OGH vom 11.11.2015, 15Os156/14a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, Dr. Michel Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Weißnar als Schriftführerin in der Medienrechtssache der Antragstellerin Dr. Eva W***** gegen die Antragsgegnerin Mediengruppe „Ö*****“ GmbH wegen § 7a MedienG, AZ 93 Hv 88/13m des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag der Antragsgegnerin auf Erneuerung des Verfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
In der Medienrechtssache der Antragstellerin Dr. Eva W***** gegen die Antragsgegnerin Mediengruppe „Ö*****“ GmbH wegen § 7a MedienG wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom , GZ 93 Hv 88/13m 7, ausgesprochen, dass durch einen am im periodischen Druckwerk „M*****“ unter der Überschrift „W***** vergisst zu bezahlen“ veröffentlichten Artikel, in dem behauptet wurde, die Antragstellerin „habe geklaut“, der Schutz vor Bekanntgabe der Identität nach § 7a Abs 1 Z 2 MedienG verletzt wurde, und die Antragsgegnerin zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet.
Nach den hier bedeutsamen Urteilsannahmen zum von der Antragsgegnerin geltend gemachten Ausschlussgrund nach § 7a Abs 3 Z 3 MedienG (US 5) berichteten mehrere österreichische Medien nach einer mutmaßlichen Straftat der Antragstellerin vom (Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB) und im zeitlichen Zusammenhang mit der im Zuge einer diversionellen Verfahrenserledigung erfolgten Erbringung gemeinnütziger Leistungen (§ 201 StPO) im letzten Quartal 2011 über den Vorfall. Die Antragstellerin beantwortete dabei Medienanfragen, wobei sie beispielsweise dem Nachrichtenmagazin „N*****“ am ein Interview zur Tat und zu ihren Motiven gab, und sich von mehreren Tageszeitungen bei der Erbringung der gemeinnützigen Leistungen (einverständlich) ablichten ließ. In den Jahren 2012 und 2013 erfolgten in Bezug auf diese Straftat (mit Ausnahme der gegenständlichen) keine Veröffentlichungen, „insbesondere keine, welche das Einverständnis der Antragstellerin gehabt oder auf deren neuerlichen Mitteilung basiert hätten“.
In rechtlicher Hinsicht verneinte das Erstgericht den in Rede stehenden Ausschlussgrund, weil das von der Antragstellerin im Jahr 2011 erteilte Einverständnis mit der Veröffentlichung in Anbetracht deren Resozialisierungsinteressen in Betreff des einmaligen, überdies bloß diversionell sanktionierten Fehlverhaltens im Vergehensbereich (§ 17 Abs 2 StGB) nicht über Jahre hindurch zeitlich fortwirke (US 7 f).
Das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht gab mit Urteil vom , AZ 18 Bs 99/14m (ON 14 des Hv Aktes), der dagegen erhobenen Berufung der Antragsgegnerin nicht Folge. Dabei verneinte es den mit der Berufung wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO) weiterhin reklamierten Ausschlussgrund des § 7a Abs 3 Z 3 MedienG (US 7 ff) mangels der erforderlichen zeitlichen Konnexität zwischen der aktuellen Berichterstattung und der seinerzeitigen Mitteilung der Antragstellerin in Betreff ihrer Straftat gegenüber Medien. Denn wie auch in Betreff des Ausschlussgrundes nach § 7 Abs 2 Z 3 MedienG könne eine bereits längere Zeit zurückliegende Zustimmung oder eigene Mitteilung des Betroffenen an Medien ohne dafür sprechende tatsächliche Gründe nicht als infinit fortwirkendes Einverständnis zu einer identifizierenden Kriminalberichterstattung angesehen werden, weil (im Zweifel) nicht angenommen werden dürfe, dass eine Person auch wenn sie die Öffentlichkeit sucht und eine mediale Berichterstattung über den gegen sie bestehenden Verdacht einer strafbaren Handlung in Kauf nahm oder sogar selbst initiierte einer zeitlich unbegrenzten Beeinträchtigung von Persönlichkeitsrechten zugestimmt hätte.
