OGH vom 29.01.2015, 9Ob82/14w
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. M***** K*****, vertreten durch Mag. Stefan Lang, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Mag. H***** S*****, vertreten durch Dr. Gunther Huber, Rechtsanwalt in Traun, wegen 1.903,72 EUR sA (Rekursstreitwert: 1.163,79 EUR sA), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 35 R 25/14w 17, womit die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Traun vom , GZ 2 C 1137/13y 11, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird ersatzlos aufgehoben und dem Berufungsgericht die Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Rekurskosten sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung:
Der Kläger begehrte mit seiner Klage vom Beklagten 1.903,72 EUR sA an Honorar für anwaltliche Vertretungstätigkeiten.
Der Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach und beantragte Klagsabweisung. Zudem wendete er eine Schadenersatzforderung von 1.248,98 EUR compensando gegen die Klagsforderung ein.
Das Erstgericht erkannte den Beklagten mit Urteil vom zur Zahlung von 1.163,79 EUR sA schuldig. Das Mehrbegehren von 739,93 EUR sA wies es ab (ON 11).
Der Beklagte beantragte hinsichtlich der vom Erstgericht übergangenen Gegenforderung fristgerecht die Ergänzung des Urteils gemäß § 423 ZPO (ON 12). Die Gegenforderung hätte mit 682,86 EUR als zu Recht bestehend erkannt werden müssen und daher dem Klagebegehren (nur) mit 480,93 EUR sA stattgegeben werden dürfen.
Mit Ergänzungsurteil vom erkannte das Erstgericht die Klagsforderung mit 1.163,79 EUR sA und die Gegenforderung mit 682,86 EUR als zu Recht und mit 566,12 EUR als nicht zu Recht bestehend an und verpflichtete den Beklagten zur Zahlung von 480,93 EUR sA. Das Mehrbegehren von 1.422,79 EUR wies es ab (ON 13).
Gegen den klagsstattgebenden Teil des ergänzten Urteils vom erhob der Beklagte Berufung mit dem auf gänzliche Klageabweisung gerichteten Abänderungsantrag. Darin bekämpft der Beklagte die Berechtigung der Klagsforderung sowie den unterlassenen Zuspruch einer Gegenforderung im Umfang von 566,12 EUR. Das Ergänzungsurteil blieb unbekämpft.
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Berufungsgericht die Berufung des Beklagten zurück. Das mittlerweile rechtskräftige Ergänzungsurteil habe das Urteil vom vollständig ersetzt. Eine inhaltliche Behandlung der ausschließlich gegen das Urteil vom erhobenen Berufung des Beklagten würde einen Eingriff in die Rechtskraft des Ergänzungsurteils bedeuten.
Dagegen richtet sich der Rekurs des Beklagten mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht die Sachentscheidung über die Berufung aufzutragen.
Der Kläger beantragte in seiner Rekursbeantwortung dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig (RIS Justiz RS0043893; RS0043882); er ist auch berechtigt.
Wenn in einem Urteil ein Anspruch, über welchen zu entscheiden war, übergangen, oder über die von einer Partei begehrte Erstattung der Prozesskosten nicht oder nur unvollständig erkannt wurde, ist das Urteil durch eine nachträgliche Entscheidung (Ergänzungsurteil) zu ergänzen (§ 423 Abs 1 ZPO). Eine Urteilsergänzung kommt nur im Falle eines versehentlichen Übergehens eines Anspruchs in Betracht, nicht aber wenn das Gericht die Entscheidung über einen Antrag - wenn auch zu Unrecht - ablehnt (RIS Justiz RS0041531; vgl 8 ObA 17/12a). Unter „Anspruch“ ist nur ein Sachentscheidungsbegehren zu verstehen, also ein Begehren, das selbstständiger Gegenstand eines urteils- oder beschlussmäßigen Ausspruchs sein kann. Die Urteils- bzw Beschlussergänzung ist eine Folge des in § 405 ZPO normierten Grundsatzes der Bindung des Gerichts an die Sachanträge der Parteien. Dieser Grundsatz verpflichtet das Gericht auch dazu, vollständig über alle Sachanträge zu erkennen (8 ObA 17/12a).
Zu diesen Sachentscheidungsbegehren gehören insbesondere das Klagebegehren, Zwischenfeststellungs-anträge und Aufrechnungseinreden ( Bydlinski in Fasching/Konecny ² § 423 ZPO Rz 3; vgl zur Aufrechnungseinrede 5 Ob 584/79). Eine allenfalls erforderliche Verhandlung ist auf den nicht erledigten Teil des Rechtsstreits zu beschränken (§ 423 Abs 3 Satz 1 und 2 ZPO).
