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OGH vom 25.06.2020, 9Ob59/19w

OGH vom 25.06.2020, 9Ob59/19w

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Fichtenau, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr.

Parzmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mittlerweile volljährigen A*****, geboren am ***** 2001, sowie der minderjährigen E*****, geboren am ***** 2002, und des minderjährigen M*****, geboren am ***** 2007, vertreten durch das Land Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Rechtsvertretung für den Bezirk 21), wegen Unterhalt, über die Revisionsrekurse der Kinder gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 313/19a-77, mit dem den Rekursen der Kinder gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom , GZ 36 Pu 26/16s-73, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revisionsrekurse der beiden minderjährigen Kinder E***** und M***** werden zurückgewiesen.

Dem Revisionrekurs des mittlerweile volljährigen A***** wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

1. Die minderjährigen Kinder E***** und M***** befinden sich in Pflege und Erziehung der einkommens- und vermögenslosen Mutter. Der mittlerweile volljährige A***** befand sich vor Erlangung der Volljährigkeit ebenfalls in deren Pflege und Erziehung. Der geldunterhaltspflichtige Vater ist aufgrund einer vor dem Bezirksgericht Floridsdorf abgeschlossenen Vereinbarung vom zu monatlichen Unterhaltsleistungen von 230 EUR für A***** und E***** und von 217 EUR für M***** verpflichtet. Er verfügt über ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen inklusive Sonderzahlungen von 1.625,53 EUR und hat keine weiteren Sorgepflichten.

Die beantragten eine Erhöhung ihres Unterhalts, weil sich das Einkommen des Vaters seit der letzten Unterhaltsfestsetzung – auch durch die mögliche Inanspruchnahme des

Familienbonus Plus – erhöht habe.

Das gab den Unterhaltserhöhungsbegehren teilweise Folge und setzte den laufenden monatlichen Unterhalt ab für A***** und E***** mit jeweils 285 EUR sowie für M***** mit 255 EUR fest. Den erstmals ab bestehenden (zustehenden) Familienbonus Plus ließ es jeweils unberücksichtigt.

Das bestätigte diese Entscheidung. Es ging zur – in dritter Instanz allein zu beurteilenden – Frage, ob und inwieweit der

Familienbonus Plus bei der Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen sei, davon aus, dass sich dieser im vorliegenden Fall „nicht auswirke“. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Berücksichtigung des

Familienbonus Plus bei der Unterhaltsbemessung noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehe.

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs der beiden minderjährigen Kinder E***** und M***** ist entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch nicht zulässig, weil im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (RS0112921; RS0112769) die vom Rekursgericht und den Rechtsmittelwerbern angesprochene Rechtsfrage in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs geklärt ist und die Revisionsrekurswerber sohin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (mehr) aufzeigen.

Der Revisionsrekurs des während des Revisionsrekursverfahrens volljährig gewordenen A***** ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, jedoch im Ergebnis nicht berechtigt.

I. Zum Rechtsmittel der beiden :

1. Der Oberste Gerichtshof hat sich erst jüngst zu 4 Ob 150/19s mit der Frage, inwieweit der Familienbonus Plus bei der Unterhaltsbemessung von Kindern bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres zu berücksichtigen sei, ausführlich auseinandergesetzt. Er ging in dieser Entscheidung – nach umfassender Auseinandersetzung mit den zu diesem Thema vertretenen Ansichten der Lehre – davon aus, dass es sich beim

Familienbonus Plus um einen echten Steuerabsetzbetrag handelt, den der Gesetzgeber mit der Zielsetzung eingeführt habe, die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Entlastung der Geldunterhaltspflichtigen nunmehr durch die steuergesetzlichen Maßnahmen

Familienbonus Plus und Unterhaltsabsetzbetrag herbeizuführen. Dadurch finde eine Entkoppelung von Unterhalts- und Steuerrecht statt, weshalb es der (teilweisen) Anrechnung der Transferleistungen (zB Familienbeihilfe) auf Geldunterhaltsverpflichtungen nicht mehr bedürfe. Der

Familienbonus Plus sei nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen, solle er doch nach der Zielrichtung des Steuergesetzgebers in generalisierender Betrachtungsweise dazu dienen, das Einkommen des Geldunterhaltspflichtigen, aus dem der Unterhalt geleistet werde, nach den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs (B 1285/00, VfSlg 16.226) steuerfrei zu stellen, welches Ziel nur erreicht werden könne, wenn der entsprechende Betrag dem Unterhaltspflichtigen verbleibe.

