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OGH vom 28.06.2011, 10Ob45/11g

OGH vom 28.06.2011, 10Ob45/11g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Dr. J*****, 2. Dr. M*****, vertreten durch Haslauer, Eberl, Hubner, Krivanec Partner, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei Mag. S*****, vertreten durch Dr. Peter Hauser, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Feststellung, Einverleibung, Unterlassung und Beseitigung (Gesamtstreitwert 9.900 EUR), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom , GZ 23 R 212/10f 25, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom , GZ 10 C 451/09y 20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Kläger sind grundbücherliche Eigentümer einer näher bezeichneten Liegenschaft, auf deren Grundstück 233/29 eine Doppelhaushälfte errichtet wurde. Die zweite Doppelhaushälfte steht auf dem Grundstück 233/7 einer näher bezeichneten Liegenschaft, die im Alleineigentum der Beklagten steht.

Das Erstgericht stellte fest, dass den Klägern als Eigentümer des Grundstücks 233/29 gegenüber der Beklagten die immerwährende und unentgeltliche Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens über jenen Bereich des Grundstücks 233/7 zusteht, der in der dem Ersturteil angeschlossenen Planbeilage (Urteilsbeilage ./A) schraffiert dargestellt ist. Weiters wurde die Beklagte verpflichtet, in die Einverleibung dieser Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens einzuwilligen. Schließlich wurde sie schuldig erkannt, den Zaun zwischen den Grenzpunkten 8296 und 8295 sowie das Tor zwischen den Grenzpunkten 8295 und 8294, wie sie in der angeschlossenen Plankopie (Urteilsbeilage ./A) enthalten sind, zu entfernen und künftige Störungen der Ausübung der beschriebenen Dienstbarkeit zu unterlassen.

Das Erstgericht bejahte das Vorliegen einer (schlüssigen) Vereinbarung zwischen den Streitteilen über die Einräumung einer Dienstbarkeit zugunsten der Liegenschaft der Kläger. Darüber hinaus entstehe eine Dienstbarkeit auch ohne Verbücherung, wenn ein Eigentümer ein oder mehrere Grundstücke veräußere, die offenkundig einander dienen und der Liegenschaftserwerber dies erkennen habe müssen. Hier sei schon aufgrund der Planung die dienende Funktion der strittigen Fläche nach Errichtung der Häuser für die Beteiligten erkennbar gewesen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten keine Folge. Es bejahte eine stillschweigende Dienstbarkeitseinräumung durch die Beklagte. Ob die Beklagte als Erwerberin der Liegenschaft die dienende Funktion der strittigen Fläche schon aufgrund der Planung erkennen hätte müssen, sei daher nicht mehr entscheidend. Ein Erlöschen der konkludent eingeräumten Dienstbarkeit könne keinesfalls angenommen werden, weil infolge der mit der Dienstbarkeit verbundenen beträchtlichen Erleichterung der Garagenausfahrt und des Hauszuganges keinesfalls von einer (völligen) Zwecklosigkeit der Dienstbarkeit ausgegangen werden könne.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Über Antrag der Beklagten änderte das Berufungsgericht mit Beschluss vom letzteren Ausspruch dahin ab, dass es die ordentliche Revision doch für zulässig erklärte, weil die vom Berufungsgericht angenommene konkludente Vereinbarung einer Dienstbarkeit auch als zeitlich beschränkte, bloß obligatorische Nutzungsvereinbarung beurteilt werden könnte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Kläger haben von der ihnen eingeräumten Möglichkeit der Erstattung einer Revisionsbeantwortung keinen Gebrauch gemacht.

Die Revision der Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig.

Die Revisionswerberin macht im Wesentlichen geltend, dass entgegen der Ansicht der Vorinstanzen zwischen den Parteien keine schlüssige Dienstbarkeitsvereinbarung zustande gekommen sei. Das Berufungsgericht weiche von der Rechtsprechung ab, weil es die Einräumung eines Prekariums (einer Bittleihe) oder eines obligatorischen Nutzungsrechts bis zum Eintritt eines bestimmten zukünftigen Ereignisses nicht in Betracht gezogen habe. Es sei naheliegend, dass sie mit einer Nutzung ihrer Einfahrt durch die Kläger nur solange einverstanden gewesen sei, solange sie diese nicht selbst oder für jemand anderen benötige und zu den Klägern ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis bestehe. Es liege auf der Hand, dass sie sich nicht immerwährend für sich und ihre Rechtsnachfolger verpflichten habe wollen, ihre gesamte Einfahrt als Dienstbarkeit den Klägern zur Verfügung zu stellen. Zwischen den Streitteilen sei es zu einer Vereinbarung über eine Bittleihe gekommen, welche jederzeit widerrufbar sei.

