OGH vom 19.10.2010, 10Ob73/10y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj M*****, geboren am , *****, vertreten durch das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Rechtsvertretung Bezirke 2, 20, Meldemannstraße 12-14, 1200 Wien), über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 42 R 311/10m 23, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom , GZ 1 PU 54/10m 15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Beginndatum in Punkt 1. des erstgerichtlichen Beschlusses vom statt „“ „“ zu lauten hat.
Das auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG auch für den Monat April 2010 gerichtete Mehrbegehren des Kindes wird abgewiesen.
Text
Begründung:
Die am geborene M***** lebt in Obsorge der mütterlichen Großmutter V***** und ist die Tochter von J***** und B*****. Letzterer wurde mit einstweiliger Verfügung des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom , (ON 3) zu einem vorläufigen monatlichen Unterhalt gemäß § 382a EO von 122,09 EUR ab verpflichtet. Dieser Beschluss wurde dem Vater am durch Hinterlegung zugestellt und ist unbekämpft in Rechtskraft erwachsen.
Am brachte die Minderjährige, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger, bei Gericht einen Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen in Titelhöhe gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG ein.
Mit Beschluss vom , 1 PU 54/10m 15, bewilligte das Erstgericht der Minderjährigen Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in der berichtigten Höhe von monatlich 112,70 EUR (ON 16) für den Zeitraum vom bis . Zur Begründung wurde angegeben, dass der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbetrag nicht zur Gänze geleistet habe. Beim Bezirksgericht Ebreichsdorf sei gegen ihn am eine Forderungsexekution eingebracht worden.
Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Bundes nicht Folge. Es führte zu der im Revisionsrekursverfahren allein noch strittigen Frage des Beginns der Unterhaltsvorschusszahlungen aus, Vorschüsse seien nach § 8 UVG vom Beginn des Monats, in dem das Kind sie beantrage, zu gewähren. Da die Vollstreckbarkeit des Unterhalts im vorliegenden Fall (bereits) am Monatszweiten eingetreten, der Unterhalt aber schon einen Tag vorher fällig geworden sei, würde die „engherzigere“, auf die Fälligkeit ab Wirksamkeit abstellende Rechtsansicht dazu führen, dass die Vorschussberechtigte nahezu einen ganzen Monat ohne Unterhalt bzw Unterhaltsvorschuss dastehen würde. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass das FamRÄG 2009 durch § 19 Abs 3 UVG im Ergebnis eine noch viel großzügigere Möglichkeit zu einer rückwirkenden Vorschussgewährung geschaffen habe (nämlich die bis zum Beginn einer Provisorialunterhaltsverpflichtung rückwirkende Erhöhung von Vorschüssen nach der endgültigen Festsetzung des Unterhalts), sei es gerechtfertigt, hinsichtlich des „laufenden Unterhalts“ die für das vorschussberechtigte Kind günstigste der denkbaren Auslegungsvarianten zu wählen, welche für den Bund nur eine zusätzliche Belastung für einen „einzigen“ Monat (hier: für April 2010) ergeben könne.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage der Auslegung des § 3 Z 2 UVG (idF FamRÄG 2009) noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.
Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass der Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen soweit diese auch für den Zeitraum bis „begehrt (zugesprochen)“ wurden, abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Es wurden keine Revisionsrekursbeantwortungen erstattet.
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Entscheidung des Rekursgerichts im Widerspruch zu der mittlerweile vorliegenden, einheitlichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Auslegung des § 3 Z 2 UVG idF FamRÄG 2009 (10 Ob 68/10p) steht. Er ist auch berechtigt.
Wie der erkennende Senat in den Entscheidungen 10 Ob 38/10a, 10 Ob 39/10y, 10 Ob 53/10g ua jeweils vom näher dargelegt hat, setzt die Vorschussgewährung nach § 3 Z 2 UVG idF FamRÄG 2009 voraus, dass der Unterhaltsschuldner „nach Eintritt der Vollstreckbarkeit“ den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet. Auch bei einer Unterhaltsvorschussgewährung nach § 4 Z 1 UVG ist - neben dem Vorliegen eines vollstreckbaren Unterhaltstitels - Voraussetzung, dass der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet. Darunter ist zu verstehen, dass der dem Eintritt der Vollstreckbarkeit folgende Fälligkeitstermin erfolglos verstreichen muss, damit ein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse nach den §§ 3 Z 2, 4 Z 1 UVG entsteht. Die bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit fällig gewordenen Unterhaltsbeiträge sind insoweit unterhaltsvorschussrechtlich unbeachtlich. Wird daher vom geldunterhaltspflichtigen Elternteil an dem dem Eintritt der Vollstreckbarkeit folgenden Monatsersten der fällige Unterhaltsbetrag nicht geleistet, steht der Unterhaltsvorschuss monatsbezogen ab diesem Monatsersten zu.
Da im vorliegenden Fall die Vollstreckbarkeit des Unterhaltstitels erst im April 2010 eingetreten ist, konnte ein Verzug mit der Zahlung des nach Eintritt der Vollstreckbarkeit fälligen laufenden Unterhalts frühestens im Mai 2010 eintreten, weshalb auch ein Vorschussanspruch erst am besteht. Es war daher in Stattgebung des Revisionsrekurses des Bundes das Beginndatum der Vorschussgewährung auf abzuändern (zu allem: 10 Ob 65/10x).
Fundstelle(n):
CAAAD-89506