OGH vom 11.10.1984, 7Ob644/84
Norm
Kopf
SZ 57/155
Spruch
Auch der von einem obligatorisch Fruchtgenußberechtigten geschlossene Mietvertrag begrundet ein Hauptmietverhältnis, das der Eigentümer nach dem Ende des Fruchtgenusses nur nach Maßgabe des gesetzlichen Kündigungsschutzes auflösen kann
(LGZ Wien 41 R 75/84; BG Döbling 5 C 238/83)
Text
Eigentümerin des Hauses W, F-Gasse 12, war bis zum Jahre 1971 Gertrude V. Mit Vertrag vom verkaufte sie die Liegenschaft samt Haus (EZ 441 KG U) den Klägern, die seither je zur Hälfte Eigentümer sind. Im Kaufvertrag wurde ua. folgendes vereinbart: "Die Verkäuferin und im Falle des Überlebens ihr Ehemann Herr Andor V behalten das unentgeltliche Wohnrecht im ganzen Wohnhaus W, F-Gasse 12, sowie das Recht auf die ausschließliche Benützung und Nutzung des Gartens auf Lebensdauer". Das Haus umfaßt drei Wohnungen, von denen eine als Hausbesorgerwohnung benützt wird. Von den anderen beiden Wohnungen benützte im Jahre 1971 die eine das Ehepaar V, die zweite war vermietet. Nach dem Verkauf wurde der Mietzins für die vermietete Wohnung weiter an Gertrude V bezahlt.
Gertrude V war bei Verkauf der Liegenschaft daran gelegen, für sich und ihren Gatten auf Lebenszeit ein Wohnrecht im Haus zu behalten. Den Klägern kam es darauf an, daß das Haus nach Beendigung dieses Wohnrechtes bestandfrei sei. Aus diesem Gründe wurde mit dem Mieter der einen Wohnung eine Vereinbarung dahin geschlossen, daß dessen Mietverhältnis im Falle des Todes des Ehepaares V beendet werde. Es wurde vereinbart, daß das Hauptmietverhältnis bei Verkauf in ein Untermietverhältnis mit Gertrude V umgewandelt werde. Allerdings wurde ein solcher Untermietvertrag in der Folge nicht abgeschlossen. Was für den Fall des Auszuges dieses Mieters geschehen solle, wurde zwischen den Parteien des Kaufvertrages nicht besprochen, doch war vereinbart, daß die Verkäuferin ihre Wohnung im Falle des Auszuges nicht an Dritte weitergeben dürfe.
Im Jahre 1975 zog der Mieter der einen Wohnung aus. Gertrude V wandte sich an den Hausverwalter mit dem Ersuchen, wieder Mieter ins Haus zu nehmen, weil sie noch eine Partei im Haus haben wollte. Der Verwalter nahm mit den Klägern Kontakt auf. Diese stimmten unter der Voraussetzung, daß sich an dem Rechtsverhältnis nichts ändere, also die Mietrechte mit dem Nutzungsrecht des Ehepaars V erlöschen, einer Vermietung zu. Hierauf vermietete der Verwalter namens der Gertrude V die Wohnung dem Beklagten. Hiebei wies er diesen darauf hin, daß Gertrude V nur "Nutzungsberechtigte" sei bzw. ihr ein Wohnrecht an allen Räumen des Hauses zustehe und daher die Mietrechte mit deren Tod erlöschen würden. Den Mietzins, der dieselbe Höhe hatte wie der Mietzins des Vormieters, zahlte der Beklagte an Gertrude V. Bezüglich der Erhaltungskosten für das Haus wurde zwischen den Parteien des Kaufvertrages nichts ausgemacht, jedoch besprochen, daß größere Auslagen die Kläger und kleinere Gertrude V tragen sollten. Dies wurde auch so gehandhabt. Da jedoch zwischen den Vertragsteilen ein gutes Einvernehmen bestand, ließ die Verkäuferin auch Reparaturen ausführen, ohne die Kläger zu fragen, so etwa eine Reparatur an der Feuermauer und an der Gasleitung. Dagegen zahlten die Kläger eine Reparatur an der Wasserleitung. Die Grundsteuer wurde je zur Hälfte getragen. Einen zirka zwei Jahre nach Beginn des Mietverhältnisses des Beklagten auftretenden Schaden am Balkon seiner Wohnung zahlten der Beklagte und Gertrude V. Die Kläger beteiligten sich daran nicht, weil sie diese Erneuerung als nicht notwendig und stilwidrig ansahen. Auch nach dem Verkauf des Hauses bestritt Gertrude V die Betriebskosten, doch wurden Wasser, Strom und dergleichen auf die Kläger umgemeldet. Ebenso schlossen die Kläger weitere Hausbesorgerdienstverträge ab. Der Hausverwalter hatte sowohl von den Klägern als auch von Getrude V Vollmacht. Er bezahlte die Betriebskosten und schrieb sie dem Ehepaar V vor. Gertrude V verstarb am , Andor V am .
