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VfGH vom 25.02.2008, B1622/06

VfGH vom 25.02.2008, B1622/06

Sammlungsnummer

18335

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Untersagung der Errichtung eines Geräteschuppens wegen Widerspruchs zum Bebauungsplan; keine Derogation und kein Außer-Kraft-Treten dieses Bebauungsplans mangels Kundmachung späterer Gemeinderatsbeschlüsse sowie mangels Erlassung eines neuen oder geänderten Flächenwidmungsplanes trotz Anpassungsverpflichtung des Verordnungsgebers

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin des Grundstückes

Nr. 354/1, KG Zirl. Sie zeigte der Baubehörde die Errichtung eines Geräteschuppens an der Grundgrenze an. Wegen Widerspruchs zum Allgemeinen Bebauungsplan Franz-Plattner-Straße Süd 1997 wurde die Ausführung des Bauvorhabens untersagt. Die dagegen erhobene Berufung wies der Gemeindevorstand ab. Mit Bescheid vom gab die Tiroler Landesregierung der Vorstellung der Beschwerdeführerin Folge und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeindevorstand. In der Begründung führte die Landesregierung aus, der Bebauungsplan 1997 sei nicht kundgemacht worden, weshalb sich die Gemeinde zu Unrecht auf diesen bezogen habe. In der Folge holte der Gemeindevorstand ein raumplanungsfachliches Gutachten zur Verträglichkeit des Bauprojektes mit dem Bebauungsplan 1987 ein. Der Raumplaner stellte in seinem Gutachten fest, dass der Bebauungsplan 1987 einen Verbindungsweg zwischen der Franz-Plattner-Straße und dem Freiungweg mit beiderseits der Grundstücksgrenzen verlaufenden Straßenfluchtlinien im Abstand von je 3 m vorsehen würde. Mit Bescheid vom wies der Gemeindevorstand die Berufung der Beschwerdeführerin neuerlich ab, weil einerseits der geplante Geräteschuppen vor der derzeit gültigen Straßenfluchtlinie situiert sei und andererseits nicht unter die gemäß § 5 Abs 3 der Tiroler Bauordnung 2001 (in der Folge: TBO 2001) vor der Baufluchtlinie zulässigen baulichen Anlagen und Bauteile falle. Die dagegen erhobene Vorstellung wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid ab. In der Begründung führte sie zunächst aus, dass der Untersagungsbescheid rechtzeitig erlassen worden sei. Zu den Ausführungen der Beschwerdeführerin, dass sich die Behörde bei ihrer Entscheidung auf eine nicht mehr existierende Verordnung aus dem Jahre 1987 gestützt habe, da diese durch den Beschluss des Bebauungsplans aus dem Jahre 1997 außer Kraft getreten sei, wies die belangte Behörde darauf hin, dass der Bebauungsplan aus dem Jahr 1997 niemals in Kraft getreten sei, da er nicht ordnungsgemäß kundgemacht worden sei.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) und auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung gesetzwidriger Verordnungen behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

Die Beschwerde verweist auf die Bestimmung des § 107 Tiroler Raumordnungsgesetz 2001 (in der Folge: TROG 2001), wonach jede Gemeinde bis zum ein örtliches Raumordnungskonzept zu beschließen und innerhalb von zwei Jahren nach dem In-Kraft-Treten des örtlichen Raumordnungskonzeptes den Flächenwidmungsplan neu zu erlassen oder den bestehenden Flächenwidmungsplan zu ändern hat. Gemäß § 112 Abs 1 TROG 2001 treten die bestehenden Bebauungspläne spätestens drei Jahre nach dem In-Kraft-Treten des neuen oder geänderten Flächenwidmungsplanes außer Kraft. Der Bebauungsplan 1987 sei daher mangels zeitgerechter Erlassung eines Flächenwidmungsplanes außer Kraft getreten.

