OGH vom 24.02.2009, 10ObS15/09t
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Schönhofer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. Rudolf B*****, Beamter, *****, vertreten durch Dr. Werner Goeritz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, 1081 Wien, Josefstädterstraße 80, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 92/08w-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 15 Cgs 286/07v-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist beim B***** in Wien, Babenbergerstraße ***** beschäftigt. Seine Gattin ist von Montag bis Donnerstag bei einem privaten Arbeitgeber im 11. Wiener Gemeindebezirk beschäftigt. Sie fährt mit dem PKW zur Arbeit und nimmt dabei den Kläger in der Früh zur Arbeit mit und holt ihn am Abend nach Arbeitsschluss auf ihrem Heimweg mit dem PKW wieder ab. Am Freitag fährt der Kläger mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Er fährt dann von der Arbeit mit der U-Bahnlinie U2 oder einer Ringstraßenbahn bis zum Schottentor und anschließend mit einer Straßenbahn bis zur Spitalgasse. Die Fahrzeit beträgt einschließlich der Fußwege ca 20 Minuten. Der Heimweg vom Schottentor zur Wohnung des Klägers nimmt mit öffentlichen Verkehrsmitteln einschließlich des Fußwegs ca 10 Minuten, mit dem PKW ca 5 Minuten in Anspruch.
Am befand sich die Gattin des Klägers gegen 17:00 Uhr auf dem Weg, um den Kläger von seinem Arbeitsplatz abzuholen. Etwa 10 Minuten vor dem Erreichen des Treffpunkts erhielt sie einen dienstlichen Anruf am Handy und vereinbarte ein Treffen mit einem Geschäftspartner im 22. Wiener Gemeindebezirk. Dies teilte sie dem Kläger auch beim Einsteigen in den PKW mit. Der Kläger erklärte, sie begleiten zu wollen, da er ohnehin nichts anderes vorhabe. Seine Gattin fuhr daraufhin mit dem PKW den Ring entlang, beim Schottentor vorbei, über den Praterstern und die Wagramer Straße bis zum vereinbarten Treffpunkt im 22. Bezirk. Diese Fahrt dauerte ca 45-60 Minuten und bedeutete für den Kläger einen Umweg von insgesamt ca 2 Stunden bzw ca 25 km. Die Besprechung der Gattin des Klägers mit dem Geschäftspartner dauerte ca 15 Minuten. Auf dem Rückweg kam es bereits nach wenigen Metern Fahrt auf der Seyringerstraße in der Nähe der Kreuzung mit der Oswald-Redlich-Straße zu einem Unfall, bei dem der Kläger als Beifahrer verletzt wurde.
Die beklagte Partei lehnte mit Bescheid vom die Anerkennung des Unfalls vom als Dienstunfall sowie die Gewährung von Leistungen gemäß §§ 88 ff B-KUVG ab, weil die Teilnahme des Klägers an der Fahrt und der damit zusammenhängende Umweg der Privatsphäre zuzurechnen sei.
Das Erstgericht wies das dagegen rechtzeitig erhobene und auf die Gewährung von Leistungen aus der Unfallversicherung im gesetzlichen Ausmaß für die Folgen des Unfalls vom gerichtete Klagebegehren ab. Es beurteilte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht dahin, dass die Bestimmung des § 90 Abs 2 Z 8 B-KUVG den Unfallversicherungsschutz nur auf Umwege, die durch die unterschiedlichen Wohn- und/oder Arbeitsorte der Mitglieder einer Fahrgemeinschaft erforderlich seien, erweitere. Ob dabei „Umwege in vertretbarem Umfang" noch geschützt seien, könne dahingestellt bleiben, weil im vorliegenden Fall ein deutlich unvernünftiges Missverhältnis zwischen Nutzen der Fahrgemeinschaft und in Kauf genommenem Umweg vorliege. Der Unfall habe sich daher außerhalb des Versicherungsschutzes ereignet, weshalb das Klagebegehren nicht berechtigt sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers mit ausführlicher rechtlicher Begründung keine Folge. Es gelangte ebenfalls zu dem Ergebnis, dass ein Unfallversicherungsschutz nach § 90 Abs 2 Z 8 B-KUVG nicht vorliege. Es sprach weiters aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zu der grundsätzlichen Frage der unfallversicherungsrechtlichen Beurteilung von Umwegen im Rahmen einer Fahrgemeinschaft keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
