, BGBl I 2004/142, an der Entwicklung der Verbraucherpreise orientieren. Ziel dieser Regelung ist die Erhaltung der Kaufkraft der Pensionisten über den gesamten Bezugszeitraum. So sieht § 108h Abs 1 ASVG vor, dass alle Pensionen mit dem Anpassungsfaktor zu erhöhen sind. Der Anpassungsfaktor richtet sich nach dem von der Kommission zur langfristigen Pensionssicherung festzulegenden Richtwert (§ 108f Abs 1 und § 108e Abs 9 Z 1 ASVG). Dieser Richtwert ist gemäß § 108f Abs 2 ASVG so festzusetzen, dass die Erhöhung der Pensionen der Erhöhung der Verbraucherpreise entspricht (vgl dazu näher R. Müller , Das österreichische System der Pensionsanpassung, SozSi 2013, 516 [524]; Koch , Das System der Pensionsanpassung, SozSi 2013, 482).

2. Seit 2006 wurde der Anpassungsfaktor jedoch in keinem einzigen Jahr nach diesem vom Gesetz vorgezeichneten Modus festgesetzt, sondern jedes Jahr durch einen Gesetzgebungsakt des Nationalrates anders gestaltet. Es ist stets ein Mix von Erhöhungen nach Fixbeträgen und prozentuellen Erhöhungen, all dies nach Pensionshöhen gestaffelt, mitunter um Einmalzahlungen ergänzt, wobei die Ausgleichszulage in der Regel überproportional erhöht wurde, während es bei den Pensionen teilweise zu Kaufkraftverlusten gekommen ist. Gleiche prozentuelle Pensionserhöhungen würden zum Auseinanderdriften von Mindest und Höchstpensionen und zu einer tendenziellen „Überversorgung“ der Bezieher hoher Pensionen, das heißt im Ergebnis zu einer gewissen Entsolidarisierung der Pensionsbezieher führen. Erhöhungen um gleich hohe Fixbeträge über längere Zeiträume hätten wiederum eine Nivellierung und schleichende Entwertung der Pensionen zur Folge, der höheren Pensionen stärker als der niedrigen. Einen nach der Pensionshöhe gestaffelten Mix von prozentueller Erhöhung und Fixbeträgen, wie dies seit 2006 gehandhabt wurde, müsste man angesichts dieses Befundes an sich als einen Königsweg betrachten. Dieser Weg kann aber dann, wenn diese Erhöhungen um den Verbraucherpreisindex nach oben und unten mäandrieren, dazu führen, dass die Pensionen, abgesehen davon, dass sie hinter der Lohn und Preisentwicklung zurückbleiben, überdies im Durchschnitt tendenziell an Kaufkraft verlieren, wie das während der letzten zehn Jahre geschehen ist ( R. Müller aaO SozSi 2013, 516 [524 f]).

3. Es hat bereits das Berufungsgericht auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs verwiesen, wonach in der Sozialversicherung nicht der Grundsatz der Äquivalenz von Beitragsleistung und Versicherungsleistung gilt, da der Versorgungsgedanke im Vordergrund steht (VfSlg 14.842; 12.739 mwN ua). Es kann daher der Gesetzgeber beispielsweise bei Kürzungen von Leistungen nach sozialen Gesichtspunkten differenzieren, zumal die Bezieher höherer Sozialleistungen Eingriffe in der Regel leichter verschmerzen können als Bezieher niedrigerer Sozialleistungen. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinen bereits zur Pensionsanpassung 2008 ergangenen Erkenntnis vom (G 165/08 ua = VfSlg 18.885), ausgeführt hat, steht dem Gesetzgeber bei der Beurteilung sozialer Bedarfslagen und bei der Ausgestaltung der an diese Bedarfslagen anknüpfenden Sozialmaßnahmen wie der außerordentlichen Anhebung laufender Pensionsbezüge sowohl ein weiter Beurteilungsspielraum als auch ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu, wobei es sich beim sozialen Ausgleich um ein zulässiges Ziel des Sozialversicherungsrechts handelt. Es bestehen daher seitens des erkennenden Senats im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz weiterhin keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die soziale Staffelung einer Pensionsanpassung wie hier für die Jahre 2011 und 2012 (vgl 10 ObS 213/09k, SSV NF 24/6 mwN).