Schließlich wird vorgebracht, dass der Bedarf nach der Festlegung einer Verkehrsfläche schon seit mehr als 19 Jahren weggefallen sei. Es existiere auch in der Natur keine Gemeindestraße. Damit werde eine Raumplanungsmaßnahme ohne Rücksicht auf den Bestand und ohne Grundlagenforschung verfügt.

Außerdem sei der Beschwerdeführerin ein Sonderopfer auferlegt worden, wenn man bedenke, dass die Liegenschaft nur ein Ausmaß von 593 m² habe. Schließlich werden - unsubstantiiert - Verfahrensmängel bei der Erlassung des Bebauungsplanes sowie Bedenken ob der ausreichenden Bestimmtheit des Plans vorgebracht.

Die Beschwerdeführerin regt an, den "geltenden Flächenwidmungsplan" teilweise und den Bebauungsplan 1987 aufzuheben bzw. feststellen, dass die erstgenannte Verordnung gesetzwidrig war.

Der Gleichheitsgrundsatz sei durch denkunmögliche Gesetzesanwendung verletzt worden, das Eigentumsrecht durch einen unzulässigen Eingriff in die Baufreiheit.

3. Die Marktgemeinde Zirl legte die Akten betreffend das Zustandekommen des Bebauungsplanes 1987 vor.

4. Die Tiroler Landesregierung erstattete eine Gegenschrift, in der sie darauf hinweist, dass der Gesamtflächenwidmungsplan mangels aufsichtsbehördlicher Bewilligung noch nicht in Kraft getreten sei; daraus lasse sich in Verbindung mit § 107 Abs 1 TROG 2001 ein automatisches Außer-Kraft-Treten des Bebauungsplanes nicht ableiten, da eine allfällige Rechtsfolge für ein verspätetes In-Kraft-Treten des Flächenwidmungsplanes im § 107 Abs 1 TROG 2001 nicht verankert sei, sondern lediglich eine zeitliche Frist für das Außer-Kraft-Treten von Bebauungsplänen nach dem TROG 1984, nämlich drei Jahre nach In-Kraft-Treten des Flächenwidmungsplanes festgelegt worden sei. Zum Bebauungsplan 1987 bringt die belangte Behörde vor, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass von Seiten der Aufsichtsbehörde eine Interessenabwägung vorgenommen worden sei und weiters ergänzende Informationen zu der Entscheidungsfindung eingeholt worden seien, könne nicht von einer völligen Missachtung von bestehenden Verhältnissen gesprochen werden.

II. Die Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. § 22 Abs 1 bis 3 TBO 2001, LGBl. 94, lautet:

"§22

Bauanzeige

"(1) Die Bauanzeige ist bei der Behörde schriftlich einzubringen.

(2) Der Bauanzeige sind die Planunterlagen (§23) in zweifacher Ausfertigung anzuschließen. Ist die Bauanzeige unvollständig, so hat die Behörde dem Bauwerber unter Setzung einer höchstens zweiwöchigen Frist die Behebung dieses Mangels aufzutragen. Wird diesem Auftrag nicht entsprochen, so ist die Bauanzeige mit schriftlichem Bescheid zurückzuweisen.

(3) Die Behörde hat das angezeigte Bauvorhaben zu prüfen. Ergibt sich dabei, dass das angezeigte Bauvorhaben bewilligungspflichtig ist, so hat die Behörde dies innerhalb von zwei Monaten nach Vorliegen der vollständigen Bauanzeige mit schriftlichem Bescheid festzustellen. Ist das angezeigte Bauvorhaben nach den bau- oder raumordnungsrechtlichen Vorschriften unzulässig oder liegt im Fall einer umfassenden Sanierung eines Gebäudes mit einer Nettogrundfläche von mehr als 1.000 m² der Energieausweis nicht vor, so hat die Behörde die Ausführung des Vorhabens innerhalb derselben Frist mit schriftlichem Bescheid zu untersagen. Besteht Grund zur Annahme, dass ein solcher Feststellungs- oder Untersagungsbescheid nicht fristgerecht rechtswirksam zugestellt werden kann, so hat ihn die Behörde nach § 23 des Zustellgesetzes ohne vorhergehenden Zustellversuch zu hinterlegen.

