OGH 24.04.2012, 8ObA17/12a
Rechtssatz
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Normen | |
RS0127990 | Während der Weiterverwendungszeit nach § 18 Abs 1 BAG bestimmt sich die Höhe des Entgelts nach den allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätzen. Bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit im Sinn eines Lohnwuchers nach § 879 Abs 1 ABGB ist die getroffene Entgeltvereinbarung maßgebend, außer es wird ein in einer normativ anwendbaren lohngestaltenden Vorschrift festgelegtes Mindestentgelt unterschritten. |
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas und Mag. Johann Schneller als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache des Antragstellers Österreichischer Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft der Privatangestellten Druck - Journalismus - Papier, 1034 Wien, Alfred Dallinger Platz 1, vertreten durch Milchram Ehm Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, gegen die Antragsgegnerin Wirtschaftskammer Österreich, Fachverband für das Beförderungsgewerbe mit Personenkraftwagen in der Bundessparte Transport und Verkehr, 1040 Wien, Wiedner Hauptstraße 63, über den gemäß § 54 Abs 2 ASGG gestellten Antrag auf Feststellung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
1. a) Der Antrag, der Oberste Gerichtshof möge feststellen, dass Lehrlinge, die eine Lehre im Lehrberuf Bürokaufmann/Bürokauffrau in Unternehmen absolvieren, die das Gewerbe der Vermietung von Kraftfahrzeugen ohne Beistellung eines Lenkers (Kraftfahrzeugvermietung) betreiben, Anspruch auf eine Lehrlingsentschädigung zumindest gemäß dem Kollektivvertrag für die Handelsangestellten Österreichs haben,
in eventu Anspruch auf eine Lehrlingsentschädigung zumindest gemäß dem Kollektivvertrag für Angestellte im Gewerbe und Handwerk haben,
wird abgewiesen.
b) Es wird festgestellt, dass Lehrlinge, die eine Lehre im Lehrberuf Bürokaufmann/Bürokauffrau in Unternehmen absolvieren, die das Gewerbe der Vermietung von Kraftfahrzeugen ohne Beistellung eines Lenkers (Kraftfahrzeugvermietung) betreiben, Anspruch auf eine Lehrlingsentschädigung zumindest gemäß dem Bundeskollektivvertrag für Angestellte im Personenbeförderungsgewerbe mit PKW haben.
2. Der Antrag, der Oberste Gerichtshof möge feststellen, dass ausgelernte Lehrlinge, die eine Lehre im Lehrberuf Bürokaufmann/Bürokauffrau in Unternehmen absolviert haben, die das Gewerbe der Vermietung von Kraftfahrzeugen ohne Beistellung eines Lenkers (Kraftfahrzeugvermietung) betreiben, Anspruch auf das Entgelt für die Weiterverwendungszeit zumindest gemäß dem Kollektivvertrag für die Handelsangestellten Österreichs,
in eventu zumindest gemäß dem Kollektivvertrag für Angestellte im Gewerbe und Handwerk,
in eventu zumindest gemäß dem Bundeskollektivvertrag für Angestellte im Personenbeförderungsgewerbe mit PKW haben,
wird abgewiesen.
Text
Begründung:
Der Antragsteller ist eine kollektivvertragsfähige freiwillige Berufsvereinigung der Arbeitnehmer nach § 4 Abs 2 ArbVG und für die in Rede stehenden Arbeitsverhältnisse zuständig (RIS-Justiz RS0051126). Die Antragsgegnerin ist eine kollektivvertragsfähige Körperschaft der Arbeitgeber nach § 4 Abs 1 ArbVG. Für den Bereich der Wirtschaftskammer ist zu beachten, dass die Kollektivvertragsfähigkeit auch deren Unterorganisationen wie Fachgruppen und Fachverbänden zukommt (9 ObA 117/11p).
