OGH vom 26.07.2012, 8Ob120/11x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache des Antragstellers K***** Z*****, vertreten durch Mag. Gerd Pichler, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die Antragsgegnerinnen 1. J***** Z*****, vertreten durch Dr. Andrea Müller, Rechtsanwältin in Wien, 2. I***** Z*****, vertreten durch Dr. Angela Lenzi, Rechtsanwältin in Wien, wegen Feststellung der Nichtabstammung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , AZ 45 R 231/11w, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 90 FAM 59/08z 82, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Text
Begründung:
Die Erstantragsgegnerin wurde 1984 in aufrechter Ehe ihrer Mutter, der Zweitantragsgegnerin, und des Antragstellers geboren. Etwa drei Monate nach der Geburt gestand die Mutter dem Antragsteller einen während der empfängniskritischen Zeit begangenen Seitensprung mit seinem Jugendfreund und teilte ihm ihre Zweifel über die Vaterschaft mit. Folge dieses Geständnisses waren ein Ehekrach und ein heftiges Zerwürfnis des Klägers mit seinem Nebenbuhler. Im Jahr 1999 wurde die Ehe des Antragstellers geschieden, die Obsorge über die Erstantragsgegnerin verblieb einvernehmlich bei der Mutter.
Im April 2000 erzählte die Zweitantragsgegnerin der Tochter anlässlich deren Nachfrage, warum sie keinen Unterhalt vom Antragsteller erhalte, dass sie nicht von ihm abstamme. Auf Umwegen erlangte auch der Antragsteller noch im selben Monat von diesem Gespräch Kenntnis.
Nach dem Geständnis der Mutter stellte die Erstantragsgegnerin ihre bis dahin gepflogenen Besuchskontakte zum Antragsteller ein. Dessen Lebensgefährtin schrieb daraufhin der Erstantragsgegnerin im Mai 2000 einen um Versöhnung bemühten Brief, in dem in blumiger Sprache zum Ausdruck kam, dass der Antragsteller bereits seit frühester Kindheit der Tochter über deren Abstammung von einem anderen Mann Bescheid gewusst, sie aber wie ein eigenes Kind geliebt habe.
Nach dem Ergebnis des im Verfahren eingeholten erbbiologischen Gutachtens ist der Antragsteller als Vater der Erstantragsgegnerin ausgeschlossen.
Das Erstgericht wies den Antrag auf Feststellung, dass die Erstantragsgegnerin nicht aus der Ehe des Antragstellers mit der Zweitantragsgegnerin abstamme, im zweiten Rechtsgang wegen Versäumung der Frist des § 158 Abs 1 ABGB zurück. Auch wenn zunächst nur ein gravierender Verdacht bestanden habe, hätten sich spätestens im Jahr 2000 die dem Antragsteller bekannten Verdachtsmomente gegen seine Vaterschaft so weit verdichtet, dass die Antragsfrist in Gang gesetzt worden sei.
Das Rekursgericht verwarf mit eingehender Begründung die Beweis- und Mängelrügen des Antragstellers, bestätigte die Rechtsansicht des Erstgerichts und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs mangels der gesetzlichen Voraussetzungen für nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragstellers vermag aus den folgenden Überlegungen keine Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufzuzeigen.
1. Der im Revisionsrekurs enthaltene bloße Verweis auf eine im Rekurs erstattete Mängelrüge ist unzulässig und daher unbeachtlich (RIS-Justiz RS0043616).
Das Rekursgericht hat seine Ansicht, die vom Antragsteller gewünschten Kontrollbeweise seien für das rechtliche Ergebnis nicht relevant, ausführlich begründet, sodass von einer bloßen „Leerformel“ nicht die Rede sein kann.
Seine Beurteilung hat aber auch nichts mit „vorgreifender Beweiswürdigung“ zu tun. Die rechtliche Erheblichkeit eines Beweisthemas ist immer unter der gedanklichen Prämisse zu prüfen, dass der Beweis tatsächlich gelingt. Wäre ein Vorbringen auch dann, wenn es bereits als Tatsache fest stünde, für die Lösung der maßgeblichen Rechtsfrage irrelevant, dann ist dieses Vorbringen unnötig und von einer Beweisaufnahme Abstand zu nehmen.
