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OGH vom 23.05.2018, 15Os34/18s

OGH vom 23.05.2018, 15Os34/18s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Gschiel, LL.M., als Schriftführerin in der Strafsache gegen Thekra A***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Thekra A*****, Mohanad S***** und Vian H***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , GZ 52 Hv 28/17t-30, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten A***** und S***** und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, hinsichtlich aller Angeklagten in den Schuldsprüchen A./II./, B./II./, C./I./ und C./II./, dementsprechend auch in den Strafaussprüchen und im Privatbeteiligtenzuspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Im Übrigen werden die Nichtigkeitsbeschwerden aller Angeklagten sowie die Berufung wegen Schuld der Angeklagten H***** zurückgewiesen.

Mit ihren Berufungen wegen Strafe und wegen der privatrechtlichen Ansprüche werden die Angeklagten auf diese Entscheidung verwiesen.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden die Angeklagten Thekra A*****, Mohanad S***** und Vian H***** jeweils des Vergehens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 [erster Fall] StGB (A./I./), A***** und S***** jeweils mehrerer Vergehen der Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 15 StGB (A./II./, B./II./, C./I./ und C./II./), H***** eines Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (A./II./) sowie A***** überdies des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (B./I./) und des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (B./III./) schuldig erkannt.

Danach haben bzw hat am in W*****

A./ A*****, S***** und H***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) Matin G***** Z*****

I./ widerrechtlich gefangen gehalten, indem A***** und H***** sie zu einem ca 10 m² großen Lagerraum lockten, H***** sie hineinstieß, S***** die Tür versperrte und A*****, H***** und S***** sie mehr als eine halbe Stunde lang am Verlassen des Raums hinderten;

II./ durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Körper zu Handlungen und Duldungen, nämlich dazu, sich zweimal zu entkleiden bzw sich von H***** und A***** entkleiden zu lassen, genötigt, indem sie sie in bedrohlicher Weise umringten und anschrieen;

B./ A***** alleine G***** Z*****

I./ mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt, indem sie sie mit einer Hand an den Haaren packte und festhielt und mit der anderen Hand ihre Genitalien abtastete;

II./ durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper zu einer Handlung zu nötigen versucht, indem sie ihr androhte, sie werde sie verbrennen, wenn sie ihr nicht sage, wo sie das angeblich gestohlene Geld versteckt habe;

III./ eine fremde Sache beschädigt, indem sie den Büstenhalter der Genannten zerriss;

C./ S***** alleine G***** Z***** durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Körper zu einer Handlung

I./ genötigt, indem er sie aufforderte, einen Ausweis vorzuzeigen, wobei er eine Hand erhob, als wolle er zu einem Schlag in ihr Gesicht ausholen;

II./ zu nötigen versucht, indem er ihr androhte, er werde sie schlagen, wenn sie ihm nicht sage, wo sie das angeblich gestohlene Geld versteckt habe.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten, welche A***** auf Z 9 lit a, S***** auf Z 5 und 9 lit b und H***** auf Z 5 und 5a jeweils des § 281 Abs 1 StPO stützen.

Die Angeklagten A***** und S***** zeigen zu A./II./, B./II./, C./I./ und C./II./ zutreffend das Fehlen von Feststellungen zum – als Tatfrage zu beurteilenden (RIS-Justiz RS0092437; RS0092448 [T5]) – Bedeutungsinhalt der inkriminierten, diesen Schuldsprüchen zu Grunde liegenden Äußerungen und weiteren Tathandlungen auf (Z 9 lit a, nominell auch Z 5).

