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OGH vom 15.12.2015, 10Ob69/15t

OGH vom 15.12.2015, 10Ob69/15t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei KR Dkfm. Ing. W*****, vertreten durch Ankershofen-Goess Hinteregger Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei W*****, vertreten durch Dr. Bernhard Rieder, Rechtsanwalt in Wien, wegen 63.346,10 EUR sA, infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 15 R 166/14p 13, mit dem über Rekurs der klagenden Partei der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 10 Cg 19/14h 10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.034,54 EUR (darin enthalten 339,09 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrt in seiner Mahnklage die Zahlung des Betrags von 63.346,10 EUR sA, den er dem Beklagten im Vertrauen auf eine gemeinsame Geschäftsbeziehung gegeben habe.

Das Erstgericht erließ am antragsgemäß den Zahlungsbefehl. Nachdem zunächst kein Zustellnachweis einlangte, verfügte es die neuerliche Zustellung an den Beklagten an der in der Klage genannten Adresse. Diese Zustellung erfolgte laut Zustellnachweis am . Die Übernahme wurde mittels unleserlicher Paraphe bestätigt und die Rubrik „Arbeitgeber/Arbeitnehmer“ angekreuzt.

Mit Schreiben vom teilte Rechtsanwalt Dr. F***** dem Erstgericht mit, dass aufgrund eines Nachsendeauftrags des Beklagten an seine Kanzleianschrift der Zahlungsbefehl irrtümlich von einer Kanzleimitarbeiterin übernommen worden sei, obwohl der Beklagte seit geraumer Zeit und bis auf weiteres ortsabwesend sei und auch kein Vollmachtsverhältnis bestehe.

Am kontaktierte der Beklagte das Erstgericht telefonisch. Er bestätigte, einen Nachsendeauftrag erteilt zu haben, da er sich von Mai bis einschließlich November 2014 im Ausland befinde. Er habe telefonisch vom Zahlungsbefehl erfahren und wolle Einspruch erheben, könne sich jedoch keinen Anwalt leisten.

Das Erstgericht übermittelte daraufhin dem Vertreter des Klägers eine Kopie des Anwaltsschreibens samt der Mitteilung vom Zustellanstand. Den Rekurs des Klägers gegen diese Benachrichtigung wies es (rechtskräftig) zurück.

In der Folge beantragte der Kläger die Erteilung einer Rechtskraft und Vollstreckbarkeitsbestätigung. Diesen Antrag wies das Erstgericht ab. Da der Beklagte sich nicht regelmäßig an der Adresse, an der die Zustellung erfolgt sei, aufhalte und es sich bei dem Rechtsanwalt um keinen Vertreter iSd § 13 Abs 3 ZustG handle, sei die Zustellung nicht wirksam erfolgt.

Dem Rekurs des Klägers gegen diesen Beschluss gab das Rekursgericht Folge und änderte ihn dahin ab, dass die Rechtskraft und Vollstreckbarkeitsbestätigung erteilt wurde. Es führte aus, im Fall der Nachsendung sei eine Zustellung an der Nachsendeadresse grundsätzlich nur dann wirksam, wenn sich dort auch tatsächlich eine Abgabestelle befinde. In der Entscheidung 2 Ob 163/07w habe der Oberste Gerichtshof jedoch die Ansicht vertreten, wenn der Empfänger die Nachsendeadresse in seinem Nachsendeauftrag selbst bestimme und sich an dieser Anschrift tatsächlich keine Abgabestelle befinde, widerspreche es Treu und Glauben, wenn ihm der Einwand offen stehe, dass an dieser Adresse niemals eine Abgabestelle existiert habe. Dies gelte auch für den vorliegenden Fall. Da in der Kanzlei des Rechtsanwalts auch die Anwesenheit einer dort arbeitenden, zur Übernahme bereiten Person gewährleistet gewesen sei, sei diese ungeachtet der weiteren Voraussetzung des § 16 Abs 2 ZustG als taugliche Ersatzempfängerin anzusehen. Das Verhältnis des Ersatzempfängers sei nicht im Verhältnis zum Empfänger, sondern zum Dritten, der Rechtsanwaltskanzlei, zu prüfen, weshalb es unerheblich sei, ob dieser Rechtsanwalt vom Beklagten bevollmächtigt worden sei.

Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zu, da aufgrund der Häufigkeit von Nachsendeaufträgen den damit verbundenen Rechtsfragen besondere Bedeutung zukomme.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Revisionsrekurs des Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beteiligte sich nicht am Revisionsrekursverfahren.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus den vom Rekursgericht genannten Gründen zulässig und auch berechtigt.

Der Beklagte macht geltend, dass bei einer längeren Abwesenheit des Empfängers von der Abgabestelle, auf die der Nachsendungsauftrag laute, dort keine wirksame Zustellung erfolgen könne. Da er an der Kanzleiadresse nie aufhältig und im Zeitpunkt der Zustellung überhaupt ortsabwesend gewesen sei, habe es sich bei der Kanzleiadresse um keine Abgabestelle gehandelt. Die Auslegung in der vom Rekursgericht zitierten höchstgerichtlichen Entscheidung sei in der Lehre kritisiert worden. Würde man ihr folgen, wäre schon die Existenz eines vorhandenen physischen Orts für die wirksame Zustellung ausreichend. Bedenklich sei auch, dass mit der fiktiven Ersatzzustellung vom gesetzlichen Konzept des § 16 ZustG abgewichen werde. Der Arbeitnehmer des Kanzleiinhabers würde danach Ersatzempfänger für den nicht in der Kanzlei beschäftigten Empfänger, ohne dies zu wissen oder zu diesem in einem Verhältnis zu stehen. Tatsächlich lägen die gesetzlichen Voraussetzungen für eine wirksame Zustellung an den Beklagten nicht vor.

Dazu ist auszuführen:

1. Nach § 13 Abs 1 ZustG ist ein Dokument dem Empfänger an der Abgabestelle zuzustellen. Als „Abgabestelle“ definiert § 2 Z 4 ZustG die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, den Sitz, den Geschäftsraum, die Kanzlei oder auch den Arbeitsplatz des Empfängers, im Fall einer Zustellung anlässlich einer Amtshandlung auch deren Ort oder einen vom Empfänger der Behörde für die Zustellung in einem laufenden Verfahren angegebenen Ort. Alle Abgabestellen sind untereinander gleichrangig (1 Ob 49/07y = RIS Justiz RS0122390). Die Zustellbehörde kann unter ihnen eine auswählen ( Stumvoll in Fasching/Konecny 2 ErgBd § 2 ZustG Rz 10).

Diese genaue Festlegung konkreter Abgabestellen dient insofern der Rechtssicherheit, als die normierten Abgabestellen einerseits mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Zustellerfolg versprechen; andererseits kann auch ein potenzieller Empfänger sicherstellen, dass ihn Sendungen erreichen. Die normierten Abgabestellen sind insofern zwingend, als nicht durch Vereinbarung (etwa mit der Zustellbehörde oder dem Zusteller) ein Zustellort, der nicht den Kriterien einer Abgabestelle entspricht, zur Abgabestelle gemacht werden kann. Ersucht also etwa ein Empfänger um Zustellung der Sendungen an die Adresse seiner Mutter, bei der er nicht wohnt (bei der er aber die Sendung leichter beheben kann), dann sind dort erfolgte Zustellungen unwirksam und nur nach § 7 ZustG heilbar ( Stumvoll in Fasching/Konecny 2 ErgBd § 2 ZustG Rz 9).

Voraussetzung für das Vorliegen einer Zustelladresse ist, dass sich der Empfänger dort auch tatsächlich regelmäßig aufhält; dies gilt auch bei Zustellvorgängen an Nachsendeadressen. War eine Zustelladresse zum Zeitpunkt der versuchten Zustellung keine Abgabestelle (iSd § 2 Z 4 ZustG), weil der Empfänger dort nicht (mehr) gewohnt hat, ist die Zustellung unwirksam ( Raschauer in Frauenberger Pfeiler/Raschauer/ Sander/Wessely , Österreichisches Zustellrecht 2 § 2 ZustG Rz 5 und 5a mwN).

