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OGH vom 29.04.2020, 10Ob79/19v

OGH vom 29.04.2020, 10Ob79/19v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer, sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des am ***** 2017 geborenen L*****, vertreten durch das Land Steiermark als Kinder- und Jugendhilfeträger (Bezirkshauptmannschaft Bruck-Mürzzuschlag, 8600 Bruck an der Mur, Dr. Theodor Körner-Straße 34), über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom , GZ 2 R 188/19z-8, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Bruck an der Mur vom , GZ 3 Pu 47/19h-3, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Das Kind, vertreten durch die Mutter, stellte am beim Erstgericht zu ***** den Antrag, J***** als seinen Vater festzustellen. In der Tagsatzung am verkündete das Erstgericht (in Abwesenheit des Vaters) den Beschluss, mit dem der Antragsgegner als Vater festgestellt wurde. Die Ausfertigung des Beschlusses wurde dem Vater am (durch Hinterlegung) zugestellt.

Das Erstgericht gewährte dem Kind für den Zeitraum bis , längstens bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens über die Feststellung der Abstammung bzw des Unterhaltsverfahrens, Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Abs 4 UVG in Höhe von 214 EUR monatlich.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes nicht Folge. Es ließ den Revisionsrekurs zu, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zum Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Abs 4 UVG in Fällen bestehe, in denen der Antrag auf Unterhaltsfestsetzung erst nach der erstinstanzlichen Feststellung der Abstammung eingebracht worden sei.

Rechtlich führte es aus, § 4 Abs 4 UVG setze nach herkömmlichem Verständnis die Feststellung der Abstammung des Kindes in erster Instanz – wobei auf den Zeitpunkt der Bindung des Gerichts an seine Entscheidung abzustellen sei – und einen zu diesem Zeitpunkt bereits eingebrachten Antrag auf Unterhaltsfestsetzung voraus. Diese Auslegung sei jedoch nicht zwingend. Nach der veröffentlichten zweitinstanzlichen Rechtsprechung reiche es aus, dass der Unterhaltsantrag vor rechtskräftiger Beendigung des Abstammungsverfahrens, wenn auch nach der erstinstanzlichen Beschlussfassung über die Vaterschaft, eingebracht werde. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im antragsabweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Eine Rechtsmittelbeantwortung wurde nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund , er ist aber nicht berechtigt.

1. Vor Inkrafttreten des AußStrBegleitG BGBl I 2003/112 lautete § 4 Z 4 UVG wie folgt:

„§ 4. Vorschüsse sind auch zu gewähren, wenn ...

4. die Vaterschaft zu einem unehelichen Kind in erster Instanz festgestellt und einem mit der Klage auf Feststellung der Vaterschaft verbundenen Unterhaltsbegehren entweder, zumindest mit einem Teilbetrag, in erster Instanz stattgegeben wurde oder hierüber für den Fall der rechtskräftigen Feststellung der Vaterschaft ein gerichtlicher Vergleich geschlossen worden ist.“

§ 4 Z 4 UVG in der Fassung vor dem AußStrBegleitG sah sohin ausdrücklich die Verbindung von Klage und Unterhaltsbegehren vor.

2.1. Die Voraussetzungen der Gewährung von Unterhaltvorschüssen gemäß § 4 Z 4 UVG wurden mit dem AußStrBegleitG zu Gunsten des Kindes gelockert. Gemäß § 4 Z 4 UVG in der geltenden Fassung sind Vorschüsse zu gewähren, wenn

„4. die Abstammung eines Kindes in erster Instanz festgestellt und ein Antrag auf Unterhaltsfestsetzung bereits eingebracht worden ist oder für den Fall der Feststellung der Abstammung des Kindes ein gerichtlicher Unterhaltsvergleich geschlossen worden ist.“

2.2. Die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 4 Abs 4 UVG in der geltenden Fassung verlangt daher – neben der Feststellung der Abstammung des Kindes in erster Instanz – nicht mehr die zumindest teilweise Stattgebung des mit der (nach der bis geltenden Rechtslage im streitigen Verfahren zu erhebenden) Vaterschaftsklage verbundenen Unterhaltsbegehrens (vgl 10 Ob 86/10k).

2.3. Der Wortlaut der Bestimmung sieht auch nicht mehr ausdrücklich vor, dass das Unterhaltsbegehren mit dem Antrag auf Feststellung der Abstammung „verbunden“ sein muss.

