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OGH vom 20.12.2011, 10Ob61/11k

OGH vom 20.12.2011, 10Ob61/11k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch und Dr. Schramm sowie die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Dr. Gerhard Taufner und andere Rechtsanwälte in Melk, gegen die beklagte Partei M*****, vertreten durch Mag. Dr. Klaus Gimpl, Rechtsanwalt in Ybbs an der Donau, wegen 10.000 EUR sA, über die Revisionen beider Parteien (Revisionsinteresse jeweils 5.000 EUR) gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom , GZ 21 R 18/11x 38, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Ybbs vom , GZ 2 C 704/09g 22, in der Fassung des Beschlusses vom , GZ 2 C 704/09g-28, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

I. Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

II. Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts in der berichtigten Fassung einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.150,06 EUR (darin enthalten 255,50 EUR USt und 617 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht wies das Klagebegehren auf Ersatz des Schadens (ON 13) von 10.000 EUR sA aus dem Totalverlust eines in dieser Höhe dem Beklagten zur Veranlagung übergebenen Kapitalbetrags der Klägerin ab. Dazu traf es unter anderem folgende im Revisionsverfahren nicht mehr angreifbare Feststellungen:

Der Beklagte und sein Vater waren als Vermittler für zwei Schweizer Anleger (R***** und F*****) tätig, welche über diverse Gesellschaften Veranlagungen vertrieben. Sie warben potentielle Anleger an, die sich an den von beiden Schweizern angebotenen Finanzprodukten beteiligen sollten, wobei der Beklagte selbst in eine dieser Veranlagungsformen investierte.

Die Klägerin kannte den Beklagten, dessen professionelle Tätigkeit als (Heil-)Masseur sie bereits rund zehn Jahre in Anspruch nahm, schon seit der Schulzeit. Im Zuge der Massagetermine erzählte er ihr von einer lukrativen Veranlagungsform mit einer Renditemöglichkeit von rund 30 %, mit der er selbst sehr zufrieden sei. Es werde ihm einmal finanziell sehr gut gehen, wenn das weiter so positiv verlaufe. Den Fall eines gänzlichen oder teilweisen Kapitalverlusts besprachen die Streitteile nicht.

Im Herbst 2004 fasste die Klägerin nach Rücksprache mit ihrem Lebensgefährten gemeinsam mit diesem den Entschluss, dem Beklagten einen Teil ihres aus einer Abfertigung stammenden (Kapital-)Vermögens, nämlich 10.000 EUR, zur Veranlagung zu übergeben. Die Veranlagung des gesamten Vermögens über den Beklagten schien ihr zu „riskant“. Der Beklagte leitete das Geld zur Veranlagung weiter.

Die Klägerin informierte sich nicht über die Veranlagungsform und die Anleger, obwohl die versprochenen Renditen von 20 % bis 30 % im Vergleich zum damals auf dem Kapitalmarkt der Banken angebotenen Zinssatz sehr „ungewöhnlich“ waren. Sie und ihr Lebensgefährte wussten nur, dass ihr Geld an ein „Finanzgenie“ in der Schweiz überwiesen werden sollte. Nähere Informationen zur Veranlagung hatten sie nicht erhalten, aber auch nicht eingefordert.

Dass die Klägerin dem Beklagten die 10.000 EUR nicht übergeben hätte, wenn er sie über einen möglichen Kapitalverlust aufgeklärt hätte, war ebensowenig feststellbar wie der Umstand, dass ihr der Beklagte zugesichert hätte, sie werde jedenfalls das Kapital zurückerhalten, bzw dass sie ihr Kapital andernfalls auf einem Sparbuch belassen hätte. (Diese Negativfeststellung hat die Klägerin in der Berufung erfolglos bekämpft [vgl die Behandlung der diesbezüglichen Rügen auf den Seiten 2 bis 5 des Berufungsurteils]).