Die vom Erstgericht getroffenen Konstatierungen, wonach die Angeklagten eine drohende Haltung einnahmen, sich aggressiv verhielten, das Opfer beschimpften, äußerten sie würden es „verbrennen“, wonach einer der Angeklagten die Hand erhob (US 7 f) sowie die Annahme, wonach die „Drohungen … im konkreten Fall zweifellos geeignet [waren], dem Opfer, das den Angeklagten im Lagerraum hilflos ausgeliefert war, begründete Besorgnis mit der Zufügung von zumindest körperlichen Attacken einzuflößen“ (US 14), bringen bloß einen nicht tatbildlichen, auf körperliche Misshandlungen gerichteten Bedeutungsinhalt der – auch in ihrer Gesamtheit betrachteten, inkriminierten – Tathandlungen zum Ausdruck (§ 74 Abs 1 Z 5 StGB). Die im Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) dargestellte Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper (US 3 f) findet in den Konstatierungen keinen Niederschlag und vermag diese nicht zu ersetzen (RIS-Justiz RS0117119; Lendl, WK-StPO § 260 Rz 8).

Die Schuldsprüche A./II./, B./II./, C./I./ und C./II./ sind daher mit einem Rechtsfehler mangels Feststellungen (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) behaftet.

Der aufgezeigte Rechtsfehler wirkt sich zu A./II./ auch zum Nachteil der Angeklagten H***** aus und war zu deren Gunsten von Amts wegen wahrzunehmen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

Im Übrigen kommt den Nichtigkeitsbeschwerden jedoch keine Berechtigung zu.

Auf weiteres Rechtsmittelvorbringen zu den aufgehobenen Punkten des Schuldspruchs war nicht einzugehen.

Die Ausführungen zur Rechtsrüge (Z 9 lit a) der Angeklagten A***** verfehlen ihren Bezugspunkt, indem sie sich prozessordnungswidrig nicht am im Ersturteil festgestellten Sachverhalt orientieren (RIS-Justiz RS0099810):

Zu A./I./ kritisiert die Beschwerdeführerin das Fehlen von für einen Schuldspruch nach § 99 Abs 1 StGB erforderlichen Konstatierungen, wonach das Opfer die Freiheitsentziehung als solche „empfunden“ habe. Sie übergeht dabei die den Aspekt des Erkennens der Freiheitsentziehung beinhaltende tatrichterliche Feststellung, wonach das Opfer „mehr als eine halbe Stunde von den Angeklagten am Verlassen des Lagerraums gehindert“ wurde (US 9; vgl RIS-Justiz RS0092794).

Der Kritik zu B./I./ zuwider umfassen die Feststellungen zur subjektiven Tatseite, wonach die Beschwerdeführerin es ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden habe, das Opfer durch ihr gewaltsames Vorgehen zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung zu nötigen (US 8 f), auch dessen ernstlich widerstrebenden Willen.

Dass es sich bei dem von der Angeklagten beschädigten Büstenhalter (B./III./) um eine fremde, nicht in ihrem (die Tatbildlichkeit nach § 125 StGB ausschließenden) Alleineigentum stehende Sache handelte, ergibt sich entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelwerberin sehr wohl aus den Konstatierungen zum objektiven Tatgeschehen (US 8 iVm 4).

Die nominell auf Z 5 zweiter Fall – der Sache nach Z 9 lit a – gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten S***** behauptet, die Urteilsgründe enthielten zu A./I./ keine Feststellungen zur nur im Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) ausgewiesenen Dauer der Freiheitsentziehung. Sie entfernt sich jedoch von den tatsächlichen Konstatierungen (US 9: „G***** Z***** wurde mehr als eine halbe Stunde von den Angeklagten am Verlassen des Lagerraums gehindert“) und ist sohin nicht gesetzmäßig ausgeführt (RIS-Justiz RS0099810).

Soweit die Rüge des Angeklagten S***** eine offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellungen zur Dauer der Freiheitsentziehung behauptet, entfernt sie sich von den tatrichterlichen Erwägungen, die sich (grundsätzlich) auf die Angaben des Opfers stützen und
– in Ermangelung exakter Zeitangaben desselben – die festgestellte Dauer zudem damit begründen, dass sich das Opfer zweimal entkleiden musste (US 13 f).

