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OGH vom 09.09.2008, 10Ob60/08h

OGH vom 09.09.2008, 10Ob60/08h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Adrian O*****, geboren am , *****, vertreten durch das Land Niederösterreich als Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Landeshauptstadt St. Pölten, Heßstraße 6, 3100 St. Pölten), wegen Unterhaltsvorschuss, infolge Revisionsrekurses des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom , GZ 23 R 386/07y-U100, womit infolge Rekurses des Bundes der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom , GZ 4 P 36/03s-U85, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Mit Beschlüssen vom (ON 52) und (ON U77) gewährte das Erstgericht dem Minderjährigen Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in der Höhe von monatlich 508,71 EUR für die Zeit vom bis .

Aufgrund der Inhaftierung des Vaters in Deutschland am (ON U84) stellte das Erstgericht die Vorschüsse mit Beschluss vom (ON U85) mit Ablauf des Juni 2007 ein. Bei einer Inhaftierung des Unterhaltspflichtigen von über sechs Monaten seien Titelvorschüsse gemäß § 7 Abs 2 UVG von Amts wegen in Haftvorschüsse umzuwandeln. Da der Vater jedoch in Deutschland inhaftiert sei, könnten keine Haftvorschüsse nach § 4 Z 3 UVG gewährt werden, weshalb die bisher gewährten Titelvorschüsse mit Ablauf des Monats einzustellen seien, in den der Einstellungsgrund falle (hier: Juni 2007).

Das Rekursgericht gab dem auf Einstellung der Titelvorschüsse schon mit Ablauf des Dezember 2006 gerichteten Rekurs des Bundes nicht Folge. Eine Einstellung der Vorschüsse nach § 20 Abs 1 Z 4 lit a iVm § 3 Z 1 UVG komme nicht in Betracht, weil mangels Enthebung des Vaters von seiner Unterhaltsverpflichtung nach wie vor ein formell gültiger Exekutionstitel zugunsten des Kindes aufrecht sei.

Die Inhaftierung des Unterhaltsschuldners gebe grundsätzlich Anlass für begründete Bedenken gegen das materielle Bestehen der Unterhaltsverpflichtung (§ 20 Abs 1 Z 4 lit b iVm § 7 Abs 1 UVG). Allerdings sei nach § 7 Abs 2 UVG während der ersten sechs Monate der Inhaftierung kein Grund für eine Versagung der Titelvorschüsse, wenn „dem Unterhaltsschuldner die Freiheit im Sinne des § 4 Z 3" UVG entzogen werde. Bei strenger Orientierung an dem auf eine Inlandshaft zugeschnittenen Wortlaut müsste das Gericht die Titelvorschüsse mit Ablauf des Monats der Inhaftierung im Ausland einstellen. Dem stehe aber der aus den Gesetzesmaterialien erkennbare Zweck des Weiterlaufens der Titelvorschüsse in einem Zeitraum bis zu sechs Monaten entgegen: Die ratio des § 7 Abs 2 UVG liege (auch) darin, dass ein Unterhaltsschuldner im Allgemeinen Geldmittel angesammelt habe, die ihm nach Entzug der Freiheit noch für eine gewisse Zeit die Erfüllung seiner Unterhaltspflicht ermöglichten. Im Ergebnis stelle § 7 Abs 2 UVG eine (nur im Verfahren nach dem UVG) unwiderlegliche Vermutung auf, dass ein Unterhaltsschuldner auch in den ersten sechs Monaten seiner Inhaftierung aufgrund seiner Ersparnisse leistungsfähig bleibe und daher weiter Unterhaltsvorschuss gewährt werden könne. Dieser Gesetzeszweck gelte in gleicher Weise für In- und Auslandshaft und in diesem Sinn sei § 7 Abs 2 UVG auszulegen. Somit sei es dem Gericht bis einschließlich verwehrt gewesen, die Titelvorschüsse einzustellen. Angesichts der Vorgeschichte des Vaters (mehrmalige Inhaftierung) bestünden begründete Bedenken gegen die Leistungsfähigkeit des Vaters ab , weshalb die Vorschüsse zu Recht mit Ablauf des eingestellt worden seien.

Der Revisionsrekurs sei mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage, ob das Weiterlaufen der Titelvorschüsse während einer Haftdauer bis zu sechs Monaten auch für eine Auslandshaft gelte, zulässig.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass die Titelvorschüsse bereits mit Ablauf des Dezember 2006 eingestellt werden.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt.

