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OGH vom 09.09.2004, 15Os47/04

OGH vom 09.09.2004, 15Os47/04

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Dr. Kirchbacher als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Finster als Schriftführerin in der Strafsache gegen Viktor N***** und eine Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 dritter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Viktor N***** gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Innsbruck vom , GZ 24 Hv 225/03g-107, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Plöchl, sowie des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Poigner zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil, das hinsichtlich der Mitangeklagten Yuliya I***** unangefochten in Rechtskraft erwachsen ist, wurde Viktor N***** des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 dritter Fall StGB (I.) sowie der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (III.) und der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs 1 StGB (IV.) schuldig erkannt.

Danach hat er am in Schwaz, Innsbruck und anderen

Orten

I. dadurch, dass er der Vasilica R***** einen wuchtigen Faustschlag gegen das Gesicht versetzte, sohin mit Gewalt gegen eine Person, der in ihrer Begleitung befindlichen und am Tatort aufhältigen Gabriela Ri***** fremde (bewegliche) Sachen, nämlich einen Bargeldbetrag "in unerhobener Höhe", mit dem Vorsatz "weggenommen bzw abgenötigt", sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern, wobei Vasilica R***** durch die ausgeübte Gewalt schwer verletzt (§ 84 Abs 1 StGB) wurde, indem sie eine ausgedehnte Augenhöhlenboden- und Jochbeinfraktur rechts mit einer massiven Schwellung samt einem Hämatom in diesem Bereich, weiters eine Augapfelprellung rechts mit Verfärbung der Netzhaut sowie eine Schwellung in der Hinterkopfmitte, sohin eine an sich schwere Körperverletzung verbunden mit einer mehr als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung davontrug;

III. im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Yuliya I***** als Mittäter (§ 12 StGB) Urkunden, über die sie nicht verfügen durften, nämlich den rumänischen Reisepass, den rumänischen Personalausweis sowie ein vinkuliertes Sparbuch der Gabriela Ri***** mit dem Vorsatz unterdrückt, (zu verhindern,) dass diese im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden, indem sie diese nach der zuvor erfolgten Wegnahme von Schwaz nach Innsbruck brachten und dort im Bereich des Eisstadions in einen Müllcontainer entsorgten;

IV. im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Yuliya I***** als Mittäter (§ 12 StGB) Gabriela Ri***** und Vasilica R***** dadurch geschädigt, dass sie fremde bewegliche Sachen, nämlich zwei Handtaschen, eine Geldtasche, zwei Kleider, diverse Schminkutensilien, ein Parfum der Marke "Lacoste", diverse Medikamente und andere Gebrauchsgegenstände aus deren Gewahrsam dauernd entzogen, ohne die Sachen sich oder einem Dritten zuzueignen, indem sie diese Gegenstände nach der zu I. geschilderten Wegnahme in Schwaz nach Innsbruck verbrachten und dort im Bereich des Eisstadions in einen Müllcontainer entsorgten.

Die Geschworenen bejahten die den Angeklagten Viktor N***** betreffenden Hauptfragen nach dem Verbrechen des schweren Raubes gemäß §§ 142 Abs 1, 143 dritter Fall StGB (fortlaufende Zahl 1) mit der Einschränkung (§ 330 Abs 2 StPO) auf einen unerhobenen Bargeldbetrag sowie nach den Vergehen der Urkundenunterdrückung gemäß § 229 Abs 1 StGB (fortlaufende Zahl 5) und der dauernden Sachentziehung gemäß § 135 Abs 1 StGB (fortlaufende Zahl 7) jeweils stimmeneinhellig. Folgerichtig blieb die zur Hauptfrage 1 gestellte Eventualfrage nach dem Verbrechen des versuchten schweren Raubes gemäß §§ 15, 142 Abs 1, 143 dritter Fall StGB (fortlaufende Zahl 2) unbeantwortet.

Der Angeklagte Viktor N***** bekämpft mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde den Schuldspruch laut Punkt I. (wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 dritter Fall StGB) aus Z 5, 6, 9, 10a und 12 sowie den Strafausspruch aus Z 13 des § 345 Abs 1 StPO.

