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OGH vom 17.08.2010, 10Ob54/10d

OGH vom 17.08.2010, 10Ob54/10d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Niklas K*****, geboren am , *****, vertreten durch das Land Kärnten als Jugendwohlfahrtsträger (Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt, Bereich Jugend und Familie, Völkermarkter Ring 19, 9010 Klagenfurt am Wörther See), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Kindes gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom , GZ 4 R 72/10w U14, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom , GZ 1 PU 145/99w 8, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Der am geborene Niklas K***** ist der Sohn von Michaela K***** und Martin K*****. Mit rechtskräftigem Beschluss des Erstgerichts vom wurden dem Kind auf die Geldunterhaltspflicht des Vaters nach erfolgloser Exekution Unterhaltsvorschüsse in Titelhöhe gemäß § 3 UVG in Höhe von 254,35 EUR monatlich für den Zeitraum vom bis gewährt.

Am legte der Jugendwohlfahrtsträger einen Bescheid vor, wonach der Vater von der Abteilung Soziales des Magistrats K***** eine Geldleistung von 622,77 EUR als soziale Mindestsicherung und Wohnbedarfsbeihilfe erhalten hat; weiters wurde vorgebracht, dass der Vater monatliche Unterhaltszahlungen von 100 EUR leiste.

Mit Beschluss vom setzte das Erstgericht daraufhin die Unterhaltsvorschüsse für den Zeitraum vom bis auf monatlich 100 EUR herab. Es stellte fest, dass der Vater bis als Arbeiter in einem Café beschäftigt und danach vom bis offenbar selbständig erwerbstätig war. Das am vor dem Bezirksgericht K***** eröffnete Schuldenregulierungsverfahren des Vaters wurde mit einer - vom Vater bereits bezahlten einmaligen Quote abgeschlossen. Seit bezieht der Vater Mindestsicherung in Höhe von 622,77 EUR.

In seiner rechtlichen Beurteilung gelangte das Erstgericht zum Ergebnis, dass angesichts des Bezugs der Mindestsicherung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Vaters nicht mehr in einem Maße gegeben sei, dass er über 100 EUR monatlich hinausgehende Unterhaltsleistungen erbringen könne.

Über Rekurs des Kindes, in dem die amtswegige Anwendbarkeit des Anspannungsgrundsatzes in den Vordergrund gerückt wurde, änderte das Rekursgericht den erstgerichtlichen Beschluss dahin ab, dass es die Unterhaltsvorschüsse für den Zeitraum ab auf 160 EUR herabsetzte. Das erstmals im Rekurs erstattete Vorbringen über eine Anspannungsverpflichtung des Unterhaltsschuldners stelle eine unzulässige Neuerung dar. Nach dem Inhalt des Schreibens des Jugendwohlfahrtsträgers vom habe das Erstgericht keinen Anlass gehabt, von Amts wegen zu prüfen, ob der Vater bei entsprechender Anspannung seiner Kräfte zur Erzielung eines entsprechenden Einkommens imstande wäre und wie er dies bewerkstelligen könnte. Der Vater habe in seiner Rekursbeantwortung ein monatliches Einkommen (durch Bezug der Mindestsicherung und Wohnbeihilfe) von insgesamt 788,70 EUR eingeräumt. Dieser Betrag bilde die Unterhaltsbemessungsgrundlage, wovon Niklas Anspruch auf 20 % habe, also auf rund 160 EUR.

Zur Frage, ob der möglichen Anspannung eines Unterhaltsschuldners im Fall des Bezugs der Mindestsicherung von Amts wegen nachzugehen sei, erscheine dem Rekursgericht eine neuerliche Befassung des Höchstgerichts angebracht, weshalb der Revisionsrekurs zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Kindes mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer ersatzlosen Beseitigung der vorinstanzlichen Herabsetzungsbeschlüsse.

Der Bund, der Vater und die Mutter haben sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist im Hinblick auf die Frage, inwieweit vom Rekursgericht verneinte Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens noch im Revisionsrekursverfahren aufgegriffen werden können, zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.

Das Revisionsrekursvorbringen des Kindes geht dahin, dass das Rekursgericht den erst im Rekurs vorgebrachten Umstand der Anspannungsverpflichtung des Unterhaltsschuldners bei seiner Entscheidung berücksichtigen hätte müssen. Dieses Vorbringen unterliege nicht dem Neuerungsverbot, weil nur so die Auszahlungskontinuität des Unterhaltsvorschusses gewährleistet werde. Die vom Obersten Gerichtshof zu beurteilende erhebliche Rechtsfrage liege darin, ob einer möglichen Anspannung des Unterhaltsschuldners im Fall des Bezugs der Mindestsicherung von Amts wegen nachzugehen gewesen wäre.

Dazu wurde erwogen:

1. Vorauszuschicken ist, dass die Auszahlung der Vorschüsse in einer Höhe von zumindest 160 EUR für den Zeitraum ab rechtskräftig ist. Strittig ist allein der Differenzbetrag auf die Titelhöhe von 254,35 EUR.

