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VfGH vom 23.06.1989, B1973/88

VfGH vom 23.06.1989, B1973/88

Sammlungsnummer

12107

Leitsatz

Vorschreibung von Sondergebühren ohne Vorliegen einer Gegenleistung, nämlich der Unterbringung des Patienten in einem Zimmer der Sonderklasse; gleichheitswidrige Auslegung des Wr. KAG 1987

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird daher aufgehoben.

Das Land Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit S 11.000,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Der Beschwerdeführer befand sich vom 7. bis zur stationären Behandlung im Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien. Bei der Einlieferung begehrte er die Aufnahme in die Sonderklasse der Krankenanstalt.

1.2. Mit Zahlungsaufforderung vom wurden dem Beschwerdeführer für diesen Spitalsaufenthalt

Pflegegebühren im Betrage von S 51.360,--

Anstaltsgebühren in Höhe von S 2.400,--

somit zusammen S 53.760,--

dazu 10 % Mehrwertsteuer S 5.376,--

insgesamt S 59.136,--

vorgeschrieben, wovon zufolge Zahlung von der Krankenkasse S 15.206,40 in Abzug gebracht wurden, sodaß ein offener Saldo von S 43.929,60 verblieb. Hinsichtlich dieses Betrages wurde er gemäß § 41 Abs 1 des Wiener Krankenanstaltengesetzes, LGBl. 1/1958, (§54 Abs 1 des Wiener Krankenanstaltengesetzes idF der Wiederverlautbarung LGBl. 23/1987 - künftig: Wr. KAG) zur Zahlung binnen zwei Wochen aufgefordert.

2. Gegen diese Zahlungsaufforderung erhob der Beschwerdeführer Einspruch, den die Wiener Landesregierung, die im Devolutionsweg zuständig geworden war, mit Bescheid vom als unbegründet abgewiesen hat.

Der Bescheid ist im wesentlichen wie folgt begründet:

"... Der Einspruchswerber vermeint, daß er nur formal als Sonderklassepatient aufgenommen worden wäre und daß eine Unterbringung in einem Saal, der in 4-Bett Kojen unterteilt ist, nicht als Sonderklasseunterbringung im Sinne des Wiener Krankenanstaltengesetzes angesehen werden könne. Nach seiner Meinung hätte jeder Patient, der mit gleichen Beschwerden aufgenommen worden wäre, auch im Rahmen der allgemeinen Gebührenklasse die gleiche medizinische Betreuung erhalten müssen. Da er keine Sonderklassebehandlung erfahren habe, sei auch die Vorschreibung der Sondergebühren zu Unrecht erfolgt.

Zu diesem Vorbringen ist folgendes zu sagen:

Herr P wurde am in einem Zweibettzimmer der Intensivstation der I. Medizinischen Klinik in der Sonderklasse aufgenommen. Dieses Zweibettzimmer war von anderen Zimmern räumlich vollkommen - und nicht etwa nur durch Paravents - getrennt.

Am wurde der Genannte aus Überwachungsgründen auf die Station C 2/Kardiologie verlegt. Dies deshalb, da der Patient zwar nicht mehr intensivpflichtig, aber von seiten seiner Herzrhythmusstörungen bei Bestehen einer AV-Blockierung im Rahmen der entzündlichen Herzerkrankung am Arrhythmieüberwachungsmonitor überwachungspflichtig war. Da an dieser Station in Zweibettzimmern keine Arrhythmieüberwachungsmöglichkeit besteht, mußte der Patient in einen Saal gelegt werden, der in Vierbettkojen unterteilt ist. Auf dieser Station lag der Patient bis und wurde von dort nach Hause entlassen. ...

Zu der Einwendung, daß das Krankenzimmer über vier Kojen verfügte, und es sich sohin um kein Sonderklassezimmer gehandelt habe, ist zu sagen, daß im Wiener Krankenanstaltengesetz keine Begrenzung der Bettenanzahl für ein Sonderklassezimmer festgesetzt wurde und aus der Anzahl von vier Betten keineswegs daraus geschlossen werden kann, daß es sich deshalb um ein Zimmer der allgemeinen Gebührenklasse gehandelt haben müßte.

Selbst dann aber, wenn in dem Krankenzimmer auch Patienten der allgemeinen Gebührenklasse untergebracht waren, ist dies kein Anlaß, die Aufnahme des Patienten in der Sonderklasse zu verneinen.