Anstelle ein Ergänzungsurteil zu beantragen, kann nach herrschender Rechtsprechung und Lehre die nicht vollständige Erledigung der Sachanträge auch mit Berufung nach § 496 Abs 1 Z 1 ZPO angefochten werden (RIS Justiz RS0039435; RS0041486; 2 Ob 256/00m; Rechberger aaO §§ 423 424 ZPO Rz 3 mwN; Kodek in Rechberger 4 §§ 496 ZPO Rz 2; Bydlinski aaO § 423 ZPO Rz 2). Hat eine Partei Berufung erhoben und gleichzeitig die Ergänzung des Urteils beantragt, so kann über die Berufung erst nach rechtskräftiger Erledigung des Ergänzungsantrags entschieden werden; für diese Fälle sieht § 485 ZPO die Möglichkeit vor, die Verhandlung über eine gegen dieses Urteil erhobene Berufung über Antrag „auszusetzen“. Ob nach rechtskräftiger Stattgabe des Ergänzungsantrags eine ausschließlich auf die Unvollständigkeit des Urteils gestützte Berufung wegen nachträglichen Wegfalls der Beschwer zurückzuweisen oder als unbegründet abzuweisen ist, wird in der Lehre kontroversiell beurteilt ( Bydlinski aaO § 423 ZPO Rz 2 mwN; Rechberger aaO §§ 423 424 ZPO Rz 3 mwN). Diese Frage ist hier aber nicht relevant und muss daher auch nicht beantwortet werden.
Die meritorische Entscheidung über einen Ergänzungsantrag hat mit Ausnahme des Nachholens der Kostenentscheidung stets in Urteilsform zu ergehen ( Rechberger aaO §§ 423 424 ZPO Rz 5; Bydlinski aaO § 423 ZPO Rz 1, 16). Der Bestand und die Wirksamkeit der unvollständig gebliebenen Entscheidung wird durch das Ergänzungsurteil nicht berührt ( Bydlinski aaO § 423 ZPO Rz 1). Das dem Ergänzungsantrag stattgebende Urteil ist ein völlig selbständiges Urteil mit allen Urteilswirkungen, das mit Berufung und gegebenenfalls mit Revision anfechtbar ist (RIS Justiz RS0041425 [T1]; Bydlinski aaO § 423 ZPO Rz 16).
Der vom Berufungsgericht herangezogene Zurückweisungsgrund des „Eingriffs in die Rechtskraft eines (anderen) Urteils“ ist der Zivilprozessordnung fremd. Wurde mit dem ergänzten und vom Beklagten angefochtenen Urteil nur über die Klagsforderung abgesprochen, so war Gegenstand des Ergänzungsurteils ausschließlich die Beurteilung der eingewendeten Gegenforderung. Da das Ergänzungsurteil inhaltlich antragsgemäß über die Gegenforderung des Beklagten absprach, hatte der Beklagte keine Veranlassung, dieses zu bekämpfen. Auch in Fällen wie dem gegenständlichen, in dem das Ergänzungsurteil infolge (teilweiser) Stattgabe der prozessualen Aufrechnungseinrede auch einen Bezug zum Spruch des ursprünglichen Urteils herstellen musste, weil bei auch nur teilweisem Zurechtbestehen der Klageforderung und der Gegenforderung gemäß § 545 Abs 3 Geo ein dreigliedriger Urteilsspruch zu ergehen hatte, bleibt das Ergänzungsurteil nur eine Ergänzung des unvollständig gebliebenen ursprünglichen Urteils. Die Ansicht des Berufungsgerichts, das Ergänzungsurteil würde (hier) das unvollständig gebliebene ursprüngliche Urteil vollständig ersetzen, widerspricht aber gerade dem Umstand, dass das ursprüngliche Urteil und das Ergänzungsurteil zwei völlig selbständige Entscheidungen darstellen. Da das Ergänzungsverfahren einen selbstständigen Streitgegenstand betrifft, beeinflusst es das Rechtsmittelverfahren hinsichtlich des ursprünglichen Urteils grundsätzlich nicht ( Rechberger in Rechberger , ZPO 4 §§ 423 424 Rz 7; Bydlinski in Fasching/Konecny 2 ZPO III § 423 Rz 1).
Wegen der Selbstständigkeit des unbekämpft gebliebenen Ergänzungsurteils ist Gegenstand der Berufungsentscheidung durch das Rechtsmittelgericht alleine das ursprüngliche Urteil.
Der Umstand, dass im Ergänzungsurteil unter Zugrundelegung, dass im ursprünglichen Urteil die Klageforderung teilweise bejaht wurde über die compensando eingewendete Gegenforderung des Beklagten entschieden wurde, hindert den Beklagten nicht, mit Berufung gegen das ursprüngliche Urteil die Klageforderung als solche zu bekämpfen. Die Gegenforderung war auch nur für den Fall der Bejahung der Klageforderung eingewendet worden.
Der angefochtene Beschluss ist daher ersatzlos aufzuheben und dem Berufungsgericht die meritorische Entscheidung über die Berufung aufzutragen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2015:0090OB00082.14W.0129.000