Den investierten Geldbetrag erhielt die Klägerin nicht zurück. Gegen den Schweizer Anleger wurde ein Strafverfahren wegen gewerbsmäßigen Betrugs, ungetreuer Geschäftsbesorgung und Misswirtschaft eingeleitet.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, die Streitteile hätten einen Auftragsvertrag über die Veranlagung des genannten Geldbetrags der Klägerin geschlossen. Dem Beklagten sei zwar vorzuwerfen, dass er der Klägerin (nur) von der hohen Rendite dieser Veranlagungsform erzählt, sie aber nicht darüber aufgeklärt habe, dass sie auch ihr gesamtes Kapital oder einen Teil davon zur Gänze verlieren könnte und wie die Veranlagung genau erfolge. Es fehle jedoch die für eine Haftung des Beklagten erforderliche Kausalität seiner Verfehlungen für den Schaden der Klägerin. Nur „der Vollständigkeit halber“ führte das Erstgericht noch aus, dass der Beklagte nicht als Anlageberater/-vermittler zu qualifizieren sei, weil er sich gegenüber der Klägerin nie als in Finanzangelegenheiten fachkundig dargestellt und auch nicht von der Veranlagung der Klägerin profitiert habe. Abgesehen davon, dass es schon an der Kausalität mangle, scheide daher auch eine Haftung des Beklagten als Anlageberater/-vermittler aus.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge, verpflichtete den Beklagten zur Zahlung von 5.000 EUR sA und wies das Mehrbegehren ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Der Beklagte sei als Anlagevermittler zu qualifizieren, weil er für die beiden Schweizer als Vermittler agiert habe und ihm Provisionen für die von ihm vermittelten Veranlagungen zugesagt worden seien. Zu einer eigenen Haftung des Anlagevermittlers könne es unter anderem kommen, wenn sein Verhalten keinem Geschäftsherrn zugerechnet werden könne oder wenn er bei den Vertragsverhandlungen in besonderem Maße persönliches Vertrauen in Anspruch genommen habe, was hier jeweils zutreffe. Zwischen der Klägerin und dem Beklagten sei stillschweigend ein Auskunftsvertrag abgeschlossen worden. Daher wäre der Beklagte verpflichtet gewesen, die Klägerin über die Risikoträchtigkeit der gewählten Anlage aufzuklären. Mit seiner Darstellung des Anlageprodukts sei der Beklagte dieser Pflicht nicht nachgekommen. Die Verletzung der Sorgfalts- und Aufklärungspflicht habe den Totalverlust des Kapitals der Klägerin zur Folge gehabt, weshalb auch Kausalität des vertragswidrigen Verhaltens des Beklagten vorliege. Da die Klägerin jedoch keine näheren Informationen über die Veranlagungsform vom Beklagten eingeholt und auch keine weiteren Erkundigungen angestellt habe, sei eine Verschuldensteilung im Verhältnis 1:1 vorzunehmen.

Die ordentliche Revision wurde zugelassen, weil hier die Rechtsfrage zu beurteilen sei, ob und inwieweit ein auch für den potentiellen Anleger offensichtlicher Laie auf dem Gebiet der Vermögensveranlagung dennoch als Anlagevermittler zu behandeln sei, bzw wo insoweit die Haftungsgrenzen zu ziehen seien.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richten sich die Revisionen beider Parteien mit den Anträgen, die Entscheidung des Berufungsgerichts im vollinhaltlich klagestattgebenden bzw zur Gänze klagsabweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

In den Revisionsbeantwortungen beantragen die Parteien, die Revision der Gegenseite zurück-, in eventu abzuweisen (Klägerin) bzw abzuweisen (Beklagter).

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist unzulässig; jene des Beklagten ist zulässig und auch berechtigt.