Gegen die Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Wien und des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht richtet sich der auf die Behauptung einer Verletzung im Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK gestützte Antrag der Antragsgegnerin auf Erneuerung des Verfahrens nach § 363a StPO per analogiam (RIS Justiz RS0122228) iVm § 41 Abs 1 MedienG.
Dazu wird vorgebracht, dass das Medium im Fall einer Mitteilung des Betroffenen (§ 7a Abs 3 Z 3 zweiter Fall MedienG) selbst dann von Haftungsfolgen befreit sei, wenn aus den Umständen noch nicht auf eine ausdrückliche oder konkludente Zustimmung zur Veröffentlichung geschlossen werden kann. Der Ausschlussgrund sei daher bei Vorliegen einer Mitteilung des Betroffenen schon ipso facto ohne weiteres verwirklicht, ohne dass es einer von den befasst gewesenen Gerichten geforderten Heranziehung von rechtsgeschäftlichen Regeln zur Beurteilung der Zustimmung desselben bedürfe. Da vorliegend die inkriminierte Veröffentlichung auf einer Mitteilung der Antragstellerin gegenüber einem Medium beruht habe, sei der Ausschlussgrund nach § 7a Abs 3 Z 3 zweiter Fall MedienG verwirklicht worden.
Rechtliche Beurteilung
Dem Antrag kommt keine Berechtigung zu, wurde der von der Erneuerungswerberin reklamierte Ausschlussgrund von den befassten Gerichten doch zu Recht verneint:
Nach § 7a Abs 3 Z 3 MedienG besteht der Anspruch nach Abs 1 nicht, wenn der Betroffene mit der Veröffentlichung einverstanden war (erster Fall) oder diese auf einer Mitteilung des Betroffenen gegenüber einem Medium beruht (zweiter Fall). Dieser Ausschlussgrund wurde bewusst anders formuliert als jener nach § 7 Abs 2 Z 3 MedienG. Denn gegenüber der weitreichenden Erfassung stillschweigenden Einverständnisses in § 7 Abs 2 Z 3 MedienG („wenn nach den Umständen angenommen werden konnte, dass der Betroffene mit der Veröffentlichung einverstanden war“) kommt in § 7a Abs 3 Z 3 MedienG „als einziger Fall einer konkludenten Zustimmung nur in Frage, dass die Veröffentlichung auf einer Mitteilung des Betroffenen gegenüber einem Medium beruhte“ (ErläutRV zur Mediengesetznovelle 1992 503 BlgNR 18. GP 13 f). Den in den Gesetzesmaterialien sohin mit dem Gesetzeswortlaut vereinbar verdeutlichten Intentionen des Gesetzgebers zufolge erfasst somit § 7a Abs 3 Z 3 erster Fall MedienG nur den Fall eines ausdrücklichen Einverständnisses mit der Veröffentlichung, während der zweite Fall den Bereich konkludenter Zustimmung abschließend regelt (vgl in diesem Sinn auch Brandstetter/Schmid , MedienG² § 7a Rz 45; Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll , Praxiskommentar Mediengesetz³ § 7a Rz 37; aA Rami in WK² MedienG § 7a Rz 28).
Der Ausschlussgrund nach § 7a Abs 3 Z 3 MedienG zieht somit die Grenzen zulässiger Berichterstattung im Vergleich zu jenem nach § 7 Abs 2 Z 3 MedienG insofern enger, als nur eine ausdrückliche Zustimmung des Betroffenen oder eine Mitteilung desselben gegenüber einem (auch anderen) Medium den Anspruch beseitigt. Dies hat zur Folge, dass ein Medium nur dann von Haftungsfolgen nach § 7a Abs 1 MedienG befreit ist, wenn der von der Berichterstattung Betroffene einen Journalisten unter Aufgabe des gesetzlichen Schutzes seiner Interessen über die Tat informiert oder eine diesbezügliche Anfrage nach Zustimmung zur Veröffentlichung bejahend beantwortet hat (15 Os 83/10k).