Der Antragsteller begehrt die aus dem Spruch ersichtliche Feststellung gemäß § 54 Abs 2 ASGG. Antragsteller und Antragsgegnerin seien kollektivvertragsfähige Körperschaften und im vorliegenden besonderen Feststellungsverfahren legitimiert. Die dem Antrag zugrunde liegende Rechtsfrage des materiellen Rechts sei für mindestens drei Arbeitnehmer und ebenso für mindestens drei Arbeitgeber von Bedeutung. Der Feststellungsantrag beziehe sich auf die Höhe der Lehrlingsentschädigung sowie die Höhe des Entgelts während der Behaltefrist im Lehrberuf Bürokaufmann/Bürokauffrau bei Unternehmen im Bereich der Kraftfahrzeugvermietung.
Der Antragsteller stützt die von ihm begehrte Feststellung auf folgenden Sachverhalt: Unternehmen, die das Gewerbe der Vermietung von Kraftfahrzeugen ohne Beistellung eines Lenkers ausübten, würden Lehrlinge im Lehrberuf Bürokaufmann/Bürokauffrau ausbilden. Zur Tätigkeit der Lehrlinge gehöre die Angebotslegung und Beratung bei Auswahl der Fahrzeuge, die Erfassung und Anlegung der Kunden im EDV-System sowie die Angebotserstellung. Bei Übergabe des Fahrzeugs sei eine Führerscheinkopie anzulegen und eine Kaution einzuheben. Bei der Rücknahme des Fahrzeugs sei dieses zu kontrollieren und bei Schäden ein Selbstbehalt zu verrechnen. Es werde auch der Kilometerstand abgelesen und geprüft, ob das Fahrzeug vollgetankt retour gebracht worden sei. Der in Rede stehende Lehrberuf sei in Betrieben unterschiedlichster Wirtschaftsbranchen verwertbar. Das Berufsprofil sei der Verordnung BGBl II 2004/6 zu entnehmen. Die branchenspezifische Ausrichtung der Ausbildung sei typisch. Für den Wirtschaftszweig „Kraftfahrzeugvermietung“ sei weder ein Kollektivvertrag abgeschlossen worden noch eine Festsetzung der Höhe der Lehrlingsentschädigung gemäß § 26 iVm § 157 Abs 1 Z 4 ArbVG erfolgt. Die Lehrlinge erhielten die Lehrlingsentschädigung, die durch Vereinbarung festgesetzt werde. Das Gleiche gelte für das Entgelt während der Behaltefrist. Sowohl die Lehrlingsentschädigung als auch das Entgelt während der Behaltefrist sei unter dem Mindestentgelt gemäß den sachnahen Kollektivverträgen gelegen. Es liege daher eine unterkollektivvertragliche Entlohnung vor.
In rechtlicher Hinsicht führt der Antragsteller aus, dass im Anlassfall § 17 Abs 2 BAG zur Anwendung gelange. Fehle es wie hier an einer Regelung der Lehrlingsentschädigung durch kollektive Rechtsgestaltung, so richte sich die Höhe der Lehrlingsentschädigung nach der Vereinbarung, wobei jedenfalls der Mindestbetrag für gleiche, verwandte oder ähnliche Lehrberufe gebühre. Für die Zeit der gesetzlichen Weiterverwendung iSd § 18 BAG ergebe sich aus § 34 Abs 2 BAG iVm § 1152 ABGB ein Anspruch auf das angemessene Entgelt. Die Mindesthöhe dieses Anspruchs richte sich nach dem Kollektivvertrag für ähnliche Arbeitsverhältnisse. Da die Ansprüche auf die gebührenden Entgeltdifferenzen laufend von der Verjährung bedroht seien, bestehe ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung.