Rechtliche Beurteilung

Der Nichtigkeitsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu. Der Verfahrensrüge (Z 5) zuwider wurden durch die Abweisung des Antrags auf Vernehmung der Eltern des Beschwerdeführers zum Beweis dafür, "dass die Tat in auffallendem Widerspruch zum vorherigen Lebenswandel des Erstangeklagten steht, betreffend der Frage des Motivs, weil die Eltern bestätigen können, warum er nach Österreich gekommen ist und dass er der Zweitangeklagten helfen wollte, und zur Frage der inneren Tatseite, wozu auch primär die Einvernahme eines Kriminalpsychologen beantragt" wurde (AS 247 f/III iVm ON 100), keine Verteidigungsrechte geschmälert.

Zeugen haben über ihre Wahrnehmungen, nicht über Schlussfolgerungen auszusagen (Mayerhofer/Hollaender StPO5 § 150 E 6b ff). Anhaltspunkte dafür, dass die Eltern des Angeklagten Wahrnehmungen zu seiner Willensausrichtung bei der Tatbegehung gemacht haben könnten, bot der Beweisantrag jedoch auch unter Berücksichtigung der Aktenlage nicht. In Ansehung der übrigen Beweisthemen betraf er, wie auch in der Beschwerde eingeräumt wird, Milderungsgründe, also keine für die Schuldfrage oder den anzuwendenden Strafsatz bedeutsamen Umstände. Die Fragenrüge (Z 6) bemängelt das Unterbleiben von Eventualfragen nach Diebstahl gemäß § 127 StGB und schwerer Körperverletzung gemäß §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB.

Voraussetzung für das Stellen von Eventualfragen (§ 314 Abs 1 StPO) ist das Vorbringen von Tatsachen in der Hauptverhandlung, die einen gegenüber der Anklage geänderten Sachverhalt und bei ihrer Bejahung die Basis für einen Schuldspruch wegen einer anderen, nicht strenger bedrohten strafbaren Handlung in den näheren Bereich der Möglichkeiten rücken (Schindler, WK-StPO § 314 Rz 1). Entgegen dem Beschwerdevorbringen waren die genannten Eventualfragen auch durch die Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht indiziert. Seinen Angaben zufolge versteckte er sich in Realisierung des Tatplans, Gabriela Ri***** unter Ausnützen des Überraschungsmomentes die Handtasche zu entreißen, maskiert unter dem Stiegenaufgang ihres Wohnhauses. Weil sie und ihre Begleiterin Vasilica R***** nach seinem Hervortreten sofort zu schreien anfingen, sei er in Panik geraten und habe nur auf schnellstem Weg verschwinden wollen. Panik- bzw stressbedingt habe er bei der Flucht ohne Verletzungsvorsatz Vasilica R***** mit einem spontanen und ungeplanten Schlag mit der Handfläche weggeschoben und danach die vor ihm liegenden Taschen unbewusst bzw in Art einer Reaktion mitgenommen (insbesondere AS 149, 151, 153, 155, 159, 193/III). Weil der Angeklagte demnach sowohl einen Verletzungs- oder Misshandlungswillen beim Schlag als auch eine Zueignungs- und Bereicherungstendenz bei der Sachwegnahme in Abrede stellte, das Vorliegen der subjektiven Tatbestandserfordernisse der genannten Delikte also bestritt, bestand kein Anlass für die von ihm vermissten Eventualfragen.

Die Beschwerdekritik am Unterbleiben von (uneigentlichen) Zusatzfragen gemäß § 316 StPO bezeichnet keine Umstände, welche die Anwendung eines anderen Strafsatzes begründet hätten (Schindler aaO § 316 Rz 1 f; Mayerhofer/Hollaender aaO § 316 E 1;§ 344 [§§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2] StPO).

Entgegen dem weiteren Vorbringen (Z 9 erster Fall) brachten die Geschworenen mit der Einschränkung des Beutewertes gegenüber der Fragestellung (von "mindestens 5.000 Euro" auf einen "unerhobenen" Betrag) unmissverständlich zum Ausdruck, dass das Raubgeschehen in Ansehung eines (nicht mehr exakt eruierbaren) Bargeldbetrages jedenfalls vollendet war.

