OGH 14.10.2008, 10Ob80/08z
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Kamil B*****, geboren am und der mj Monika B*****, geboren am , beide: *****, beide vertreten durch das Land Steiermark als Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Stadt Graz, Amt für Jugend und Familie, Jugendwohlfahrtsreferat, Kaiserfeldgasse 25, 8011 Graz), über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom , GZ 2 R 85/08x-U38, womit infolge Rekurses der Minderjährigen der Beschluss des Bezirksgerichts Graz-West vom , GZ 210 P 108/07w-U33, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Akten werden dem Erstgericht mit dem Auftrag zurückgestellt, den Beschluss des Rekursgerichts und eine Gleichschrift des Revisionsrekurses der Minderjährigen der Mutter Justyna B***** zur allfälligen Erstattung einer Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zuzustellen und die Akten nach Erstattung einer Revisionsrekursbeantwortung bzw fruchtlosem Verstreichen der Frist erneut dem Obersten Gerichtshof vorzulegen.
Text
Begründung:
Das Erstgericht stellte die den Minderjährigen bewilligten Unterhaltsvorschüsse mit Gewährungsbeginn () ein. Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs der Minderjährigen nicht Folge. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs gegen seine Entscheidung zulässig sei.
Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen. Das Erstgericht stellte dieses Rechtsmittel dem Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz und dem Zustellkurator des Vaters zur allfälligen Erstattung einer Revisionsrekursbeantwortung zu. Eine Zustellung des Beschlusses des Rekursgerichts und Revisionsrekurses an die Mutter der Minderjährigen erfolgte nicht. In der Folge legte das Erstgericht den Revisionsrekurs im Weg des Rekursgerichts dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vor.
Rechtliche Beurteilung
Die Aktenvorlage ist verfrüht, weil über das Rechtsmittel derzeit noch nicht entschieden werden kann.
Über die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen hat das Pflegschaftsgericht im Verfahren Außerstreitsachen zu entscheiden (§ 10 UVG). Wird ein Revisionsrekurs gegen einen Beschluss erhoben, bei dem über die Sache entschieden worden ist, und findet das Gericht erster Instanz keinen Grund zur Zurückweisung, so ist jeder anderen aktenkundigen Partei eine Gleichschrift zuzustellen (§ 68 Abs 1 AußStrG). Unter einem Beschluss „über die Sache" wird jede Entscheidung über den Verfahrensgegenstand verstanden (RIS-Justiz RS0120860 ua). Die anderen Parteien können binnen 14 Tagen eine Beantwortung des Revisionsrekurses mittels Schriftsatzes überreichen; § 65 Abs 1 zweiter Satz, Abs 2 zweiter Halbsatz, Abs 3 Z 3 bis 6 und § 66 Abs 2 AußStrG sind sinngemäß anzuwenden (§ 68 Abs 1 AußStrG). Auch die Mutter als Zahlungsempfängerin ist Partei iSd § 2 Abs 1 AußStrG (vgl 9 Ob 129/06w mwN). Es steht ihr gemäß § 68 Abs 1 und Abs 3 Z 1 AußStrG frei, eine Revisionsrekursbeantwortung einzubringen. Das Erstgericht wird daher eine Ausfertigung des Beschlusses des Rekursgerichts und eine Gleichschrift des Revisionsrekurses der Minderjährigen auch der Mutter zuzustellen haben. Erst nach Einlangen einer Revisionsrekursbeantwortung dieser weiteren Verfahrenspartei oder nach fruchtlosem Ablauf der Revisionsrekursbeantwortungsfrist ist der Akt wieder vorzulegen.
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Kamil B*****, geboren am und der mj Monika B*****, geboren am , beide: *****, beide vertreten durch das Land Steiermark als Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Stadt Graz, Amt für Jugend und Familie, Jugendwohlfahrtsreferat, Kaiserfeldgasse 25, 8011 Graz), über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom , GZ 2 R 85/08x-U38, womit infolge Rekurses der Minderjährigen der Beschluss des Bezirksgerichts Graz-West vom , GZ 210 P 108/07w-U33, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden ersatzlos aufgehoben.
Text
Begründung:
Der am geborene Kamil B***** und die am geborene Monika B***** sind die Kinder von Justyna Dorota und Thomasz Dariusz B*****. Die Minderjährigen, die bei ihrer Mutter in Österreich leben, und ihre Eltern sind polnische Staatsbürger. Der Vater lebt in Polen; sein (konkreter) Aufenthaltsort ist jedoch unbekannt. Die Mutter ist in Österreich als Arbeitnehmerin beschäftigt und sozialversichert.