Die Antragsgegnerin bestritt in ihrer Stellungnahme die Rechtsansicht des Antragstellers und führte aus, dass es an der Feststellung der Lehrlingsentschädigung am rechtlichen Interesse mangle, weil über die Höhe der Lehrlingsentschädigung die zuständigen Kollektivvertragsparteien zu entscheiden hätten. Für den Fall, dass eine kollektivvertragliche Regelung nicht zustande komme, stehe die Möglichkeit offen, einen Antrag beim Bundeseinigungsamt auf Festsetzung der Lehrlingsentschädigung zu stellen. Außerdem werde dem Antrag das nicht erwiesene Faktum zugrunde gelegt, dass der Lehrberuf Bürokaufmann/Bürokauffrau in einem Kraftfahrzeugverleihunternehmen aus berufskundlicher Sicht jenem in einem Handelsbetrieb am ähnlichsten sei. § 17 Abs 2 BAG habe auch nicht vor Augen, dass der fragliche Lehrberuf nicht nur in einer konkreten Branche (hier Autoverleihbranche), sondern in einer Vielzahl von unterschiedlichen Wirtschaftszweigen zur Ausbildung gelange. Es sei schließlich nicht ersichtlich, warum gerade die im Antrag genannten Kollektivverträge die „sachnächsten“ sein sollten. Zum Antrag, der sich auf die Höhe des Entgelts während der gesetzlichen Weiterverwendungszeit beziehe, sei darauf hinzuweisen, dass § 1152 ABGB und § 6 AngG nur dann anwendbar seien, wenn der Arbeitsvertrag selbst keine Entgeltvereinbarung enthalte.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:
1.1 Gemäß § 54 Abs 2 ASGG können kollektivvertragsfähige Körperschaften der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer im Rahmen ihres Wirkungsbereichs gegen eine kollektivvertragsfähige Körperschaft der Arbeitnehmer bzw der Arbeitgeber beim Obersten Gerichtshof einen Antrag auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen anbringen, die einen von namentlich bestimmten Personen unabhängigen Sachverhalt betreffen. Der Antrag muss eine Rechtsfrage des materiellen Rechts auf dem Gebiet der Arbeitsrechtssachen nach § 50 ASGG zum Gegenstand haben, die für mindestens drei Arbeitgeber oder Arbeitnehmer von Bedeutung ist. Gemäß § 54 Abs 4 ASGG hat der Oberste Gerichtshof über den Feststellungsantrag auf der Grundlage des darin angegebenen Sachverhalts zu entscheiden.
1.2 Die allgemeinen Voraussetzungen für den Feststellungsantrag, insbesondere Antragslegitimation sowie realer Sachverhalt und Klärungsbedürfnis einer konkreten arbeitsrechtlichen Fragestellung, liegen im Anlassfall vor. Das Feststellungsinteresse zur Höhe der Lehrlingsentschädigung ist zu bejahen, weil nicht die ersatzweise Schaffung einer kollektivvertraglichen Regelung, sondern die Auslegung einer konkreten Bestimmung des BAG in Frage steht. Dazu wird darauf hingewiesen, dass auch Lehrlinge Arbeitnehmer sind und die Lehrlingsentschädigung als Entgelt im arbeitsrechtlichen Sinn zu qualifizieren ist (Berger/Fida/Gruber, Berufsausbildungsgesetz § 1 Rz 4 und § 17 Rz 32).
2. Der Antrag betrifft den Lehrberuf Bürokaufmann/Bürokauffrau. Die Ausbildungsvorschriften für diesen Lehrberuf sind in der Verordnung BGBl II 2004/6 geregelt (s auch BGBl II 2005/177). Nach § 1 der Ausbildungsverordnung beträgt die Lehrzeit drei Jahre.
Auf den in Rede stehenden Lehrberuf gelangen abhängig von der konkreten Branche, in der der Lehrling seine Tätigkeit verrichtet, unterschiedliche Kollektivverträge zur Anwendung. Für die hier fragliche Tätigkeit im Rahmen der KFZ-Vermietung (ohne Beistellung eines Lenkers) kommen vor allem der Kollektivvertrag für die Handelsangestellten Österreichs und der Bundeskollektivvertrag für Angestellte im Personenbeförderungsgewerbe mit PKW „als sachnah“ in Betracht.
3.1 Der erste Teil des Feststellungsantrags betrifft die Höhe der Lehrlingsentschädigung.
§ 17 Abs 2 BAG enthält eine ausdrückliche Regelung dazu. Demnach richtet sich die Höhe der Lehrlingsentschädigung dann, wenn keine Regelung durch kollektive Rechtsgestaltung vorliegt, nach der Vereinbarung im Lehrvertrag. Bei Fehlen einer kollektiven Regelung gebührt aber jedenfalls die für gleiche, verwandte oder ähnliche Lehrberufe geltende Lehrlingsentschädigung, im Zweifelsfall ist auf den Ortsgebrauch Bedacht zu nehmen.