4. Zum Vorbringen des Klägers, er habe seit der Pensionszuerkennung im Jahr 2003 einen Realwertverlust im Ausmaß von insgesamt etwa 5,5 % erlitten, hat ebenfalls bereits das Berufungsgericht auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs verwiesen, wonach das Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand einer gegebenen Rechtslage als solches keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz genießt (vgl VfSlg 13.657, 13.461 ua), sodass es dem Gesetzgeber sehr wohl freisteht, die Rechtslage für die Zukunft anders und auch für die Normunterworfenen ungünstiger zu gestalten. Im Übrigen kommt dem einfachen Gesetzgeber eine freilich nicht unbegrenzte rechtspolitische Gestaltungsfreiheit zu, die außer bei einem Exzess nicht der verfassungsrechtlichen Kontrolle unterliegt und insoweit auch nicht mit den aus dem Gleichheitsgrundsatz ableitbaren Maßstäben zu messen ist. Innerhalb dieser Grenzen ist die Rechtskontrolle nicht zur Beurteilung der Rechtspolitik berufen (VfSlg 9.583 mwN). Der Gesetzgeber hat allerdings auch im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einzuhalten. Dabei hat der Verfassungsgerichtshof auch zum Ausdruck gebracht, dass der Gesetzgeber den Gleichheitssatz dann verletzt, wenn er bei Änderung der Rechtslage plötzlich und intensiv in erworbene Rechtspositionen eingreift, wobei diesem aus dem Gleichheitssatz erfließenden -Vertrauensschutz gerade im Pensionsrecht besondere Bedeutung zukommt (VfSlg 15.269 mwN). Geringfügige Eingriffe gelten dabei allerdings nicht als unverhältnismäßig, sondern als zumutbar. So hielt der Verfassungsgerichtshof etwa eine dauernde Pensionskürzung von 1,4 % bei stufenweisem Inkrafttreten (VfSlg 14.867), eine Gehaltsreduktion um etwa 1,5 % (VfSlg 14.888), eine Beitragserhöhung um 3,4 % (VfGH B 998/01 = ZAS 2002/7, 54 [ Tomandl ]) und sogar eine im Durchschnitt 12%ige Kürzung von Beamtenpensionen als Folge einer Verringerung der Bemessungsgrundlage bei vorzeitiger Pensionierung (VfSlg 15.269) für (noch) geringfügig und damit schon aus diesem Grund für verfassungsrechtlich unbedenklich.

5. Es hat ebenfalls bereits das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass es sich im vorliegenden Fall nicht um die Kürzung von bestehenden Pensionsansprüchen (Eingriff in wohlerworbene Rechte), sondern um eine unterbliebene Erhöhung dieser Pensionsansprüche handelt und der Pensionsentfall durch die mit beim Kläger unterbliebene Pensionsanpassung maximal 31,70 EUR monatlich (= 1,2 % von 2.641,94 EUR) betrug und somit jedenfalls als (noch) geringfügig im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zu bewerten ist (vgl auch 10 ObS 86/07f, SSV NF 21/51 ua). Verfassungsrechtlich unbedenklich ist im Falle des Klägers jedenfalls die Pensionsanpassung 2012, bei der die Pension des Klägers entsprechend § 108h Abs 1 ASVG mit dem Anpassungsfaktor vervielfacht wurde.

6. Dem Vorbringen des Klägers, es müsse bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Pensionsanpassungen für die Jahre 2011 und 2012 auch berücksichtigt werden, dass seine Pension seit dem Zeitpunkt der erstmaligen Zuerkennung im Jahr 2003 im Ergebnis einen Realwertverlust von insgesamt etwa 5,5 % erlitten habe, ist entgegenzuhalten, dass der vom Kläger selbst angegebene Realwertverlust im Sinne der oben zu Punkt 4. zitierten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs als noch nicht derart intensiv anzusehen ist, dass er einen sachlich nicht begründbaren, unzumutbaren Eingriff in erworbene Rechtspositionen bewirken würde. So wird in der Lehre die Auffassung vertreten, dass der Gesetzgeber auch nach österreichischem Recht im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraums eine Pensionsanpassung für einzelne Jahre sistieren könne (vgl Tomandl , Gedanken zum Vertrauensschutz im Sozialrecht, ZAS 2000, 129 ff [134] unter Hinweis auf die Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts).