Nach § 101 Abs 3 AußStrG kann der Unterhaltsantrag aber, um keine Zeit zu verlieren, bereits gleichzeitig mit dem Antrag auf Einleitung des Abstammungsverfahrens gestellt werden. Da Unterhalt nur von einem Mann verlangt werden kann, dessen Vaterschaft feststeht, darf vor rechtskräftiger Erledigung des Abstammungsverfahrens über diesen Antrag nicht entschieden werden (§ 101 Abs 3 Satz 2 AußStrG;10 Ob 86/10k; 6 Ob 62/16k; Deixler-Hübner in Rechberger, AußStrG § 101 Rz 7; Nademleinsky in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG² § 101 Rz 47).

2.4. Die Feststellung der Abstammung des Kindes in erster Instanz im Sinn des § 4 Z 4 UVG bezeichnet jenen Zeitpunkt, zu dem das Gericht gemäß § 40 AußStrG an seine Entscheidung gebunden ist, also mit Verkündung der Entscheidung oder bei nicht verkündeten Entscheidungen mit Übergabe der Urschrift an die Geschäftsstelle (Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB5, § 4 UVG Rz 88; vgl RS0041721). Bereits ab diesem Zeitpunkt liegen die Voraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 4 Z 4 UVG vor (RS0041721).

2.5. Hinsichtlich der Dauer der Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 4 Z 4 UVG wurde die Rechtsprechung, wonach Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 4 UVG auch nach rechtskräftiger Beendigung des Vaterschaftsfeststellungverfahrens (Abstammungsverfahrens) bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens über das damit verbundene Unterhaltsbegehren zu gewähren sind (7 Ob 511/96; 10 Ob 75/04h), nach den Novellierungen durch das AußStrBegleitG und das FamRÄG 2009 und der sich daraus ergebenden zunehmenden gesetzlichen Verbesserung der Rechtsstellung des Kindes fortgeschrieben (10 Ob 86/10k; RS0102082).

Selbst wenn das Verfahren über die Feststellung der Abstammung des Kindes also bereits rechtskräftig beendet ist, nicht aber das (bis dahin unterbrochene) Unterhaltsverfahren, gebühren daher grundsätzlich weiterhin Vorschüsse nach § 4 Z 4 UVG (10 Ob 41/11h; 10 Ob 12/20t). Vorschüsse nach § 4 Z 4 UVG dürfen einem Kind also bis zu dem Zeitpunkt gewährt werden, ab dem es in die Lage versetzt ist, den geltend gemachten Unterhalt – nach rechtskräftiger Beendigung des Abstammungsverfahrens und des Unterhaltsverfahrens – durchzusetzen (Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB5§ 4 UVG Rz 90).

2.6. Daraus wurde abgeleitet, dass der Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 4 Z 4 UVG auch noch nach rechtskräftiger Beendigung des Abstammungsverfahrens, aber vor rechtskräftiger Beendigung des Unterhaltsverfahrens erfolgreich gestellt werden kann (10 Ob 86/10k).

3.1. Damit ist aber noch keine Aussage darüber getroffen, ob auch der Unterhaltsantrag zu einem späteren Zeitpunkt als der Antrag auf Feststellung der Abstammung gestellt werden kann, ohne dass dies zu einem Verlust des Anspruchs nach § 4 Z 4 UVG führt (so LGZ Wien, 42 R 49/11h EFSlg 131.540).

3.2. § 4 Z 4 UVG verlangt – wie ausgeführt – nicht ein „mit der Klage auf Feststellung der Vaterschaft verbundenes Unterhaltsbegehren“ (§ 4 Z 4 idF vor dem AußStrBegleitG); vorausgesetzt ist vielmehr, dass „die Abstammung eines Kindes festgestellt und ein Antrag auf Unterhaltsfestsetzung bereits eingebracht worden ist“.

3.3. Diese Formulierung wird dahin verstanden, dass kumulativ zur (nunmehr im außerstreitigen Verfahren durchzuführenden) Feststellung der Abstammung des Kindes in erster Instanz ein zu diesem Zeitpunkt (Hervorhebung durch den Senat) bereits eingebrachter Antrag auf Unterhaltsfestsetzung oder ein für den Fall der Feststellung der Abstammung des Kindes abgeschlossener gerichtlicher Unterhaltsvergleich vorliegen müssen (Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB5, § 4 UVG Rz 87; 10 Ob 86/10k).

Demnach müsste der Unterhaltsantrag vor dem Zeitpunkt gestellt sein, zu dem nach § 40 AußStrG die Bindung des Gerichts an seinen Beschluss über die Feststellung der Abstammung des Kindes eintritt.

