OGH vom 30.08.2011, 10Ob6/11x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen A*****, geboren am , und der minderjährigen A*****, geboren am , beide vertreten durch das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie Rechtsvertretung für die Bezirke 3 und 11, 1030 Wien, Karl Borromäus Platz 3), wegen Unterhaltsvorschuss, über den „außerordentlichen“ Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 581/10s, 43 R 582/10x 36, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 9 PU 122/10g 11 und 12, teilweise abgeändert wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekus wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Unterhaltsvorschussanträge der beiden Minderjährigen abgewiesen werden.
Text
Begründung:
Die Minderjährigen sind die Kinder von R***** und D*****.
Mit einstweiliger Verfügung vom verpflichtete das Erstgericht den Vater, ab bis auf weiteres längstens jedoch bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Unterhaltsfestsetzungsantrag einen monatlichen Unterhalt von 105,40 EUR je Kind zu zahlen. Dieser Beschluss wurde dem Unterhaltsschuldner am zugestellt.
Am beantragten die Minderjährigen die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe.
Das Erstgericht gewährte mit Beschlüssen vom den Minderjährigen die Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe für den Zeitraum vom bis (ON 9 und 10).
Das vom Bund angerufene Rekursgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es den Minderjährigen Unterhaltsvorschüsse in Titelhöhe erst ab den zuerkannte. Über Zulassungsvorstellung des Bundes ließ es mit Beschluss vom den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil der Oberste Gerichtshof die hier gegenständliche Konstellation (zu 10 Ob 79/10f) dahin beurteilt hatte, dass die Beschlüsse der Vorinstanzen im antragsabweisenden Sinn abzuändern seien.
Der vom Bund, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, erhobene Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist, und auch berechtigt.
Der Jugendwohlfahrtsträger beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung , den Revisionsrekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien „abzuweisen“ und die Auszahlung der Unterhaltsvorschüsse ab in Titelhöhe zu veranlassen. Von den übrigen Verfahrensparteien wurden keine Revisionsrekursbeantwortungen erstattet.
Der Revisionsrekurswerber begehrt die Abänderung der Beschlüsse der Vorinstanzen im Sinne einer Abweisung des Unterhaltsvorschussantrags. Er macht geltend, dass das Datum der Entscheidung erster Instanz der maßgebliche Stichtag für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung des Unterhaltsvorschusses sei. An diesem Tag () sei zwar der Unterhaltstitel bereits vollstreckbar gewesen, die weitere Voraussetzung der nicht vollständigen Leistung des laufenden Unterhalts nach Eintritt der Vollstreckbarkeit habe aber nicht vorgelegen, weil es dem Unterhaltsschuldner noch bis zum Anlauf des möglich gewesen sei, seiner Verpflichtung zur Leistung des laufenden Unterhalts nachzukommen. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsvorschuss hätten erst am eintreten können.
Rechtliche Beurteilung
Diesen Ausführungen kommt Berechtigung zu.
Nach der mittlerweile vorliegenden ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (10 Ob 79/10f mwN; RIS Justiz RS0126137) setzt die Vorschussgewährung nach § 3 Z 2 UVG idF FamRÄG 2009 voraus, dass der Unterhaltsschuldner „nach Eintritt der Vollstreckbarkeit“ den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet. Auch bei einer Unterhaltsvorschussgewährung nach § 4 Z 1 UVG ist neben dem Vorliegen eines vollstreckbaren Unterhaltstitels Voraussetzung, dass der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet (RIS Justiz RS0126138). Darunter ist zu verstehen, dass der dem Eintritt der Vollstreckbarkeit folgende Fälligkeitstermin erfolglos verstreichen muss, damit ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss nach den §§ 3 Z 2, 4 Z 1 UVG entsteht (10 Ob 79/10f; 10 Ob 65/10x ua).
Zutreffend macht der Revisionsrekurswerber geltend, dass maßgeblicher Stichtag für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vorschussgewährung das Datum der Entscheidung erster Instanz ist. Die Entscheidung über den Vorschussantrag ist daher auf der Sachverhaltsgrundlage zu fällen, die im Entscheidungszeitpunkt erster Instanz vorliegt (10 Ob 79/10f mwN; RIS Justiz RS0076052 [T5]; vgl auch: 10 Ob 69/10k [zum vorläufigen Unterhalt]).
Im vorliegenden Fall ist die Vollstreckbarkeit des Unterhaltsfestsetzungsbeschlusses unbestritten am eingetreten. Im Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz () war daher zwar der Unterhaltstitel vollstreckbar, die weitere Voraussetzung der nicht vollständigen Leistung des laufenden Unterhalts nach Eintritt der Vollstreckbarkeit war aber nicht erfüllt. Es wurde am zwar der laufende Unterhaltsbeitrag für Juli 2010 fällig (vgl § 1418 zweiter Satz ABGB), ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss nach den §§ 3 Z 2, 4 Z 1 UVG entstand jedoch nach der dargelegten Rechtsprechung des erkennenden Senats erst nach erfolglosem Verstreichen dieses Fälligkeitstermins ().
Demnach konnten die Voraussetzungen für eine Unterhaltsvorschussgewährung wegen Verzugs mit der Zahlung der laufenden Unterhaltsleistung für Juli 2010 frühestens am vorliegen (10 Ob 79/10f mwN). In Stattgebung des Revisionsrekurses sind daher die Beschlüsse der Vorinstanzen im Sinne einer Antragsabweisung abzuändern, weil im maßgeblichen Zeitpunkt nicht alle Voraussetzungen für die begehrte Vorschussgewährung erfüllt waren.