OGH vom 13.06.1996, 8ObA2100/96y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Adamovic sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Bobek und Dr.Wladar als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Verband W*****, vertreten durch Dr.Gabriel Lansky, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Ayhan A*****, Angestellter, ***** 2.) Nurten A*****, Angestellte, ***** 3.) Sibel A*****, Angestellte, ***** 4.) Petra A*****, Angestellte, ***** 5.) Radmirla A*****, Angestellte, *****6.) Zeki A*****, Angestellter, ***** 7.) Sabrye B*****, Angestellte, ***** 8.) Jutta B*****, Angestellte, ***** 9.) Heike B*****, Angestellte, ***** 10.) Irmgard D*****, Angestellte, *****
11.) Tuba E*****, Angestellte, ***** 12.) Dr.Lydia E*****, Angestellte, ***** 13.) Eveline F*****, Angestellte, ***** 14.) Harald H*****, Angestellter, ***** 15.) Zühal H*****, Angestellte, ***** 16.) Hatice I*****, Angestellte, ***** 17.) Tanja J*****, Angestellte, ***** 18.) Branca J*****, Angestellte, ***** 19.) Mag.Emel H*****, Angestellte, ***** 20.) Güngör K*****, Angestellte, ***** 21.) Gülcan K*****, Angestellte, ***** 22.) Hermann K*****, Angestellter, ***** 23.) Dipl.Ing.Nidhal K*****, Angestellte, *****
24.) Klage zu HG-Akt 7 Cga 108/95t zurückgezogen, 25.) Jasmina M*****, Angestellte, ***** 26.) Susanna M*****, Angestellte, *****
27.) Martina M*****, Angestellte, ***** 28.) Alireza N*****, Angestellter, ***** 29.) Sengül Ö*****, Angestellte, ***** 30.) Elisabeth P*****, Angestellte, ***** 31.) Karin-Anna P*****, Angestellte, ***** 32.) Lilian R*****, Angestellte, ***** 33.) Amal R*****, Angestellte, ***** 34.) Doris R*****, Angestellte, ***** 35.) Paula R*****, Angestellte, ***** 36.) Asiye S*****, Angestellte, ***** 37.) Marija S*****, Angestellte, ***** 38.) Mag.Gudrun S*****, Angestellte, ***** 39.) Mirjana S*****, Angestellte, ***** 40.) Gordana S*****, Angestellte, ***** 41.) Klage zu HG-Akt 7 Cga 125/94t zurückgezogen, 42.) Mehmet T*****, Angestellter, ***** 43.) Kadriye U*****, Angestellte, ***** 44.) Mehap U*****, geb. K*****, Angestellte, ***** 45.) Durduca W*****, Angestellte, ***** 46.) Nadiye Y*****, Angestellte, ***** 47.) Stavros Z*****, Angestellter, ***** und 48.) Patrizia Z*****, Angestellte, ***** sämtliche vertreten durch Dr.Helga Hofbauer, Rechtsanwältin in Wien, wegen Zustimmung zur Kündigung (Streitwert je Verfahren S 1,000.000), infolge Rekurses der zweit- bis dreiunddreißigbeklagten, der fünfunddreißig- bis siebenunddreißigbeklagten, der neununddreißigbis einundvierzigbeklagten sowie der dreiundvierzig- bis achtundviertzigstbeklagten Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Ra 155/95-22, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 7 Cga 85/95k-17, aufgehoben wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der klagende Verein beantragte die Zustimmung zur Kündigung der (ursprünglich) 48 beklagten Parteien, - deren gesonderte Verfahren (7 Cga 85/95k bis 7 Cga 132/95x des ASG Wien) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden wurden (AS 11) - nach dem ArbVG, MSchG, EKUG bzw APSG, mit dem Vorbringen, der Betrieb des klagenden Vereines werde stillgelegt.
