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OGH vom 26.08.2020, 9Ob39/20f

OGH vom 26.08.2020, 9Ob39/20f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Fichtenau, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. K*****, geboren ***** 2010 und 2. A*****, geboren ***** 2013, beide vertreten durch die Mutter Dr. B*****, diese vertreten durch Dr. Walter Mardetschläger, Dr. Peter Mardetschläger und Mag. August Schulz, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Vaters M*****, vertreten durch preslmayr.legal Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 48 R 3/20a-90, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom , GZ 7 Pu 20/17b-86, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) – Ausspruch des Rekursgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG ab. Die Zurückweisung des ordentlichen Revisionsrekurses kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 Satz 4 AußStrG).

Rechtliche Beurteilung

1.1 Der Anspannungsgrundsatz kommt nicht nur dann zum Tragen, wenn der Unterhaltspflichtige es unterlässt, einer seiner Ausbildung und seinen Fähigkeiten entsprechenden Tätigkeit nachzugehen, sondern auch dann, wenn ihm die Erzielung eines höheren als des tatsächlichen Einkommens zugemutet werden kann (RS0047550), sich der Unterhaltspflichtige also mit einem geringeren Einkommen begnügt, als ihm möglich wäre.

1.2 Die Anwendung des Anspannungsgrundsatzes richtet sich immer nach den besonderen Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalls. Die für die Ausmittlung des konkreten Unterhaltsbedarfs zu bestimmende Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen ist danach zu bemessen, wie ein „pflichtbewusster und rechtschaffener“ Elternteil in der konkreten Lage des Unterhaltspflichtigen die diesem zur Erzielung von Einkommen zur Verfügung stehenden Mittel an Arbeitskraft und Vermögen vernünftigerweise einsetzen würde (RS0113751; RS0047421).

2. Es entspricht weiters der herrschenden Rechtsprechung, dass in die Unterhaltsbemessungsgrundlage das gesamte Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen einzubeziehen ist, somit nicht nur alle Einkünfte aus Erwerbstätigkeit, sondern auch alle Erträgnisse aus Vermögen, grundsätzlich aber nicht die Vermögenssubstanz selbst (RS0113786; 4 Ob 2025/96i). Zu den Erträgnissen des Vermögens sind unter anderem Einnahmen aus der Vermietung einer Liegenschaft zu zählen (3 Ob 9/19y).

3. Von diesen Grundsätzen der Rechtsprechung weichen die Entscheidungen der Vorinstanzen nicht ab. Der Revisionsrekurswerber, dessen tatsächlich erzieltes Einkommen aus unselbständiger Arbeit mit nur monatlich 513,33 EUR plus 119,38 EUR festgestellt ist, wurde auf ein erzielbares Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit von monatlich 1.525 EUR angespannt. Neben diesem (fiktiven) Einkommen wurden in die Unterhaltsbemessungsgrundlage die aus Vermietung erzielten Einkünfte in Höhe von monatlich 588,88 EUR einbezogen und davon ausgehend für beide Kinder ein den Regelbedarf jeweils geringfügig (um 10 EUR) übersteigender monatlicher Unterhaltsbeitrag errechnet.

4. Wiederholt wurde bereits ausgeführt, dass jedem Kind das Recht zukommt, dass seine Bedürfnisse gemäß den Lebensverhältnissen der Eltern angemessen gedeckt werden (RS0047473). Ist der Unterhaltspflichtige zu Unterhaltsleistungen im Stande, die über die Deckung des Regelbedarfs des unterhaltsberechtigten Kindes hinausgehen, ist seine Leistungskraft nach nunmehr herrschender Rechtsprechung auch über den statistisch erhobenen Durchschnittsbedarf hinaus anzuspannen, sofern ihm die betreffende Beschäftigung zumutbar ist (RS0047487; 7 Ob 210/05s, 7 Ob 121/07f). Eine Anspannung ist daher auch auf gehobene Einkommensverhältnisse möglich, wenn die Voraussetzungen als solche dafür gegeben sind (1 Ob 75/12d mwN). Die frühere Rechtsprechung, nach der im Allgemeinen nicht über den Durchschnittsbedarf des unterhaltsberechtigten Kindes anzuspannen war (3 Ob 1097/90; 9 Ob 168/98s), ist als überholt anzusehen.

5. Ob nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls die Voraussetzungen für die Anspannung gegeben sind, wäre vom Obersten Gerichtshof nur überprüfbar, wenn dem zweitinstanzlichen Gericht eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre. Eine solche zeigt der Rechtsmittelwerber aber nicht auf.

6. Da insgesamt keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zu lösen ist, ist der Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:0090OB00039.20F.0826.000

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