3.4. Die Formulierung, wonach ein Unterhaltsantrag „bereits“ gestellt sein müsse, scheint zwar nahe zu legen, dass der zeitliche Bezugspunkt nicht der Beurteilungszeitpunkt (Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz im Unterhaltsvorschussverfahren: vgl RS0076442), sondern ein davor liegender Zeitpunkt sein sollte, konkret der Zeitpunkt, zu dem die Abstammung des Kindes in erster Instanz festgestellt ist.

3.5. Dem Rekursgericht ist aber zuzustimmen, dass diese Auslegung des Wortlauts der Bestimmung nicht zwingend ist. Die Entscheidung 10 Ob 86/10k enthält zwar die Formulierung, dass die Abstammung des Kindes in erster Instanz festgestellt „und zu diesem Zeitpunkt“ ein Antrag auf Unterhaltsfestsetzung gestellt sein müssen. Diese Ausführungen waren im dort beurteilten Fall aber nicht tragend. Gegenstand der Entscheidung war vielmehr die Fortschreibung der zur Rechtslage vor dem AußStrBegleitG ergangenen Rechtsprechung zur Bezugsdauer der Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 4 UVG. Auf die im hier vorliegenden Fall interessierende Frage des Zeitpunkts der Einbringung des Unterhaltsantrags war hingegen nicht einzugehen, da dieser ohnehin gleichzeitig mit dem Antrag auf Feststellung der Abstammung gestellt worden war.

3.6. Der Unterhaltsberechtigte hat das für eine Unterhaltsfestsetzung oder -erhöhung Erforderliche und Zumutbare zu unternehmen (zu Vorschüssen nach § 4 Z 4 UVG siehe etwa RS0076105 [T8]; RS0126910). Er hat daher einen Unterhaltsfestsetzungsantrag gegen den Unterhaltsschuldner zu stellen. Diese Voraussetzung entspricht dem allgemeinen Grundsatz, dass die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nur ein letztes Mittel zur Sicherung des Unterhalts minderjähriger Kinder sein soll. Der Unterhaltsberechtigte muss deshalb zuerst die nach geltendem Recht bestehenden Möglichkeiten zur Durchsetzung seines Unterhaltsanspruchs ausschöpfen. Dieser Grundsatz gilt auch für Vorschüsse nach § 4 Z 4 UVG (10 Ob 20/17i mwN).

Aus diesem Grund ist das Kind auch verpflichtet, ein während des Abstammungsverfahrens unterbrochenes Unterhaltsverfahren nach Rechtskraft der Feststellung der Abstammung fortzusetzen (Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB5§ 20 UVG Rz 17; 10 Ob 43/11p).

3.7. Im vorliegenden Fall hat das Kind den Antrag auf Unterhaltsfestsetzung gegen den Vater nach Feststellung der Abstammung in erster Instanz, aber vor Rechtskraft der Abstammungsentscheidung gestellt.

Hätte das Kind – wie vom Bund im Revisionsrekurs verlangt – den Antrag auf Unterhaltsfestsetzung bereits vor dem erstinstanzlichen Beschluss über die Feststellung der Abstammung gestellt, so hätte das Gericht darüber gemäß § 101 Abs 3 Satz 2 AußStrG nicht entscheiden dürfen, weil die Entscheidung über den Unterhaltsantrag erst nach rechtskräftiger Beendigung des Abstammungsverfahrens zu treffen ist.

Der Umstand, dass das Kind den Unterhaltsantrag gegen den (zunächst noch nicht als solchen festgestellten) Vater erst nach Vorliegen der erstinstanzlichen Entscheidung über die Feststellung der Abstammung gestellt hat, ist daher nicht geeignet, die Schaffung eines Unterhaltstitels gegen den Vater zu verzögern.

Auch die Möglichkeit der Schaffung eines Unterhaltstitels im Wege eines gerichtlichen Unterhaltsvergleichs für den Fall der Feststellung der Abstammung des Kindes (vgl § 4 Z 4 UVG) wird durch die Stellung des Unterhaltsfestsetzungsantrags erst nach Vorliegen der erstinstanzlichen Statusentscheidung, aber vor deren Rechtskraft, nicht eingeschränkt.

3.8. Zusammengefasst lassen sich damit weder aus der Gesetzesgenese, noch aus dem Grundsatz, dass der Unterhaltsberechtigte das für die Unterhaltsfestsetzung Erforderliche und Zumutbare zu unternehmen hat, Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass ein erst nach Vorliegen der erstinstanzlichen Statusentscheidung gestellter Unterhaltsantrag des Kindes der Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 4 Z 4 UVG entgegensteht, sofern der Antrag vor Eintritt der Rechtskraft der Statusentscheidung gestellt wurde.

4. Dem Revisionsrekurs war daher nicht Folge zu geben.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:0100OB00079.19V.0429.000

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