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OGH vom 10.05.1988, 10Ob512/88

OGH vom 10.05.1988, 10Ob512/88

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Egermann, Mag. Engelmaier, Dr. Angst und Dr. Bauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Manfred K***, Taxiunternehmer, 8630 Mariazell, Wiener Neustädter Straße 20, vertreten durch Dr. Robert Obermann, Rechtsanwalt in Kapfenberg, wider die beklagte Partei Peter O***, Malermeister, 8630 Mariazell, Franz Schubert-Gasse 4, vertreten durch Dr. Peter Eigenthaler, Rechtsanwalt in Lilienfeld, wegen Feststellung des Erlöschens und Einwilligung in die Löschung einer Dienstbarkeit, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom , GZ 4 R 179/87-28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom , GZ 8 Cg 495/86-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit S 4.243,80 (darin S 385,80 Umsatzsteuer und keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Eigentümer der Liegenschaft EZ 236 der Katastralgemeinde Mariazell, zu der das Grundstück 109/1 gehört, der Beklagte ist Eigentümer der Liegenschaft EZ 334 derselben Katastralgemeinde, in der das Grundstück 109/2 enthalten war; dieses Grundstück wurde in der Folge Teil eines anderen Grundstücks mit der Benützungsart Baufläche.

Mit Kaufvertrag vom verpflichteten sich die damaligen Eigentümer der nunmehr dem Kläger gehörenden Liegenschaft für sich sowie ihre Erben und Rechtsnachfolger dem jeweiligen Eigentümer der Liegenschaft EZ 334 der Katastralgemeinde Mariazell und seinen Erben und Rechtsnachfolgern gegenüber, unwiderruflich zu dulden, daß der jeweilige Eigentümer dieser Liegenschaft ohne jede weitere Entschädigung und ohne vorher zu fragen ein auf dem Grundstück 109/2 zu erbauendes Gebäude direkt an das Wohnhaus Nr. 85 auf dem Grundstück 109/1 anbaut und die Fenster des Wohnhauses Nr. 85, die auf das Grundstück 109/2 hinausgehen, zumauert. Das durch diese Vereinbarung begründete Recht wurde als Dienstbarkeit im Grundbuch eingetragen.

Der Kläger begehrt, das Erlöschen der Dienstbarkeit festzustellen und den Beklagten schuldig zu erkennen, in die Löschung der Dienstbarkeit einzuwilligen. Die Dienstbarkeit sei seit dem Abschluß des Kaufvertrages und damit durch mehr als 30 Jahre nicht ausgeübt worden.

Der Beklagte wendete ein, daß seine Rechtsvorgänger die Dienstbarkeit durch den Bau eines Druckereigebäudes auf dem dienenden Grundstück, das im Jahr 1956 bis auf einen Teil des Innenraums fertiggestellt und zu einem beträchtlichen Teil an das Nachbarhaus angebaut worden sei, ausgeübt hätten. Vorher seien schon im Jahr 1929 und im Jahr 1950 Baubewilligungen zur Errichtung eines Druckereigebäudes erteilt worden; diese habe der Berechtigte allerdings nicht ausgenützt.

Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Dem Rechtsvorgänger des Beklagten wurde auf Grund eines im Jahr 1948 gestellten Ansuchens und dann neuerlich im Jahr 1950 die Bewilligung erteilt, auf dem das Grundstück 109/2 enthaltenden Grundstück ein Druckereigebäude zu errichten. Diese Baubewilligungen erloschen, weil hievon nicht Gebrauch gemacht wurde. Im Jahr 1954 erteilte die Baubehörde neuerlich die Bewilligung zur Errichtung eines Druckereigebäudes. Auf Grund dieser Baubewilligung wurde mit dem Bau begonnen und dieser etwa im Jahr 1956, spätestens 1957, fertiggestellt. Das Gebäude wurde derart an das Haus des Klägers angebaut, daß es dieses nur teilweise verdeckte. Der Beklagte ließ es nach Einholung der Bewilligung der Baubehörde, die mit Bescheid vom erteilt wurde, zur Gänze abtragen. Er beabsichtigt, statt dessen ein Wohn- und Geschäftshaus zu errichten. Rechtlich beurteilte das Erstgericht den von ihm festgestellten Sachverhalt dahin, daß die strittige Dienstbarkeit nicht gemäß § 1479 ABGB durch Nichtgebrauch erloschen sei, weil der Berechtigte sie noch vor dem am eingetretenen Ablauf der Frist von 30 Jahren ausgeübt habe. Dabei habe gemäß § 1482 ABGB die teilweise Ausübung genügt. Die Dienstbarkeit sei aber auch nicht nach § 1484 ABGB verjährt, weil der Kläger nicht bewiesen habe, daß innerhalb von 30 Jahren von drei Gelegenheiten, sie auszuüben, nicht Gebrauch gemacht worden sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, S 60.000,--, nicht aber S 300.000,-- übersteigt und daß die Revision gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO nicht zulässig ist. Die Frage der Verjährung der Dienstbarkeit sei nur nach § 1484 ABGB zu beurteilen. Die Eigentümer des herrschenden Grundstücks hätten zwar zwei Gelegenheiten zur Ausübung der Dienstbarkeit versäumt, weil sie zwei Baubewilligungen nicht ausgenützt hätten. Es sei jedoch die dritte Gelegenheit, die sich durch die im Jahr 1954 erteilte Baubewilligung geboten habe, ergriffen worden. Durch die Errichtung des Bauwerks auf Grund dieser Baubewilligung sei die Verjährungsfrist unterbrochen worden und habe erst nach der Abtragung des Gebäudes wieder neu zu laufen begonnen. Sie könne daher zur Zeit der Einbringung der Klage noch nicht abgelaufen gewesen sein. Daran ändere zufolge § 1482 ABGB nichts, daß die Dienstbarkeit durch die Errichtung des Bauwerks nur teilweise ausgeübt worden sei. Die Revision sei nicht zulässig, weil über keine Rechtsfragen nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zu entscheiden gewesen sei.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne des Klagebegehrens abzuändern oder es allenfalls aufzuheben und die Rechtssache zur vollständigen oder teilweisen Beweiswiederholung an das Erst- oder Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes, an dessen Ausspruch der Oberste Gerichtshof gemäß § 508 a Abs 1 ZPO nicht gebunden ist, gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig, weil zu den im folgenden behandelten Rechtsfragen eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehlt und überdies eine dieser Rechtsfragen, nämlich die Frage des Anwendungsbereiches des § 1484 ABGB, vom Kläger gemäß § 506 Abs 1 Z 5 ZPO als Grund für die Zulässigkeit der Revision angeführt wurde.

Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.

Zu klären ist zunächst das Verhältnis des § 1479 ABGB zum § 1484 dieses Gesetzes. Nach § 1479 ABGB erlöschen alle Rechte gegen einen Dritten, sie mögen den öffentlichen Büchern einverleibt sein oder nicht, in der Regel längstens durch den dreißigjährigen Nichtgebrauch oder durch ein so lange Zeit beobachtetes Stillschweigen. Nach § 1484 wird zur Verjährung solcher Rechte, die nur selten ausgeübt werden können, erfordert, daß während der Verjährungszeit von 30 Jahren von drei Gelegenheiten, ein solches Recht auszuüben, kein Gebrauch gemacht worden sei (§ 1471). § 1479 ABGB enthält somit nur die allgemeine Regel für die Verjährung von Rechten, die demnach nicht anzuwenden ist, wenn sich aus dem Gesetz etwas anderes ergibt. Abgesehen von der - hier nicht in Betracht kommenden - Verjährung nach § 1488 ABGB bei Widersetzlichkeit trifft dies aber auf § 1484 ABGB zu, zumal diese Bestimmung in einem mit § 1481 beginnenden, mit "Ausnahmen" überschriebenen Teil des ABGB enthalten ist. Rechte, die nur selten ausgeübt werden können, verjähren daher nicht schon, wenn die im § 1479 ABGB festgelegten Voraussetzungen erfüllt sind, also nicht bloß durch Nichtgebrauch oder Stillschweigen innerhalb der Verjährungszeit, sondern erst unter den im § 1484 ABGB festgelegten Voraussetzungen; dies erfordert aber, daß drei Gelegenheiten zur Ausübung bestanden.

