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VfGH vom 28.11.2006, B1526/06

VfGH vom 28.11.2006, B1526/06

Sammlungsnummer

18001

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen polemischer, den Vorwurf des Amtsmissbrauchs implizierender Äußerungen im Plädoyer eines Strafverfahrens

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

II. Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der

Rechtsanwaltskammer Oberösterreich vom wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe

"im Plädoyer des Strafverfahrens ... des LG Linz gegen R F H

in der Hauptverhandlung am - bezogen auf den Anklagevorwurf des versuchten Diebstahls - unter anderem behauptet:

'Wäre H ein Ausländer gewesen, wäre nicht einmal Anklage erhoben worden. Bei der Staatsanwaltschaft Linz haben Ausländer Narrenfreiheit'".

Hiedurch habe er Berufspflichten verletzt und gegen Ehre und Ansehen des Standes verstoßen. Über den Beschwerdeführer wurde eine Geldbuße in Höhe von € 1.000,- verhängt.

1.2. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im Folgenden: OBDK) vom keine Folge gegeben.

2. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein faires Verfahren, auf Freiheit der Erwerbsausübung und auf Meinungsfreiheit geltend gemacht sowie die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

3. Die OBDK legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Bedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof auch aus Anlass dieses Beschwerdeverfahrens nicht entstanden.

Der Beschwerdeführer wurde daher durch den angefochtenen Bescheid nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.

2.1. Unter dem Titel des Art 10 EMRK bzw. des Art 13 StGG behauptet der Beschwerdeführer im Wesentlichen, dass er gemäß § 9 Rechtsanwaltsordnung (im Folgenden: RAO) nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet sei, alles vorzubringen, was ihm zur Verteidigung seines Mandanten zweckdienlich erscheine.

2.2. Nach Art 10 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Vom Schutzumfang dieser Bestimmung, die das Recht der Freiheit der Meinung und der Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten und Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden einschließt, werden sowohl reine Meinungskundgaben als auch Tatsachenäußerungen, aber auch Werbemaßnahmen erfasst. Art 10 Abs 2 EMRK sieht allerdings im Hinblick darauf, dass die Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes und der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten oder zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind.

Ein verfassungsrechtlich zulässiger Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung muss sohin, wie auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ausgesprochen hat (s. zB EGMR , Fall Sunday Times, EuGRZ 1979, 390; , Fall Barthold, EuGRZ 1985, 173), gesetzlich vorgesehen sein, einen oder mehrere der in Art 10 Abs 2 EMRK genannten rechtfertigenden Zwecke verfolgen und zur Erreichung dieses Zweckes oder dieser Zwecke "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein (vgl. VfSlg. 12.886/1991, 14.218/1995, 14.899/1997, 16.267/2001 und 16.555/2002).

Ein Bescheid, der in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung eingreift, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes unter anderem dann verfassungswidrig, wenn ein verfassungsmäßiges Gesetz denkunmöglich angewendet wurde. Eine denkunmögliche Gesetzesanwendung liegt auch vor, wenn die Behörde dem Gesetz fälschlicherweise einen verfassungswidrigen - hier also: die besonderen Schranken des Art 10 EMRK missachtenden - Inhalt unterstellt (VfSlg. 10.700/1985, 12.086/1989, 13.922/1992, 13.612/1993, 16.558/2002).

Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Der belangten Behörde kann im Ergebnis aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgeht, dass die Äußerung "bei der Staatsanwaltschaft Linz haben Ausländer Narrenfreiheit" auch den Vorwurf gegenüber der Strafverfolgungsbehörde, sie würde in unsachlicher Art und Weise ausländische Straftäter bevorzugen, beinhalte. Auch stelle sie eine öffentliche und bewusst vorgetragene pauschale Polemik dar, die zur Erreichung einer Besserstellung des Mandanten von vornherein nicht geeignet gewesen sei. Vielmehr impliziert diese Äußerung nach Auffassung des Gerichtshofes auch den Vorwurf eines Amtsmissbrauchs.

Die belangte Behörde hat dem Gesetz auch keinen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt. Der Verfassungsgerichtshof hegt keinen Zweifel daran, dass mit dem angefochtenen Bescheid eine der "Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung" (vgl. Art 10 Abs 2 EMRK) dienliche Einschränkung der Meinungsfreiheit vorgenommen wurde, die zu diesem Zweck auch als notwendig anzusehen ist (VfSlg. 17.228/2004).

Der Beschwerdeführer wurde daher nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art 10 EMRK bzw. Art 13 StGG verletzt.

3.1. Der Beschwerdeführer behauptet weiters eine Verletzung in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art 6 EMRK. Begründend wird ausgeführt, dass von ihm beantragte Beweismittel nicht erhoben und Zeitungsberichte der Tageszeitung "OÖ Nachrichten" nicht berücksichtigt worden seien.

3.2. Dem ist entgegenzuhalten, dass der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Oberösterreich das Protokoll der Hauptverhandlung des Strafverfahrens vor dem Landesgericht Linz vom beigeschafft hat. Der Beschwerdeführer hat keinen Antrag auf Beischaffung des gesamten Strafaktes gestellt. Zwei Auszüge aus der Tageszeitung "OÖ Nachrichten" wurden als Teil des Protokolls zum Akt genommen.

Der Beschwerdeführer wurde daher nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art 6 EMRK verletzt.

4.1. Schließlich erachtet sich der Beschwerdeführer - ohne nähere Begründung - in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art 6 StGG verletzt.

4.2. Eine Verletzung des Grundrechtes auf Erwerbsausübung setzt voraus, dass einem Staatsbürger durch verwaltungsbehördlichen Bescheid der Antritt oder die Ausübung einer bestimmten Erwerbsbetätigung untersagt wird (zB VfSlg. 10.501/1985 und 15.112/1998, 15.431/1999).

Solche Fälle liegen jedoch nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes verletzen Maßnahmen, etwa die disziplinäre Behandlung wegen Verletzung von Standespflichten nicht das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung gemäß Art 6 StGG (vgl. ). Eine denkunmögliche Gesetzesanwendung ist dem Verfassungsgerichtshof nicht erkennbar.

Der Beschwerdeführer wurde daher nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung verletzt.

5. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art 133 Z 4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

6. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof war abzuweisen, weil die Überprüfung von Entscheidungen der OBDK - wie bereits unter Punkt II.5. dargelegt - gemäß Art 133 Z 4 B-VG von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen ist.

7. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.