Familienbonus Plus und Unterhaltsabsetzbetrag blieben damit unterhaltsrechtlich neutral.

2. Dieser Entscheidung sind mittlerweile sämtliche mit der Frage der Berücksichtigung des Familienbonus Plus bei der Unterhaltsbemessung befassten zivilrechtlichen Senate des Obersten Gerichtshofs gefolgt (vgl RS0132928), sodass – hinsichtlich minderjähriger Unterhaltsberechtigter – von einer gesicherten Rechtsprechung ausgegangen werden kann. Wegen der damit verbundenen Klärung der in den Revisionsrekursen der beiden (nach wie vor) minderjährigen Kinder angesprochenen Rechtsfrage und weil die angefochtene Entscheidung mit der genannten Rechtsprechung im Ergebnis übereinstimmt, sind diese zurückzuweisen.

II. Zum Rechtsmittel des A*****:

1. Soweit dessen Unterhalts-(erhöhungs-)begehren den Zeitraum bis zu seiner Volljährigkeit betrifft, kann auf die Ausführungen zu Punkt I. verwiesen werden.

2. Ob die in der Entscheidung 4 Ob 150/19s angestellten Erwägungen, aufgrund derer der Oberste Gerichtshof zum Ergebnis gelangte, dass der Familienbonus Plus (ebenso wie der Unterhaltsabsetzbetrag) bei der Unterhaltsbemessung minderjähriger Kinder nicht zu berücksichtigen ist, auch auf Unterhaltsansprüche volljähriger Kinder übertragen werden können, ließ der Oberste Gerichtshof in der genannten Entscheidung (ebenso wie in den zum Familienbonus Plus ergangenen Folgeentscheidungen, in denen ebenfalls nur Unterhaltsansprüche Minderjähriger zu beurteilen waren) ausdrücklich offen.

3. Fraglich könnte eine unterschiedliche unterhaltsrechtliche Behandlung des Familienbonus Plus bei minderjährigen und volljährigen Kindern deshalb sein, weil dieser Steuerabsetzbetrag gemäß § 33 Abs 3a Z 1 lit b EStG 1988 ab Ablauf des Monats, in dem das (unterhaltsberechtigte) Kind das 18. Lebensjahr vollendet hat, sofern er voll ausschöpfbar ist, für jeden Kalendermonat nur 41,68 EUR anstatt wie für zuvor liegende Zeiträume 125 EUR beträgt, und mit diesem geringeren Betrag die vom Verfassungsgerichtshof postulierte Entlastung von Unterhaltszahlungen (tatsächlich) nicht immer im geforderten Umfang erreicht wird.

4. Die Reaktionen der Literatur auf die Entscheidung 4 Ob 150/19s können hinsichtlich der dort unbeantwortet gebliebenen Frage, wie sich der Familienbonus Plus auf den Unterhaltsanspruch volljähriger Unterhaltsberechtigter auswirkt, wie folgt zusammengefasst werden:

4.1. Gitschthaler (Familienbonus Plus im Unterhaltsrecht – Ungelöste Fragen, EF-Z 2020/25) geht davon aus, dass es keiner tiefgreifenden Berechnungen und Überlegungen bedürfe, um zu erkennen, dass der Ansatz der genannten Entscheidung, durch Einführung des Familienbonus Plus „habe der Gesetzgeber den verfassungsrechtlichen Vorgaben Rechnung getragen und die gebotene steuerliche Entlastung durch die neue steuergesetzliche Maßnahme im Weg einer pauschalierenden Regelung umgesetzt“, angesichts des Umstands, dass das Einkommen, aus dem der Unterhalt geleistet wird, nicht zur Gänze besteuert werden und die Hälfte des gesetzlich geschuldeten Unterhalts steuerfrei bleiben soll, bei volljährigen Kindern ins Leere laufe. Eine „Familienbeihilfe-Anrechnung“ im Sinn der Rechtsprechung vor der Entscheidung 4 Ob 150/19s würde allerdings zu dem „geradezu absurden“ Ergebnis führen, dass volljährige Kinder (deutlich) weniger Unterhalt bekämen als minderjährige Kinder, was „absolut unbefriedigend“ wäre. Die vom Gesetzgeber vorgenommene pauschalierte Maßnahme zur Entsprechung der Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs sei daher von der zivilrechtlichen Rechtsprechung zur Kenntnis zu nehmen und der Unterhaltsbemessung zugrunde zu legen. Der Gesetzgeber habe die Unterhaltsentlastung pauschal mit den in § 33 Abs 3a EStG 1988 genannten Beträgen vorgenommen, sodass auch bei volljährigen Kindern eine Entlastung des Unterhaltspflichtigen im Wege der Familienbeihilfen-Anrechnung nicht mehr zu erfolgen habe. Der Familienbonus Plus sei auch bei diesen nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzurechnen, eine Familienbeihilfen-Anrechnung (Anrechnung von Transferleistungen) habe zu entfallen. Es liege eben eine Pauschalierung vor. Ob diese bei volljährigen Kindern ausreichend sei (wobei sich diese Frage auch bei minderjährigen Kindern mit hohen Unterhaltsansprüchen stelle), werde allenfalls der Verfassungsgerichtshof im Steuerrecht zu klären haben.