..."

2. § 56 Abs 1, § 53 Abs 1, § 107 Abs 1 und § 112 Abs 1 TROG 2001, LGBl. 93, lauten:

"§56

Inhalte

(1) Im allgemeinen Bebauungsplan sind hinsichtlich der verkehrsmäßigen Erschließung die Straßenfluchtlinien (§58) der Straßen nach § 53 Abs 1 und hinsichtlich der Bebauung die Mindestbaudichten (§61) festzulegen. Im allgemeinen Bebauungsplan können weiters die Bauweisen (§60) festgelegt werden.

...

§53

Verkehrsflächen

(1) Im Flächenwidmungsplan ist der Verlauf jener Straßen festzulegen, die

a) für den örtlichen Verkehr der Gemeinde oder größerer Teile der Gemeinde,

b) für die Herstellung der Verbindung zwischen benachbarten Gemeinden oder zwischen größeren Teilen der Gemeinde oder

c) für die in einem örtlichen Raumordnungsinteresse der Gemeinde gelegenen Erschließungen, insbesondere für die Haupterschließung des Baulandes, noch erforderlich sind.

...

§107

Örtliche Raumordnungskonzepte, bestehende Flächenwidmungspläne,
anhängige Verfahren

(1) Jede Gemeinde hat bis zum , die Stadt Innsbruck bis zum , ein örtliches Raumordnungskonzept zu beschließen und der Landesregierung zur aufsichtsbehördlichen Genehmigung vorzulegen. Jede Gemeinde hat weiters innerhalb von zwei Jahren nach dem In-Kraft-Treten des örtlichen Raumordnungskonzeptes den Flächenwidmungsplan neu zu erlassen oder den bestehenden Flächenwidmungsplan zu ändern, soweit dies zur Vermeidung von Widersprüchen zu den Zielen der örtlichen Raumordnung nach diesem Gesetz und zu den Festlegungen des örtlichen Raumordnungskonzeptes erforderlich ist. Im Fall des § 111 hat die Gemeinde innerhalb dieser Frist einen Flächenwidmungsplan erstmalig zu erlassen.

...

§112

Bebauungspläne

(1) Die im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens dieses Gesetzes bestehenden Bebauungspläne nach § 18 des Tiroler Raumordnungsgesetzes 1984 dürfen nicht mehr geändert werden. Sie treten mit der Erlassung des allgemeinen Bebauungsplanes für die betreffenden Grundflächen, spätestens jedoch drei Jahre nach dem In-Kraft-Treten des neuen oder geänderten Flächenwidmungsplanes nach § 107 Abs 1 zweiter Satz, außer Kraft. Bis dahin ist auf die Festlegungen solcher Bebauungspläne, soweit sie nicht im Widerspruch zu den Bestimmungen dieses Gesetzes stehen, im Bauverfahren Bedacht zu nehmen.

..."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zum behaupteten Außerkrafttreten des Bebauungsplanes 1987:

Die Beschwerde bringt vor, durch die Gemeinderatsbeschlüsse vom und sei dem Bebauungsplan 1987 derogiert worden. Unbestritten steht fest, dass eine Kundmachung des Bebauungsplanes 1997 nicht aufgefunden werden konnte. Die genannten Gemeinderatsbeschlüsse sind weder kundgemacht worden noch sind sie auf andere Weise zu Tage getreten, dass ihnen jenes Mindestmaß an Publizität zukäme, welches erforderlich wäre, sie als Verordnung mit einem früheren Bebauungsplan derogierender Wirkung zu qualifizieren. Der Bebauungsplan 1987 gehörte daher zum Zeitpunkt der Entscheidung der Berufungsbehörde dem Rechtsbestand an.