Die beklagten Parteien wendeten ein, hinsichtlich des Projektes "Interkulturelles Lernen" (IKL) finde eine Betriebsstillegung nicht statt, die Agenden des klagenden Vereines würden lediglich auf einen anderen Verein "verlagert" (AS 11). Der Verein "Wiener K*****" habe zwar eine andere Finanzierungsweise, denn von der klagenden Partei sei die Betreuungsleistung unentgeltlich angeboten worden, während der neu gegründete Verein von den Eltern einen Kostenbeitrag einhebe; es würden jedoch dieselben Betreuungsaufgaben für den gleichen Personenkreis wahrgenommen, "weshalb die Beklagten auch ihre bisherigen Aufgaben dort erfüllen könnten" (AS 15).
Rechtliche Beurteilung
Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, daß hinsichtlich der vom Erstgericht angenommenen Betriebsstillegung erst aufgrund ergänzender Feststellungen abschließend beurteilt werden könne, ob nicht ein Betriebsübergang (im Sinne des § 3 AVRAG bzw der Betriebsübergangsrichtlinie, RL 77/187/EWG) vorliege. Erst nach Ergänzung des Beweisverfahrens und der Feststellungen über die Tätigkeit der klagenden Partei im Vergleich zu den Agenden des neu gegründeten Vereines sowie über den Aufbau und die Organisation beider (AS 249) könne die vorgenannte Rechtsfrage beantwortet werden. Es genügt daher, auf die Richtigkeit dieser Begründung zu verweisen (§ 48 ASGG).
Den Rekursausführungen der klagenden Partei ist ergänzend zu erwidern:
Das Vorbringen der beklagten Parteien ist zwar knapp, läßt aber hinreichend deutlich - eine Vervollständigung gemäß § 182 Abs 1 ZPO wäre zeckmäßig - erkennen, daß damit der Klagsbehauptung einer Betriebsstillegung die Einwendung des Betriebs (Teil-)Überganges entgegengesetzt werde. Von bloßen Erkundungsbeweisen kann daher nicht gesprochen werden. Erst nach Ergänzung der Feststellungen wird beurteilt werden können, ob die Arbeitsergebnisse, die Zielgruppen der Betreuungsarbeit ua in einer Gesamtwertung als gleich oder ungleich anzusehen sind. Die unterschiedliche Finanzierungsweise, nämlich bisher unentgeltliche Betreuungsleistung, beim neuen Verein Einhebung eines Kostenbeitrages der Eltern, mit möglicherweise vergleichbarer Subventionierung durch dieselbe hinter beiden Vereinen stehende Gebietskörperschaft schließt einen Betriebsübergang keineswegs aus, zumal die von den beklagten Parteien in ihrer Rekursbeantwortung angeführte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes weitgehende Paralellen zeigt: Im RS. C-29/91 (S.Redmond Stichting/H.Bartol ua) wird ausgeführt, Art 1 Abs 1 der RL 77/187/EWG sei so auszulegen, daß der Begriff "vertragliche Übertragung" auch auf eine Situation Anwendung findet, in der eine Behörde beschließt, die Gewährung von Subventionen an eine juristische Person einzustellen, wodurch die vollständige und endgültige Beendigung der Tätigkeiten dieser juristischen Person bewirkt wird, jedoch die Subventionen auf eine andere juristische Person überträgt, die einen ähnlichen Zweck verfolgt.
Der in der vorgenannten Vorschrift enthaltene Begriff "Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen" betrifft den Fall, daß die betreffende Einheit ihre Identiät gewahrt hat. Um festzustellen, ob eine Übertragung .... vorliegt, ist unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände, die den fraglichen Vorgang kennzeichnen, zu prüfen, ob die ausgeübten Funktionen von der neuen juristischen Person mit den gleichen oder ähnlichen Tätigkeiten tatsächlich festgesetzt oder wieder aufgenommen wurden, wobei Tätigkeiten besonderer Art, die selbständige Aufgaben darstellen, gegebenenfalls Betrieben oder Betriebsteilen gleichgestellt werden können (zitiert nach Oetker/Preis, Europäisches Arbeits- und Sozialrecht EAS RL 77/187/EWG Art 1 Nr 7).