4.2. Gruber/Spitzer (

Judikaturwende beim Kindesunterhalt – alles neu durch FaBo+, ÖJZ 2020/17) erachten es zwar als systemkonform, dass die steuerliche Berücksichtigung der Unterhaltslasten zur Gänze in das Steuerrecht verlagert und die zivilrechtliche Unterhaltsbemessung vom „Fremdkörper“ der steuerlichen Entlastung entkoppelt wird. Für Volljährige sei der Familienbonus Plus allerdings „oft recht wenig“, um den Unterhaltspflichtigen verfassungskonform zu entlasten. Eine Aufrechterhaltung der Familienbeihilfeanrechnung wäre bei diesen aber „nicht befriedigend“, weil ältere Kinder aufgrund des verminderten Familienbonus dann systemwidrig weniger Unterhalt erhielten als jüngere.

4.3. Kolmasch (Zak 2020/9, Glosse zu OGH 4 Ob 150/19s) hielte es angesichts der maßgeblich auf den nicht differenzierenden Willen des Gesetzgebers gestützten Begründung der Entscheidung 4 Ob 150/19s für „merkwürdig, würde die Anrechnung von Transferleistungen nicht auch bei über 18Jährigen auslaufen.“

4.4. Neuhauser (iFamZ 2020, 15, Anmerkung zu OGH 4 Ob 150/19s) hält eine pauschale Betrachtung für geboten und vertritt die Ansicht, dass bei durchschnittlichen (Einkommens-)Verhältnissen nichts dagegen spreche, den vom Obersten Gerichtshof eingeschlagenen Weg auch bei der Unterhaltsbemessung volljähriger Kinder fortzusetzen, weil der Unterschied zur bisherigen Unterhaltsbemessung „nach der Formel“ im Rundungsbereich liege. Bei deutlich überdurchschnittlichen Verhältnissen würden sich zwar relevante Unterschiede ergeben, sodass in diesen Fällen die Entscheidung zu treffen sei, ob man den (gut verdienenden) Unterhaltspflichtigen zugunsten einer Kontinuität der Höhe des Unterhaltszuflusses um erhebliche Teile seiner – nach der bisherigen Rechtsprechung („Formelmethode“) möglichen – Steuerentlastung bringe. Es würde jedoch seltsam anmuten, würden die einem gerade volljährig gewordenen Kind zufließenden Unterhaltsbeträge bei sonst unveränderten Bemessungsparametern mit Eintritt der Volljährigkeit reduziert werden. Um diesem „Dilemma“ zu entkommen, schlägt dieser Autorwas die Rechtsprechung (2 Ob 190/02h; 6 Ob 44/07z) jedoch bisher abgelehnt habe – vor, in die „Formel“ anstatt des (um 20 % reduzierten) Grenzsteuersatzes den Durchschnittssteuersatz einzusetzen.

