OGH vom 18.07.2017, 10Ob7/17b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Kinder 1. C*****, geboren ***** 2001, 2. Sa*****, geboren ***** 2003, 3. Se*****, geboren ***** 2004, und 4. K*****, geboren ***** 2009, alle vertreten durch das Land Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger (Amt für Jugend und Familie- Rechtsvertretung, Bezirke 3 und 11, 1030 Wien, Karl-Borromäus-Platz 3), wegen Gewährung von Unterhaltsvorschüssen, über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 42 R 443/16g, 42 R 444/16d, 42 R 445/16a und 42 R 446/16y-47, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 9 Pu 82/16m-24 bis -27, bestätigt wurden, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Unterhaltsvorschussanträge abgewiesen werden.
Text
Begründung:
Der Vater der Kinder ist aufgrund einer am vor dem Kinder- und Jugendhilfeträger geschlossenen Vereinbarung zu Unterhaltsleistungen in Höhe von jeweils 50 EUR für C***** M*****, Sa***** und Se***** sowie aufgrund einer einstweiligen Verfügung des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 9 Pu 82/16h-10, zu einer Unterhaltsleistung für K***** in Höhe von 119,60 EUR verpflichtet.
Am beantragten die Kinder, vertreten durch den Kinder- und Jugendhilfeträger, beim Erstgericht die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß den §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe. Der Unterhaltsschuldner habe nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhalt nicht zur Gänze geleistet, weshalb die aus der Beilage ersichtliche Exekution beantragt worden sei.
Die Exekutionsanträge auf Forderungsexekution nach § 294a EO waren – ausgehend von der Annahme, eine Wohnanschrift des Unterhaltsschuldners (Verpflichteten) sei unbekannt – beim Bezirksgericht Villach eingebracht worden; die Zustellung an den Unterhaltsschuldner wurde per Adresse eines Dienstgebers begehrt.
Das Bezirksgericht Villach war für die Erteilung der Exekutionsbewilligung aber unzuständig. Der Verpflichtete war zwar bei einer im Sprengel des Bezirksgerichts Villach gelegenen BauG-GmbH als Arbeiter beschäftigt, seine Wohnanschrift war jedoch an einer Adresse in Wien. Wie aufgrund einer vom Erstgericht veranlassten Auskunft des Arbeitgebers seit aktenkundig war, lautete diese Adresse ***** Wien, R*****gasse 21/Hof 2 (ON 14). Wie sich aus der Aktenlage weiters ergibt, hat der Verpflichtete an dieser Adresse Zustellstücke persönlich übernommen, war aber polizeilich nicht gemeldet. Dem Kinder- und Jugendhilfeträger war die Adresse ***** Wien, R*****gasse 21/Hof 2, bekannt, nämlich durch Zustellung des Unterhaltserhöhungsbeschlusses vom , 9 Pu 82/16h-15, am , also an dem Tag, an dem die Vorschussanträge eingebracht wurden, und durch die Mitteilung des Erstgerichts an den Kinder- und Jugendhilfeträger vom , wonach der Unterhaltsschuldner laut Auskunft seines Dienstgebers an der Adresse ***** Wien, R*****gasse 21/Hof 2, wohnhaft sei und an dieser Adresse auch die einstweilige Verfügung vom übernommen habe.
Das Erstgericht bewilligte mit Beschlüssen vom Unterhaltsvorschüsse gemäß den §§ 3, 4 Z 1 UVG in (antragsgemäßer) Höhe von jeweils 50 EUR von bis für C*****, von bis für Sa***** und von bis für Se*****. Für K***** wurden (antragsgemäß) Unterhaltsvorschüsse in Höhe von 119,60 EUR von bis gewährt.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes nicht Folge. Der Vertreter der Kinder wäre ex ante betrachtet nicht verpflichtet gewesen, vor Stellung des Exekutionsantrags beim Exekutionsgericht am Sitz eines Arbeitgebers als Drittschuldners weitere Erhebungen durchzuführen. Wie aus einem der Rekursbeantwortung beigelegten Schriftstück ersichtlich sei, sei im Juni 2016 ein eingeschrieben aufgegebenes Schriftstück an den Vater unter der Adresse „***** Wien, R*****gasse 26“ mit dem Vermerk „unbekannt“ retourniert worden. Selbst wenn also eine Zentralmeldeanfrage oder eine Anfrage beim Dienstgeber des Vaters eingeholt worden wäre, hätten diese Maßnahmen keine neue Adresse erbracht.
Über Zulassungsvorstellung hin ließ das Rekursgericht den Revisionsrekurs nachträglich zu. Es sei irrtümlich unerkannt geblieben, dass die Adresse, auf die in der Rekursbeantwortung Bezug genommen worden sei („***** Wien, R*****gasse 26“), mit der im Akt aufscheinenden Adresse „***** Wien, R*****gasse 21/Hof 2“ nicht ident sei. Das Argument, eine Erhebung der Wohnanschrift beim Dienstgeber wäre aus der Sicht des Vertreters der Kinder entbehrlich gewesen, weil keine neue Adresse hervorgekommen wäre, sei daher verfehlt.
Rechtliche Beurteilung
Der des Bundes ist zulässig und im Sinne einer Abänderung der Entscheidung der Vorinstanzen berechtigt.