Beide Vorinstanzen haben dem auf titellose Benützung gestützten Räumungsbegehren stattgegeben. Sie vertraten hiebei den Standpunkt, nur der Fruchtgenußberechtigte schließe Hauptmietverträge ab, nicht aber derjenige, der nur ein Wohnungsgebrauchsrecht hat. Welcher der beiden Vertragstypen vorliege, sei eine Auslegungsfrage. Im vorliegenden Fall sprächen die Umstände eher für ein bloßes Gebrauchsrecht, sodaß der Vertrag des Beklagten als Untermietvertrag zu qualifizieren sei, weshalb er mit dem Tod des letzten Nutzungsberechtigten erloschen sei. Darüber hinaus führte das Berufungsgericht auch noch aus, ein Fruchtgenußrecht könne schon deshalb nicht angenommen werden, weil ein solches Recht nur durch Eintragung in das Grundbuch entstehe.
Das Berufungsgericht hat ausgesprochen, daß der Wert des Streitgegenstandes 60 000 S, nicht aber 300 000 S übersteigt, und die Revision für zulässig erklärt.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten Folge und änderte das Urteil des Berufungsgerichtes iS der Abweisung des Klagebegehrens ab.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Grundsatz, demzufolge vom Fruchtnießer abgeschlossene Mietverträge als Hauptmietverträge zu qualifizieren sind, ist nicht erst durch das Mietrechtsgesetz aufgestellt, sondern bereits lange vorher von der Judikatur und der Literatur entwickelt worden. Es war bereits seit langem gesicherte Rechtsprechung, daß der Eigentümer nach Beendigung des Fruchtgenußrechtes in die vom Fruchtnießer abgeschlossenen Mietverträge eintritt und diese Verträge daher erst auf Grund einer Aufkündigung erlöschen (Petrasch in Rummel ABGB, Rdz. 3 zu § 509, Klang[2] II 588; MietSlg. 30 235, 19 119; EvBl. 1980/36 ua.). Die Judikatur hat diesen Grundsatz allerdings nicht nur auf Fruchtnießer beschränkt. Nach der Rechtsprechung des OGH wurde sie auch auf jene Mietverträge angewandt, die der Pächter oder der Mieter eines ganzen Hauses oder selbständiger Teile davon begrundete, wobei allerdings auch im Falle des Mieters der Vertragszweck darauf gerichtet gewesen sein mußte, diesem die gewinnbringende Verwertung der Bestandobjekte durch Weitergabe zu ermöglichen (MietSlg. 31 160, 18 235; EvBl. 1980/36 ua.). Auf jeden Fall war aber dieser Grundsatz von einer dinglichen Begründung des Fruchtgenußrechtes durch Eintragung in das Grundbuch unabhängig. Nutzungsrechte, die inhaltlich einem Fruchtgenuß entsprechen, können nämlich auch ohne Eintragung in das Grundbuch mit obligatorischem Charakter begrundet werden (Petrasch aaO, Rdz. 3 zu § 521; MietSlg. 29 057, 28 045, 27 062 ua.). Die Beurteilung der vom Fruchtnießer abgeschlossenen Mietverträge als Hauptmietverträge beruht auf der Erwägung, daß der Fruchtnießer bezüglich des Gegenstandes, auf den sich die Dienstbarkeit bezieht, weitgehend die Rechte des Eigentümers ausübt und daher seine Stellung in diesem Umfang der Stellung eines Eigentümers gleicht. Ihm obliegt bezüglich dieses Objektes auch die Verwaltung. Von ihm abgeschlossene Verträge können daher nicht anders behandelt werden als die von einem vom Eigentümer eingesetzten Verwalter abgeschlossenen. Diese Stellung des Fruchtnießers im Verhältnis zum Eigentümer ist aber unabhängig von der Eintragung seines Rechtes im Grundbuch. Demnach konnten nach der alten Rechtslage, was die Beurteilung der vom Fruchtnießer abgeschlossenen Mietverträge anlangt, auch Fruchtgenußrechte bloß obligatorischen Charakters nicht anders behandelt werden als im Grundbuch eingetragene Rechte.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes hat das Mietrechtsgesetz an dieser Rechtslage nichts geändert. Neu in diesem Gesetz ist allerdings der Umstand, daß § 2 Abs. 1 ausdrücklich ausführt, in welchem Falle eine Hauptmiete vorliegt, und zwar dann, wenn der Mietvertrag mit dem Eigentümer oder Fruchtnießer der Liegenschaft geschlossen wird. Der Umstand, daß das Gesetz den Ausdruck "Fruchtnießer" verwendet und man im allgemeinen darunter einen dinglich Berechtigten versteht, rechtfertigt nicht die Annahme einer Änderung der Rechtslage, wie sie vor dem Mietrechtsgesetz unter Berücksichtigung der Judikatur bestanden hat. Schon seinerzeit wurde, wie bereits oben dargetan, der Ausdruck "Fruchtgenußrecht" auch für bloß obligatorische Nutzungsrechte verwendet. Aus dem Motivenbericht zum Mietrechtsgesetz (425 BlgNr 15. GP 36 zu § 2) ergibt sich eindeutig, daß mit der vorerwähnten Definition der Haupt- und Untermiete die bisherige Rechtslage und die zu ihr ergangene Judikatur übernommen werden sollten. Sohin kann die Bestimmung des § 2 Abs. 1 MRG nur dahin ausgelegt werden, daß unter "Fruchtnießer" nicht nur eine Person zu verstehen ist, die ein dingliches Fruchtgenußrecht an einer Liegenschaft hat, sondern auch eine Person, deren diesbezügliches Recht mangels Eintragung im Grundbuch bloß obligatorisch besteht. (Ob die aufgezeigte Erweiterung der bisherigen Judikatur auch auf Pächter und Mieter weiterhin aufrecht zu erhalten sein wird, muß hier nicht erörtert werden.) Die Ausführungen bezüglich der Geltung des § 2 Abs. 1 MRG für Verträge, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes abgeschlossen worden sind, gehen, abgesehen davon, daß § 43 Abs. 1 MRG eine solche Geltung anordnet, insofern an der Sache vorbei, als § 2 Abs. 1 MRG keine Änderung der bisherigen Rechtslage gebracht hat.