4.5. Hiebl (Was ist nun mit dem Familienbonus Plus? iFamZ 2020, 7) geht im Wesentlichen davon aus, dass schon einkommensstarke Eltern minderjähriger Kinder durch die Abschaffung der Kürzung des Unterhalts um die Transferleistungen „nach der Formel“ benachteiligt würden, was aufgrund des höheren Prozentunterhalts bei gleichzeitig geringerem Familienbonus Plus umso mehr für Eltern volljähriger Kinder gelte. Bei diesen sei daher eine Streichung der Anrechnung der Transferleistungen abzulehnen, weil man sich sonst noch weiter von der vom Verfassungsgerichtshof angeordneten steuerlichen Entlastung der Unterhaltsleistung entfernen würde. Der Unterhalt sei mit Erreichen der Volljährigkeit zu reduzieren, um die gebotene Entlastung zu erreichen.

4.6. Auch Tews (Familienbonus Plus im Unterhaltsrecht – Unbefriedigende Entwicklung, EFZ 2020/28) geht davon aus, dass die unzureichende steuerliche Entlastung bei Volljährigen durch den geringeren Familienbonus Plus schon bei einem durchschnittlichen Einkommen sowie „Teilung“ des Familienbonus zwischen den Eltern offensichtlich sei. Er zieht daraus erkennbar den Schluss, dass die steuerlichen Regelungen nicht ausreichen, um die verfassungsrechtlichen Vorgaben zur steuerlichen Entlastung eines Teils des Unterhaltseinkommens zu erfüllen.

Rechtliche Beurteilung

5.1. Nach Ansicht des erkennenden Senats kann für die Lösung der Frage, ob der Familienbonus Plus bei der Unterhaltsbemessung volljähriger Kindern zu berücksichtigen ist, an die Entscheidung 4 Ob 150/19s angeknüpft werden. Der Oberste Gerichtshof stellte dort den des Familienbonus Plus als weitere gesetzliche Maßnahme zur steuerlichen Entlastung der Unterhaltsleistungen in den Vordergrund und wies auf die Gesetzesmaterialien (RV 190 BlgNR 26. GP 1) hin, die dazu Folgendes ausführen: „In einer alternden Gesellschaft ist die Entscheidung für Kinder und deren Erziehung eine zunehmend wichtige Leistung, die für die Gesellschaft erbracht wird. Gerade jene Eltern, die neben der Erziehung ihrer Kinder gleichzeitig berufstätig sind, sind durch die derzeitige Besteuerung im Vergleich zu Kinderlosen besonders stark belastet. Entgegen der bisherigen Förderungslogik soll nicht eine neue staatliche Geldleistung ausgezahlt werden, sondern eine substanzielle Steuerentlastung erfolgen. […] Das österreichische Einkommensteuersystem ist vom Grundsatz der Leistungsfähigkeit geprägt. Das subjektive Nettoprinzip verlangt die Berücksichtigung zwangsläufiger privater Ausgaben, weil diese die steuerliche Leistungsfähigkeit vermindern; der Familienbonus Plus dient der Berücksichtigung dieses Prinzips, weil er dem Umstand Rechnung trägt, dass erwerbstätige Steuerpflichtige, die Kinder haben, weniger leistungsfähig sind als Kinderlose mit gleichem Einkommen. Dabei stellt der Familienbonus Plus weder einen Beitrag des Staates zum Unterhalt der Kinder dar, noch deckt er die Kinderlasten ab, die von den Eltern weiterhin zur Gänze übernommen werden. Der Steuerabzug bewirkt aber, dass sie diese Lasten zukünftig aus ihrem unversteuerten Einkommen leisten können und nicht eine darauf lastende Steuer dazu verdienen müssen. Der Beitrag des Staates zum Unterhalt bzw zu den Lebenshaltungskosten der Kinder erfolgt über die Familienbeihilfe und Sachleistungen.

5.2. In weiterer Folge bezieht sich der Oberste Gerichtshof in der genannten Entscheidung auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofs (insbesondere auf das Erkenntnis zu B 1285/00), wonach das Einkommen, aus dem der Geldunterhalt geleistet wird, nicht zur Gänze besteuert, sondern etwa die Hälfte des gesetzlichen Unterhalts steuerfrei bleiben und dies durch eine steuerliche Entlastung der Unterhaltspflicht in der Größenordnung von rund 20 % bewirkt werden soll. Dieses Ziel könne nach den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs entweder durch eine pauschalierende oder sonst sachliche Regelung des Gesetzgebers oder
– solange dieser untätig bleibe – im Rahmen der gerichtlichen Unterhaltsbemessung erreicht werden.