1. Nach ständiger Rechtsprechung können Unterhaltsvorschüsse iSd § 3 UVG nur dann gewährt werden, wenn das Kind vorher Schritte initiiert hat, um den gesamten laufenden Unterhalt durch eine zielführende Exekution auf die künftig fällig werdenden laufenden Bezüge des Unterhaltsschuldners hereinzubringen. Aufgrund der Subsidiarität der Vorschussgewährung gegenüber der zwangsweisen Hereinbringung der Geldunterhaltsleistungen muss der Exekutionsantrag grundsätzlich zielführend in dem Sinn sein, dass damit die Möglichkeit besteht, den Geldunterhaltsanspruch zu lukrieren. An den Exekutionsantrag sind daher inhaltliche Anforderungen zu stellen, die ihn – ex ante aus Sicht des Antragstellers betrachtet – zur sofortigen Geschäftsbehandlung geeignet erscheinen lassen. In diesem Sinn ist das Einlangen bei dem (ex ante betrachtet) zuständigen Gericht notwendig. Auch wenn das unzuständige Gericht den Antrag gemäß § 44 JN an das zuständige Gericht überweisen muss, kann die Einbringung eines Exekutionsantrags bei „irgendeinem“ Gericht kein tauglicher Antrag (im Sinne einer „Wahrung“ des Einbringungsmonats iSd § 8 UVG) sein. Maßgeblich ist vielmehr das Einlangen des Exekutionsantrags beim zuständigen Gericht, soweit dieses auch ex ante als zuständig erkennbar war (RIS-Justiz RS0129828).
2. Einem durch den Kinder- und Jugendhilfeträger vertretenen Kind ist es daher – selbst im Fall häufigen Arbeitsplatz- oder Wohnsitzwechsels durch den Unterhaltsschuldner – zumutbar, jene Maßnahmen zu setzen, die eine zielführende Exekutionsführung ermöglichen (RIS-Justiz RS0129829). Es ist immer eine Beurteilung des Einzelfalls, in welchem Umfang eine Verpflichtung des Kinder- und Jugendhilfeträgers angenommen wird, vor einem Exekutionsantrag bestimmte Erhebungsmaßnahmen durchzuführen, um (möglicherweise) eine aktuelle Adresse des Unterhaltsschuldners zu eruieren. Das Mindeste bei einem Unterhaltsschuldner mit häufigen Wohnsitzwechsel ist eine ZMR-Abfrage. Eine solche wurde auch durchgeführt, allerdings ohne Ergebnis.
3. Auch wenn als erste Information des Kinder- und Jugendhilfeträgers über die aktuelle Adresse des Unterhaltsschuldners durch das Gericht die Zustellung des Unterhaltserhöhungsbeschlusses vom , 9 Pu 82/16h-15, am , also an dem Tag, an dem die Vorschussanträge eingebracht wurden, aktenkundig ist, ist unter den gegebenen Umständen des Einzelfalls doch davon auszugehen, dass die Gründe dafür, dass der Exekutionsantrag beim unzuständigen Bezirksgericht Villach eingebracht wurde, im Bereich des Kinder- und Jugendhilfeträgers liegen. Nach dem Vorbringen in der Rekursbeantwortung vom (ON 41) wurde bereits am der Versuch unternommen, dem Unterhaltsschuldner ein Aufforderungsschreiben an der ***** Wien, R*****gasse 26, zuzustellen. Aufgrund der Unzustellbarkeit wurde der – richtige – Schluss gezogen, dass der Vater an dieser Adresse (R*****gasse 26) nicht wohnhaft sei. Allerdings lag die Ursache dafür in der Angabe einer unrichtigen Hausnummer. Aufgrund der Aktenlage ist davon auszugehen, dass bei Verwendung der richtigen Hausnummer (21/Hof 2) eine Zustellung möglich gewesen wäre und nicht zu der unzutreffenden Schlussfolgerung des Kinder- und Jugendhilfeträgers geführt hätte, eine Exekution beim zuständigen Gericht in Wien sei nicht möglich.
4. Das Argument, das Einlangen der Exekutionsanträge beim zuständigen Gericht sei deshalb nicht notwendig, weil die Exekution vom (unzuständigen) Bezirksgericht bewilligt worden sei, ist nicht tragfähig. Zur Bewilligung der Exekution ist ausschließlich das in den §§ 18 und 19 EO bezeichnete Exekutionsgericht zuständig (§ 4 EO). Bei der Exekution auf (nicht verbücherte) Forderungen hat das Gericht als Exekutionsgericht einzuschreiten, bei dem der Verpflichtete seinen allgemeinen Gerichtsstand in Streitsachen hat (§ 18 Z 3 EO). Dieser wird durch den Wohnsitz bestimmt (§ 66 Abs 1 JN). Infolge des Wohnsitzes des Unterhaltsschuldners in ***** Wien wäre ein Bezirksgericht in Wien zur Bewilligung der Exekution ausschließlich zuständig gewesen (§ 51 EO), sodass das Bezirksgericht Villach seine Unzuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens wahrzunehmen hat. Kann das zuständige Gericht ermittelt werden, ist das Verfahren gemäß § 44 Abs 1 JN an dieses zu überweisen (3 Ob 15/94). Eine Überweisung ist aber laut Aktenlage nicht erfolgt. Ungeachtet der Erteilung der Exekutionsbewilligung durch das unzuständige Exekutionsgericht bleibt die Antragstellung bei diesem Gericht ex ante betrachtet demnach nicht zielführend.
Die Vorschussanträge waren daher abzuweisen.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:0100OB00007.17B.0718.000 |
Schlagworte: | 1 Generalabonnement,5 Exekutionssachen,20 Unterhaltsrechtliche Entscheidungen |
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