Demnach mußte nicht geprüft werden, ob das Recht der Eheleute V im Grundbuch aufschien. Zu prüfen war nur, ob es als Fruchtgenußrecht zu qualifizieren war oder nicht.
Das ABGB regelt das Wohnrecht nicht als eigene Dienstbarkeit, sondern als Gebrauch oder Fruchtgenuß an Wohnräumen je nachdem, ob diese nur zum persönlichen Bedarf oder ohne diese Einschränkung benützt werden dürfen. Welche von beiden Formen des Wohnrechtes vorliegt, ist eine Auslegungsfrage (Klang[2] II 598; Gschnitzer, Sachenrecht 150; Petrasch aaO Rdz. 1 zu § 521). Das Wohnungsgebrauchsrecht ist das Recht, alle bewohnbaren Teile des Hauses zu seinem Bedürfnis zu benützen, die Wohnungsfruchtnießung hingegen das Recht, alle bewohnbaren Teile des Hauses ohne Einschränkung zu genießen. Im Zweifel ist Gebrauch, Fruchtgenuß aber dann anzunehmen, wenn ein selbständiges Gebäude oder auch bloß räumlich begrenzte bewohnbare Gebäudeteile zur Wohnung eingeräumt werden (Petrasch aaO Rdz. 1 zu § 521; MietSlg. 24 036, 24 035, 29 057 ua.).
Im vorliegenden Fall hatten sich allerdings die Kläger als Eigentümer bezüglich der Wohnungen im Haus Rechte vorbehalten, die im allgemeinen einem Fruchtnießer zukommen, wie insbesondere das Recht, einer Weitergabe von Wohnungen zuzustimmen bzw. einen Hausbesorger zu bestellen. Demgegenüber wurde aber dem seinerzeitigen Eigentümer ein Benützungsrecht bezüglich des gesamten Hauses, also auch einer seinerzeit vermieteten Wohnung, deren direkte Benützung durch die Nutzungsberechtigte nie in Ausssicht genommen war, eingeräumt. Diese Wohnung hat die Nutzungsberechtigte nach dem Willen der Vertragsparteien nicht zur Befriedigung eines Wohnbedürfnisses, sondern zur Erzielung von Erträgnissen im eigenen Interesse verwendet. Dieser Umstand spricht eindeutig für eine Qualifikation des Rechtsverhältnisses als Fruchtgenußrecht. Hiezu kommt, daß die Nutzungsberechtigten die laufenden Lasten des ganzen Hauses getragen haben. Auch ein erheblicher Teil der Aufwendungen für die Erhaltung des Hauses wurde von ihnen bestritten. Daß ein Teil hievon von den Klägern getragen worden ist, spricht nicht gegen die Annahme eines Fruchtgenußrechtes. Nach § 513 ABGB hat nämlich der Fruchtnießer die Erhaltung der dienstbaren Sache nur nach Maßgabe des Ertrages zu übernehmen. Darüber hinaus muß hiefür der Eigentümer aufkommen (Petrasch aaO Rdz. 2 zu § 513; MietSlg. 20 038, 20 039 ua.).
Es ist also richtig, daß das Rechtsverhältnis zwischen den Klägern und der Voreigentümerin zwar nicht zur Gänze dem gesetzlichen Modell eines Fruchtgenußrechtes entsprach, doch lagen die Umstände des Einzelfalles derart, daß es bei der Auslegung eher diesem Vertragstyp als dem bloßen Gebrauchsrecht an einer Wohnung zuzuordnen war. Dies führt aber dazu, daß dieses Rechtsverhältnis bezüglich der von der Voreigentümerin abgeschlossenen Mietverträge als Fruchtgenußrecht iS des § 2 Abs. 1 MRG beurteilt werden muß. Demnach ist der Beklagte Hauptmieter der Wohnung, sodaß die Kläger in dieses Mietverhältnis eingetreten sind. Sie können daher das Mietverhältnis mangels Vorliegens eines anderen Auflösungsgrundes nur mittels einer Aufkündigung beenden. Die auf die Behauptung titelloser Benützung gestützte Räumungsklage entbehrt sohin einer Grundlage.