Maßgebend für die Beurteilung des Umstands, ob im konkreten Fall eine Abgabestelle vorliegt oder vorlag, ist dabei nicht allein der Zeitpunkt der „Zustellung“. Vielmehr sind die berücksichtigungswürdigen Tatsachen ex post nach objektiven Gesichtspunkten, das heißt ohne Rücksicht darauf, wie sich dem Zustellorgan die Verhältnisse subjektiv geboten haben, und ohne Rücksicht auf eine entsprechende Absicht des Empfängers zu ermitteln und zu beurteilen ( Gitschthaler in Rechberger 4 § 87 [§ 2 ZustG] Rz 7/1).

2. Nach § 18 Abs 1 Z 1 ZustG ist ein Dokument, wenn sich der Empfänger nicht regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, an eine andere inländische Abgabestelle nachzusenden, wenn es (unter anderem) durch Organe eines Zustelldienstes zugestellt werden soll und nach den für die Beförderung von Postsendungen geltenden Vorschriften die Nachsendung vorgesehen ist.

Ein wirksamer Zustellvorgang an der Nachsendeadresse setzt grundsätzlich voraus, dass diese alle Voraussetzungen einer Abgabestelle iSd § 2 Z 4 ZustG erfüllt. Im Erteilen eines Nachsendeauftrags darf keine Automatik in dem Sinn gesehen werden, dass an der „neuen“ Abgabestelle gleichsam fiktiv auch dann zugestellt werden dürfte, wenn etwa Umstände vorliegen, die eine Zustellung auch an der „alten Abgabestelle“ nicht möglich gemacht hätten. Eine derartige Aufgabe von Empfängerrechten ist dem ZustG nicht zu entnehmen ( Stumvoll aaO § 18 Rz 9; vgl auch Gitschthaler aaO § 87 [§ 18 ZustG] Rz 2 mwN).

3. In der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 2 Ob 163/07w (= SZ 2008/23) wurde es unter prinzipieller Anerkennung dieser Grundsätze für den Fall der Erteilung eines Nachsendeauftrags an eine Adresse, an der tatsächlich keine Abgabestelle besteht, als Treu und Glauben widersprechend angesehen, dass nach einer an dieser Adresse erfolgten Zustellung dem Empfänger der Einwand offen stehe, an der Nachsendeadresse habe niemals eine Abgabestelle existiert. In solchen Fällen erscheine es sachgerecht, den Empfänger an die von ihm selbst geschaffene Fiktion einer Abgabestelle soweit zu binden, dass er sich eine seinem Wunsch gemäß an der Nachsendeadresse bewirkte Zustellung auch zurechnen lassen müsse.

Der erkennende Senat hält hingegen an der Auffassung fest, dass eine Zustellung auch im Rahmen eines Nachsendeauftrags nur an einer tauglichen Abgabestelle erfolgen kann. Ohne Nachsendeauftrag ist unstrittig für die Qualifikation als Abgabestelle auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen. Auch eine unrichtige Meldung oder eine sonstige Verschleierung des tatsächlichen Aufenthalts ändert nichts daran, dass eine Zustellung im Allgemeinen nur dann zulässig ist, wenn der Zustellort die im Gesetz genannten Voraussetzungen einer Abgabestelle erfüllt. Daran kann auch die Erteilung eines Nachsendeauftrags nichts ändern. Insbesondere lässt sich aber auch aus dem Umstand, dass die Post vom Empfänger allgemein an einen anderen Ort umgeleitet wird, der vom Empfänger nicht als Abgabestelle benutzt wird, auch nicht zwingend auf die Absicht des Empfängers schließen, eine behördliche Zustellung, mit der er vielleicht gar nicht rechnet, verhindern zu wollen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass den Empfänger, der eine Abgabestelle längere Zeit nicht benützt, im Allgemeinen nicht die Pflicht trifft, einen Nachsendeantrag zu stellen (7 Ob 643/90 mwN). Aus der bloßen Möglichkeit des Empfängers, bei seinem bisherigen Abgabepostamt einen Nachsendeantrag hinsichtlich der für ihn einlangenden Postsendungen zu stellen, lässt sich daher weder auf eine entsprechende Verpflichtung zu dieser Vorsorge und schon gar nicht darauf schließen, dass sonst trotz einer längere Zeit währenden Abwesenheit des Empfängers von der Abgabestelle dort eine Zustellung wirksam erfolgen kann (RIS Justiz RS0071470). Auch aus der Vorschrift des § 18 ZustG ergibt sich somit, dass die Zustellung an einen Empfänger, der sich nicht regelmäßig an seiner Nachsendeadresse aufhält, nicht stattfinden kann (vgl 3 Ob 574/87 ua). Ohne Hinzutreten weiterer Anhaltspunkte kann daher im vorliegenden Fall ein Verstoß des Beklagten gegen Treu und Glauben nicht angenommen werden.