Gemäß § 32 Abs 4 des Wiener Krankenanstaltengesetzes sind Personen, die in der Sonderklasse aufgenommen worden waren, eben nur nach Möglichkeit von Personen, die in der allgemeinen Gebührenklasse aufgenommen worden waren, getrennt unterzubringen.

Diese Möglichkeit war im Gegenstande eben aus medizinischen Gründen - wie bereits ausgeführt - nicht gegeben.

Wenn einmal - wie im Gegenstande - eine Aufnahme eines Patienten in der Sonderklasse stattgefunden hat und es sich dann aus medizinischen Gründen als notwendig erweist, den Patienten in ein anderes Zimmer zu verlegen, so ändert dies nichts am Fortbestehen des Status der Sonderklasse.

Aus all den genannten Gründen wird daher seitens des Amtes der Wiener Landesregierung die Meinung vertreten, daß sehr wohl eine Unterbringung in der Sonderklasse anzunehmen war, weshalb auch die Vorschreibung der Sondergebühren zu Recht erfolgte."

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.

Der Beschwerdeführer hat hierauf repliziert.

4. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

4.1. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid im Gleichheitsrecht verletzt, weil die Behörde dem Gesetz einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstelle, wenn sie davon ausgehe, daß bei der Vorschreibung von Sondergebühren nach dem Wr. KAG "nicht weiter zu prüfen sei, ob die (tatsächliche) Unterbringung des Beschwerdeführers den gesetzlichen Anforderungen einer 'Sonderklasse' im Sinne des Wr. KAG entsprochen" habe. Dies impliziere die gleichheitswidrige Auffassung, daß der Entrichtung von Sondergebühren durch den Patienten keine entsprechenden Gegenleistungen der Krankenanstalt gegenüberstehen müßten. Für den Fall, daß dem Gesetz tatsächlich dieser Inhalt beizumessen sein sollte, wird die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens angeregt.

4.2. Die Beschwerde ist begründet.

4.2.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10413/1985) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Die belangte Behörde hat den angewendeten Bestimmungen des Wr. KAG über Pflegegebühren und Sondergebühren für Patienten der Sonderklasse aus folgenden Gründen tatsächlich einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt:

4.2.2. In öffentlichen - und damit gemeinnützigen (§§25 Abs 1 und 26 Wr. KAG) - Krankenanstalten kann neben der allgemeinen Gebührenklasse eine Sonderklasse errichtet werden, wenn die Aufgliederung und Ausstattung der Räume die unterschiedliche Einrichtung einer allgemeinen Gebührenklasse und einer Sonderklasse ermöglichen (§32 Abs 1 Wr. KAG). Der Unterschied zwischen der allgemeinen Gebührenklasse und der Sonderklasse darf - wie § 32 Abs 4 Wr. KAG ausdrücklich bestimmt - nur in der Ausstattung und Lage der Räume bestehen.

Voraussetzung der Aufnahme in die Sonderklasse ist nach § 32 Abs 2 Wr. KAG, daß der Patient dies wünscht (die Aufnahme darf nur erfolgen, wenn Patienten in der Lage sind, die Pflegegebühren und weiteren Entgelte der Sonderklasse zu entrichten; kann einer Person die Zahlung dieser Entgelte nicht mehr zugemutet werden, so ist sie in die allgemeine Gebührenklasse zu verlegen (§32 Abs 5 Wr. KAG)).

Vom Patienten der Sonderklasse dürfen neben Pflegegebühren als weitere Entgelte Anstaltsgebühren und ein ärztliches Honorar verlangt werden (§45 Abs 1 lita Wr. KAG), wobei die Anstaltsgebühr als Ausgleich für die Ausstattung und besondere Lage der Räume zu berechnen ist (§45 Abs 2 Wr. KAG).

Der Rechtsträger der Krankenanstalt hat die Pflege- und Sondergebühren für die Voranschläge und für die Rechnungsabschlüsse kostendeckend zu ermitteln; die Pflegegebühren und Sondergebühren sind von der Landesregierung unter Bedachtnahme auf die Ausstattung und Einrichtung, wie sie durch die Funktion der Krankenanstalt erforderlich sind, und die ordnungsgemäße und wirtschaftliche Gebarung festzusetzen und im Landesgesetzblatt kundzumachen (§46 Abs 1 Wr. KAG).

