TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 14.11.2017, 10ObS135/17a

OGH vom 14.11.2017, 10ObS135/17a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Gabriele Griehsel (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch Mag. Gerhard Eigner, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 50/17k24, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 17 Cgs 59/16d20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, dass das Ersturteil unter Einschluss des bereits in Rechtskraft erwachsenen Teils zu lauten hat wie folgt:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger für die Folgen seiner Berufskrankheit (Erkrankungen durch Benzol oder seine Homologen oder durch Styrol, lfd Nr 9 der Anlage 1 zum ASVG) eine Versehrtenrente als Dauerrente im Ausmaß von 100 % der Vollrente ab und von 60 % der Vollrente ab im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren.

2. Es wird festgestellt, dass die Versehrtenrente aufgrund des gleichzeitigen Bezugs von Barleistungen aus der Krankenversicherung (Krankengeld und Rehabilitationsgeld) nicht ruht.

3. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen zu Handen des Klagevertreters die mit 865,18 EUR (darin 144,20 EUR USt) bestimmen Kosten des Verfahrens zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen zu Handen des Klagevertreters die mit 609,67 EUR (darin enthalten 101,61 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 418,78 EUR (darin enthalten 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob ein Ruhen der Versehrtenrente bei gleichzeitigem Bezug von Rehabilitationsgeld eintritt.

Der Kläger war seit 1991 als KFZ-Mechaniker beschäftigt. Seine Arbeitsunfähigkeit im Zeitraum vom bis war Folge der von der beklagten Partei späterhin anerkannten Berufskrankheit (Erkrankungen durch Benzol oder seine Homologen oder durch Styrol) gemäß Anlage 1 zu § 177 ASVG lfd Nr 9. Der Kläger bezog von bis Krankengeld in Höhe von 87,09 EUR brutto täglich. Seit bezog er Rehabilitationsgeld in derselben Höhe. Nach Beendigung seines Dienstverhältnisses am bezog er von Juli bis November 2015 aufgrund der Urlaubsersatzleistung nur 43,54 EUR täglich an Rehabilitationsgeld. Die Berufskrankheit des Klägers wurde erstmals am gemeldet.

Mit Bescheid vom anerkannte die beklagte Partei die Erkrankung des Klägers als Berufskrankheit Nr 9 der Anlage 1 zu § 177 ASVG, setzte als Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles den fest und sprach dem Kläger ab (Zeitpunkt der Meldung der Berufskrankheit) eine Dauerrente von 100 % der Vollrente samt Zusatzrente sowie ab von 50 % der Zusatzrente zu. Als Ruhensbetrag zog die beklagte Partei das vom Kläger bezogene Rehabilitationsgeld mit der Begründung „Barleistung aus der Krankenversicherung“ ab.

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Versehrtenrente von 100 % ab sowie von 60 % ab jeweils mit Zusatzrente und ohne Abzug eines „Ruhensbetrages“. Hätte ein noch im Erwerbsleben stehender Versicherter oder der Bezieher einer (un-)befristeten Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension Anspruch auf Versehrtenrente, würde kein Ruhen im Sinn des § 90a ASVG eintreten.

Die beklagte Partei stellte im Laufe des Gerichtsverfahrens eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 % ab außer Streit. Im Übrigen wendete sie ein, dass während des Bezugs von Rehabilitationsgeldes, das den Krankengeldbezug zum Ruhen bringe (§ 90a ASVG), auch der Anspruch auf Versehrtenrente bis zur Höhe des Krankengeldbezugs ruhe. Das Rehabilitationsgeld gebühre in Höhe des Krankengeldes. Systematisch sei das Rehabilitationsgeld der Krankenversicherung zugeordnet und erfülle denselben Zweck wie das (ruhende) Krankengeld. Der fiktive Krankengeldbezug sei daher berechtigterweise von der Versehrtenrente des Klägers in Abzug gebracht worden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren hinsichtlich der Versehrtenrente von 60 % ab statt und wies das Mehrbegehren, die Versehrtenrente ohne Abzug eines Ruhensbetrages zu bezahlen, ab. Der Krankengeldanspruch des Klägers in der Dauer von 52 Wochen sei durch den Krankengeldbezug von bis noch nicht erschöpft gewesen, als dieser Anspruch ab durch Bezug des Rehabilitationsgeldes zum Ruhen gekommen sei. Aufgrund des fortdauernden Bezuges des Rehabilitationsgeldes bestehe seither ein ruhender Anspruch auf Krankengeld. Da die Arbeitsunfähigkeit des Klägers im Jahr 2013 Folge der Berufskrankheit gewesen sei, ruhe die Versehrtenrente mit dem Betrag des fiktiven Krankengeldes.