6.1 Der Kläger räumt in seinen Ausführungen selbst ein, dass auch bei Pensionserhöhungen der demografischen Entwicklung sowie dem sozialen Gesichtspunkt Rechnung zu tragen sei und der Gesetzgeber insoweit einen erheblichen Spielraum habe. Soweit er damit argumentiert, dass die durch die Entwicklung der Alterstruktur der Bevölkerung in der Pensionsversicherung entstandenen Finanzierungsprobleme nicht nur durch Pensionskürzungen sondern auch durch Erhöhungen der Sozialversicherungsbeiträge, des Bundeszuschusses oder des Pensionsalters gelöst werden könnten, handelt es sich dabei um Fragen, die im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers liegen. Diese Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers darf allerdings nicht zu unsachlichen Ungleichbehandlungen führen (vgl Tomandl aaO ZAS 2000, 134). Der Kläger anerkennt zwar ausdrücklich den Grundsatz des sozialen Ausgleichs auch bei Pensionserhöhungen als zulässiges Ziel des Sozialversicherungsrechts, er meint aber, dass eine nach dem Grundsatz der sozialen Ausgewogenheit gerechtfertigte günstigere Behandlung der niedrigen Pensionen allein durch eine Kürzung höherer Pensionen als der von ihm bezogenen zu rechtfertigen wäre, da allein dies der sozialen Ausgewogenheit entspreche. Nach seiner Ansicht sei es allenfalls noch vertretbar, dass die mittleren Pensionen (in der Höhe der von ihm bezogenen Pension) nicht stärker angehoben werden als gemäß der Entwicklung des Verbraucherpreisindex, eine Absenkung der Pensionen des Mittelstandes sei jedoch sozial nicht ausgewogen und nicht zu rechtfertigen. Damit zeigt der Kläger in erster Linie rechtspolitische Aspekte, aber keine sachlich ungerechtfertigte Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der Pensionsbezieher auf, welche den dem Gesetzgeber unbestritten zustehenden weiten Beurteilungsspielraum sowie den weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum verletzen könnte.

7. In dem bereits zitierten Erkenntnis vom , G 165/08 = VfSlg 18.885, hat der Verfassungsgerichtshof auch die Auffassung vertreten, dass der Pensionsanspruch nach den Bestimmungen des ASVG, BSVG und GSVG (der somit auf Beiträgen des Versicherten beruht) zwar ein öffentlich rechtlicher Anspruch sei, der grundsätzlich im Schutzbereich des Eigentumsrechts nach Art 1 ZPEMRK stehe. Regelungen über eine Pensionserhöhung würden aber im Allgemeinen nicht in das Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums eingreifen. Nach der Rechtsprechung des EGMR (vgl Thienel , Rechtsprechung des EGMR 2012 [3], ÖJZ 2013/83, 766 [771] mwN) greifen gesetzliche Regelungen, mit denen Vorschriften über Pensionserhöhungen verschlechtert werden, zwar in die Eigentumsgarantie ein; sie verletzen diese aber nicht, wenn damit nur im Zuge der Harmonisierung der Pensionssysteme eine gegenüber normalen Pensionisten günstigere Sonderregelung abgeschafft und die allgemeinen Bestimmungen für anwendbar erklärt werden, ohne die Substanz des Pensionsanspruchs anzugreifen. Im vorliegenden Fall führten die Pensionsanpassungen seit 2003 nicht zu einer betragsmäßigen Reduzierung der monatlichen Pension des Klägers. Sie hatten lediglich zur Folge, dass sich der Wert der Pensionsbeträge infolge der zwischenzeitlichen Geldentwertung verminderte. Ein substantieller Eingriff in den Pensionsanspruch des Klägers war damit nicht verbunden.

8. Aufgrund der dargelegten Erwägungen sieht sich der erkennende Senat zu der vom Kläger angeregten Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof nicht veranlasst. Da der Revisionswerber nur die vom Senat nicht geteilten verfassungsrechtlichen Bedenken releviert, liegt keine erhebliche Rechtslage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO vor.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2014:010OBS00178.13V.0128.000