2. Das Rekursgericht hat sich mit der im Rekurs relevierten Frage, ob das Erstgericht verpflichtet gewesen wäre, von Amts wegen die Möglichkeit der Anspannung des Unterhaltsschuldners auf sein früheres Einkommen aus Erwerbstätigkeit zu prüfen, auseinandergesetzt und sie verneint. Sie kann in diesem Fall nicht mehr zum Gegenstand des Revisionsrekurses gemacht werden (8 Ob 37/07k = RIS Justiz RS0030748 [T5]; RS0050037; Fucik/Kloiber , AußStrG § 66 Rz 3; Klicka in Rechberger , AußStrG § 66 Rz 2; siehe auch 10 Ob 49/10v zur Möglichkeit der Geltendmachung, wenn eine von Amts wegen aufzugreifende Frage nicht Gegenstand des Rekursverfahrens war).

2.1. Die Rechtsprechung durchbricht die angeführte Regel in Fällen einer Gefährdung des Kindeswohls (RIS Justiz RS0030748 [T4], RS0050037 [T4]; kritisch Klicka in Rechberger , AußStrG § 66 Rz 2). In den Entscheidungen 4 Ob 135/05i, 6 Ob 69/07a und 10 Ob 13/08x wurde ausgesprochen, dass die Durchbrechung des Grundsatzes im Regelfall nur in Obsorge und Besuchsrechtsverfahren von Bedeutung ist; in Unterhalts und Unterhaltsvorschussverfahren müssten besondere Umstände vorliegen, die es rechtfertigten, sowohl das grundsätzliche Neuerungsverbot des § 49 AußStrG als auch die sich aus § 16 Abs 2 AußStrG ergebenden Parteienpflichten zu unterlaufen. Das Vorliegen solcher Umstände wurde jeweils verneint, selbst im Fall eines Rechtsmittels des Kindes.

2.2. Während sich gerichtliche Entscheidungen in Angelegenheiten der Obsorge (siehe etwa § 176 Abs 1, § 176b, § 177 Abs 3, § 177a ABGB) und des persönlichen Verkehrs (siehe § 148 Abs 1 und 4 ABGB) nach dem Kindeswohl zu richten haben, orientiert sich der Unterhaltsanspruch des Kindes nach dem Gesetzeswortlaut an den Bedürfnissen des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten sowie an den Lebensverhältnissen und „Kräften“ der Eltern. Zweifellos spielt die Berücksichtigung des Kindeswohls auch bei gewissen Aspekten des Kindesunterhaltsrechts eine Rolle, etwa bei der Genehmigung von Unterhaltsvereinbarungen (RIS Justiz RS0047552 [T3]) oder bei der Beurteilung der Art der Leistungserbringung (siehe etwa Reischauer in Rummel 3 , § 905 Rz 21); dadurch sollen vermeidbare Nachteile vom Kind abgewendet werden. Allerdings stellt das Gesetz bei der Unterhaltsbemessung sowohl auf kindbezogene als auch auf elternbezogene Kriterien ab, sodass nicht von einer dem Kindeswohl verpflichteten Entscheidung gesprochen werden kann. Dies gilt erst recht für das am Titelunterhalt orientierte Verfahren zur Unterhaltsvorschussgewährung. Wegen der fehlenden Prägung durch das Kindeswohl besteht kein Anlass, in Unterhaltsvorschussangelegenheiten zugunsten des Kindes das Aufgreifen von Mangelhaftigkeiten des erstinstanzlichen Verfahrens, die vom Rekursgericht verneint wurden, im Revisionsrekursverfahren zu ermöglichen. Im Übrigen zeigen die in § 7 Abs 1 Z 1, § 16 Abs 2 und § 19 Abs 1 UVG vorgesehenen Möglichkeiten der Versagung, der Innehaltung und der Einschränkung des Vorschussanspruchs, dass der Gedanke, zugunsten des Kindes müsse die Möglichkeit bestehen, einen zweifelhaften Anspruch aus Gründen des Kindeswohls unabhängig vom materiellen Recht aufrecht zu belassen, nicht den Intentionen des UVG entspricht.

2.3. In diesem Sinn ist zusammenfassend festzuhalten, dass die Einschränkung des Grundsatzes, dass ein vom Rekursgericht verneinter Mangel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz keinen Revisionsrekursgrund bilden kann, im Unterhaltsvorschussverfahren nicht zum Tragen kommt.

3. Das Vorbringen von Tatsachen und Beweismitteln, die zur Zeit der Entscheidung erster Instanz bereits eingetreten oder vorhanden waren (nova reperta), ist grundsätzlich nur zulässig, wenn sie nicht schon vor Fassung des Beschlusses erster Instanz von der Partei vorgebracht werden hätten können (§ 49 Abs 2 AußStrG). Sofern die betreffenden Umstände nicht ohnehin schon eindeutig und zweifelsfrei dem Akteninhalt zu entnehmen sind, hat dann die Partei diejenigen besonderen Umstände darzutun und erforderlichenfalls auch zu bescheinigen, welche die begünstigende Regelung der ausnahmsweisen Berücksichtigung von nova reperta rechtfertigen können (5 Ob 235/05b = SZ 2005/160; 10 Ob 63/09a = RIS Justiz RS0120290 [T5]). Ein entsprechendes Vorbringen ist dem Rekurs des Kindes nicht zu entnehmen, sodass das Rekursgericht zu Recht das Vorbringen des Kindes zur Anspannung des Vaters nicht als zulässige Neuerung angesehen hat.

4. Der Revisionsrekurs des Kindes ist daher insgesamt nicht berechtigt.