Das Berufungsgericht gab der gegen die Abweisung des Mehrbegehrens gerichteten Berufung des Klägers nicht Folge und billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts. Wenngleich das Krankengeld nur befristet für maximal 52 Wochen gewährt werde, wirke die Ruhensbestimmung über die 52 Wochen hinaus, weil das Rehabilitationsgeld so lange gebühre, als die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Eine Begrenzung ergebe sich durch den Entfall von Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit oder Zumutbarkeit der Maßnahmen. Ein automatisches Ende des Ruhens nach 52 Wochen lasse sich dem Wortlaut des § 90a iVm § 143a Abs 3 ASVG nicht entnehmen, vielmehr seien Zeiten des Ruhens auf die Höchstdauer des Krankengeldanspruchs nicht anzurechnen. Entscheidend sei der Zeitpunkt der Antragstellung auf Gewährung einer Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension. Sei der Krankengeldanspruch bereits erschöpft, könne er durch Gewährung von Rehabilitationsgeld aufgrund von Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation im Rahmen des Pensionsverfahrens nicht mehr zum Ruhen gebracht werden; in diesem Fall greife § 90a ASVG nicht. Dieses unterschiedliche Ergebnis je nach dem Zeitpunkt der Antragstellung stelle keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes und auch keinen der Verfassung widersprechenden Eingriff in das Eigentumsrecht dar. Der Gesetzgeber überschreite den ihm eingeräumten Gestaltungsspielraum nicht, wenn er für eine Zeit die Versehrtenrente sistiere, in der die Versorgung des Versicherten durch das Krankengeld bzw das Rehabilitationsgeld in anderer Weise sichergestellt sei. Bei Beurteilung, ob ein gleichzeitiger Bezug von Rehabilitationsgeld und Versehrtenrente vom Gesetzgeber gewollt sei, sei die Funktion des Rehabilitationsgeldes von besonderer Bedeutung. Der Unterschied zur früheren befristeten Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitspension liege in der Nähe zur Krankenversicherung. Das Rehabilitationsgeld sei mit der Durchführung von Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation verbunden, die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit sei an sich Aufgabe der Krankenversicherung. Auch der Höhe nach entspreche das Rehabilitationsgeld dem Krankengeld. Es sei nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber einen Parallelbezug der Versehrtenrente und eines – als Rehabilitationsgeld bezeichneten – Anspruchs in Höhe des Krankengeldes gewollt habe, obwohl er gleichzeitig ein Ruhen der Versehrtenrente bei einem Krankengeldanspruch normiert habe. Damit stehe in Einklang, dass der sozialpolitische Zweck des Rehabilitationsgeldes und des Krankengeldes gleichartig sei. Diese Überlegungen rechtfertigen auch unter Berücksichtigung des Mischcharakters des Rehabilitationsgeldes die Anwendung des § 90a ASVG auf die Fälle des Zusammentreffens von Rehabilitationsgeld mit einer Versehrtenrente, sodass von einem Ruhen der Versehrtenrente während des Bezugs von Rehabilitationsgeld auszugehen sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision wegen des Fehlens von Rechtsprechung zum gleichzeitigen Bezug einer Versehrtenrente und von Rehabilitationsgeld, das einem Krankengeldanspruch zum Ruhen gebracht habe, zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist auch berechtigt.

