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OGH vom 19.07.2016, 10Ob53/16s

OGH vom 19.07.2016, 10Ob53/16s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj F*****, geboren am ***** 2005, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter A*****, vertreten durch Mag. Rainer Hessenberger, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Obsorge, gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom , GZ 21 R 43/16v 65, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Mutter hatte bisher die alleinige Obsorge für den Sohn. Der Vater beantragte, ihm die alleinige Obsorge zu übertragen. Das Erstgericht wies unter anderem diesen Antrag des Vaters ab. Es betraute beide Eltern mit der Obsorge und legte fest, dass der Sohn hauptsächlich im Haushalt der Mutter betreut wird. Das Erstgericht legte eine Kontaktregelung fest, wonach der Sohn von beiden Eltern zeitlich gleichteilig betreut werden soll und ordnete an, dass der Sohn die Ferien zu gleichen Teilen bei der Mutter und beim Vater verbringen soll.

Mit dem angefochtenen Beschluss bestätigte das Rekursgericht die Entscheidung des Erstgerichts. Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter, der keine erhebliche Rechtsfrage gemäß § 62 Abs 1 AußStrG aufzeigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Regelungen der Obsorge sind ebenso wie die Ausmessung des dem anderen Elternteil einzuräumenden Kontaktrechts typischerweise Entscheidungen nach den Umständen des Einzelfalls, denen keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zukommt, sofern nicht durch die Entscheidung leitende Grundsätze der Rechtsprechung oder das Kindeswohl verletzt wurden (RIS Justiz RS0007101; RS0115719; RS0097114).

2. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine klare, das heißt eindeutige Regelung trifft (RIS Justiz RS0042656). Gemäß § 180 Abs 1 ABGB hat das Gericht eine vorläufige Regelung der elterlichen Verantwortung zu treffen, sofern dies dem Wohl des Kindes entspricht. Schon nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung ist daher eine vorläufige Regelung der elterlichen Verantwortung nur in Fällen zu treffen, in denen dies dem Wohl des Kindes entspricht (vgl nur Hopf in KBB 4 § 180 Rz 2; Kathrein , Kindschafts und Namensrechts Änderungsgesetz 2013, ÖJZ 2013/23, 197 [204]; Seeber Grimm , Die Obsorge nach Trennung oder Scheidung der Eltern, in Ferrari/Hinteregger/Kathrein , Reform des Kindschafts und Namensrechts [2014], 47). Eine Phase der vorläufigen Regelung der elterlichen Verantwortung ist schon daher entgegen der Rechtsansicht der Revisionsrekurswerberin keinesfalls zwingende Voraussetzung für eine endgültige Entscheidung über die Obsorge ( Gitschthaler , Vorläufige elterliche Verantwortung, EF Z 2013/111, 170 [172]).

3. Für die Anordnung der beiderseitigen Obsorge – allenfalls auch gegen den Willen eines oder beider Elternteile (vgl RIS Justiz RS0128810) – ist entscheidend, ob die Alleinobsorge eines Elternteils oder die Obsorge beider Eltern dem Wohl des Kindes besser entspricht (RIS Justiz RS0128812) und welche Anliegen und Vorstellungen das urteilsfähige Kind selbst dazu äußert. Auch nach der neuen Rechtslage stellt der Wille des Kindes ein in dieser Hinsicht relevantes Kriterium dar (RIS Justiz RS0048820). Die Behauptung der Revisionsrekurswerberin, dass von einer Einsichts und Urteilsfähigkeit eines Kindes erst ab seinem 12. Lebensjahr auszugehen sei, findet schon im Wortlaut des § 160 Abs 3 ABGB keine Grundlage, wonach der Wille des Kindes umso maßgeblicher ist, je mehr es den Grund und die Bedeutung einer Maßnahme einzusehen und seinen Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen vermag. Die Rechtsprechung geht im Regelfall jedenfalls ab dem 12. Lebensjahr von der Urteilsfähigkeit eines Kindes bezüglich einer Obsorgezuteilung aus (RIS Justiz RS0048820 [T9]). Selbst der Wille eines schon 12 jährigen oder gar mündigen Kindes könnte aber umgekehrt keinesfalls das Gericht bei der Entscheidung über die Obsorge binden ( Hopf in KBB 4 § 160 Rz 3).