Zu Unrecht wendet sich der Kläger gegen die Rechtsansicht der Vorinstanzen, daß Dienstbarkeiten unter § 1484 ABGB fallen können und daß dies im besonderen für die vom Beklagten in Anspruch genommene Dienstbarkeit gilt. Es ist zwar richtig, daß im § 1471 ABGB, auf den § 1484 hinweist, als Beispiele für selten ausgeübte Rechte Reallasten angeführt werden. Eine Einschränkung auf Reallasten ergibt sich aber weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zweck der beiden Bestimmungen. Klang (in Klang2 VI 589), auf den sich der Kläger in der Revision bezieht, meint ebenfalls, daß der Wortlaut des § 1471 ABGB auch Dienstbarkeiten decke. Dem wurde im Schrifttum beigepflichtet (Ehrenzweig2 I/2, 345; Schubert in Rummel, ABGB, Rz 1 zu § 1471; Mader in Schwimann, ABGB, Rz 1 zu § 1471). Auch der Oberste Gerichtshof wendete, allerdings ohne nähere Begründung, § 1471 ABGB schon auf Dienstbarkeiten an (Unterlassung des höher Bauens in GlU 1779; Unterlassung der Verbauung eines Grundstücks in 7 Ob 569/79).

§ 1471 und damit auch § 1484 ABGB gelten daher auch für Dienstbarkeiten, die nur selten ausgeübt werden können. Rechte die im Sinn dieser Gesetzesstellen nur selten ausgeübt werden können, sind solche, bei denen die Ausübungsakte in großen Zeitabständen und ganz unregelmäßig wiederkehren (Klang aaO 588 und Schubert aaO). Gerade dies trifft aber auf die hier strittige Dienstbarkeit der Duldung des Anbaues eines Gebäudes und des Zumauerns von Fenstern zu. Die Ansicht des Klägers, die Dienstbarkeit könne nur einmal ausgeübt werden, wäre nur richtig, wenn die Parteien, welche die Dienstbarkeit begründeten, dies vereinbart hätten. Daß dies hier geschah, hat der Kläger nicht behauptet, geschweige denn bewiesen. Bei der Entscheidung über die Revision hat der Oberste Gerichtshof die für die Entscheidung maßgebenden Rechtsfragen, deren Lösung erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zukommt, auch dann zu prüfen, wenn sie in der Revision nicht angeführt wurden (vgl. JBl 1985, 238 ua). Dazu gehört hier die Frage, wann im Sinn des § 1484 ABGB anzunehmen ist, daß von einer Gelegenheit, das Recht auszuüben, nicht Gebrauch gemacht worden sei. Eine Gelegenheit gilt im Sinne der angeführten Bestimmung erst dann als versäumt, wenn - konkret - nicht nur die Möglichkeit, sondern auch der Anlaß bestand, das Recht auszüben. Andernfalls würde die Bestimmung ihre Bedeutung verlieren, weil - abstrakt gesehen - immer die Möglichkeit zur Ausübung des Rechtes besteht. Bezieht sich das strittige Recht auf die Errichtung eines Bauwerks, so besteht der Anlaß, es auszuüben, erst, wenn mit der Bauführung begonnen wird, und daher solange nicht, als die Bauführung bloß beabsichtigt war oder aus anderen Gründen bloß die Voraussetzungen hiefür geschaffen werden. Wird eine erteilte Baubewilligung nicht ausgenützt, so bedeutet dies demnach entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes noch nicht, daß eine Gelegenheit zur Ausübung eines mit der Bauführung im Zusammenhang stehenden Rechtes versäumt wurde. Der Fall liegt nicht anders, wie wenn die Bauführung ohne Erteilung der Baubewilligung beabsichtigt ist.

In dem hier zu prüfenden Fall kann daher höchstens die im Jahr 1954 begonnene Bauführung dazu geführt haben, daß von der Gelegenheit, die strittige Dienstbarkeit auszüben, nicht Gebrauch gemacht wurde. Auf die Lösung der in der Revision noch behandelten Frage, ob dies der Fall war, weil bei Errichtung des Bauwerks keine Fenster zugemauert wurden, kommt es also nicht an. Selbst dann wäre die Dienstbarkeit nämlich noch nicht erloschen, weil zwei weitere Gelegenheiten zur Ausübung versäumt hätten werden müssen. Da die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes von der Lösung der angeführten Frage nicht abhängt, ist es nicht notwendig und im übrigen auch nicht zulässig, hiezu und zu den Revisionsausführungen, die sich darauf beziehen, Stellung zu nehmen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 41 und § 50 ZPO.