OGH vom 18.04.2007, 8ObA16/07x

OGH vom 18.04.2007, 8ObA16/07x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Glawischnig und die fachkundigen Laienrichter Dr. Thomas Neumann und Peter Schönhofer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Parteien 1. A***** U*****, 2. N***** G*****, 3. P*****, alle vertreten durch Dr. Heinrich Kellner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Gerhard A*****, vertreten durch Dr. Christian Schauberger, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 43.518,11 und Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 146/06h-45, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Der Beklagte errichtete eine Stahlhalle mit einem 10 m hohen Dach, in dem sich alle 5 m Öffnungen für noch einzusetzende Lichtkuppeln befanden. Ein „Leiharbeitnehmer" wurde zur Unterstützung der Mitarbeiter des Beklagten für Arbeiten am Dach angefordert. Weder hatte dieser zuvor auf einem Dach gearbeitet noch wurde er über Sicherheitsvorkehrungen unterwiesen. Nach Erhalt des Auftrags eine Dachrinne zu montieren, stieg der „Leiharbeitnehmer" ohne Sicherheitsgeschirr auf das Dach, zog völlig ungesichert die Dachrinne mit einem Seil zu sich herauf, indem er rückwärts ging und stürzte dabei in eine der ungesicherten Dachöffnungen. Der Arbeitsunfall ist darauf zurückzuführen, dass die Lichtkuppeln nicht abgedeckt waren, der Arbeiter nicht mit Sicherheitsgeschirr, Sicherheitsseil und Falldämpfer gesichert war und er diesbezüglich auch nicht unterwiesen worden war. Der Beklagte sorgte weder dafür, dass die Arbeiten und speziell das Vorhandensein von Absturzsicherungen beaufsichtigt wurden, noch setzte er für Zeiten seiner Abwesenheit einen Vertreter ein. Die Vorinstanzen beurteilten das Verhalten des Beklagten als grob fahrlässig.

Der Grundsatz, wonach grobe Fahrlässigkeit dann vorliegt, wenn jene Aufmerksamkeit außer Acht gelassen wird, die in einem Betrieb der in Betracht kommenden Art im Interesse der Unfallverhütung erwartet werden muss, gilt auch für das ASVG. Auch eine einmalige Zuwiderhandlung gegen Dienstnehmerschutzvorschriften kann grobe Fahrlässigkeit begründen (SZ 40/26; RIS-Justiz RS0085463). Für die Beurteilung des primären Schutznormadressaten ist auf die Pflichten eines Unternehmers abzustellen, wobei auf die Sachverständigenhaftung abzustellen und ein erhöhter Diligenzmaßstab anzulegen ist (SZ 2004/138; RIS-Justiz RS0026555). Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn eine außergewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht (Pflicht zur Unfallverhütung) vorliegt und der Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich voraussehbar ist (Arb 9702, SZ 53/36, RIS-Justiz RS0030272 ua). Mit seinen Ausführungen, dass „eine einheitliche Rechtsprechung zu dem „konkreten Sachverhalt" nicht vorliege, zeigt der Revisionswerber keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf. Der Unterschied zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit ist rein maßlich und nur aus den Umständen des Einzelfalls ableitbar (8 ObA 301/98t, 9 ObA 49/04b = SZ 2004/138). Die Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit stellt eine Frage des Einzelfalls dar, die nur im Falle grober Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden kann (8 ObA 73/03y = SZ 2004/141; 8 ObA 336/98i ua). Von einer derartigen groben Fehlbeurteilung, die das korrigierende Einschreiten des Obersten Gerichtshofs erforderlich machen würde, kann aber vorliegend nicht gesprochen werden. Sowohl das Nichtanbringen von Schutzeinrichtungen gegen das Abstürzen auf einem Dach als auch das Unterlassen des Anseilens bei Dachdeckerarbeiten auf einem Dach mit vielen großen Öffnungen wurden vom Obersten Gerichtshof als grob fahrlässig beurteilt (2 Ob 37/86; 8 Ob 161/82). Weder die Betriebsgröße noch der Umstand, dass der Beklagte zum Unfallszeitpunkt kurz vor seiner Pensionierung stand, sind geeignet, Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung aufzuwerfen. Ebenso wenig vermag sich der Oberste Gerichtshof der Rechtsansicht des Rechtsmittelwerbers anzuschließen, wonach jeder der den Beklagten vorgehaltenen Einzelverstöße allein das besonders schwere Verschulden und die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts indiziere, weshalb die Verschuldenskriterien auch nicht durch mehrere Verstöße bewirkt werden können. Nach ständiger Judikatur kann vielmehr eine Reihe für sich allein nicht grob fahrlässiger Fehlhandlungen in ihrer Gesamtheit grobe Fahrlässigkeit begründen. Voraussetzung dafür ist, dass sie in ihrer Gesamtheit als den Regelfall weit übersteigendes Sorglosigkeit anzusehen sind (7 Ob 30/93; RIS-Justiz RS0030372 ua). Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass eine solche Kumulierung aufgrund des festgestellten Sachverhalts hier anzunehmen ist, hält sich im Rahmen der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 334 ASVG.

Die außerordentliche Revision ist daher zurückzuweisen.