4.3. Die entscheidende Frage, ob diese verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Entlastung des Geldunterhalts durch den Familienbonus Plus erreicht werden sollte, beantwortete der Oberste Gerichtshof in 4 Ob 150/19s wie folgt:

Wenn der Gesetzgeber auf die Vorgaben durch den Verfassungsgerichtshof reagiert und den Familienbonus Plus mit der Zielsetzung eingeführt hat, dass die Unterhaltspflichtigen die Unterhaltslasten zukünftig aus ihrem unversteuerten Einkommen leisten können und nicht eine darauf leistende Steuer dazuverdienen müssen, besteht das Ziel der in Rede stehenden steuergesetzlichen Maßnahme darin, das Einkommen des Geldunterhaltspflichtigen, aus dem der Unterhalt geleistet wird, im Einklang mit den Vorgaben durch den Verfassungsgerichtshof steuerlich zu entlasten. Auch wenn der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien nicht auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofs Bezug nimmt, folgt aus der ident formulierten Zielsetzung mit ausreichender Deutlichkeit, dass der Gesetzgeber den verfassungsrechtlichen Vorgaben Rechnung tragen und die gebotene steuerliche Entlastung durch die neue steuergesetzliche Maßnahme im Weg einer pauschalierenden Regelung umsetzen wollte. Nach den Intentionen des Gesetzgebers soll die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Entlastung der Unterhaltsleistungen nunmehr unmittelbar im Weg der steuergesetzlichen Vorschriften durch den Familienbonus Plus und den Unterhaltsabsetzbetrag herbeigeführt werden.

Die Fragen nach der steuerlichen Entlastung, die durch den Familienbonus Plus erreicht werden soll, und nach den Auswirkungen auf die Unterhaltsbemessungsgrundlage können nicht getrennt voneinander beurteilt werden. Vielmehr ist zu fragen, welche unterhaltsrechtliche Lösung mit den Zielsetzungen des Gesetzgebers im Einklang steht.

Nach der des Steuergesetzgebers soll der ausschöpfbare Teil des Familienbonus Plus in generalisierender Betrachtungsweise dazu dienen, das Unterhaltseinkommen nach den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs steuerfrei zu stellen. Dieses kann nur erreicht werden, wenn der entsprechende Betrag dem Unterhaltspflichtigen verbleibt. Eine Einrechnung in die Unterhaltsbemessungsgrundlage scheidet daher aus. Dies gilt auch dann, wenn die Berücksichtigung des Familienbonus Plus beim Dienstgeber beantragt wird; in einem solchen Fall ist der Familienbonus Plus (ebenso wie der Unterhaltsabsetzbetrag) aus dem „Einkommen“ des Geldunterhaltspflichtigen herauszurechnen.

Der Grundsatz, dass es im Unterhaltsrecht auf das Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen als die Summe der dem Unterhaltspflichtigen tatsächlich zufließenden verfügbaren Mittel ankomme (vgl RS0013386) und eine Steuerersparnis das Nettoeinkommen erhöhe, gelangt jedenfalls dann nicht zur Anwendung, wenn es sich bei einem Steuerabsetzbetrag um eine zweckbestimmte steuerliche Entlastung und nicht um einen allgemeinen Einkommensbestandteil handelt. Auch die Judikatur, wonach ein dem Unterhaltsschuldner ausgezahlter Kinderzuschuss oder eine solche Kinder- oder Familienzulage die Bemessungsgrundlage (für das jeweilige Kind) erhöht (RS0047467), ist hier nicht einschlägig, weil die genannten Zuschussleistungen an den Unterhaltsschuldner direkt ausgezahlt und für ein bestimmtes Kind gewährt werden und damit für den Unterhalt bzw die Pflege dieses Kindes zu verwenden sind (vgl 1 Ob 76/99d; 4 Ob 139/19y).

Da nach der des Gesetzgebers durch den Familienbonus Plus – gemeinsam mit dem Unterhaltsabsetzbetrag – die gebotene steuerliche Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen bewirkt wird, besteht auch kein Anlass mehr, die Unterhaltsleistung durch die Anrechnung von Transferleistungen zu kürzen. Dies bedeutet im Ergebnis, dass sich der Familienbonus Plus und der Unterhaltsabsetzbetrag auf die Unterhaltsleistung nicht auswirken und somit unterhaltsrechtlich neutral bleiben.