Übergreifender Regelungsgesichtspunkt des Ausschlusstatbestands nach § 7a Abs 3 Z 3 MedienG, der die Beseitigung des nach § 7a Abs 1 MedienG an sich verwirklichten Anspruchs jeweils an das Verhalten des Betroffenen knüpft, ist daher der Gedanke eines Verzichts des Betroffenen auf Anonymitätsschutz, nämlich im ersten Fall durch ausdrückliches Einverständnis mit der Veröffentlichung und im zweiten Fall durch konkludenten (vgl § 863 ABGB) Verzicht, der sich aus einer Mitteilung des Betroffenen gegenüber einem Medium ergibt.
Die bloße Tatsache einer früheren Mitteilung des Betroffenen gegenüber einem Medium an sich, worauf eine spätere (nach § 7a Abs 1 MedienG anspruchsbegründende) Veröffentlichung beruht, bewirkt daher der Rechtsansicht der Erneuerungswerberin zuwider nicht ipso facto ohne weiteres die Anspruchsbeseitigung. Da vielmehr auch dieses Verhalten in die Kategorie eines konkludenten Verzichts auf Anonymitätsschutz einzustufen ist, ist die Reichweite eines seinerzeitigen Verzichts nach den zum ebenfalls auf dem Verzichtsgedanken beruhenden Ausschlussgrund des § 7 Abs 2 Z 3 MedienG entwickelten Kriterien zu beurteilen. Somit gilt auch hier, dass ein seinerzeit (konkludent) erklärtes einmaliges Einverständnis grundsätzlich nicht im Sinn einer generellen Zustimmung aufgefasst werden und eine bereits längere Zeit zurückliegende Zustimmung des Betroffenen ohne dafür sprechende besondere tatsächliche Gründe nicht als infinit fortwirkendes Einverständnis angesehen werden kann, weil im Zweifel nicht angenommen werden kann, dass eine Person einer zeitlich unbegrenzten Beeinträchtigung von Persönlichkeitsrechten zugestimmt hätte (RIS Justiz RS0125181 [T1 und T 2]).
Dies umso mehr, als im Anwendungsbereich des § 7a Abs 1 Z 2 MedienG auch die Resozialisierungsinteressen des Betroffenen einen Indikator für die Reichweite der angenommenen Zustimmung darstellen. Daraus folgt, dass ein (durch Mitteilung gegenüber einem Medium konkludent erklärter) Verzicht auf Anonymitätsschutz und Entschädigungsanspruch im Fall einer hier mutmaßlich vorgelegenen geringfügigen, durch diversionelle Erledigung bereits abgetanen Straftat im Hinblick auf die seither bis zur aktuellen Berichterstattung verstrichene Zeit von rund zwei Jahren grundsätzlich nicht unterstellt werden kann.
Im Übrigen bleibt anzumerken, dass auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die bloße Tatsache einer „Zusammenarbeit mit der Presse bei früheren Gelegenheiten“ nicht ohne weiteres zum Verlust des Anonymitätsschutzes des Betroffenen führt, sondern dieser Umstand vielmehr bloß als ein Kriterium von mehreren in die stets einzelfallbezogene Interessenabwägung in Betreff der Grundrechte auf Freiheit der Meinungsäußerung (Art 10 MRK) und auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art 8 MRK) einzustellen ist (vgl grundlegend EGMR , Bsw 39954/08, Axel Springer AG /Deutschland , NL 2012, 42).
Die Verwirklichung des Ausschlusstatbestands nach § 7a Abs 3 Z 3 MedienG wurde daher zu Recht verneint. Die Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung zum Schutz des vorliegend prävalierenden Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art 8 MRK) im Sinn des Art 10 Abs 2 MRK war daher gesetzlich, nämlich in § 7a Abs 1 Z 2 iVm Abs 3 Z 3 MedienG, vorgesehen und im konkreten Fall auch erforderlich. Da mit der Bestimmung eines mit 2.000 Euro maßvollen Entschädigungsbetrags (im unteren Zehntel des gesetzlichen Höchstbetrags; § 7a Abs 1 MedienG) auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprochen wurde, kann eine Verletzung des Art 10 MRK nicht festgestellt werden.
Der offenbar unbegründete Erneuerungsantrag war daher schon in nichtöffentlicher Beratung gemäß § 363b Abs 2 Z 3 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG zurückzuweisen.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2015:0150OS00156.14A.1111.000