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OGH vom 12.07.2006, 9Ob41/06d

OGH vom 12.07.2006, 9Ob41/06d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden (gefährdete) Partei Helga S*****, Beamtin, *****, vertreten durch Dr. Helene Klaar & Mag. Norbert Marschall Rechtsanwälte OEG in Wien, gegen die beklagte Partei (Gegner der gefährdeten Partei) Erich S*****, Angestellter, *****, vertreten durch Dr. Michael Koth, Rechtsanwalt in Gänserndorf, wegen Ehescheidung, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes Korneuburg vom , GZ 25 R 222/05g-11, mit dem die einstweilige Verfügung des Bezirksgerichtes Mistelbach vom , GZ 6 C 97/05h-2, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die im Übrigen als rechtskräftig von dieser Entscheidung unberührt bleiben, werden in ihrem Ausspruch über die Geltungsdauer der einstweiligen Verfügung und im Kostenpunkt dahin abgeändert, dass sie in diesem Umfang zu lauten haben:

„Diese einstweilige Verfügung gilt bis zur rechtskräftigen Beendigung des zwischen den Parteien zu 6 C 97/05h anhängigen Scheidungsverfahrens.

Das Mehrbegehren der gefährdeten Partei, die einstweilige Verfügung bis zum Zeitpunkt zu erlassen, bis zu dem durch Vereinbarung oder durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung über die Zuweisung der Ehewohnung abgesprochen wird, wird abgewiesen.

Der Gegner der gefährdeten Partei ist schuldig, der gefährdeten Partei die mit EUR 333,12 bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin EUR 55,52 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die gefährdete Partei ist schuldig, ihrem Gegner die mit EUR 199,87 bestimmten Kosten seines Revisionsrekurses (darin EUR 33,31 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Im Rahmen des zwischen den Streitteilen anhängigen Ehescheidungsverfahrens verbot das Erstgericht über Antrag der Klägerin dem Beklagten mit einstweiliger Verfügung gemäß § 382b EO, in die Ehewohnung und deren unmittelbare Umgebung zurückzukehren. Diese einstweilige Verfügung wurde für die Zeit bis zur rechtskräftigen Beendigung des zwischen den Parteien anhängigen Ehescheidungsverfahrens bzw bis zur Beendigung eines innerhalb von vier Wochen nach rechtskräftiger Erledigung des Scheidungsverfahrens einzuleitenden Aufteilungsverfahrens erlassen.

Das Erstgericht begründete diese Verfügung mit wiederholten verbalen Drohungen des Beklagten, die die psychische Gesundheit der Klägerin erheblich beeinträchtigt und ihr das weitere Zusammenleben unzumutbar gemacht hätten. Der Antrag, die einstweilige Verfügung für die Zeit des Ehescheidungsverfahrens samt einem allfälligen Aufteilungsverfahren zu erlassen, sei berechtigt, weil die Drohung im direkten Zusammenhang mit dem Scheidungsverfahren stehe und derzeit eine Beruhigung der Situation vor Abschluss des Verfahren nicht zu erwarten sei.

Das vom Beklagten angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Gegenstand des Verfahrens dritter Instanz ist nur mehr der Einwand des Beklagten, die einstweilige Verfügung hätte nur für die Zeit bis zur Beendigung des Ehescheidungsverfahrens erlassen werden dürfen.

Dazu führte das Rekursgericht aus wie folgt:

Das Rekursgericht erachte die hier vorgenommene Befristung der einstweiligen Verfügung nach § 382b EO unter Hinweis auf die Erläuterungen zur RV (RV 252 BlgNR 20. GP 8 f) und auf die Ausführungen von Kodek in Angst, EO, § 382b Rz 17, als zulässig. Dem Umstand, dass eine einstweilige Verfügung ohne gleichzeitiges Hauptverfahren nur für maximal drei Monate erlassen werden könne, habe das Erstgericht Rechnung getragen, indem es angeordnet habe, dass die einstweilige Verfügung nach dem rechtskräftigen Abschluss des Ehescheidungsverfahren längstens vier Wochen aufrecht bleibt, sofern nicht innerhalb dieser Frist ein Aufteilungsverfahren anhängig gemacht wird. Die Rechtsprechung biete in diesem Zusammenhang kein einheitliches Bild. Die Entscheidung 9 Ob 26/02t spreche aber für die Zulässigkeit der vom Erstgericht vorgenommenen Befristung. Dem Rekurs sei daher nicht Folge zu geben; im Hinblick auf die uneinheitliche Rechtsprechung sei jedoch der ordentliche Revisionsrekurs zulässig. Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs des Beklagten, mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen iSd Befristung der einstweiligen Verfügung mit dem Ende des anhängigen Scheidungsverfahrens abzuändern.