Demgegenüber sind gemäß § 44 Wr. KAG für Patienten der allgemeinen Gebührenklasse mit den Pflegegebühren, unbeschadet der für den Beschwerdefall unmaßgeblichen Bestimmungen des Abs 4, alle Leistungen der Krankenanstalt abgegolten.

4.2.3. Diese gesetzlichen Regelungen machen deutlich, daß ausschließlich die gegenüber sonstigen Patienten unterschiedliche Unterbringung (Ausstattung und Lage der Räume) von Patienten der Sonderklasse Grundlage für die Pflicht zur Zahlung von Sondergebühren ist. Der Verpflichtung der Patienten der Sonderklasse zur Zahlung der Sondergebühren steht als Leistung ihre Unterbringung in eigens hiefür nach Lage und Ausstattung vorgesehenen Räumen gegenüber. Das Gesetz geht also von interdependenten Leistungen aus (zum unmittelbaren Zusammenhang öffentlich-rechtlicher Entgelte mit den Leistungen, für die sie zu erbringen sind vgl. insbesondere VfSlg. 3389/1958 und 3754/1960; siehe aber auch VwSlg. 7735 A/1970).

In der unterschiedlichen Unterbringung der Patienten der Sonderklasse findet - vor dem Hintergrund, daß die medizinische Versorgung von Patienten der Sonderklasse und der Gebührenklasse gleichwertig sein muß (jede andere Auffassung wäre kraß unsachlich) - die Einhebung von Sondergebühren ihre einzige Rechtfertigung. Eine Auffassung, die dem Gesetz einen Inhalt beimißt, nach dem eine Vorschreibung von Sondergebühren ohne Vorliegen einer Gegenleistung zulässig wäre, ist daher gleichheitswidrig; ließe der Wortlaut der Bestimmungen des Wr. KAG eine solche Auslegung zu, würde mit dieser dem Gesetz ein gleichheitswidriger Inhalt unterstellt.

4.2.4. Eine solche - dem Gesetz einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellende - Auslegung liegt aber dem angefochtenen Bescheid zugrunde, weil er sich überhaupt nicht mit der Frage befaßt, ob die Räume, in denen der Beschwerdeführer untergebracht war, sich nach Ausstattung und Lage von den Patientenzimmern der allgemeinen Gebührenklasse unterschieden. Es kommt nämlich nicht darauf an, ob auch Patienten der allgemeinen Gebührenklasse (möglicherweise aus Bettenmangel) in den Räumen, in denen der Beschwerdeführer lag, untergebracht waren, sondern darauf, ob der Beschwerdeführer in Räumen der Sonderklasse untergebracht war. Keine ausreichende Begründung für die Einhebung von Sondergebühren ist es, daß der Beschwerdeführer die Aufnahme in die Sonderklasse beantragt hatte; dies ist vielmehr lediglich die Voraussetzung dafür, daß eine Verrechnung von Sondergebühren überhaupt zulässig sein kann.

Die belangte Behörde beruft sich unter Bezugnahme auf § 32 Abs 4 Wr. KAG darauf, daß Patienten der Sonderklasse nur "nach Möglichkeit" von Personen, die in der allgemeinen Gebührenklasse aufgenommen worden sind, getrennt unterzubringen sind. Soweit dies


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-
aus welchen Gründen immer - erforderlich ist, erlaubt das Gesetz
-
verfassungskonform ausgelegt - nicht die Vorschreibung von Sondergebühren, wenn und solange die öffentliche Krankenanstalt eine Versorgung nur in Räumen der allgemeinen Gebührenklasse anbieten kann. Da die belangte Behörde somit eine Vorschreibung von Sondergebühren ohne Vorliegen einer Gegenleistung - nämlich der Unterbringung in Zimmern der Sonderklasse - für zulässig erachtete, hat sie dem Gesetz einen Inhalt unterstellt, der es, träfe die Auslegung zu, mit Gleichheitswidrigkeit belasten würde. Es ist aber ein verfassungskonformes Verständnis der Bestimmungen des Wr. KAG möglich, doch zieht dies nach sich, daß die belangte Behörde im vorliegenden Fall dem Gesetz einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat.

4.3. Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VerfGG; in den zuerkannten Kosten ist Umsatzsteuer im Betrage von S 1.000,-- enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.