Soweit der Angeklagte mit Hinweisen auf einzelne Verfahrensergebnisse eine undeutliche oder widersprüchliche Antwort der Geschworenen auf die an sie gestellten Fragen aufzuzeigen trachtet und auf dieser Basis das Unterbleiben eines Verbesserungsauftrages moniert, wird der behauptete Mangel prozessordnungswidrig nicht aus dem Wahrspruch selbst abgeleitet (Mayerhofer/Hollaender aaO § 345 Z 9 E 6). Indem der Beschwerdeführer in der Tatsachenrüge (Z 10a) mit eigenen Beweiswerterwägungen unter Bezugnahme auf den Zweifelsgrundsatz seiner in der Hauptverhandlung vorgebrachten Geschehensversion zum Durchbruch verhelfen will, bekämpft er die den Geschworenen vorbehaltene Beweiswürdigung, ohne auf Aktenbasis erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch festgestellten entscheidenden Tatsachen aufzuzeigen.

Die Subsumtionsrüge (Z 12) verfehlt eine gesetzmäßige Ausführung, weil der Angeklagte aus seiner eigenen Bewertung der Verfahrensergebnisse Rechtsfolgen ableiten will, anstatt dem Gebot strikter Beachtung der im Wahrspruch getroffenen Konstatierungen zu folgen (Mayerhofer/Hollaender aaO § 345 Z 12 E 8).

Der Sanktionsrüge (Z 13 zweiter Fall) zuwider hat das Geschworenengericht nicht die strafsatzbegründende Qualifikation des § 143 dritter Fall StGB, sondern den Umstand als erschwerend gewertet, dass die Verletzung der Vasilica R***** in zweifacher Hinsicht als schwer zu beurteilen ist (an sich schwer und verbunden mit einer mehr als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung; US 11). Dadurch wurde keineswegs gegen das Doppelverwertungsverbot des § 32 Abs 2 erster Satz StGB verstoßen. Die Qualifikation des dritten Falles des § 143 StGB ist schon bei Vorliegen einer der Varianten des § 84 Abs 1 StGB gegeben.

Mit den weiteren Einwänden, wonach Milderungsgründe unberücksichtigt geblieben seien, wird ein Berufungsvorbringen erstattet (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 728).

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Viktor N***** war demnach in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur zu verwerfen.

Auch die Berufung versagt.

Das Geschworenengericht verurteilte den Angeklagten bei einem Strafrahmen von fünf bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe (§ 143 erster Strafsatz StGB) unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB zu sechseinhalb Jahren Freiheitsstrafe. Als erschwerend wirkten sich das Zusammentreffen von einem Verbrechen mit zwei (richtig: mehreren, 15 Os 176/03) Vergehen, die Begehung der Taten laut den Punkten III. und IV. des Urteilstenors in Mittäterschaft mit der Zweitangeklagten, seine heimtückische und brutale Vorgangsweise beim Raub und der Umstand, dass die Verletzungen der Vasilica R***** sowohl an sich schwer als auch mit einer 24 Tage überdauernden Gesundheitsschädigung verbunden waren, aus. Mildernd wurden der "bisher ordentliche Lebenswandel" (vgl aber § 34 Abs 1 Z 2 StGB) und das Geständnis zu den Taten laut III. und IV. gewertet.

Worin angesichts der Planung und eingehenden Vorbereitung des Raubes die in der Berufung geltend gemachte Unbesonnenheit liegen soll, ist nicht zu ersehen. Das Vorbringen, der Angeklagte habe nur einen einfachen Diebstahl begehen wollen, vernachlässigt den Schuldspruch wegen schweren Raubes. Auf das Vorleben des Angeklagten wurde ohnedies zu seinen Gunsten Bedacht genommen.

Dem behaupteten Motiv, der Beschwerdeführer habe die mit ihm befreundete Mitangeklagte und deren kranken Vater finanziell unterstützen wollen, kommt keine ins Gewicht fallende Bedeutung zu. Von einer "besonders verlockenden Gelegenheit" (§ 34 Abs 1 Z 9 StGB) kann keine Rede sein (vgl Ebner in WK² § 34 Rz 22 f), ebensowenig von einer drückenden Notlage (aaO Rz 24).

Wie der Angeklagte zur Auffassung gelangt, bei den gegebenen, in der Berufung der Sache nach gar nicht bestrittenen Erschwerungsgründen in den Anwendungsbereich außerordentlicher Strafmilderung nach § 41 Abs 1 StGB zu fallen, ist nicht nachvollziehbar.

Auch die Berufung musste demnach erfolglos bleiben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Fundstelle(n):
LAAAD-88544