Dazu ist zunächst auszuführen, dass Dienstbarkeiten nach § 480 ABGB auch vertraglich eingeräumt werden können. Ein Dienstbarkeitsvertrag kann auch durch schlüssiges Verhalten iSd § 863 ABGB zustande kommen ( Hofmann in Rummel , ABGB 3 § 480 Rz 1; Kiendl Wendner in Schwimann , ABGB 3 § 480 Rz 2 jeweils mwN uva). Nach ständiger Rechtsprechung kommt ein schlüssiger Dienstbarkeitsvertrag nicht schon durch die bloße Duldung eines bestimmten Gebrauchs des dienenden Gutes (zB durch die bloße Duldung der Zufahrt durch längere Zeit RIS Justiz RS0011661), sondern erst dann zustande, wenn zusätzliche Sachverhaltselemente den Schluss erlauben, der aus einem bestimmten Verhalten abzuleitende rechtsgeschäftliche Wille der (jeweils) Belasteten habe sich auf die Einräumung einer Dienstbarkeit als dingliches Recht bezogen (RIS Justiz RS0111562). So wird beispielsweise ein stillschweigender Vertragsschluss gewöhnlich angenommen, wenn der Liegenschaftseigentümer die Errichtung und Benützung einer kostspieligen Anlage duldet, weil er wissen musste, dass der Begünstigte solche Aufwendungen nicht getätigt hätte, wenn ihm das Gebrauchsrecht jederzeit entzogen werden könnte. In diesen Fällen ist somit der Schluss erlaubt, dass der aus einem bestimmten Verhalten abzuleitende Wille des Belasteten sich auf die Einräumung einer Dienstbarkeit als dingliches Recht bezog (RIS Justiz RS0114010; RS0011661 [T3]). In der Entscheidung 6 Ob 155/00p (= NZ 2001, 343 [ Hoyer ]) wurde in dem Fall, dass Liegenschaftseigentümer jahrelang unangefochten die auf dem Grundstück des jeweils anderen Nachbarn liegenden Stücke eines einheitlichen Weges befahren und begangen haben, das schlüssige Zustandekommen einer Grunddienstbarkeitsvereinbarung bejaht. In der Entscheidung 2 Ob 593/89 wurde ebenfalls das schlüssige Zustandekommen einer Grunddienstbarkeitsvereinbarung bejaht, weil die Liegenschaftseigentümerin in Kenntnis des Umstands, dass ihr Grundstück schon früher durch längere Zeit regelmäßig und unwidersprochen zu Weidezwecken benützt worden war und auf diesem Grundstück Anlagen vorhanden waren und benützt wurden, die diesem Zweck dienten, die weitere regelmäßige Benützung dieses Grundstücks für Weidezwecke ohne jeden Einwand durch einen Zeitraum von 15 Jahren duldete. Auch in der Entscheidung 1 Ob 57/87 gelangte der Oberste Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die bewusste Duldung der Ausübung der Servitut durch ca 19 Jahre mit Überlegung aller Umstände (§ 863 ABGB) als stillschweigende Genehmigung der Dienstbarkeit angesehen werden muss. Die Beurteilung der Konkludenz einer Willenserklärung hat aber regelmäßig keine über die besonderen Umstände des Einzelfalls hinausgehende Bedeutung, es sei denn, es läge eine krasse Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen vor, die im Interesse der Rechtssicherheit bzw der Einzelfallgerechtigkeit wahrgenommen werden müsste (RIS Justiz RS0043253 [T8]; jüngst 10 Ob 24/11v).