Der Kläger vertritt weiterhin die Auffassung, sein Unfall sei deshalb als Dienstunfall versicherungsrechtlich geschützt, weil bei der hier vorliegenden Fahrgemeinschaft ein Versicherter auch auf Umwegen geschützt sei, welche der andere Versicherte wegen des unterschiedlichen Arbeitsorts machen müsse. Ein Grund für die Annahme, dass seine Gattin auf ihrem Umweg zu einem beruflichen Termin nicht unter Unfallversicherungsschutz gestanden sei, sei nicht hervorgekommen. Der Kläger habe daher nach den von Lehre und Judikatur entwickelten Grundsätzen (vgl 10 ObS 187/93) zum Zeitpunkt des Unfalls Versicherungsschutz genossen. Der Ansicht der Vorinstanzen, der Kläger hätte auch im Rahmen der Fahrgemeinschaft den kürzesten Weg zwischen Arbeitsstätte und Wohnung wählen müssen, sei entgegenzuhalten, dass es geradezu im Wesen einer Fahrgemeinschaft liege, dass zumindest eines seiner Mitglieder nicht den für dieses Mitglied kürzesten Weg wähle, sondern jenen, der für das andere Mitglied der Fahrgemeinschaft der kürzeste sei. Andernfalls läge eine Fahrgemeinschaft nur bei identer Arbeitsstätte und identer Wohnung seiner Mitglieder vor, was zweifellos nicht der Regelfall sei.
Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten.
Dienstunfälle sind Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit dem die Versicherung begründenden Dienstverhältnis oder mit der die Versicherung begründenden Funktion ereignen (§ 90 Abs 1 B-KUVG). Nach § 90 Abs 2 Z 1 B-KUVG sind Dienstunfälle auch Unfälle, die sich auf einem mit dem Dienstverhältnis (mit der die Versicherung begründenden Funktion) zusammenhängenden Weg zur oder von der Dienststätte ereignen. Weiters sind gemäß § 90 Abs 2 Z 8 B-KUVG Dienstunfälle auch Unfälle, die sich auf einem Weg zur oder von der Dienststätte ereignen, der im Rahmen einer Fahrgemeinschaft von Dienststättenangehörigen oder Versicherten zurückgelegt worden ist, die sich auf einem in der Z 1 genannten Weg befinden, also auf einem mit dem Dienstverhältnis zusammenhängenden Weg zur oder von der Dienststätte.
Die Bestimmung des § 90 Abs 2 Z 8 B-KUVG wurde durch die 6. B-KUVGNov BGBl 1976/707 eingefügt und entspricht dem gleichzeitig durch die 32. ASVGNov BGBl 1976/704 eingefügten § 175 Abs 2 Z 9 ASVG (10 ObS 187/93 = SSV-NF 7/95). Durch diese Bestimmung wird der Schutz der Unfallversicherung, der in der Regel nur die streckenmäßig oder zeitlich kürzeste Verbindung zwischen Wohnort und Arbeitsstätte umfasst, insoweit erweitert, als sich der Schutz auch auf die zur Abholung und Bringung aller Mitglieder der Fahrgemeinschaft erforderlichen Fahrten erstreckt, auch wenn diese teilweise nicht in die Richtung des Ausgangs- bzw Endpunkts des direkten Dienstwegs des Verunglückten führen. Das Abweichen vom Weg nach oder von dem Ort der eigenen Tätigkeit muss aber dazu dienen, einen anderen Versicherten oder Berufstätigen abzuholen, um ihn zum Ort der Tätigkeit oder wenigstens auf einer Teilstrecke dorthin mitzunehmen (10 ObS 187/93 = SSV-NF 7/95). In diesem Sinne hat der Oberste Gerichtshof in der zitierten Entscheidung SSV-NF 7/95 den Unfallversicherungsschutz eines Versicherten bejaht, der im Rahmen einer Fahrgemeinschaft von seinem direkten Heimweg abwich, seinen Arbeitskollegen nach Hause brachte und auf dem Rückweg auf der Fahrt zu seiner Wohnung verunglückte. Es könne in diesem Fall keine Rede davon sein, dass sich der Unfall auf einem Wegstück ereignet hätte, das in keinem Zusammenhang mit dem versicherten Dienstverhältnis gestanden wäre.
Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist dieser Fall mit dem hier vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar. Im vorliegenden Fall bildeten der Kläger und seine Gattin für den Heimweg eine Fahrgemeinschaft, wobei es sich ab dem Treffpunkt um einen identen Heimweg handelte. Der Unfall hat sich daher in der Folge nicht auf einem Weg ereignet, der sich aus unterschiedlichen Wohnorten von Mitgliedern der Fahrgemeinschaft ergab, sondern auf einem Umweg, der daraus resultierte, dass die Ehegattin des Klägers unvorhergesehenerweise einen weiteren beruflichen Termin in einem anderen Stadtteil von Wien wahrzunehmen hatte. Unternimmt der Fahrer einer Fahrgemeinschaft - wie im vorliegenden Fall - einen nicht dem Zweck der Fahrgemeinschaft dienenden Umweg, um einen beruflichen Termin wahrzunehmen, besteht für den Mitfahrer nach zutreffender Rechtsansicht des Berufungsgerichts kein Unfallversicherungsschutz, wenn der Umweg für den Mitfahrer im eigenwirtschaftlichen Interesse lag, der Mitfahrer auf die Fahrgemeinschaft nicht angewiesen war, weil ihm die Benutzung anderer Verkehrsmittel zumutbar war, und er bereits vor Antritt der Fahrt von der Wegabweichung erfahren hat (vgl Keller in Hauck/Noftz, SGB VII K § 8 Rz 254 und Ricke in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht § 8 SGB VII Rz 229 zur vergleichbaren deutschen Rechtslage).
Im vorliegenden Fall war dem Kläger bei Antritt der Fahrt bekannt, dass seine Gattin nicht den direkten Heimweg wählen kann, weil sie aufgrund einer weiteren beruflichen Verpflichtung einen sehr erheblichen Umweg zurückzulegen hat. Es war dem Kläger weiters möglich und zumutbar, zumindest vom Schottentor weg die öffentlichen Verkehrsmittel zu benützen, wie er dies auch sonst, wenn seine Gattin ihn nicht abholte, tat. Tatsächlich hat er sich aber nicht für den Weg nach Hause, sondern zu einem Begleiten seiner Gattin entschlossen, weil er ohnehin nichts anderes vorhatte. Er hat damit, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, den auch im Rahmen der Fahrgemeinschaft kürzesten Weg zwischen Arbeitsstätte und Wohnung trotz anderer zumutbarer Möglichkeiten verlassen, um eigenwirtschaftliche Interessen, die Begleitung seiner Gattin, zu verfolgen. Für die Wahl dieses Umwegs durch den Kläger waren somit ausschließlich private Gründe maßgebend. Diente der Umweg aber wesentlich allein der Begleitung der Gattin und damit eigenwirtschaftlichen Zwecken des Klägers, ist dieser von dem unmittelbaren Weg zwischen Arbeitsstätte und Wohnung nicht deshalb abgewichen, weil er sich einer Fahrgemeinschaft angeschlossen hat; er hat sich vielmehr - umgekehrt - der Fahrgemeinschaft mit seiner Gattin angeschlossen, weil er mit dieser den von ihm aus eigenwirtschaftlichen Gründen gewählten Umweg zurücklegen wollte (vgl Krasney in Brackmann, Handbuch der SV Bd 3 § 8 Rz 266 mwN). Entscheidend ist somit, dass der Kläger mit der Zurücklegung dieses sehr erheblichen Umwegs nicht mehr die Absicht verfolgt hat, den Weg von der Arbeitsstätte zur Wohnung zurückzulegen. Damit war für ihn der innere Zusammenhang der Zurücklegung des Wegs mit seiner beruflichen Tätigkeit unterbrochen (vgl Schwerdtfeger in Lauterbach UV4 § 8 SGB VII Rz 532).
Der spätere Unfall ereignete sich somit für den Kläger auf einem Umweg, bei dem er auch nach § 90 Abs 2 Z 8 B-KUVG nicht unter Unfallversicherungsschutz stand. Die Abweisung des Klagebegehrens durch die Vorinstanzen erfolgte daher zu Recht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Berücksichtigungswürdige Einkommens- und Vermögensverhältnisse, welche einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht dargetan und sind aus der Aktenlage nicht ersichtlich.