Die substanzielle Steuerentlastung durch den Familienbonus Plus (RV 190 BlgNR 26. GP 1 und 14) führt damit zu einer Entkoppelung von Unterhalts- und Steuerrecht. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Unterhalt nicht mathematisch zu berechnen, sondern vielmehr nach den von Billigkeitsüberlegungen getragenen Rechtsprechungsgrundsätzen im Einzelfall auszumitteln ist (8 Ob 89/17x; 4 Ob 139/19y; 4 Ob 142/19i; vgl auch Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht9 151). Es ist systemkonform, wenn die steuerliche Berücksichtigung der Unterhaltslasten zur Gänze in das Steuerrecht verlagert und die zivilrechtliche Unterhaltsbemessung vom „Fremdkörper“ der steuerlichen Entlastung entkoppelt wird (vgl Kolmasch, Glosse zu 6 Ob 240/17p, Zak 2018/198, 111; Neuhauser, Einige Auswirkungen des Familienbonus Plus auf die Bemessung des Kindesunterhalts, iFamZ 2018, 196 [198]).

Der Einwand, dass bei einem Teil der besserverdienenden Unterhaltspflichtigen durch den Familienbonus Plus und den Unterhaltsabsetzbetrag (ohne Anrechnung von Transferleistungen) weniger als die Hälfte des gesetzlich geschuldeten Unterhalts steuerfrei gestellt werde, ist rechnerisch durchaus richtig, entspricht aber dem vom Gesetzgeber nunmehr verfolgten Konzept einer pauschalierenden steuerlichen Entlastung. Da der Gesetzgeber bis weder die vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis zu B 1285/00 in den Raum gestellte pauschalierende Entlastung noch eine andere sachliche Regelung umgesetzt hat, um den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu entsprechen, hat sich der Oberste Gerichtshof in seiner Rechtsprechung an der Ansicht des Verfassungsgerichtshofs orientiert. Die nunmehr vorgenommene pauschalierende gesetzgeberische Maßnahme kann durchaus zu einer Schlechterstellung bestimmter Gruppen von Betroffenen führen. Eine offenkundige Verfassungswidrigkeit der Neuregelung ist jedoch nicht zu erkennen; der Umstand, dass keine Anrechnung der Transferleistung auf die Unterhaltsleistung mehr erfolgt und sich aus diesem Grund der dem Kind zu leistende Unterhalt erhöht, begründet für sich allein keine Unbilligkeit.

6.1. Das Kernargument der dargestellten Begründung des Obersten Gerichtshofs, wonach der Steuergesetzgeber mit der Einführung des Familienbonus Plus pauschal und typisierend den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs an eine steuerliche Entlastung des Kindesunterhalts Rechnung tragen wollte, kann auch für die Beantwortung der Frage, welche Auswirkungen die Einführung des Familienbonus Plus auf die Bemessung des Unterhalts für volljährige Kinder hat, fruchtbar gemacht werden, weil die primär aus den Gesetzesmaterialien (RV 190 BlgNR 26. GP 1) abgeleitete des Gesetzgebers zwischen minderjährigen und volljährigen Kinder .

6.2. Die Regierungsvorlage führt zur unterschiedlichen Höhe des Familienbonus Plus bloß aus, dass Familien bis zum 18. Lebensjahr in der Regel mit Kosten für die erste Ausbildung ihrer Kinder konfrontiert sind, weshalb eine substantielle Steuerentlastung für Kinder bis 18 Jahre erfolgen soll, dass aber darüber hinaus auch noch jene Eltern entlastet werden sollen, die ihren Kindern eine weiterführende Ausbildung ermöglichen. Anhaltspunkte dafür, dass sich die – in der mehrfach genannten „Leitentscheidung“ des Obersten Gerichtshofs hervorgehobene – gesetzgeberische Intention des „ressortzuständigen“ (vgl Gruber/Spitzer, ÖJZ 2020/17) (Steuer-)Gesetzgebers, die vom Verfassungsgerichtshof geforderte steuerliche Entlastung von Unterhaltsleistungen nunmehr durch den Familienbonus Plus (sowie den Unterhaltsabsetzbetrag) unmittelbar selbst vorzunehmen, nur auf den Unterhalt Minderjähriger beziehen soll, können dem nicht entnommen werden.