In diesem Sinn hat es auf den von den Vorinstanzen angenommenen Beginn der Anfechtungsfrist keinen logisch nachvollziehbaren Einfluss, ob das Geständnis des Seitensprungs durch die Zweitbeklagte drei Monate oder doch erst ein Jahr nach der Geburt der (bei Antragstellung 25 jährigen) Erstantragsgegnerin gelegen war, ob deren Nasenform bereits mit drei Monaten oder nach einem Jahr auffiel, ob die Erstantragsgegnerin am Begräbnis ihrer biologischen väterlichen Großmutter teilnahm und von wem der Antragsteller dies erfahren hat, oder ob er einmal seiner ältesten Tochter gegenüber geäußert hat, nicht der Vater der Erstantragsgegnerin zu sein.
Der Revisionsrekurs übergeht mit diesen letztlich nur gegen die Verlässlichkeit der Gedächtnisangaben der Zweitantragsgegnerin gerichteten Überlegungen das für die zeitliche Einordnung wesentlichste Beweismittel, den Brief vom Mai 2000.
Weshalb die geplante Beteiligung der Erstantragsgegnerin an einer vorweggenommenen notariellen Nachlassregelung im Jahr 2005 ein Indiz dafür sein sollte, dass der Antragsteller von seiner biologischen Vaterschaft zu ihr überzeugt war, ist nicht verständlich. Aufgrund ihrer damals unangefochtenen Rechtsposition als eheliche Tochter musste sie jedenfalls einem solchen Vorhaben beigezogen werden.
Dass die Zweitantragsgegnerin die außereheliche Vaterschaft im Jahr 2000 keineswegs nur mehr als bloß möglich ansah, ergibt sich schlüssig aus der (unbekämpften) Feststellung, dass sie sie ihrer damals knapp 17-jährigen Tochter gegenüber als Gewissheit und als den Beweggrund, vom Antragsteller trotz bestehender Bedürftigkeit keinen Kindesunterhalt zu verlangen, dargestellt hat.
2. Ob bei Würdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls eine die Anfechtungsfrist auslösende hohe Wahrscheinlichkeit der unehelichen Vaterschaft vorliegt, bildet von im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifender Fehlbeurteilung abgesehen keine erhebliche Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0048265 [T10]; jüngst 5 Ob 174/11s).
Die Kenntnis von Umständen, die für die Unehelichkeit eines Kindes sprechen, ist grundsätzlich nicht schon anzunehmen, wenn dem Ehemann nur einzelne Verdachtsumstände zur Kenntnis gekommen sind; die Umstände müssen von so großer Beweiskraft sein, dass der Ehemann die Unehelichkeit des Kindes als höchst wahrscheinlich ansehen und erwarten kann, seiner Beweispflicht im Bestreitungsprozess nachkommen zu können. Zweifelhafte Verdachtsgründe, zB Gerüchte, reichen noch nicht aus (RIS-Justiz RS0048225; RS0048226).
Ist der bestreitungsberechtigte Ehemann jedoch einmal in Kenntnis solcher Umstände, die einen vernünftigen, an der Klärung familienrechtlicher Verhältnisse Interessierten seine Vaterschaft unwahrscheinlich erscheinen lassen müssen, obliegt ihm auch die Sammlung der Beweismittel zur Widerlegung der Vaterschaftsvermutung. In diesem Fall beginnt die Anfechtungsfrist bereits mit der objektiven Möglichkeit einer eindeutigen Klärung der Abstammung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, insbesondere einer DNA-Analyse (vgl 1 Ob 501/90; 7 Ob 534/91; 2 Ob 571/91; 3 Ob 313/05h; vgl auch 8 Ob 65/10g; RIS-Justiz RS0048265, RS0124235; Hopf in KBB³ § 164 ABGB Rz 6; Schwimann in Schwimann , ABGB³ I § 164 Rz 21). Ein bewusstes Unterlassen von Schritten, die zur völligen Aufklärung geeignet wären, schiebt den Fristbeginn nicht mehr hinaus (RIS-Justiz RS0048160).
Nach den eingangs in geraffter Form wiedergegebenen Feststellungen hält sich die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen im Rahmen der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung. Die Ansicht, ein ernstlich an der Klärung der familienrechtlichen Verhältnisse interessierter Mann hätte an Stelle des Antragstellers spätestens ab Bekanntwerden des vorbehaltslosen, nicht nur von Verdacht sprechenden Eingeständnisses der Mutter gegenüber der Erstantragsgegnerin im Jahr 2000 eine endgültige Klärung in die Wege geleitet, kann jedenfalls nicht als völlig unvertretbar beurteilt werden.