I. Zur Revision der Klägerin:

1. Die in der Zulassungsbegründung als erheblich bezeichnete Rechtsfrage wird von der Klägerin von ihrem Verfahrensstandpunkt aus verständlich gar nicht releviert. Da die Revision nur solche Gründe geltend macht, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt, ist sie trotz Zulässigerklärung zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0042779; RS0102059; 1 Ob 184/11g; 1 Ob 122/11i; 10 Ob 50/11t; vgl auch 3 Ob 166/11z [zum Revisionsrekurs]). Die Ausführungen können sich auf die Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

2. Das Rechtsmittel wendet sich dagegen, dass der Klägerin ein Mitverschulden angelastet wurde bzw gegen dessen Ausmessung und rügt als „Aktenwidrigkeit“, dass der Mitverschuldenseinwand nicht in dem Sinn erhoben worden sei, den ihm das Berufungsgericht beigemessen habe.

3. Die Frage, ob die Klägerin ein Mitverschulden am geltend gemachten Schaden trifft, kann jedoch wegen ihrer Einzelfallbezogenheit nicht als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO gewertet werden (RIS-Justiz RS0087606 [insb T 10 und T 11]; jüngst: 10 Ob 90/11z; sowie RS0078931, insbesondere 8 Ob 167/09f [jeweils zum Mitverschulden des Anlegers am Scheitern seiner Veranlagung]).

4. Unter dem Titel Aktenwidrigkeit macht die Klägerin letztlich nur geltend, dass das Parteienvorbringen (nämlich der Mitverschuldenseinwand des Beklagten) im Berufungsurteil unrichtig wiedergegeben worden sei. Darin liegt jedoch, weil dies für die Überprüfung der Richtigkeit der Entscheidung ohne Bedeutung ist, keine Aktenwidrigkeit: Nach ständiger Rechtsprechung stellt weder eine vom Berufungsgericht vorgenommene Wertung noch eine unzutreffende Auslegung von Parteienvorbringen eine Aktenwidrigkeit dar (RIS-Justiz RS0041814; RS0043277, zuletzt 6 Ob 136/11k).

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40, 50 Abs 1 ZPO. Da der Beklagte auf die Unzulässigkeit der gegnerischen Revision nicht hingewiesen und auch nicht deren Zurückweisung beantragt hat, diente sein Schriftsatz nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung.

II. Zur Revision des Beklagten:

1. Enthält die Revision wie das vorliegende Rechtsmittel des Beklagten eine (zu der vom Berufungsgericht als erheblich bezeichneten Rechtsfrage) gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge, dann ist die materiellrechtliche Richtigkeit des angefochtenen Urteils des Berufungsgerichts nach allen Richtungen hin zu prüfen (RIS Justiz RS0043352; jüngst: 3 Ob 90/11y; vgl auch RS0048272, RS0102059, 1 Ob 184/11g und 9 Ob 55/10v).

1.1. Diese Prüfung führt hier zum Ergebnis, dass sich die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Sorgfalts- und Aufklärungspflichtverletzung durch den Beklagten hätte den Totalverlust des von der Klägerin eingesetzten Kapitalbetrags zur Folge gehabt (S 9 des Berufungsurteils), von der eingangs wiedergegebenen Tatsachengrundlage entfernt; demnach konnte nämlich gerade nicht festgestellt werden, dass die Klägerin dem Beklagten „die 10.000 EUR“ nicht übergeben hätte, wenn er sie über einen möglichen gänzlichen oder teilweisen Kapitalverlust aufgeklärt hätte (S 9 des Erst- bzw S 2 bis 5 des Berufungsurteils).

1.2. Davon ausgehend hat bereits das Erstgericht zutreffend auf die aus dieser Negativfeststellung abzuleitende mangelnde Kausalität der Verletzung von Sorgfalts- bzw Aufklärungspflichten des Beklagten für den Totalverlust des eingesetzten Kapitals der Klägerin hingewiesen.