6.3. Bedenken an einem im diesem Sinn undifferenzierten gesetzgeberischen Willen vermag auch die (in Punkt 4 dargestellte) Literatur nicht zu wecken. Soweit dort nicht ohnehin die Ansicht vertreten wird, dass die jüngste Rechtsprechung zum Familienbonus Plus auch auf die Bemessung des Unterhalts volljähriger Kinder angewendet werden soll, sondern eingewandt wird, dass der vom Verfassungsgerichtshof geforderte Entlastungseffekt beim Unterhalt für Kinder über 18 Jahre nur in unzureichendem Ausmaß erzielt wird (vgl Hiebl, iFamZ 2020, 7; siehe auch Tews, EF-Z 2020/28), weist Neuhauser (iFamZ 2020, 15) zutreffend darauf hin, dass die „Benachteiligung“ von Unterhaltspflichtigen durch eine unterbliebene Anrechnung von Transferleistungen (und die dadurch erfolgte mittelbare Steuerfreistellung eines Teils des für die Unterhaltszahlungen verwendeten Einkommens) auch bei volljährigen Kindern vor allem besonders einkommensstarke Elternteile betrifft. Dass die vom Steuergesetzgeber intendierte (direkte) Steuerfreistellung bei manchen Unterhaltspflichtigen (im Vergleich zur bisherigen Steuerfreistellung durch Anrechnung der Transferleistungen) zu einer Überkompensation, bei anderen hingegen zur Unterkompensation führt (die vom Verfassungsgerichtshof geforderte Steuerentlastung bei letzteren also nur in geringer Höhe eintritt), ist im Sinn der vom Gesetzgeber angestrebten Pauschallösung hinzunehmen, steht diesem doch auch unter gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkten ein rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu, der es erlaubt, Härtefälle in Kauf zu nehmen, wenn nur insgesamt eine sachliche Regelung vorliegt (vgl etwa G 57/2018; G 31/2017 ua). Dass bei der Beurteilung der Frage der unterhaltsrechtlichen Berücksichtigung des Familienbonus Plus primär auf den , mit der zu beurteilenden steuerlichen Maßnahme den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs pauschal entsprechen zu wollen, abzustellen ist (und nicht so sehr auf die faktischen [Aus-]Wirkungen dieser Maßnahmen), wurde bereits zu 4 Ob 150/19s betont (idS wohl auch Gitschthaler, EF-Z 2020/25, wonach die vom Gesetzgeber vorgenommene Maßnahme zur Entsprechung der Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs von der zivilrechtlichen Rechtsprechung zur Kenntnis zu nehmen sei).

6.4. Gegen die vereinzelt geforderte Anwendung der „Formel“ zur Anrechnung von Transferleistungen bei der Unterhaltsbemessung volljähriger Kinder (klar positioniert sich insoweit nur HiebliFamZ 2020, 7; unklar hingegen Tews) spricht – was in der Literatur überwiegend erkannt wird – vor allem, dass es nicht nachvollziehbar wäre (und dem bisherigen System des Unterhaltsrechts zuwiderlaufen würde), wenn die einem minderjährigen Unterhaltsberechtigten zufließenden Unterhaltsbeträge bei sonst unveränderten zivilrechtlichen Bemessungsparametern mit Eintritt der Volljährigkeit „schlagartig“ reduziert würden und dieser nunmehr weniger erhielte als vorher.

6.5. Zusammengefasst ist also davon auszugehen, dass der Steuergesetzgeber mit der Einführung des Familienbonus Plus (gemeinsam mit dem schon bestehenden Unterhaltsabsetzbetrag) die Vorgabe des Verfassungsgerichtshofs, die im Vergleich zu einer nicht unterhaltspflichtigen Person verminderte Leistungsfähigkeit durch eine entsprechende Verminderung ihrer Steuerlast zu berücksichtigen, undifferenziert erfüllen und die steuerliche Berücksichtigung der Unterhaltslast zur Gänze in das Steuerrecht verlagern wollte. Diese gesetzgeberische Intention ist auch hinsichtlich der volljährigen Unterhaltsberechtigten zu akzeptieren.

7. Da die Vorinstanzen den Familienbonus Plus bei der Unterhaltsbemessung im Ergebnis (auch für die Zeit nach Volljährigkeit) zu Recht nicht berücksichtigt haben, ist dem Revisionsrekurs des mittlerweile volljährigen Kindes ein Erfolg versagt.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:0090OB00059.19W.0625.000

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