Es trifft außerdem das Vorbringen in der Beschwerde nicht zu, dass der Bebauungsplan 1987 gemäß § 112 Abs 1 TROG 2001 außer Kraft getreten ist. § 107 Abs 1 TROG 2001 verpflichtet zwar die Gemeinde, bis zum ein örtliches Raumordnungskonzept und innerhalb von zwei Jahren nach In-Kraft-Treten des örtlichen Raumordnungskonzeptes den Flächenwidmungsplan neu zu erlassen oder den bestehenden Flächenwidmungsplan zu ändern. Wenn die Gemeinde innerhalb von zwei Jahren nach dem In-Kraft-Treten des örtlichen Raumordnungskonzeptes noch keinen Flächenwidmungsplan erlassen hat, beginnt die dreijährige Frist gemäß § 112 Abs 1 TROG 2001 nicht schon ab diesem Zeitpunkt zu laufen, sondern erst nach der - wenn auch verspäteten - Erlassung oder Änderung des Flächenwidmungsplanes, da der Wortlaut des § 112 Abs 1 zweiter Satz TROG 2001 auf das tatsächliche In-Kraft-Treten des Flächenwidmungsplanes und nicht auf das hypothetische Ablaufen der gesetzlichen Frist des § 107 Abs 1 zweiter Satz TROG 2001 abstellt.

Die Baubehörden haben daher zu Recht ihrer Entscheidung den Bebauungsplan 1987 zugrunde gelegt, zumal der Bebauungsplan 2006 zum Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides noch nicht dem Rechtsbestand angehörte.

Was den Vorwurf der fehlenden Grundlagenforschung betrifft, so ergibt sich aus den Verwaltungsakten, dass bereits im Teilbebauungsplan "Unteres Estrichfeld" aus dem Jahr 1964 und dem Verbauungsplan Zirl aus dem Jahr 1969 eine durchgehende Verkehrsverbindung Franz-Plattner-Straße - Freiungweg vorgesehen war und im Gesamtbebauungsplan 1980 mit einer Straßenbreite von 7,50 m festgelegt wurde, wobei diese Verkehrsfläche als Anliegerstraße mit Sammelfunktion bewertet wurde. Im Bebauungsplan 1987 wurde diese Verkehrsfläche nicht neu ausgewiesen, sondern nur - in einer (von der Beschwerdeführerin beantragten) geringeren Breite, nämlich 6 m - fortgeschrieben. Die Erschließung des bestehenden Wohngebietes durch vffentliche Verkehrsflächen liegt ebenso im planerischen Gestaltungsspielraum der Gemeinde wie die - in concreto mit 6 m - festgelegte Breite der Verkehrsfläche. Dass die Verkehrsfläche bisher nicht hergestellt wurde, vermag an der Gesetzmäßigkeit der Festlegung der Straßenfluchtlinien im Bebauungsplan 1987 nichts zu ändern.

Der Vorwurf der Beschwerde, der Bebauungsplan 1987 sei nicht hinreichend bestimmt, ist angesichts der aus dem Plan ersichtlichen Straßenfluchtlinien und der Kotierung der Straßenbreite nicht nachvollziehbar.

Der Verfassungsgerichtshof hegt daher keine Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit des Bebauungsplanes 1987.

2. Es kann dahin gestellt bleiben, ob die - unsubstantiiert - vorgebrachten Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit des "geltenden Flächenwidmungsplanes" zutreffen. Denn der Flächenwidmungsplan wurde von der Baubehörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht angewendet und war von der Baubehörde auch nicht anzuwenden.

3. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass die Beschwerdeführerin in von ihr nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass sie in ihren Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen und gemäß Art 144 Abs 3 B-VG antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Fundstelle(n):
DAAAD-86020