2. Es geht um die Kausalität der Fehlberatung für den eingetretenen Schaden, die nur dann zu bejahen wäre, wenn die Anlegerin bei richtiger Beratung von der risikoreichen Anlageform Abstand genommen (also zB eine konservative Veranlagung beibehalten) hätte, sodass ihr Vermögensnachteil bei pflichtgemäßem Verhalten des Beraters nicht eingetreten wäre (4 Ob 62/11p, EvBl 2011/146 [ Völkl ]):

3. In der Entscheidung 7 Ob 77/10i wurde dazu näher ausgeführt, dass grundsätzlich der Geschädigte nicht nur den Eintritt des behaupteten Schadens und dessen Höhe, sondern auch den Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Schädigers und dem Schadenseintritt zu behaupten und zu beweisen hat (RIS-Justiz RS0022862); wobei den Geschädigten auch die Beweislast trifft, dass bei pflichtgemäßem Verhalten der Schaden nicht eingetreten wäre (RIS-Justiz RS0022900 [T5] und [T11]).

4. Außerdem hat der Oberste Gerichtshof in der zitierten Entscheidung (7 Ob 77/10i mwN) daran festgehalten, dass die Beweiserleichterungen für den Geschädigten im Arzthaftungsrecht nicht für den Beweis der Kausalität einer Aufklärungspflichtverletzung für den Schaden anzuwenden sind, und zwar auch Anlegern gegenüber (RIS-Justiz RS0106890 [T9]; 5 Ob 106/05g), was unter anderem wie folgt begründet wurde: Die Judikatur trägt der Problematik der Beweisbarkeit des bloß hypothetischen Kausalverlaufs ohnehin insoweit Rechnung, als daran nicht so strenge Anforderungen gestellt werden können wie bei der Schadenszufügung durch positives Tun. Denn die Frage, wie sich die Geschehnisse entwickelt hätten, wenn der Schädiger pflichtgemäß gehandelt hätte, lässt sich naturgemäß nie mit letzter Sicherheit beantworten, weil dieses Geschehen eben nicht tatsächlich stattgefunden hat. Dem Schädiger steht der Nachweis offen, dass ein anderer Verlauf wahrscheinlicher sei (RIS-Justiz RS0022900 [T1 und T 14]).

5. Nach der Rechtsprechung trifft daher den Geschädigten die Behauptungs- und Beweislast nicht nur dafür, dass er bei korrekter Information die tatsächlich gezeichneten Wertpapiere nicht erworben hätte, sondern auch dafür, wie er sich bei korrekter Information hypothetisch alternativ verhalten und wie sich so sein Vermögen anders entwickelt hätte; auch dafür kommt ihm zugute, dass nicht so strenge Anforderungen an die Beweisbarkeit des bloß hypothetischen Kausalverlaufs zu stellen sind (7 Ob 77/10i; so auch Leupold/Ramharter , ÖBA 2010, 718 [729]).

5.1 Die Kausalität des Aufklärungsfehlers für den realen Schaden des Anlegers ist nämlich zu verneinen, wenn der Kunde dieselbe Anlageentscheidung auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung getroffen hätte, da eine Unterlassung nur kausal ist, wenn die Vornahme einer bestimmten aktiven Handlung den Schaden verhindert hätte (vgl Christiane C. Wendehorst , Anlageberatung, Risikoaufklärung und Rechtswidrigkeitszusammenhang, ÖBA 2010, 562 ff [566] mwN).

6. Im vorliegenden Fall hätte die Klägerin somit (auch) nachweisen müssen, dass sie bei richtiger Beratung von der risikoreichen Anlageform Abstand genommen hätte und ihr Vermögensnachteil bei pflichtgemäßem Verhalten des Beklagten nicht eingetreten wäre. Dieser Kausalitätsbeweis gelang ihr nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichts jedoch nicht, sodass sich die vom Berufungsgericht als erheblich angesehene Rechtsfrage gar nicht stellt.

7. In Stattgebung der Revision des Beklagten ist das zur Gänze klagsabweisende Ersturteil wiederherzustellen.

8. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Der Einheitssatz im Revisionsverfahren beträgt beim hier gegebenen Streitwert 60 % und nicht, wie verzeichnet, 180 % (§ 23 Abs 3 RATG).