Diese Bestimmung soll allen Lehrlingen ein Mindestentgelt für ihre Tätigkeit während der Berufsausbildung garantieren. Aus der Reihenfolge der in § 17 Abs 2 BAG festgelegten Rechtsquellen, aus denen die konkrete Höhe der Lehrlingsentschädigung zu entnehmen ist, ist zugleich eine Rangordnung abzuleiten. Die Festsetzung der Höhe der Lehrlingsentschädigung soll in erster Linie den Kollektivverträgen überlassen bleiben. Andere Rechtsquellen der Entgeltbestimmung kommt Nachrangigkeit zu. Die Vereinbarung einer bestimmten Höhe der Lehrlingsentschädigung zwischen den Lehrvertragsparteien im Lehrvertrag ist nur dann von Bedeutung, wenn diese über den Sätzen einer kollektivvertraglich festgesetzten Lehrlingsentschädigung liegt oder derartige bzw nachrangige Normen nicht existieren (Berger/Fida/Gruber § 17 Rz 24).
Für die Höhe der Lehrlingsentschädigung sind somit primär die kollektivvertraglich bestimmten Mindestsätze des normativ geltenden Kollektivvertrags oder, wenn ein solcher nicht besteht, eines lehrberufsnahen Kollektivvertrags maßgebend. Subsidiär, wenn eine kollektive Regelung nicht herangezogen werden kann, soll die Absicherung des Mindestbetrags durch den Ortsgebrauch erfolgen. Auch bei den Lehrlingsentschädigungssätzen aus einem lehrberufsnahen Kollektivvertrag handelt es sich um eine unabdingbare Mindesthöhe (Berger/Fida/Gruber § 17 Rz 25 f und 38).
3.2 Der hier zu beurteilende Lehrberuf ist jener des Bürokaufmanns/der Bürokauffrau. Wie schon erwähnt, bestehen für diesen Lehrberuf eine Reihe von Kollektivverträgen. Dabei handelt es sich um kollektive Regelungen für den gleichen Lehrberuf. Die Heranziehung dieser kollektiven Bestimmungen zur Höhe der Lehrlingsentschädigung ist im Gesetz zwingend angeordnet, wobei dann, wenn mehrere (lehrberufsgleiche) Kollektivverträge in Betracht kommen, auf den sachnächsten branchennahen Kollektivvertrag abzustellen ist.
3.3 Allgemein ist für die Zuordnung zu einem Kollektivvertrag die Mitgliedschaft des Arbeitgebers zum jeweiligen Organisations- bzw Fachbereich seiner am Abschluss des Kollektivvertrags beteiligten Interessenvertretung maßgebend (9 ObA 46/10w; Runggaldier in Tomandl, Arbeitsverfassungsgesetz § 8 Rz 3 und 5). Für die Bestimmung der Sachnähe eines Kollektivvertrags kann somit zunächst auf die Branchennähe zurückgegriffen werden.
Ein weiterer Ansatzpunkt dafür ergibt sich aus der Festlegung des fachlichen Geltungsbereichs eines Kollektivvertrags bei einem Mischbetrieb. Gemäß § 9 Abs 3 ArbVG findet in diesem Fall jener Kollektivvertrag Anwendung, der für den fachlichen Wirtschaftsbereich gilt, der für den Betrieb die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung hat (Runggaldier in Tomandl, Arbeitsverfassungsgesetz § 9 Rz 8). Es ist zu fragen, welche fachlichen und wirtschaftlichen Komponenten überwiegen (9 ObA 46/10w mwN).
Ähnliches lässt sich den Bestimmungen über die Satzung eines Kollektivvertrags nach § 18 ArbVG entnehmen. Nach Abs 3 Z 3 leg cit müssen die von der Satzung zu erfassenden Arbeitsverhältnisse im Verhältnis zu jenen Arbeitsverhältnissen, die dem bestehenden Kollektivvertrag unterliegen, im Wesentlichen gleichartig sein. Anknüpfungspunkt für das Erfordernis der Gleichartigkeit der Arbeitsverhältnisse ist grundsätzlich die ausgeübte Tätigkeit (Runggaldier/Potz in Tomandl, Arbeitsverfassungsgesetz § 18 Rz 13).