3. Den im Revisionsrekurs geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Befristung der Anfechtung nach § 158 Abs 2 ABGB vermag der Oberste Gerichtshof nicht beizutreten.
3.1. Die materiellrechtliche Ausschlussfrist des § 158 Abs 2 ABGB verfolgt das Ziel, die Anfechtungsberechtigten im Interesse des Rechtsfriedens, der Rechtssicherheit in den Familienbeziehungen und im Interesse des Kindes an der Bestandkraft seines familienrechtlichen Status zu zwingen, innerhalb einer angemessenen Frist zu entscheiden, ob sie von ihrem Anfechtungsrecht Gebrauch machen wollen ( Stefula in Klang 3 § 158 ABGB Rz 1 mwN; vgl zur gleichartigen Rechtslage zB in Deutschland: Hahn in Bamberger/Roth Beck'scher Onlinekommentar BGB, § 1600b Rz 1; Diederichsen in Palandt BGB 68 § 1600b Rz 2).
Ein späterer Wegfall jener familiären Nahebeziehungen, die den Giltvater zunächst vom Gebrauch seines Rechts abgehalten haben, zB infolge Scheidung der Eltern oder Verschlechterung des persönlichen Verhältnisses zum Kind, kann im Lichte der wesentlichen Zielsetzung, Rechtssicherheit zu schaffen, keine Rolle spielen. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb das Interesse an der Bestandkraft des familienrechtlichen Status mit dem Erreichen der Volljährigkeit des Kindes wegfallen sollte. Auch eine (in der Zielrichtung ähnliche) Adoption könnte nicht Jahre später vom Annehmenden mit der Begründung rückgängig gemacht werden, das Kind sei biologisch fremd und wolle keinen persönlichen Kontakt mehr.
3.2. Der im Revisionsrekurs zitierten Entscheidung 1 Ob 236/05w (erster Rechtsgang) lag der gerade konträre Fall eines außerehelichen biologischen Vaters zu Grunde, der eine Bestreitung der ehelichen Abstammung gegen den Willen der rechtlichen Eltern durchsetzen wollte. Der Oberste Gerichtshof erachtete im zweiten Rechtsgang dieses Verfahrens die dem Begehren entgegenstehende, dem vorrangigen Schutz des Familienlebens verpflichtete Rechtslage für verfassungsrechtlich unbedenklich (1 Ob 98/07d).
3.3. Eine zeitliche Beschränkung der Möglichkeit, die eheliche Vaterschaft anzufechten, steht unter Würdigung der damit verfolgten familienrechtlichen Zielsetzung nach der Rechtsprechung des EGMR nicht mit Art 8 und Art 14 iVm Art 6 EMRK in Widerspruch (EGMR Rasmussen/Dänemark , EGMRE 2, 46 = NJW 86, 2176). Gegen die in dieser Entscheidung zu beurteilende, nach dänischem Recht geltende Frist von drei Jahren fand der Gerichtshof keine Bedenken.
Auch der in § 158 Abs 1 ABGB normierte kürzere Zeitraum von zwei Jahren ab der positiven Kenntnis der Unwahrscheinlichkeit der Vaterschaft kann aber nicht als völlig unangemessene Überlegungsfrist angesehen werden (vgl zur selben Frist in Deutschland BGH FamRZ 98, 1577). Der Vermeidung von Härtefällen wird durch den gesetzlichen Interpretationsspielraum und durch die Regelung des § 158 Abs 2 ABGB Rechnung getragen.
3.4. Eine gesetzliche Regelung hier: über den Beginn des Fristenlaufs ist nicht deswegen unbestimmt iSd Art 18 B-VG, weil sie einer Auslegung bedarf, über die es im Einzelfall Meinungsverschiedenheiten geben kann. Dass der Gesetzgeber bei der Beschreibung und Formulierung der Kriterien für eine Entscheidung einer Behörde unbestimmte Gesetzesbegriffe verwendet, dadurch zwangsläufig Unschärfen in Kauf nimmt und von einer exakten Determinierung des Behördenhandelns Abstand nimmt, kann im Hinblick auf den Regelungsgegenstand erforderlich sein, steht aber grundsätzlich in Einklang mit Art 18 Abs 1 B-VG (vgl VfGH zum „differenzierten Legalitätsprinzip“, VfSlg 13.785/1994 mwH; VfSlg 18.420/2007).