1.1 Ein Ausgangspunkt der Ruhensbestimmungen ist ganz allgemein, dass wegen der Gliederung der Sozialversicherung in mehrere selbständige Versicherungszweige Ansprüche auf Leistungen getrennt erwachsen und sich häufen können, die von ihrer Zweckbestimmung her gleich ausgerichtet sind. Eine sich daraus ergebende Kumulierung von Leistungen kann auf der einen Seite dazu dienen, als unzureichend angesehene Leistungen aus einem Bereich durch Leistungen aus einem anderen Bereich auf ein insgesamt ausreichendes Ausmaß aufzustocken. Auf der anderen Seite kann eine Kumulierung aber auch zu einer Gesamthöhe der Bezüge führen, die sozialpolitisch unerwünscht ist, weil der Empfänger weit mehr erhält, als ihm die Sozialversicherung von ihrem Grundgedanken her verschaffen soll. In diesen Fällen dienen die Ruhensbestimmungen der Vermeidung einer sozialpolitisch unerwünschten „Übersicherung“ durch einen Doppelbezug von Leistungen mit gleicher Zweckbestimmung (10 ObS 56/99d, SSV-NF 13/37).

1.2 Handelt es sich um unterschiedliche Versicherungsfälle, ist grundsätzlich vom Recht auf kumulierten Leistungsbezug auszugehen. So gebühren etwa die Versehrtenrente aus der Unfallversicherung und die (dauernde) Invaliditätspension/Berufsunfähigkeitspension aus der Pensionsversicherung nebeneinander.

1.3 Für das Verhältnis von Krankengeld zur Versehrtenrente wird das Kumulierungsprinzip zufolge der Funktionsidentität der Leistungen jedoch nicht aufrechterhalten. So sieht § 90a ASVG im Deckungsbereich grundsätzlich ein Ruhen vor (Binder,Zusammentreffen von Pensionsleistung und Krankengeld, DRdA 2000, 130 [131]).

2.1 Zuerst ist auf die vom Berufungsgericht als erheblich im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO angesehene Frage des Ruhens der Versehrtenrente bei Bezug von Rehabilitationsgeld und dadurch bedingtem Ruhen des Krankengeldanspruchs und die dafür relevanten Bestimmungen einzugehen:

2.2 Die Dauer des Krankengeldanspruchs ergibt sich aus § 139 Abs 1 ASVG für ein und denselben Versicherungsfall mit 26 Wochen (wie unstrittig im vorliegenden Fall) bzw mit 52 Wochen, wenn der (die) Anspruchsberechtigte innerhalb der letzten zwölf Monate vor dem Eintritt des Versicherungsfalls mindestens sechs Monate in der Krankenversicherung versichert war.

2.3 Die Versehrtenrente ist – wie die übrigen Leistungen der Unfallversicherung – gegenüber den Leistungen der Krankenversicherung nachrangig. Nach § 204 Abs 1 ASVG fällt eine Versehrtenrente aus der Unfallversicherung für eine durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit verursachte Arbeitsunfähigkeit bei Bestehen eines Krankengeldanspruchs erst nach Wegfall des Krankengeldbezuges, spätestens mit der 27. Woche nach dem Eintritt des Versicherungsfalles an (Tarmann-Prentner in Sonntag, ASVG8 § 204Rz 1). Erst mit dem Anfall der Versehrtenrente nach einem halben Jahr nach dem Unfallereignis bzw dem Beginn der Berufskrankheit kann es somit zu einem Zusammentreffen von Krankengeld und Versehrtenrente und damit zur Anwendbarkeit der Ruhensbestimmung des § 90a ASVG kommen (Atria in Sonntag, ASVG8 § 90a Rz 3; Schramm in SV-Komm [127. Lfg] § 90a ASVG Rz 3).

2.4.1 § 90a Abs 1 ASVG dient dem Zweck, einen Doppelbezug von Krankengeld und Versehrtenrente für den Zeitraum von der 27. bis zur 52. Woche auszuschließen. Trifft nach § 90a Abs 1 ASVG (in der seit in Kraft getretenen Fassung des Wiedereingliederungsteilzeitgesetzes BGBl I 2017/30) der Bezug von Krankengeld (oder von Wiedereingliederungsgeld oder einer Unterstützungsleistung bei lang andauernder Krankheit nach § 104c GSVG) mit einem Anspruch auf Versehrtenrente aus der Unfallversicherung zusammen, so ruht, wenn die Arbeitsunfähigkeit Folge des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit ist, die Versehrtenrente für die weitere Dauer des Bezugs von Krankengeld (oder Wiedereingliederungsgeld oder einer Unterstützungsleistung) mit dem Betrag des Krankengeldes (des Wiedereingliederungsgeldes oder der Unterstützungsleistung). Hiebei sind der Bezug von Versehrtengeld dem Anspruch auf Versehrtenrente und die Zeit, für die nach § 138 Abs 1 Anspruch auf Krankengeld nicht besteht, sowie ein ruhender Anspruch auf Krankengeld (oder Unterstützungsleistung) dem Bezug des Krankengeldes (oder der Unterstützungsleistung) gleichzuhalten (§ 90a Abs 1 zweiter Halbsatz ASVG). Ein Ruhen der Versehrtenrente nach § 90a Abs 1 zweiter Halbsatz ASVG tritt somit auch dann ein, wenn ein Anspruch von Krankengeld aus welchem Grund auch immer – etwa infolge des Bezugs einer Urlaubsersatzleistung (RIS-Justiz RS0107809) – ruht.