Für die Bestimmung des sachnächsten Kollektivvertrags ist demnach neben der Branchennähe vor allem auf die Ähnlichkeit der fachlichen Leistungen abzustellen. Die speziellen Erfordernisse der jeweiligen Branche werden in erster Linie durch die zu erbringenden Tätigkeiten geprägt.
3.4 Nach der fachlichen Gliederung bei der Antragsgegnerin (§§ 13 ff und 43 ff des Wirtschaftskammergesetzes 1998) und den unbestrittenen Angaben im Antrag gehört der zugrunde liegende Betriebszweig „Kraftfahrzeugvermietung“ zur Sparte Transport und Verkehr und ressortiert zum Fachverband Beförderungsgewerbe mit Personenkraftwagen. Die Branchennähe spricht somit für den Bundeskollektivvertrag für Angestellte im Personenbeförderungsgewerbe mit PKW und gegen den Kollektivvertrag für die Handelsangestellten Österreichs.
Auch die Betrachtung der fachlichen Leistungen führt zu diesem Ergebnis. Die Tätigkeit der „Bürokaufleute“ im allgemeinen Handel (Einzel- und Großhandel) dreht sich hauptsächlich um den Einkauf und Verkauf von Waren. Dementsprechend beschäftigen sie sich im Sekretariat mit Korrespondenz oder arbeiten an der Kassa bzw in der Fakturenabteilung, im Bereich Einkauf und Lagerhaltung oder im Verkauf und Versand. Demgegenüber erfordert die Tätigkeit im Bereich der Fahrzeugvermietung die Bearbeitung von Kundenanfragen, die Beratung und Erfassung der Kunden, die Erstellung von Angeboten oder die Übergabe und Übernahme der Fahrzeuge. Diese Tätigkeiten weisen kaum Gemeinsamkeiten mit dem Ein- und Verkauf von Waren, wohl aber eine sachliche Nahebeziehung zu einem Taxi- oder Mietwagenunternehmen auf.
Nach diesen Überlegungen ist für den Betriebszweig „Kraftfahrzeugvermietung“ somit der Bundeskollektivvertrag für Angestellte im Personenbeförderungsgewerbe mit PKW (Taxi und Mietwagen) als sachnächster (lehrberufsgleicher) Kollektivvertrag zu qualifizieren.
4.1 Der zweite Teil des Feststellungsantrags betrifft die Höhe des Entgelts während der Weiterverwendungszeit nach § 18 Abs 1 BAG.
Gemäß § 14 BAG endet das Ausbildungsverhältnis eines Lehrlings spätestens mit Ablauf der im Lehrvertrag vereinbarten Dauer der Lehrzeit oder infolge erfolgreicher Ablegung der Lehrabschlussprüfung während des Lehrverhältnisses. Gemäß § 18 Abs 1 BAG ist der Lehrberechtigte verpflichtet, den Lehrling nach dem genannten Ende des Lehrverhältnisses im Betrieb drei Monate im erlernten Beruf weiterzuverwenden. Diese Bestimmung sieht mit der dreimonatigen Behaltezeit ein neues, in der Regel für die Dauer der Behaltezeit befristetes Dienstverhältnis im Anschluss an die Lehrzeit vor (Berger/Fida/Gruber § 18 Rz 5 und 37; vgl auch Rz 18). Dementsprechend hat der ausgelernte Lehrling gegenüber dem Arbeitgeber einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung im erlernten Beruf sowie einen ebenso unabdingbaren Entgeltanspruch (Berger/Fida/Gruber § 18 Rz 22).
4.2 Nach einhelliger Meinung bestimmt sich die Höhe des Entgelts während der Weiterverwendungszeit nach allgemeinen Grundsätzen. Dementsprechend gebührt dem ausgelernten Lehrling das Entgelt nach den einschlägigen arbeitsrechtlichen Vorschriften (Berger/Fida/Gruber § 18 Rz 38; Preiss/Spitzl in ZellKomm² § 17 Rz 22 und § 18 Rz 15). Für die Entgeltbestimmung sind demnach die Grundsätze nach § 6 AngG bzw § 1152 ABGB maßgebend.