Die Frage, ob der Raum versperrt wurde, betrifft in Ansehung der weiteren Tathandlungen der Angeklagten, die das Opfer am Verlassen des Raums hinderten (US 7 ff), keine entscheidende Tatsache (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 399).

Soweit die Angeklagte H***** unter undifferenziertem Rückgriff auf die wesensmäßig verschiedenen Nichtigkeitsgründe (RIS-Justiz RS0115902) des „§ 281 Abs 5 und 5a StPO“ versucht, aus einzelnen isoliert betrachteten Beweisergebnissen zur subjektiven Tatseite zu A./I./ für sich günstige Schlüsse abzuleiten, richtet sie sich in im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässiger Weise gegen die Beweiswürdigung des Schöffengerichts (RIS-Justiz RS0116732 [T3]) und vermag keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der festgestellten entscheidenden Tatsachen zu wecken (vgl RIS-Justiz RS0118780).

Die der Sache nach aus § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO erhobene Kritik, das Vorgehen der Beschwerdeführerin sei gemäß „§ 82 Abs 2 StPO“ (gemeint: § 80 Abs 2 StPO) gerechtfertigt, weil alle Angeklagten hinreichende Gründe für die Annahme gehabt hätten, das Opfer habe der Erstangeklagten unmittelbar davor 250 Euro gestohlen, weshalb sie zu dessen Anhaltung berechtigt gewesen wären, zumindest liege jedoch eine nicht auf Fahrlässigkeit beruhende irrtümliche Annahme dieses rechtfertigenden Sachverhalts (§ 8 StGB) vor, schlägt fehl.

Die prozessordnungsgemäße Geltendmachung eines Feststellungsmangels erfordert die auf Basis des Urteilssachverhalts vorzunehmende Argumentation, dass sich aus einem nicht durch Feststellungen geklärten, aber durch in der Hauptverhandlung vorgekommene Beweise indizierten Sachverhalt eine vom Erstgericht nicht gezogene rechtliche Konsequenz ergebe, weil das Gericht ein Tatbestandsmerkmal, einen Ausnahmesatz oder eine andere rechtliche Unterstellung bei der rechtlichen Beurteilung nicht in Anschlag gebracht hat (RIS-Justiz RS0118580 [T15]). Daran orientiert sich die Rechtsmittelwerberin jedoch nicht, weil sie den Hinweis auf Indizien unterlässt, wonach seitens des Angeklagten eine unverzügliche Anzeige an das nächst erreichbare Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes (§ 80 Abs 2 StPO) intendiert gewesen sei.

Es war daher – übereinstimmend mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten A***** und S***** und aus deren Anlass gemäß § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO von Amts wegen zu Gunsten der Angeklagten H***** das Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, hinsichtlich aller Angeklagten in den Schuldsprüchen A./II./, B./II./, C./I./ und C./II./, demzufolge auch in den Strafaussprüchen sowie im Adhäsionserkenntnis, bereits in nichtöffentlicher Beratung aufzuheben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien zu verweisen (§ 285e StPO).

Die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten A***** und S***** waren im Übrigen, jene der Angeklagten H***** – ebenso wie deren erhobene, jedoch im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene Berufung wegen Schuld – zur Gänze, in nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO) und die Angeklagten mit ihren Berufungen wegen Strafe und wegen der privatrechtlichen Ansprüche auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Bleibt anzumerken, dass das kassierte, den Schuldsprüchen A./II./, B./II./, C./I./ und C./II./ zu Grunde liegende Tatsachensubstrat im zweiten Rechtsgang einer Überprüfung dahingehend zu unterziehen sein wird, inwieweit es von einem einheitlichen Vorsatz getragen war (vgl RIS-Justiz RS0120233, RS0117038; Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28 bis 31 Rz 89).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2018:0150OS00034.18S.0523.000

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