2.4.2 § 90 ASVG regelt das Zusammentreffen eines Pensionsanspruchs aus eigener Pensionsversicherung (ausgenommen ein Anspruch auf Teil- oder Alterspension) mit einem Anspruch auf Krankengeld. Treffen diese beiden Ansprüche zusammen, so ruht der Pensionsanspruch für die weitere Dauer des Krankengeldanspruchs mit dem Betrag des Krankengeldes.

2.4.3 Bei einem Zusammentreffen von Pensionsanspruch, Krankengeldbezug und Versehrtenrente kommen die Ruhensbestimmungen des § 90 und des § 90a ASVG nebeneinander zur Anwendung. Gemäß § 95 Abs 2 ASVG ruht bei Vorliegen der normierten Voraussetzungen die Versehrtenrente (§ 90a ASVG) im Ausmaß des Krankengeldbezugs; außerdem kommt es zu einer Kürzung des Pensionsanspruchs (§ 90 ASVG); diese Kürzung (Ruhen) ist jedoch auf den Unterschiedsbetrag zwischen der (ruhenden) Versehrtenrente und dem höheren Krankengeld beschränkt (§ 95 Abs 2 Satzteil 2 ASVG; Schramm in ASVG-Komm [184. Lfg] §§ 96, 97 ASVG, Rz 4).

2.5 Für den hier (auch) relevanten Fall des Zusammentreffens eines Anspruchs auf Rehabilitationsgeld mit einem Anspruch auf Krankengeld sieht § 143a Abs 3 Satz 2 ASVG ein Ruhen des Anspruchs auf Krankengeld aus einer für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes maßgeblichen Erwerbstätigkeit vor. Auch § 90a ASVG und § 143a Abs 3 Satz 2 ASVG gelangen nebeneinander zur Anwendung, woraus folgt, dass ein Ruhen der Versehrtenrente gemäß § 90a Abs 1 ASVG auch beim Ruhen eines Krankengeldanspruchs wegen eines Rehabilitationsgeldbezugs eintritt.

3. Aus diesen Bestimmungen lässt sich für den vorliegenden Fall Folgendes ableiten:

Da der Krankengeldanspruch des Klägers in der (unstrittig gebliebenen) Höchstdauer von 52 Wochen durch den Bezug des Krankengeldes bis noch nicht ausgeschöpft war, wurde er durch die Auszahlung des Rehabilitationsgeldes ab gemäß § 143a Abs 3 Satz 2 ASVG zum Ruhen gebracht. Nach § 90a ASVG ist der ruhende Krankengeldanspruch dem Bezug des Krankengeldes gleichzuhalten. Wie sich aus dem Sinnzusammenhang des ersten und zweiten Halbsatzes des § 90a Abs 1 ASVG ergibt, bezieht sich die Gleichhaltung aber lediglich auf die weitere Dauer des Bezugs (bzw des fiktiven Bezugs des ruhenden) Krankengeldes. Im vorliegenden Fall endete der (ruhende) Krankengeldanspruch mit Ablauf der 52. Woche, somit jedenfalls noch im Jahr 2014. Demnach konnte im Hinblick auf den Anfall der Versehrtenrente erst mit (dem Datum der erstmaligen Meldung der Berufskrankheit § 86 Abs 4 Satz 1 ASVG) mangels zeitlicher Überschneidung bzw Vorhandensein eines Deckungsbereichs ein Ruhen der Versehrtenrente nach § 90a Abs 1 2. Halbsatz ASVG infolge des Bezugs von Krankengeld nicht eintreten. Über die Dauer des mit maximal 52 Wochen befristeten Krankengeldanspruchs hinaus zeitigt die Ruhensbestimmung des § 90a Abs 1 2. Satz ASVG keine Wirkung. Daran ändert auch nichts, dass sich die Bezugsdauer des Krankengeldes anschließend an den Bezug von Rehabilitationsgeld entsprechend verlängert (§ 143a Abs 3 2. Satz ASVG), also nach dem Ende des Rehabilitationsgeldbezugs die restliche Anspruchsdauer weiterläuft, sofern Arbeitsunfähigkeit weiter besteht (ErläutRV 321 BlgNR 25. GP 5).