Solange keine Regelung durch kollektive Rechtsgestaltung bzw eine lohngestaltende Vorschrift vorliegt, besteht der vom Antragsteller behauptete Anspruch auf das angemessene Entgelt daher nur dann, wenn das Entgelt für die Arbeitsleistung nicht (dem Grunde und der Höhe nach) durch den Arbeitsvertrag bestimmt wird (Rebhahn in Kletečka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 1152 Rz 1; Rebhahn in ZellKomm² § 1152 Rz 64). Auch dann, wenn im Vertrag ein unangemessen niedriges Entgelt vereinbart wird, ist das Entgelt dennoch „bestimmt“. § 1152 ABGB kommt daher grundsätzlich nicht zur Anwendung. Unwirksam ist die Abrede erst dann, wenn sie zufolge Lohnwuchers sittenwidrig ist oder ein in einer anwendbaren lohngestaltenden Vorschrift (Kollektivvertrag, Satzung oder Mindestlohntarif) festgelegtes Mindestentgelt unterschritten wird. Erst bei Sittenwidrigkeit ist auf das angemessene Entgelt iSd § 1152 ABGB zurückzugreifen (Rebhahn ABGB-ON 1.00 § 1152 Rz 11; Rebhahn in ZellKomm2 § 1152 Rz 46; Spenling in KBB³ § 1152 ABGB Rz 3).
4.3 Nach dem Vorbringen des Antragstellers wird die Höhe des Entgelts auch für die Zeit der gesetzlichen Weiterverwendungspflicht durch Vereinbarung festgelegt. Nach den dargelegten Grundsätzen ist eine solche Vereinbarung bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit nach § 879 Abs 1 ABGB zulässig und wirksam. Ein Sittenwidrigkeitsurteil liegt dem Feststellungsantrag nicht zugrunde.
§ 17 Abs 2 BAG gilt nur für die Lehrlingsentschädigung. Auf die Heranziehung des sachnächsten branchennahen Kollektivvertrags kann sich der Antragsteller daher ebenso wenig wie auf das angemessene Entgelt iSd § 1152 ABGB berufen.
4.4 Für eine überlegenswerte „Nachwirkung“ des § 17 Abs 2 BAG für die Zeit der Weiterverwendung wäre ein Analogieschluss aufgrund einer planwidrigen Gesetzeslücke erforderlich. Eine (echte) Rechtslücke ist eine planwidrige Unvollständigkeit innerhalb des positiven Rechts, gemessen am Maßstab der gesamten geltenden Rechtsordnung. Das Gesetz ist in einem solchen Fall, gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie, ergänzungsbedürftig, ohne dass seine Ergänzung einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht. Eine solche Unvollständigkeit liegt jedoch nur dann vor, wenn eine anzuwendende Rechtsvorschrift zwar vorhanden, aber in einer bestimmten Richtung nicht präzisiert ist (RIS-Justiz RS0008866; RS0008845).
Die Voraussetzungen für einen Analogieschluss sind im Anlassfall nicht gegeben. Der Gesetzgeber hat in § 17 Abs 2 BAG (seit BGBl 1978/232) das Problem der Mindesthöhe der Lehrlingsentschädigung bei Fehlen einer kollektiven Rechtsgestaltung durch einen normativ geltenden Kollektivvertrag für einen bestimmten Lehrberuf ausdrücklich bedacht und die Heranziehung eines lehrberufsgleichen (branchennahen) oder eines lehrberufsnahen Kollektivvertrags angeordnet. In dieser Situation kann nicht unterstellt werden, der Gesetzgeber hätte diese Fragestellung für die Weiterverwendungszeit, die in § 18 Abs 1 BAG geregelt ist, übersehen. Für diese Sichtweise kann etwa auch ins Treffen geführt werden, dass einem ausgelernten Lehrling im Fall eines sofortigen Wechsels zu einem anderen Dienstgeber nach Beendigung der Lehrzeit das Mindestentgelt aus einem branchennahen oder lehrberufsnahen Kollektivvertrag ebenfalls nicht zustehen würde. Die sozialpolitische Entscheidung im Sinn einer Erstreckung der Regelung des § 17 Abs 2 BAG auf die Zeit während der Behaltepflicht muss demnach dem Gesetzgeber überlassen bleiben.