1. Der Revisionsrekurswerber stützt sich auf den offensichtlich nur auf eine Inlandshaft Bezug nehmenden Wortlaut des § 7 Abs 2 UVG und hält die Argumentation, dass ein Unterhaltsschuldner im Allgemeinen einige Geldmittel angesammelt habe, die ihm die Erfüllung seiner Unterhaltsverpflichtung auch für eine gewisse Zeit nach Entzug der Freiheit ermöglichten, für lebensfremd.

Dazu wurde erwogen:

2. Der mit der Novelle BGBl 1980/278 in das UVG aufgenommene § 7 Abs 2, wonach die Entziehung der Freiheit „im Sinn des § 4 Z 3" keinen Grund zur Versagung der bisher gewährten Vorschüsse bildet und bei längerdauernder Haft nach Ablauf von sechs Monaten anstelle der zuvor gewährten Vorschüsse von Amts wegen Haftvorschüsse nach § 4 Z 3 UVG zu gewähren sind, bezweckt nach den Gesetzesmaterialien (RV 276 BlgNR 15. GP 7, 13) die Vereinfachung der Abwicklung der Bevorschussung und die Vermeidung einer Unterbrechung von Vorschussleistungen. Der Justizausschuss hat - offenbar zur Untermauerung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Neumayr in Schwimann, ABGB3 I § 7 UVG Rz 44) - zusätzlich angefügt, dass ein Unterhaltsschuldner im Allgemeinen einige Geldmittel angesammelt habe, die ihm auch nach Entzug der Freiheit für eine gewisse Zeit die Erfüllung der Unterhaltspflicht ermöglichten (JA 395 BlgNR 15. GP zu § 7). Unabhängig von der Tragfähigkeit dieser Zusatzbegründung soll jedenfalls erreicht werden, dass dann, wenn der den Unterhaltsvorschüssen zugrunde liegende Titel trotz Inhaftierung formell aufrecht bleibt, die Titelvorschüsse noch eine gewisse Zeit weiterlaufen und (mangels früherer Antragstellung) erst nach einer Haftdauer von sechs Monaten auf Haftvorschüsse „umgestellt" werden. Die Situation, dass den weiterlaufenden Titelvorschüssen keine Haftvorschüsse folgen, ist vom Gesetzgeber durchaus einkalkuliert, etwa bei einer nicht länger als sechs Monate währenden Haft. Das Argument, dass die in den Gesetzesmaterialien erwähnte Vermeidung eines Vakuums zwischen Titelvorschüssen und Haftvorschüssen nur dann zutreffen könne, wenn tatsächlich auf Titelvorschüsse Haftvorschüsse folgen, kann demnach nicht verallgemeinert werden und findet auch keine Stütze im Gesetzeswortlaut. Der Vermeidung vorschussloser Perioden dient vor allem die amtswegige Umstellung; die durchgehende (also nicht durch eine Haft unterbrochene) Gewährung von Titelvorschüssen führt speziell bei kürzeren Haftzeiten zu der angestrebten Vereinfachung der Abwicklung der Bevorschussung.

Steht die Gewährung von Haftvorschüssen nach § 4 Z 3 UVG mit der Arbeitspflicht der Häftlinge in Zusammenhang, weshalb die Beschränkung der Gewährung auf eine Inlandshaft des geldunterhaltspflichtigen Elternteils begründet ist (RIS-Justiz RS0076288; zuletzt 9 Ob 77/07z), kann im Fall des § 7 Abs 2 UVG eine Differenzierung zwischen Inlands- und Auslandshaft nicht gerechtfertigt werden. Daher ist die Rechtsansicht des Rekursgerichts zu bestätigen, dass § 7 Abs 2 UVG so zu verstehen ist, dass der Verweis auf eine Haft nach § 4 Z 3 UVG nicht die Beschränkung auf eine Haft im Inland in sich trägt.

3. Die Nichtbeteiligung des Vaters im Rekursverfahren ist dadurch saniert, dass seinem Vertreter der angefochtene Beschluss des Rekursgerichts zugestellt wurde und er einen Mangel nach § 58 Abs 1 Z 1 AußStrG nicht in einem Rechtsmittel geltend gemacht hat (siehe RV 224 BlgNR 22. GP 52 f).

4. Die angefochtene Entscheidung ist daher zu bestätigen.