Die Klägerin beantragte, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Nach § 382b Abs 4 EO kann eine einstweilige Verfügung nach Abs 1 der zitierten Gesetzesstelle auch ohne Zusammenhang mit einem Verfahren auf Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe, einem Verfahren über die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse oder einem Verfahren zur Klärung der Benützungsberechtigung an der Wohnung erlassen werden, doch darf, solange ein solches Verfahren nicht anhängig ist, die Zeit, für die eine derartige Verfügung getroffen wird, insgesamt drei Monate nicht übersteigen. Nach den Gesetzesmaterialien (RV 252 BlgNR 20. GP 8 f) sollen die Opfer von Gewalt oder Bedrohung durch einen nahen Angehörigen nicht zur Einleitung eines Hauptverfahrens gezwungen werden; als Ausgleich dafür sei die zeitliche Begrenzung der einstweiligen Verfügung vorgesehen.

Mangels eines im Zeitpunkt der Entscheidung über den Sicherungsantrag anhängigen Hauptverfahrens darf die Verfügungsdauer somit drei Monate nicht überschreiten. Eine einstweilige Verfügung nach § 382b EO, die zunächst außerhalb eines der genannten Verfahren erlassen wurde, kann aber nach Einbringung einer Klage bzw eines Aufteilungsantrages über Antrag verlängert werden, wenn der Gefährdungstatbestand fortdauert oder zumindest in diesem Zeitpunkt verwirklicht ist (10 Ob 426/01x). Die hier strittige Frage, ob im Rahmen eines bereits anhängigen Scheidungsverfahrens eine einstweilige Verfügung nach § 382b EO nicht nur für die Zeit des Scheidungsverfahrens sondern auch für die Zeit eines daran anschließenden Aufteilungsverfahrens bewilligt werden kann, wurde - wie das Rekursgericht ohnedies erkannt hat - vom Obersten Gerichtshof in der Entscheidung 7 Ob 253/03m verneint. Erst nach der Einleitung des Aufteilungsverfahrens könne die vor dem oder während des Scheidungsverfahrens erlassene einstweilige Verfügung für die Zeit bis zur rechtskräftigen Erledigung des Aufteilungsverfahrens verlängert werden.

Aber auch die - ebenfalls von der zweiten Instanz zitierten - Entscheidungen 10 Ob 426/01x und 6 Ob 180/02t weisen - wenngleich von der Ausgangslage nicht völlig vergleichbar - in eben diese Richtung:

Sie betrafen einstweilige Verfügungen nach § 382b EO, die schon vor der Einleitung des Scheidungsverfahrens beantragt wurden. Auch ihnen liegt die Auffassung zu Grunde, dass eine einstweilige Verfügung gemäß § 382b EO nicht bis zum Abschluss eines im Zeitpunkt der Entscheidung über den Sicherungsantrag noch nicht anhängigen Hauptverfahrens erlassen werden kann.

Die vom Rekursgericht als Beleg für den gegenteiligen Standpunkt ins Treffen geführte Entscheidung 9 Ob 26/02t setzt sich mit der hier interessierenden Frage gar nicht auseinander. Sie betrifft einen Beschluss, mit dem die im Scheidungsverfahren erlassene einstweilige Verfügung für die Dauer des Aufteilungsverfahrens verlängert wurde und ist schon deshalb mit der hier zu beurteilenden Konstellation nicht vergleichbar. Richtig ist allerdings, dass diese Verlängerung im damals beurteilten Fall vor der Einleitung des Aufteilungsverfahrens erfolgte, was im Widerspruch zur oben wiedergegebenen Rechtsprechung steht. Zu dieser Frage hat aber der Oberste Gerichtshof bei der damals zu treffenden Entscheidung über den außerordentlichen Revisionsrekurs des damaligen Antragsgegners im Hinblick auf den durch das Rechtsmittel vorgegebenen eingeschränkten Prüfungsumfang nicht Stellung genommen.