5.1Zusammenfassend ergibt sich:
Für die Höhe der Lehrlingsentschädigung sind - vorbehaltlich einer günstigeren Vereinbarung - nach § 17 Abs 2 BAG die kollektivvertraglich bestimmten Mindestsätze des normativ geltenden Kollektivvertrags oder, wenn ein solcher nicht besteht, eines branchennahen oder eines lehrberufsnahen Kollektivvertrags maßgebend. Kommen mehrere Kollektivverträge in Betracht, so ist auf den sachnächsten Kollektivvertrag abzustellen. Die Mindesthöhe der Lehrlingsentschädigung für den Lehrberuf „Bürokaufmann/Bürokauffrau“ im Betriebszweig „Kraftfahrzeugvermietung“ bestimmt sich nach dem Bundeskollektivvertrag für Angestellte im Personenbeförderungsgewerbe mit PKW.
Während der Weiterverwendungszeit nach § 18 Abs 1 BAG bestimmt sich die Höhe des Entgelts nach den allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätzen. Bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit im Sinn eines Lohnwuchers nach § 879 Abs 1 ABGB ist die getroffene Entgeltvereinbarung maßgebend, außer es wird ein in einer normativ anwendbaren lohngestaltenden Vorschrift festgelegtes Mindestentgelt unterschritten.
5.2 Nach diesen Grundsätzen kann sich der Antragsteller für die Höhe der Lehrlingsentschädigung gemäß § 17 Abs 2 BAG auf die Heranziehung des sachnächsten Kollektivvertrags, konkret des Bundeskollektivvertrags für Angestellte im Personenbeförderungsgewerbe mit PKW, berufen. Insoweit war dem entsprechenden Eventualantrag stattzugeben.
Für die Zeit der Weiterverwendungspflicht nach § 18 Abs 1 BAG richtet sich die Höhe des Entgelts der ausgelernten Lehrlinge jedoch grundsätzlich, abgesehen von nach dem Vorbringen im Antrag nicht vorliegenden Ausnahmen, nach der Vereinbarung. Der zweite Teil des Feststellungsantrags war daher abzuweisen.
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger und Mag. Wolfgang Kozak als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache des Antragstellers Österreichischer Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft der Privatangestellten Druck - Journalismus - Papier, 1034 Wien, Alfred Dallinger Platz 1, vertreten durch Milchram Ehm Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, gegen die Antragsgegnerin Wirtschaftskammer Österreich, Fachverband für das Beförderungsgewerbe mit Personenkraftwagen in der Bundessparte Transport und Verkehr, 1040 Wien, Wiedner Hauptstraße 63, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 2 ASGG, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Antrag des Antragstellers auf Ergänzung des Beschlusses 8 ObA 17/12a vom „bezogen auf jene Ansprüche der Lehrlinge aus dem Titel der Lehrlingsentschädigung, die für den Zeitraum vor dem gebühren“, wird abgewiesen.
Text
Begründung:
Mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom , 8 ObA 17/12a, wurde dem (Eventual-)Antrag des Antragstellers „es werde festgestellt, dass Lehrlinge, die eine Lehre im Lehrberuf Bürokaufmann/Bürokauffrau in Unternehmen absolvieren, die das Gewerbe der Vermietung von Kraftfahrzeugen ohne Beistellung eines Lenkers (Kraftfahrzeugvermietung) betreiben, Anspruch auf eine Lehrlingsentschädigung zumindest gemäß dem Bundeskollektivvertrag für Angestellte im Personenbeförderungsgewerbe mit PKW haben,“ stattgegeben. Die weiteren Anträge wurden abgewiesen.