4. Dem Standpunkt, ein gleichzeitiger Bezug von Rehabilitationsgeld und Versehrtenrente stelle (dennoch) eine vom Gesetzgeber nach § 90a ASVG nicht gewollte Doppelversorgung dar, die zum Ruhen der Versehrtenrente führe, ist entgegenzuhalten, dass keine gesetzliche Regelung besteht, in der ein Ruhen der aus der Unfallversicherung gewährten Versehrtenrente bei Bezug von Rehabilitationsgeld angeordnet wird (ausgenommen bei dadurch bedingtem Ruhen des Krankengeldanspruchs in § 90a Abs 1 ASVG für die Dauer des Krankengeldbezugs – siehe oben Pkt 2.4.1 und 2.4.2).

5. § 90a Abs 1 ASVG kann auch nicht dahin verstanden werden, dass unter den als Ruhenstatbestand genannten Bezug von Krankengeld auch der Bezug von Rehabilitationsgeld (nach Ende eines Krankengeldanspruchs) fällt.

5.1 Dass es sich beim Rehabilitationsgeld um eine Leistung aus einem vom Versicherungsfall der Krankheit unterschiedlichen Versicherungsfall handelt, ergibt sich
– trotz der vordergründigen Ähnlichkeit des Rehabilitationsgeldes mit dem

Krankengeld – aus § 117 Z 3 ASVG, mit dem der Gesetzgeber beiden Leistungen unterschiedliche Versicherungsfälle zugrunde gelegt hat. Das soziale Risiko, das durch die Gewährung von

Rehabilitationsgeld abgefangen werden soll, unterscheidet sich von jenem, das die Gewährung von Krankengeld abfedern soll.

Krankengeld schützt den Versicherten vor dem drohenden Entgeltverlust bei länger dauernder Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit nach dem Auslaufen der arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlung (§ 8 Abs 1 AngG,§ 2 Abs 1 EFZG; „Lohnersatzfunktion“, Felten in Tomandl, SV-System [28. ErgLfg] 2.2.4.2.A).

Rehabilitationsgeld schützt den Pensionswerber hingegen vor jenem Entgeltverlust, der ihm ungeachtet der vorübergehenden Invalidität (Berufsunfähigkeit) schon deshalb drohen kann, weil er sich Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation zu unterziehen hat (10 ObS 160/16a).

5.2 Wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, ist das

Rehabilitationsgeld an der Schnittstelle von Kranken- und Pensionsversicherung angesiedelt. Wenngleich die Absicht des österreichischen Gesetzgebers dahin geht, das

Rehabilitationsgeld prinzipiell als Leistung bei Krankheit zu qualifizieren, gibt es bedeutende Berührungspunkte mit der Pensionsversicherung. So ist der Anspruch auf Rehabilitationsgeld auch vom Erwerb von Pensionsversicherungszeiten abhängig; das Rehabilitationsgeld wird indirekt durch Beiträge zur Pensionsversicherung finanziert, weil es zwar von den Krankenversicherungsträgern ausgezahlt wird, die Pensionsversicherungsträger diesen aber die dadurch entstandenen Kosten zu ersetzen haben (§ 143c ASVG). Das

Rehabilitationsgeld stellt daher zugleich eine Gegenleistung für die vom Versicherten in Österreich entrichteten Pensionsversicherungsbeiträge dar (10 ObS 122/16p; 10 ObS 133/15d). Ist das

Rehabilitationsgeld somit als Leistung mit Sondercharakter bzw als „Mischleistung“ oder „Mischkonstruktion“ zwischen Kranken- und Pensionsversicherung anzusehen (Pfeil, DRdA 2013, 373; 10 ObS 122/16p mwH), kommt eine Subsumierung unter den Begriff des Krankengeldes in § 90a ASVG bzw eine Gleichsetzung mit diesem Begriff nicht in Betracht.

