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OGH vom 11.11.2010, 12Os155/10a

OGH vom 11.11.2010, 12Os155/10a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bayer als Schriftführerin in der Strafsache gegen M***** und eine andere Angeklagte wegen des Verbrechens nach § 3g VerbotsG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Geschworenengericht vom , GZ 13 Hv 34/10p 19, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil, welches auch einen rechtskräftigen Schuldspruch der Mitangeklagten S***** enthält, wurde M***** des Verbrechens nach § 3g VerbotsG (I./) sowie des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach haben am in O*****

I./ M***** und S***** sich dadurch auf andere als die in §§ 3a 3f VerbotsG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, dass sie drei mazedonische und einen kroatischen Staatsangehörigen mit den Worten: „Scheiß Albaner, scheiß Ausländer; Sieg Heil, Deutscher folg, wir wollen hier keine Ausländer“ beschimpften und gegenüber den einschreitenden Polizeibeamten lautstark äußerten: „Ja, wir sind Nazis und stehen auch dazu“;

II./ M***** den I***** durch Versetzen von Faustschlägen vorsätzlich am Körper verletzt, wobei die Tat eine an sich schwere Verletzung des I*****, nämlich einen Bruch der Basis des linken 1. Mittelhandknochens zur Folge hatte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 1, 4, 5, 9, 10, 10a und 11 StPO und § 281 Abs 1 Z 3 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

Mit der Behauptung, der Vorsitzende des Schwurgerichtshofs hätte sich beim Betreten des Beratungszimmer der Geschworenen durch die übrigen Mitglieder des Senats und des Verteidigers bereits im Raum befunden, wird keine nicht gehörige Besetzung der Geschworenenbank (Z 1) aufgezeigt.

Mit der bloß hypothetischen Behauptung, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Vorsitzende möglicherweise bereits an der Abstimmung der Geschworenen teilgenommen hätte, wird der inhaltlich angesprochene Nichtigkeitsgrund nach § 345 Abs 1 Z 4 StPO iVm § 329 StPO nicht deutlich und bestimmt bezeichnet. Der Akteninhalt bietet jedenfalls nicht den geringsten Anhaltspunkt für eine solche Vorgangsweise des Vorsitzenden des Geschworenengerichts.

Der Beschwerde zuwider kommt der Ablehnung von Anträgen, den Geschworenen die Verbesserung des Wahrspruchs aufzutragen, nach dem klaren Gesetzeswortlaut des § 345 Abs 1 Z 10 StPO keine Nichtigkeitsrelevanz zu. Aber auch eine Nichtigkeit nach § 345 Abs 1 Z 5 StPO scheidet aus, weil dieser Nichtigkeitsgrund ausdrücklich auf „in der Hauptverhandlung“ gestellte Anträge abstellt, während das in § 332 StPO geregelte Verfahren außerhalb derselben stattfindet (vgl Ratz , WK StPO § 345 Rz 75; 12 Os 45/09y). Eine analoge Ausdehnung dieses Anfechtungsgrundes scheidet grundsätzlich (§ 345 Abs 1 erster Satz StPO) aus (vgl Fabrizy StPO 10 § 281 Rz 1).

Einen Mangel des Wahrspruchs zur Hauptfrage 1./ (Z 9) erblickt der Rechtsmittelwerber in einem aus dem Zusammenhang gerissenen Begründungsteil („... dadurch ist es sehr sicher ...“) der Niederschrift der Geschworenen. Diese Begründung sei in sich widersprechend und keine zulässige Antwort auf die Frage zu den subjektiven Tatbestandsmerkmalen. Bei seiner Argumentation übersieht der Beschwerdeführer jedoch, dass der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 9 StPO nur aus dem Wahrspruch selbst abgeleitet werden kann, nicht aber aus der gemäß § 331 Abs 3 StPO zu verfassenden Niederschrift. Denn das Gesetz verlangt von den Laienrichtern weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht eine „anfechtungsfeste“ Begründung ihres Wahrspruchs. Folgerichtig kann der Inhalt der bezeichneten Niederschrift nur über Anfechtung aus § 345 Abs 1 Z 10 StPO zur Urteilsnichtigkeit führen (vgl Ratz , WK StPO § 345 Rz 71).

Gleiches gilt für die von den Geschworenen verneinte Zusatzfrage IV./ nach Notwehr, weil der Beschwerdeführer neuerlich versucht, eine Nichtigkeit nach § 345 Abs 1 Z 9 StPO aus der Niederschrift der Geschworenen abzuleiten.

Auch der in diesem Zusammenhang erhobene Einwand unzureichender Rechtsbelehrung (inhaltlich Z 8) erweist sich als nicht zielführend, weil den Laienrichtern ohnehin erläutert wurde, dass auch ein unmittelbar drohender Angriff eine Notwehrhandlung rechtfertigt (S 75 in ON 18).

Welche Verfahrensergebnisse Zusatzfragen in Richtung §§ 8, 9 StGB indiziert hätten (vgl Ratz , WK StPO § 345 Rz 42 f), legt der Nichtigkeitswerber nicht dar, sodass diese sich bloß in einer Behauptung erschöpfende Kritik (der Sache nach Z 6) einer sachbezogenen Erwiderung nicht zugänglich ist.

Auch die Tatsachenrüge (Z 10a) verfehlt ihr Ziel. Der Rechtsmittelwerber verkennt das Wesen dieses Nichtigkeitsgrundes, der in seiner prozessualen Reichweite keineswegs einer Schuldberufung gleicht und dessen Wirkungsbereich dort beginnt, wo aufgrund aktenkundiger Beweisergebnisse erhebliche Zweifel an der Richtigkeit des Wahrspruchs offen bleiben (vgl RIS Justiz RS0119583). Mit seiner Rüge versucht nun der Beschwerdeführer nur unter Hervorhebung seiner eigenen Einlassung und Erörterung einzelner aus dem Zusammenhang gerissener Beweisergebnisse mit dem Hinweis auf „Aktenwidrigkeiten“ verbunden mit eigenen Beweiswerterwägungen und hypothetischen Überlegungen, die Glaubwürdigkeit der Belastungszeugen in Frage zu stellen. Auf diese Weise unternimmt er aber lediglich einen unzulässigen Angriff auf die Lösung von Tatfragen nach einer im Rechtsmittelverfahren gegen kollegialgerichtliche Urteile gesetzlich nicht vorgesehenen Schuldberufung. Sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Wahrspruch zugrunde liegenden Feststellungen vermag er damit nicht aufzuzeigen.

Mit dem nicht näher begründeten Einwand, die dem Angeklagten angelastete Wiederbetätigung würde lediglich einen nicht näher bezeichneten Verwaltungsstraftatbestand darstellen (Z 11), wird eine unrichtige Lösung der Rechtsfrage zwar behauptet, aber nicht methodengerecht aus dem Gesetz abgeleitet (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 588 f).

Der auf § 281 Abs 1 Z 3 StPO (der Sache nach § 345 Abs 1 Z 4 StPO) gestützte Vorwurf, der Grundsatz der öffentlichen Zugänglichkeit der Hauptverhandlung nach § 228 StPO sei verletzt worden, weil das Gerichtsgebäude ab 15:30 Uhr geschlossen war, geht schon deshalb ins Leere, weil die Urteilsverkündung bereits vor 14:45 Uhr erfolgte (S 49 in ON 18).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO). Daraus folgt die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§§ 385i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.