Mit Schriftsatz vom beantragte der Antragsteller die Ergänzung dieses Beschlusses „für den Zeitraum vor dem “. Der Bundeskollektivvertrag für Angestellte im Personenbeförderungsgewerbe mit PKW sei erst am in Kraft getreten. Aufgrund dieses Wirksamkeitsbeginns scheide die Anwendung des normativen Teiles des Kollektivvertrags auf jene noch nicht verjährten Ansprüche der Lehrlinge aus dem Titel der Lehrlingsentschädigung aus, die für die Zeit vor dem gebührten. Über diese Ansprüche sei noch nicht entschieden worden. Das rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung bestehe deshalb, weil die derzeit noch nicht verjährten Ansprüche, die bis in das Jahr 2009 zurückreichten, laufend von Verjährung bedroht seien. Das zugrunde liegende Verfahren nach § 54 Abs 2 ASGG bewirke eine Verjährungsunterbrechung und vermeide die Einleitung einer Vielzahl von Individualverfahren.
Rechtliche Beurteilung
Der Antrag ist nicht berechtigt.
1.1 Gegenstand der Ergänzung gemäß § 423 ZPO (iVm § 2 ASGG) sind alle Urteile einschließlich jener der Rechtsmittelinstanzen. Gemäß § 430 ZPO ist § 423 ZPO auch auf die Ergänzung von Beschlüssen sinngemäß anzuwenden (8 Ob 6/11g).
1.2 § 423 ZPO kommt nur dann zur Anwendung, wenn über einen „Anspruch“ nicht vollständig entschieden oder ein Anspruch übergangen wurde. Unter „Anspruch“ ist nur ein Sachentscheidungsbegehren zu verstehen, also ein Begehren, das selbständiger Gegenstand eines urteils- oder beschlussmäßigen Ausspruchs sein kann. Die Urteils- bzw Beschlussergänzung ist eine Folge des in § 405 ZPO normierten Grundsatzes der Bindung des Gerichts an die Sachanträge der Parteien. Dieser Grundsatz verpflichtet das Gericht auch dazu, vollständig über alle Sachanträge zu erkennen (M. Bydlinski in Fasching/Konecny² § 423 ZPO Rz 1 und 3).
2.1 Mit Beschluss vom hat der Oberste Gerichtshof in Ansehung der Lehrlingsentschädigung dem Feststellungsantrag des Antragstellers iSd § 54 Abs 2 ASGG in Form des zweiten Eventualbegehrens vollinhaltlich stattgegeben.
Die geforderte Mindestentlohnung der Lehrlinge nach dem Bundeskollektivvertrag für Angestellte im Personenbeförderungsgewerbe mit PKW wurde vom Antragsteller als selbständiger Eventualfall zu den beiden anderen im Feststellungsantrag angeführten Kollektivverträgen gesehen. Dementsprechend wurde die Lehrlingsentschädigung (hilfsweise) „zumindest gemäß dem Bundeskollektivvertrag für Angestellte im Personenbeförderungsgewerbe mit PKW“ begehrt. Dieses klar formulierte Begehren setzte das Inkrafttreten des genannten Kollektivvertrags voraus. Ein Begehren für die Vergangenheit hat der Antragsteller nicht erhoben.
Für die Beurteilung der Ergänzungsfähigkeit der Entscheidung ist allein der Sachantrag maßgebend. Unter Zugrundelegung des Begehrens ist kein Teil der Sachanträge unerledigt geblieben.
2.2 Angemerkt wird, dass der Antragsteller den Anspruch auf die Lehrlingsentschädigung nach dem in Rede stehenden Kollektivvertrag auch in seinem Vorbringen nicht auf die Vergangenheit bezogen hat. In einem Klammerausdruck wurde darauf hingewiesen, dass der Kollektivvertrag am in Kraft getreten sei. Zudem wurde ausgeführt, dass die Ansprüche aus dem Titel der Entgeltdifferenzen laufend von Verjährung bedroht seien und durch das gegenständliche Feststellungsverfahren eine Verjährungsunterbrechung bewirkt werden könne. Dennoch wurde - anders als im nunmehrigen Ergänzungsantrag - nicht darauf Bezug genommen, dass die zu klärende Rechtsfrage auch Ansprüche vor dem betrifft.
3. Insgesamt liegt kein Ergänzungsfall vor. Der Antrag auf Ergänzung des Beschlusses vom war daher abzuweisen.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
Schlagworte | Arbeitsrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2012:008OBA00017.12A.0424.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
LAAAD-89795