Aber auch wenn man mit den Ausführungen in der Vorentscheidung 2 Ob 163/07w allgemein davon ausgeht, dass ein Einwand des Empfängers, der einen Nachsendeauftrag für eine Adresse erteilt hat, an der für ihn nach dem ZustG keine Zustellungen stattfinden dürfen, gegen die Rechtswirksamkeit einer solchen Zustellung Treu und Glauben widerspricht, wird damit allein eine an jenem Ort erfolgte Zustellung noch nicht rechtswirksam. Zutreffend verweist Stumvoll (aaO § 18 Rz 14) darauf, dass mit Anerkennung einer durch Erklärung des Empfängers geschaffenen „fiktiven Abgabestelle“ die Problematik auftritt, dass eine „Ersatzzustellung“ gleichzeitig nicht ohne rechtsschöpfende Fiktion auskommen kann. Nach § 16 Abs 2 ZustG kann Ersatzempfänger jede erwachsene Person sein, die an derselben Abgabenstelle wie der Empfänger wohnt oder Arbeitnehmer oder Arbeitgeber des Empfängers ist und die außer wenn sie mit dem Empfänger im gemeinsamen Haushalt lebt zur Annahme bereit ist. Sowohl in dem in der Entscheidung 2 Ob 163/07w zu beurteilenden Fall als auch im vorliegenden Fall wurde die Sendung von einer Kanzleiangestellten des an der Zustelladresse ansässigen Rechtsanwalts übernommen, also keiner Person, die der Qualifikation des § 16 Abs 2 ZustG entspricht. Auch das in der Vorentscheidung 2 Ob 163/07w aufgestellte Kriterium, die Zustellung sei jedenfalls wirksam, wenn der Empfänger dafür Sorge getragen habe, dass die Zustellung an eine Nachsendeadresse durch die Anwesenheit dort wohnender oder arbeitender, zur Übernahme bereiter erwachsener Personen gewährleistet sei und diese dann ungeachtet der weiteren Voraussetzungen des § 16 Abs 2 ZustG als taugliche Ersatzempfänger anzusehen seien, überzeugt gerade im vorliegenden Fall nicht, erfolgte doch nach Mitteilung der Anwaltskanzlei die Übernahme durch die Mitarbeiterin nicht aufgrund eines „Vorsorge Treffens“ des Empfängers, sondern irrtümlich. Im Übrigen liegt wohl auch dann keine taugliche Abgabestelle vor, wenn sich der Empfänger nur gelegentlich am Ort der versuchten Zustellung aufhält, er aber dafür Vorsorge getroffen hat, dass für ihn einlangende Postsendungen gesammelt werden, er sie abholen kann und er auch vom Einlangen wichtiger Postsendungen verständigt wird (10 Ob 42/12t mwN).

Die Ansicht, dass allein durch die Erteilung eines Nachsendeauftrags an eine nicht als Abgabestelle genutzte Adresse eine „fiktive“ Abgabestelle begründet wird, wird daher vom erkennenden Senat nicht geteilt.

4. Da unstrittig an der Adresse, an der der Zahlungsbefehl dem Beklagten zugestellt wurde, keine Abgabestelle des Beklagten bestand, liegt keine wirksame Zustellung vor.

Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben und der erstinstanzliche Beschluss, mit dem die Erteilung einer Rechtskraft und Vollstreckbarkeitsbestätigung abgelehnt wurde, wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Das Verfahren über die Erteilung der Vollstreckbarkeitsbestätigung stellt einem Zwischenstreit iSd § 48 ZPO dar. Die beklagte Partei hat daher Anspruch auf Ersatz ihrer Verfahrenskosten, konkret der Kosten des Revisionsrekurses (vgl 6 Ob 99/07p). Eine Pauschalgebühr fällt für das Revisionsrekursverfahren nicht an.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2015:0100OB00069.15T.1215.000