Der Sohn, für den ein Kinderbeistand bestellt wurde, hat deutlich – und ohne seine Meinung während des Verfahrens zu ändern (vgl zu einem solchen Fall 8 Ob 81/15t) – ausgeführt, dass er das „doppelte Sorgerecht“ wünscht und dies (durchaus differenziert) damit begründet, dass die Meinung beider Eltern gleich viel zählen solle und kein Elternteil gekränkt sein dürfe, wenn der andere „etwas anders“ sieht (ON 54). Eine Unvertretbarkeit der Rechtsansicht der Vorinstanzen, die den derart geäußerten Willen des Sohnes bei ihrer Entscheidung entsprechend berücksichtigt haben, zeigt die Revisionsrekurswerberin mit ihrem Argument, dass dieser zum Zeitpunkt, in dem er sich äußerte, noch nicht 10 Jahre alt gewesen sei, nicht auf.

4. Die Revisionsrekurswerberin wendet sich gegen die Anordnung der gemeinsamen Obsorge und die Festlegung des Kontaktrechts mit dem Argument, dass das sogenannte „Doppelresidenzmodell“ nach der Rechtsprechung eine besondere Kooperationsbasis zwischen den Eltern erfordere (1 Ob 46/16w; 4 Ob 181/15v), an der es hier aber fehle. Sie zeigt damit keine erhebliche Rechtsfrage auf. Wie für die Entscheidung über die Obsorge ist auch für die Bestimmung des Kontaktrechts zentral die Orientierung am Kindeswohl maßgeblich (RIS Justiz RS0087024); im Konfliktfall hat das Interesse des Elternteils gegenüber dem Wohl des Kindes zurückzutreten (siehe schon RIS Justiz RS0047958 [T3]). Die Vorinstanzen haben ausführlich die Gründe dargelegt, aus welchen sie die Anordnung der gemeinsamen Obsorge und der zeitlich gleichteiligen Betreuung des Kindes durch beide Eltern trotz der zwischen den Eltern bestehenden Kommunikationsprobleme im konkreten Fall als bestmögliche Lösung für das Wohl des Sohnes ansahen. Dafür war vor allem maßgeblich, dass es seinem Wohl am Besten entspricht, mit beiden Eltern zeitlich gleichteilige Kontakte am Wochenende und im Alltag zu haben. Die Eltern leben nicht weit entfernt voneinander, der Sohn hat zu beiden eine gute Beziehung und wünscht, mit beiden Eltern gleich viel Zeit zu verbringen. Beide Eltern können dem Sohn ein förderliches und beschützendes Umfeld bieten. Das Erstgericht hat die Kommunikationsprobleme der Eltern erkannt und infolge seiner Überzeugung, dass die Kommunikation der Eltern verbessert werden muss, die Eltern – insofern unangefochten – zum gemeinsamen Besuch einer Elternberatung verpflichtet. Der Oberste Gerichtshof ist auch im Verfahren außer Streitsachen nur Rechts , nicht aber Tatsacheninstanz (RIS Justiz RS0006737). Nach den deshalb für ihn bindenden und nicht überprüfbaren Feststellungen gibt es zwar Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den Eltern, die aber kein Niveau erreicht haben, welches einer gemeinsamen Obsorge entgegenstehen würde. Auch daher zeigt die Revisionsrekurswerberin nach den maßgeblichen Umständen des Einzelfalls keine Korrekturbedürftigkeit der angefochtenen Entscheidung auf.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0100OB00053.16S.0719.000