Hiezu war weiter zu erwägen:
Die Betriebsidentität ist gerade nicht von Identität der Person des Betriebsinhabers abhängig; gemäß § 3 Abs 1 AVRAG kommt erst bei einem anderen Betriebsinhaber ein Betriebsübergang in Betracht. Maßgeblich ist zwar der rechtsgeschäftliche Übergang (vgl Joost, Betriebsübergang und Funktionsausgliederung in FS Wlotzke, 683), doch wird nach Ansicht des erkennenden Senates bei Identität des hinter zwei verschiedenen Vereinen stehenden Rechtsträgers und Subventionsgebers (Gebietskörperschaft) das Erfordernis des rechtsgeschäftlichen Überganges an Gewicht verlieren, soferne die übrigen Merkmale des Betriebs (Teil-)Überganges deutlich ausgeprägt sind (zur Typologie siehe F.Bydlinski, Methodenlehre2, 543 ff). Die politische Zusage, es werde nach Beendigung der Vereinstätigkeit durch die klagende Partei "schon niemand auf der Straße stehen" (siehe S 14 des Urteils erster Instanz) läßt hingegen vermuten, daß zwischen den Agenden der klagenden Partei und des neuen Vereines Ähnlichkeiten bestehen, die eine Weiterbeschäftigung derselben Arbeitnehmer keineswegs von vornherein ausschlössen.
Die Kreation neuer Rechtsträger durch die dahinterstehende Gebietskörperschaft, die beiden Vereinen möglicherweise entscheidende finanzielle Hilfen (Subventionen) geben muß, darf nicht zur Umgehung der Zwecke des AVRAG führen (zur Umgehung siehe insb Schurig, Die Gesetzesumgehung im Privatrecht FS Ferid 375 f).
Der den § 121 Z 1 ArbVG,§ 12 Abs 3 APSG,§ 10 Abs 3 MSchG (zitiert in § 6 Abs 3 EKUG) gemeinsame Begriff der Betriebstillegung hat durch das AVRAG einen (teilweisen) Funktionswandel (Bydlinski-Rummel, ABGB2, Rz 26 zu § 6) bzw eine Ergänzung dahin erfahren, daß eine Betriebsstillegung nur dann vorliegt, wenn auch ein Betriebsübergang nicht gegeben ist (vgl den rechtsähnlichen Fall der Wiederaufnahme der Tätigkeit eines stillgelegten Betriebes gemäß § 10 Abs 5 MSchG; insoweit schon teilweise im Adjektiv "dauernd" in § 121 Z 1 ArbVG enthalten).
Durch die Behauptung, es sei ein Betriebsübergang eingetreten, tritt an sich keine Beweislastumkehr ein. Es ist der klagenden Partei zuzugeben, daß sie die Betriebsstillegung zu beweisen hat, jedoch nicht das Nichtvorliegen eines Betriebsüberganges. Jedoch ist neben der grundsätzlichen Beweislast desjenigen, der einen Betriebsübergang behauptet (vgl SZ 51/28 = Arb 9672 = EvBl 1978/145, 467) hier der Grundsatz der Beweisnähe der hinter beiden Vereinen stehenden Gebietskörperschaft zu beachten, indem nämlich die klagende Partei als die hinter beiden Vereinen stehende Gebietskörperschaft dem Beweis über die Gestion des neuen Vereines weitaus näher steht als die beklagten Parteien (vgl SZ 65/14; 8 Ob A 240/95).
Verfehlt ist die Rekursbehauptung, die beklagten Parteien kämpften gegen die "falsche klagende Partei". Die Abwehr der von der klagenden Partei gegen die beklagten Parteien erhobenen Rechtsgestaltungsbegehren (Zustimmung zur Kündigung) kann nur jener gegenüber erfolgen.
Für den weiteren Verfahrensabschnitt wird es sich als zweckmäßig erweisen, die Zählung der beklagten Parteien - nach Ausscheidung diverser beklagter Parteien infolge Klagsrücknahme (ON 7, 8) bzw Teilrechtskraft (die 1., 34., 38.- und 42.-beklagten Parteien zogen die Berufung zurück, ON 19) neu vorzunehmen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens ist in § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO begründet.