6.1 Eine über den Wortlaut hinausgehende Anwendung einer Rechtsnorm – im vorliegenden Fall die Anwendung des § 90a ASVG auch auf den Anspruch bzw den Bezug von Rehabilitationsgeld – wäre demnach nur im Wege einer Analogie möglich. Diese setzt eine Lücke, also eine planwidrige Unvollständigkeit der rechtlichen Regelung voraus. Das Gesetz ist in solchen Fällen angesichts seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie als unvollständig zu betrachten, ohne dass seine Ergänzung einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht (RIS-Justiz RS0008866).

6.2 Nach der bisherigen Rechtsprechung verbietet sich jedoch bei Bestimmungen, die das Ruhen eines erworbenen Leistungsanspruchs anordnen (wie im vorliegenden Fall § 90a ASVG), eine ausdehnende Auslegung (RIS-Justiz RS0086755). Ausnahmebestimmungen sind im Allgemeinen nicht ausdehnend auszulegen (RIS-Justiz RS0008903).

7.1 Ganz allgemein ist hier keine Gesetzeslücke, also eine planwidrige Unvollständigkeit der rechtlichen Regelung erkennbar, die erst dem Weg zu einer analogen Anwendung des § 90a ASVG auf das Rehabilitationsgeld frei machen würde.

7.2 Dass eine Regelung, die eine der Prozessparteien als sozialpolitisch wünschenswert empfindet, vom Gesetzgeber nicht vorgesehen wurde, bedeutet noch keine Gesetzeslücke, die durch Analogie zu schließen wäre (RISJustiz RS0008859). Insbesondere ist es nicht Sache der Gerichte, Aspekte zu berücksichtigen, die den Gesetzgeber des § 90a ASVG trotz dessen jüngster Novellierung (BGBl I 2017/30) bisher nicht veranlasst haben, eine Gesetzesänderung vorzunehmen (siehe auch die Stellungnahme der Wirtschaftskammer Österreichs zum Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2012-SVÄG 2012, in der bereits im Jahr 2012 darauf hingewiesen wurde, dass das Rehabilitationsgeld – als „erweitertes“ Krankengeld – über § 90a ASVG hinaus um die notwendigen Anrechnungsbestimmungen zu ergänzen sein werde – 15/SN399/ME 24. GP, 7).

7.3 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass bei Zusammentreffen eines Anspruchs auf Versehrtenrente mit einem Rehabilitationsgeldanspruch und einem Krankengeldanspruch die Versehrtenrente – sofern die Arbeitsunfähigkeit Folge des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit ist – für die Dauer des Bezugs von Krankengeld ruht. Hiebei ist ein ruhender Anspruch auf Krankengeld dem Bezug des Krankengeldes gleichzuhalten (§ 90a ASVG und § 143a Abs 3 Satz 2 ASVG). Fällt die Versehrtenrente – wie im vorliegenden Fall – aber erst nach dem Auslaufen des Krankengeldanspruchs (also nach der 52. Woche) an, tritt ein Ruhen der Versehrtenrente wegen des Rehabilitationsgeldbezugs nicht ein.

8. Da ein Anwendungsfall des § 90a ASVG nicht vorliegt und auch eine analoge Anwendung dieser Bestimmung nicht in Betracht kommt, war der Revision dahin Folge zu geben, dass die Urteile der Vorinstanzen im klagestattgebenden Sinn abgeändert werden.

9. Bei Streitigkeiten über das Ruhen eines Pensionsanspruchs hat das Klagebehren auf Feststellung zu lauten (RIS-Justiz RS0083772); in diesem Sinn ist dem Urteilsspruch eine andere Fassung zu geben, wonach festgestellt wird, dass die Leistung nicht ruht.

10. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00135.17A.1114.000
Schlagworte:
;Sozialrecht;

Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.