Nach den maßgebenden Feststellungen der Vorinstanzen war bereits im Zuge der Planung die Situierung des Hauses und der Garage der Rechtsvorgänger der Kläger auf die Benützung der streitgegenständlichen Fläche ausgerichtet. In diesem Sinne war auch in Punkt 4. des von der Beklagten unterfertigten Kaufanbots (Beilage 7) ausdrücklich die Einräumung der bücherlichen Grunddienstbarkeit des immerwährenden Geh und Fahrrechts zugunsten der jeweiligen Eigentümer der Grundstücke 233/29 (Rechtsvorgänger der Kläger) und 233/30 vorgesehen. Nach den Ausführungen des Erstgerichts unterblieb in der Folge irrtümlich die Aufnahme dieser Dienstbarkeit hinsichtlich der nunmehr strittigen Fläche in die zwischen der Wohnbaugesellschaft einerseits und der Beklagten bzw den Rechtsvorgängern der Klägerin andererseits abgeschlossenen Kaufverträge. Trotz dieses Versehens und der dadurch auch unterbliebenen grundbücherlichen Einverleibung der Grunddienstbarkeit erfolgte die Benützung des Grundstücks 233/29 ab 1990 durch die Rechtsvorgänger der Kläger und ab 1995 durch die Kläger selbst stets unter Inanspruchnahme der streitgegenständlichen Fläche. So erfolgte der Zugang zum Haus der Kläger über die strittige Fläche und auch beim Wenden des Pkws beim Rückwärtsfahren aus der Garage wurde die strittige Fläche von den Klägern bzw ihren Rechtsvorgängern regelmäßig benutzt. Weiters haben sich die Kläger bzw ihre Rechtsvorgänger an Investitionen (Errichtung einer Mauer) sowie an Erhaltungs und Pflegemaßnahmen (Bepflanzung, Schneeräumung usw) beteiligt. Diese Art der Benützung wurde von der Beklagten, die abgesehen von den Jahren 1998 bis 2004 selbst immer in ihrem Haus wohnte, jedenfalls bis zu einer Verschlechterung ihres nachbarschaftlichen Verhältnisses zu den Klägern im Jahr 2007 stets geduldet.

In der Rechtsansicht der Vorinstanzen, diese bewusste Duldung der Ausübung der Dienstbarkeit durch ca 17 Jahre müsse mit Überlegung aller Umstände (§ 863 ABGB) als schlüssige Einräumung der Dienstbarkeit angesehen werden, kann im Hinblick auf die oben dargestellten Grundsätze keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung erblickt werden (vgl auch 10 Ob 83/07i; 7 Ob 267/08b ua).

Nach § 479 ABGB können Dienstbarkeiten, welche an sich Grunddienstbarkeiten sind, der Person allein, oder es können Begünstigungen, die ordentlicher Weise Servituten sind, nur bloß auf Widerrufe zugestanden werden. Die Abweichungen von der Natur einer Servitut werden jedoch nicht vermutet; wer sie behauptet, dem liegt der Beweis ob. Das Recht über ein fremdes Grundstück zu gehen und zu fahren, ist typischer Inhalt der Dienstbarkeit des Wegerechts (Grunddienstbarkeit). Demgemäß oblag es der dies bestreitenden Beklagten, das Vorliegen einer bloßen Personalservitut für die Kläger oder eines bloß obligatorischen oder eines jederzeit widerrufbaren Nutzungsrechts zu beweisen (vgl 10 Ob 83/07i; 1 Ob 11/05g; 7 Ob 605/89 mwN ua; RIS Justiz RS0058319, RS0011629), ob der Belasteten dieser Beweis gelingt, ist stets eine Frage der Umstände des Einzelfalls (10 Ob 83/07i mwN). Im vorliegenden Fall haben die Vorinstanzen diesen Beweis mangels entsprechender Anhaltspunkte ganz offenkundig als nicht erbracht angesehen. Eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung ist auch in diesem Zusammenhang nicht erkennbar.

Da die Vorinstanzen somit mit vertretbarer Begründung das konkludente Entstehen der von den Klägern geltend gemachten Grunddienstbarkeit bejaht haben, erübrigt sich ein Eingehen auf die weitere Frage, ob die Beklagte bereits bei Erwerb der Liegenschaft die dienende Funktion der strittigen Fläche für das Grundstück der Kläger schon aufgrund der Planung hätte erkennen müssen und insoweit eine für sie damals bereits offenkundige Dienstbarkeit vorgelegen ist. Die Revision war daher mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.