Das Erstgericht bewilligte den beiden Kindern Unterhaltsvorschüsse nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG für die Zeit vom bis von je 40 EUR monatlich (Beschluss vom [U-8]). Diese Entscheidung wurde vom Rekursgericht bestätigt, weil die Mutter in Österreich einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachging. Mit Beschluss vom (U-33) stellte das Erstgericht die Unterhaltsvorschüsse jedoch mit Gewährungsbeginn ein, weil sich die Rechtsprechung des Höchstgerichts geändert habe. Die Gewährung österreichischer Unterhaltsvorschüsse setze nach neuester Judikatur (4 Ob 4/07b und 6 Ob 121/07y) nicht die Anwendbarkeit der Verordnung (EWG) 1408/71 auf die Mutter voraus. Der Anspruch auf Familienleistungen nach dieser Verordnung knüpfe vielmehr an die Rechtsstellung des Geldunterhaltsschuldners an. Da dieser im vorliegenden Fall jedoch in Polen wohne, bestünden Ansprüche daher nur gegen Polen.
Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs der Minderjährigen nicht Folge. Es berief sich ebenfalls auf die Entscheidung 6 Ob 121/07y und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs gegen seine Entscheidung zulässig sei, weil die (zitierte jüngere) Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bisher nur selbständig und unselbständig Erwerbstätige eines anderen EU-Mitgliedstaats betroffen habe.
Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen mit dem Antrag, festzustellen, ob ein Anspruch auf österreichischen Unterhaltsvorschuss bestehe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Präsident des Oberlandesgerichts Graz als Vertreter des Bundes und der Vater haben keine Revisionsrekursbeantwortungen erstattet. Mit Beschluss des erkennenden Senats vom wurden die Akten dem Erstgericht mit dem Auftrag zurückgestellt, den Beschluss des Rekursgerichts und eine Gleichschrift des Revisionsrekurses auch der Mutter zur allfälligen Erstattung einer Revisionsrekursbeantwortung zuzustellen. Nach fruchtlosem Verstreichen dieser Frist wurden die Akten dem Obersten Gerichtshof neuerlich zur Entscheidung vorgelegt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig und auch berechtigt.
Die Revisionsrekurswerberin verweist im Wesentlichen auf die frühere ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass ein Kind bereits dann von der VO (EWG) 1408/71 begünstigt werde, wenn einer seiner beiden Elternteile in einem Mitgliedstaat in das betreffende System sozialer Sicherheit eingebunden und das Kind Familienangehöriger eines Arbeitnehmers im Sinn der VO sei. Bislang sei daher ausschlaggebend gewesen, ob die Mütter in Österreich einer Arbeit nachgingen oder arbeitslos gemeldet gewesen seien und einen Anspruch auf Familienbeihilfe hatten. Außerdem werde bezweifelt, dass aufgrund einer Änderung der Judikatur eine rückwirkende Einstellung möglich sei.
Der Senat, der nach der Geschäftsverteilung des Obersten Gerichtshofs seit als Fachsenat für Rechtssachen nach dem UVG (ausschließlich) zuständig ist, hat zu dem von den Antragstellern (allein) auf die Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 idgF (im Folgenden: VO 1408/71) gestützten Anspruch auf Unterhaltsvorschuss Folgendes erwogen:
Ungeachtet des Wortlauts des § 20 Abs 1 Z 4 lit a UVG („... Wenn eine
der Voraussetzungen der Gewährung der Vorschüsse ... wegfällt") sieht
die herrschende Auffassung auch dann einen Grund für eine Einstellung von Unterhaltsvorschüssen, wenn der Einstellungsgrund materiell bereits am Beginn der Vorschussgewährung vorlag, aber erst nach der Vorschussbewilligung hervorgekommen ist; in diesem Fall ist die Einstellung rückwirkend ab dem Tag des Beginns der Vorschussgewährung anzuordnen (RIS-Justiz RS0111783 [T1] = 10 Ob 55/08y mwN). Der hier herangezogene Einstellungsgrund (tiefgreifende Judikaturänderung) liegt jedoch nicht vor: Der Senat hat bereits in den Entscheidungen 10 Ob 85/08k, 10 Ob 67/08p und 10 Ob 82/08v jeweils vom dargelegt, dass zwar in der von den Vorinstanzen zitierten jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs - in Widerspruch zur früheren Judikatur in vergleichbaren Fällen (4 Ob 117/02p = SZ 2002/77 ua) - die Ansicht vertreten wurde, für das Bestehen eines Anspruchs auf Unterhaltsvorschüsse nach den Kollisionsregeln der VO 1408/71 wäre (nur) jenes System der sozialen Sicherheit maßgebend, in das der Geldunterhaltsschuldner eingebunden sei; in diesen Entscheidungen aber auch eingehend begründet, weshalb von einer „tiefgreifenden Judikaturänderung" im Sinne einer Änderung der Rechtslage dabei nicht gesprochen werden kann (so auch: 10 Ob 100/08s, 10 Ob 101/08p und 10 Ob 104/08d).
Da das Erstgericht die beantragten Vorschüsse somit zu Unrecht eingestellt hat, war spruchgemäß zu entscheiden.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2008:0100OB00080.08Z.1014.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
UAAAD-90397