Auch nach neuerlicher Prüfung der Rechtslage sieht sich der erkennende Senat nicht veranlasst, von der den Entscheidungen 7 Ob 253/03m, 10 Ob 426/01x und 6 Ob 180/02t zugrunde liegenden Rechtsauffassung abzugehen, nach der die vor Anhängigkeit eines Hauptverfahrens erlassene einstweilige Verfügung nach § 382b EO - dem Gesetzeswortlaut entsprechend - nur für drei Monate, nicht aber bis zum Abschluss eines im Zeitpunkt der Entscheidung über den Sicherungsantrag noch gar nicht anhängigen Hauptverfahrens erlassen werden kann. Bei Gewalttätigkeiten und gefährlichen Drohungen in der Familie, denen mittels einstweiliger Verfügung begegnet werden soll, ist eine Zukunftsprognose erforderlich. Die Bescheinigung eines künftigen, noch ungewissen Sachverhalts kann aber nicht schon zum Zeitpunkt der Einbringung des Sicherungsantrags erbracht werden; vielmehr ist die Tatfrage, ob die Einleitung eines Aufteilungsverfahrens nach den Umständen des Einzelfalls Anlass zur Befürchtung weiterer Gewalttätigkeiten oder Drohungen des ausgewiesenen Ehegatten sein kann, in dem über Antrag einzuleitenden Verlängerungsverfahren zu klären und nicht schon vorweg bei der Entscheidung über den vor oder im Scheidungsverfahren gestellten Sicherungsantrag (6 Ob 180/02t). Rechtschutzlücken sind mit der Notwendigkeit, die einstweilige Verfügung im Falle der Einleitung eines der in Betracht kommenden Hauptverfahren zu verlängern, nicht verbunden. In diesem Zusammenhang hat der Oberste Gerichtshof wiederholt darauf hingewiesen, dass die einstweilige Verfügung auch bei Ablauf der Frist, für die sie erlassen wurde, nicht von selbst erlischt, sondern - über Antrag - aufgehoben werden muss. Einem Aufhebungsantrag kann aber die gefährdete Partei durch Einleitung eines Hauptverfahrens und einem darauf gestützten Antrag auf Verlängerung der einstweiligen Verfügung begegnen (9 Ob 26/02t). Das Rekursgericht beruft sich für seinen gegenteiligen Standpunkt auf die Gesetzesmaterialien (RV 252 BlgNR 20. GP 8 f). In diesen wird zur hier strittigen Frage ausgeführt, dass dann, wenn nach der Bewilligung einer einstweiligen Verfügung die Scheidungsklage eingebracht oder die einstweilige Verfügung erst nach Einbringung der Klage beantragt wird, „die einstweilige Verfügung längstens bis zum Ende aller Verfahren über die Benützung der Wohnung, also auch bis zum Ende eines allfälligen Verfahrens über die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse, gewährt werden" kann. Damit ist allerdings nur gesagt, dass die in Betracht kommenden Verbote insgesamt längstens bis zum genannten Zeitpunkt gewährt werden können. Dies stellt aber keinen Widerspruch zum hier vertretenen Standpunkt dar, wonach die schon vorher erlassene einstweilige Verfügung im Falle der Einleitung jedes der in Betracht kommenden Hauptverfahren für dessen Dauer verlängert werden muss. Kodek (in Angst, EO, § 382b Rz 17), auf den sich das Rekursgericht bezieht, folgt mit seinen Ausführungen im hier interessierenden Zusammenhang den Erläuterungen zur RV, deren Formulierung er im Wesentlichen übernimmt. Auch daraus ist daher aus den eben dargelegten Gründen für den Standpunkt des Rekursgerichtes nichts abzuleiten.

Die Ausführungen der zweiten Instanz bieten daher keinen Anlass, von der in 7 Ob 253/03m vertretenen Rechtsauffassung abzugehen. Damit kann aber die hier während des Ehescheidungsverfahrens erlassene einstweilige Verfügung nur bis zur rechtskräftigen Erledigung dieses Verfahrens bewilligt werden. Somit erweist sich der Revisionsrekurs als berechtigt.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO iVm § 393 Abs 2 EO. Mit seinem Rekurs hat der Beklagte die einstweilige Verfügung in ihrer Gesamtheit bekämpft. Der die Geltungsdauer betreffende Rechtsmittelerfolg betrifft daher einen Nebenpunkt, der kostenmäßig nicht ins Gewicht fällt (7 Ob 253/03m). Trotz des anzunehmenden teilweisen Erfolgs des Rekurses hat die gefährdete Partei daher Anspruch auf vollen Ersatz der Kosten ihrer Rekursbeantwortung. Im drittinstanzlichen Verfahren war Entscheidungsgegenstand ausschließlich die Frage der Geltungsdauer der einstweiligen Verfügung, sodass die Klägerin im Revisionsrekursverfahren zur Gänze unterlegen ist und dem Beklagten die Kosten seines Revisionsrekurses zu ersetzen hat. Dem Umstand, dass in dritter Instanz nur mehr ein Teil des ursprünglichen Entscheidungsgegenstandes Gegenstand des Verfahrens war, war durch eine Reduktion der Bemessungsgrundlage auf 10 % des ursprünglichen Streitwerts Rechnung zu tragen.